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31. März 2010
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Lourdes (R: Jessica Hausner)
Lourdes (R: Jessica Hausner)
Lourdes (R: Jessica Hausner)
Fotos: Filmwelt Verleihagentur
Lourdes (R: Jessica Hausner)
Lourdes (R: Jessica Hausner)
Lourdes (R: Jessica Hausner)


Lourdes
(R: Jessica Hausner)

Österreich / Frankreich / Deutschland 2009, Buch: Jessica Hausner, Dramaturgie: Geraldine Bajard, Kamera: Martin Gschlacht, Schnitt: Karina Ressler, Kostüme: Tanja Hausner, Setdesign: Katharina Wöppermann, mit Sylvie Testud (Christine), Léa Seydoux (Maria), Gilette Barbier (Frau Hartl), Gerhard Liebmann (Pater Nigl), Bruno Todeschino (Kuno), Elina Löwensohn (Cecile), Katharina Flicker (Sonja), Linde Prelog (Frau Huber), Heidi Baratta (Frau Spor), Jacques Pratoussy (Jean-Pierre Bely), Walter Benn (Herr Hruby), Hubsi Kramar (Herr Olivetti), Helga Illich (Frau Olivetti), 99 Min., Kinostart: 1. April 2010

Meine Sichtung von Lourdes stand von Beginn an zwischen zwei starken Kräften. Zum einen bin ich ein entschieden unreligiöser Mensch, zum anderen ein großer Fan der Filme von Jessica Hausner (Lovely Rita, Hotel). Doch, so unwahrscheinlich das klingen mag: Zu Beginn des Films wusste ich von beidem nicht. Dass Lourdes ein bekannter französischer Wallfahrtsort ist, hätte ich wissen können, im Verlauf des Films kamen mir ausreichend Erinnerungen an einen Filmklassiker voller Souvenirshops mit Marienbildnissen (den ich leider trotz intensiver Recherche nicht benennen kann) in den Sinn. Und wie die religiösen Rituale hier zur Routine werden, das konnte mich lange Zeit nicht eben faszinieren - ganz im Gegenteil, mein ganzer Leib sträubte sich gegen das religiöse Thema des Films, ganz unabhängig von der Ambivalenz seiner Aussage.

Inzwischen liegt die Pressesichtung einige Zeit zurück, aber ich bilde mir ein, dass ich zu Beginn des Films auch nichts von der Regisseurin wusste (ich kaum glaube ich ein wenig zu spät in die Vorführung), und dies erst im Verlauf des Films (beim Blättern im Presseheft?) in Erfahrung brachte. Gerade die letzte Viertelstunde des Films hatte einige eindeutige (und auch sehr gelungene) "Hausner-Momente", doch lange Zeit baute sich bei mir eine immense Ablehnung gegen den Film auf, weil ich halt so gänzlich unvorbereitet war.

Christine (Sylvie Testud) ist unterhalb des Halses gelähmt und fährt vor allem deshalb mit den "Maltesern" zu einer Pilgerfahrt nach Lourdes, weil man "im Rollstuhl nicht viel rum kommt". Im Wallfahrtsort ist alles durchorganisiert, sogar der Glaube und die (erhofften) Wunder. Überall sieht man Lautsprecher in den Gängen, die Orgelmusik ist allgegenwärtig, und wenn man den Preis als "Pilgerin des Jahres" bekommen will, bietet es sich an, seine Wunderheilung im "Ärztebüro" untersuchen zu lassen - "Sonst ist es nicht offiziell."

Mit den Augen der Religion eher desinteressiert gegenüberstehenden Sylvie erlebt auch der Zuschauer diese seltsame Welt, wobei die Reisegruppe und die entstehende Gruppendynamik sehr interessant ist. Christines ältere Mitbewohnerin schiebt gerne den Rollstuhl, weil sie so einen besseren Platz im Glaubenszirkus ergattern kann. Zwei Touristinnen tauchen als running gag immer wieder auf und kommentieren die Geschehnisse wie Waldorf und Stadler aus der Muppet-Show oder zwei Flüchtlinge aus einem Loriot-Sketch. Lourdes hat durchaus auch Humor (von der lakonischen Sorte) zu bieten, und ähnlich, wie Hausners Hotel ein "Horrorfilm ohne Monster" war, kann man Lourdes als (böses) Märchen interpretieren, wobei Christine als Aschenputtel oder kleine Meerjungfrau irgendwann tatsächlich mit ihrem "Prinz" tanzen kann. Oder statt mit Spinat gefüttert zu werden, sich selbst einen Eisbecher bestellt, den sie ohne Hilfe weglöffeln kann. Doch das Bittere und das Süße ist nah beieinander, und so dreht sich der Film auch viel um Missgunst, denn warum trifft ausgerechnet Christine das Glück, und nicht die, die am demütigsten sind oder am meisten beten. Die Basis der Nächstenliebe wird bei vielen der hier dargestellten Gläubigen jedenfalls von innen heraus zerfressen.

Einer der interessantesten Aspekte der Dreharbeiten zu Lourdes ist natürlich ähnlich wie bei Angela Schanelecs Orly der ansatzweise dokumentarische Ansatz des Films, wenn auch die wiederkehrenden Schauplätze wie die Hotellobby oder der kleine Saal des Tanzfestes durchkompiniert scheinen wie die dunklen Gänge in Hotel.

Bei einem Thema, das mich so geradeheraus abstößt wie die lange Zeit zu ertragende Religiösität hier (wenn noch ein paar mal öfter jemand gebenedeit worden wäre, hätte ich fluchtartig das Kino verlassen), kommt Lourdes womöglich dem Idealfall eines in diesem Umfeld spielenden gelungenen Films, der auch noch auf elegante Art Kritik übt, verdammt nah. Aber aus meiner Sicht ist das so, als wenn eine Speise, die ich nicht mag, besonders hervorragend zugerichtet worden wäre. Ich weiß es zu schätzen, aber ich mag es trotzdem nicht.