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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




21. April 2010
Thomas Vorwerk
für satt.org


  vincent will meer (R: Ralf Huettner)
vincent will meer (R: Ralf Huettner)
vincent will meer (R: Ralf Huettner)
Fotos © 2010 Constantin Film Verleih GmbH
vincent will meer (R: Ralf Huettner)
vincent will meer (R: Ralf Huettner)
vincent will meer (R: Ralf Huettner)


vincent will meer
(R: Ralf Huettner)

Deutschland 2010, Buch: Florian David Fitz, Kamera: Andreas Berger, Schnitt: Kai Schroeter, Musik: Stevie B-Zet, Ralf Hildenbeutel, mit Florian David Fitz (Vincent), Karoline Herfurth (Marie), Johannes Allmayer (Alexander), Heino Ferch (Robert Galler, Vincents Vater), Katharina Müller-Elmau (Dr. Rose), Christoph Zrenner (Tankwart 1), Butz Ulrich Buse (Tankwart 2), 96 Min., Kinostart: 22. April 2010

Was Sylvester Stallone recht war, ist Florian David Fitz nur billig: Wenn man als aufstrebender Schauspieler nicht die Rollen bekommt, die man sich erhofft, muss man halt ein Drehbuch schreiben, in dem man sich die Hauptrolle auf den Leib schneidert. Bei Fitz, den man als Wunsch-Schwiegersohn aus Komödien wie Doctor's Diary oder Männerherzen kennt, ist das kein Boxer mit zerbrochenem Nasenbein, sondern eine dieser Rollen, die in den Staaten immer wieder gern zu Oscar-Nominierungen und mehr führen: Ein "Behindi" (ein Begriff, den ich erstmals in Anno Sauls Wo ist Fred? vernahm, ein Film, dessen Erfolg zum Entstehen von vincent will meer sicherlich beitrug).

Vincent (Fitz) leidet am Tourette-Syndrom, was für seinen Vater (Heino Ferch), einen Karrierepolitiker, ähnlich störend (und oft genug peinlich) ist wie der Autismus des älteren Bruder für den Autohändler Tom Cruise in Rain Man. Die Art und Weise, wie der Vater mit seinem trotz allem gutaussehenden und größtenteils gesellschaftsfähigen Sohn umgeht, ist allerdings für den Kinozuschauer noch viel peinlicher. Nachdem die Mutter verstorben ist, fragt Vincent beispielsweise beim Anblick eines Fotos "Da lacht sie? Wann war das?", und die Antwort des Vaters könnte pädagogisch und zwischenmenschlich kaum verheerender sein: "Vor deiner Geburt." Ein weiteres gutes Beispiel für die Mentalität der Figur des Vaters: "Vergiss nicht zu wählen! Schon alles ausgefüllt, musst nur noch unterschreiben ..."

Offensichtlich versinnbildlichen der Sohn und seine Krankheit für den Vater das Scheitern der Ehe und den Verlust der Frau, er soll beiseite geschafft werden, weil er die Karriere behindern (no pun intended) könnte, am liebsten würde er ihn entmündigen und wegschließen, und so landet Vincent in einer psychiatrischen, wo er die magersüchtige Marie (Karoline Herfurth) und den Zwangsneurotiker Alexander (Johannes Allmayer) kennenlernt, mit denen gemeinsam er dann das Auto der auch nicht unbedingt vorbildlich fungieren Psychoanalytikerin Dr. Rose klaut, um ans Meer zu fahren. Das kennt man so oder ähnlich auch aus diversen Filmen, unter anderem aus One Flew Over the Cuckoo's Nest, Knocking on Heaven's Door (mir fällt nur noch Til Schweiger ein) oder The Bucket List (Todkranke sind ja irgendwie auch gehandicapt).

Als Zuschauer weiß man somit schon relativ früh, worum es geht, der Film hat auch einige durchaus gelungene komödiantische Ansätze (Alexander: "Die Toilettensituation ist hier ganz ausgezeichnet."), aber auch einige üble Rohrkrepierer (Vincent heißt so, weil das Hotel während der Hochzeitsreise der Eltern "San Vincente" hieß, Kommentar darauf: "Gut, dass sie nicht im Holiday Inn waren.")

Doch ärgerlich wird es da, wo der Film vorgibt, mehr als nur eine Komödie zu sein. Das passiert vor allem über die Figur Marie, die zu Beginn des Films stark auf Corpse Bride geschminkt eingeführt wird, abgesehen von ihrer Todessehnsucht aber eigentlich vor allem als love interest fungiert und eigentlich die meiste Zeit so gut aussieht, wie Karoline Herfurth nun mal aussieht - was ja anhand des Filmplakats auch gut nachvollziehbar ist. Der Film will einerseits Tiefgang vortäuschen, es sich andererseits aber auch nicht mit dem Komödienpublikum verscherzen - und gerät so zu einem nicht endenden langsamen Slalom rund um einige Fettnäpfchen. Und wer unkritisch an den Streifen herangeht, entdeckt vielleicht auch gar nicht das Problem des Films. Hinzu kommen ein überflüssiger Subplot um Vincents Vater und Dr. Rose, die die "Ausbrecher" verfolgen, eine kunstgewerbliche Kamerafahrt um ein Gipfelkreuz, die rein dramaturgisch einen klar erkennbaren Sinn hat, aber in ihrer Künstlichkeit und dem fehlenden Realismus (sowohl, was Maries vorgeblichen körperlichen Zustand angeht als auch bezüglich der Logistik der Kreuzbesteigung) sauer aufstößt, und zu guter letzt zwei oder drei Beispiele, wo das Tourette-Syndrom netterweise gerade dann zuschlägt, wenn es damit das Drehbuch unterstützt.

Ein typisch deutsches Problem ist auch der Soundtrack, der so "folky accoustic" klingt, als hätte man ihn schon in einer Million deutscher Erstlingsfilmen gehört - und das, obwohl der Regisseur schon seit zwanzig Jahren im Metier ist. Allerdings gehören zu seinen bekanntesten Filmen Mondscheintarif, Voll normaal und zuletzt die TV-Arbeit Putzfrau Undercover (der Titel spricht für sich selbst).

Wer sich nur amüsieren will, wird nicht enttäuscht, wer aber während des Films auch mal um die Ecke denkt und nicht alles einfach als gegeben nimmt, sondern hinterfragt, sollte als erstes hinterfragen, ob man das Geld für die Eintrittskarte nicht anderswo besser anlegen kann.