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20. August 2010
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Das letzte Schweigen (R: Baran bo Odar)
Das letzte Schweigen (R: Baran bo Odar)
Das letzte Schweigen (R: Baran bo Odar)
Bildmaterial © Jan Rasmus Voss / NFP
Das letzte Schweigen (R: Baran bo Odar)
Das letzte Schweigen (R: Baran bo Odar)
Das letzte Schweigen (R: Baran bo Odar)


Das letzte Schweigen
(R: Baran bo Odar)

Deutschland 2009, Buch: Baran bo Odar, Lit. Vorlage: Jan Costin Wagner, Kamera: Nikolaus Summerer, Schnitt: Robert Rzesacz, Musik: Pas de Deux, mit Wotan Wilke Möhring (Timo Friedrich), Ulrich Thomsen (Peer Sommer), Burghart Klaußner (Christian »Krischan« Mittich), Katrin Sass (Elena Lange), Sebastian Blomberg (David Jahn), Karoline Eichhorn (Ruth Weghamm), Roeland Wiesnekker (Karl Weghamm), Claudia Michelsen (Julia Friedrich), Oliver Stokowski (Matthias Grimmer), Jule Böwe (Jana Gläser), Kinostart: 19. August 2010

Am 8. Juli 1986 wird die elfjährige Pia auf ihrem Heimweg von zwei Männern in einem roten Audi angesprochen, als sie wegläuft, verfolgt sie der eine (Ulrich Thomsen), vergewaltigt sie, entschuldigt sich danach und tötet sie dann. Der Beifahrer (Wotan Wilke Möhring) ist entsetzt. In Flashbacks erfährt man später, wie sich der Architekt Timo (Möhring) und der Hausmeister Peer (Thomsen) kennenlernten und bereits zuvor gemeinsam einschlägige Videos sahen, die Peer mit kleinen Mädchen aufnahm.

23 Jahre später werden an exakt der selben Stelle, in einem Kornfeld, wo Pias Mutter (Katrin Sass) regelmäßig Blumen hinterlegt, wieder ein Fahrrad und ein blutiger Stein gefunden, und Sinikka, ein gleichaltriges Mädchen, das sich zuvor mit ihren Eltern (Karoline Eichhorn und Roeland Wiesnekker) stritt, wird diesmal vermisst. Der soeben pensionierte Polizist Krischan Mittich will auf eigene Faust seinen damaligen ungelösten Fall wieder aufrollen, zwei jüngere Kollegen (Sebastian Blomberg und Jule Böwe) versuchen ebenfalls ihr Glück, und der mittlerweile verheiratete Familienvater Timo sucht erneut den Kontakt zum Hausmeister Peer ...

Das letzte Schweigen (übrigens ein sehr seltsamer Titel) verbindet Thriller und Melodram, was zunächst mal interessant ist. Doch sehr schnell bekommt man als Zuschauer das Gefühl, dass (abgesehen von den beiden Opfern und einer schwangeren Ermittlerin) keine der Figuren auch nur im geringsten sympathisch ist, und - noch schlimmer - man nicht nur Probleme damit hat, die Motivationen der Figuren nachzuvollziehen ... nein, sehr schnell hat man das Gefühl, dass der Film auch »Psychos unter sich« heißen könnte. Ein Eindruck, der durch Darsteller, die man schon öfter in entsprechenden Rollen gesehen hat (Wotan Wilke Möhring, Sebastian Blomberg, Karoline Eichhorn, Ulrich Thomsen), nur noch verstärkt wird. Jeder ist traumatisiert, psychotisch oder obsessiv, sämtliche zwischenmenschlichen Regungen oder Liebesbeziehungen gehen in Richtung Trümmerlandschaft. Dass die Eltern der vermissten Sinikka fassungslos sind, kann man ja noch nachvollziehen, und dass die Ehe Timos nicht unbedingt in Richtung Happy End segelt, wird auch niemanden überraschen, aber der neue Ermittler kämpft mit dem Krebstod seiner Frau (an den die Inszenierung überdeutlich oft erinnert), die Mutter der toten Pia gerät in ein totgeborenes Techtelmechtel mit dem pensionierten Krischan, und die wie aus Fargo übernommene schwangere Ermittlerin bekommt wie selbstverständlich über kurz oder lang den gefährlichsten Job und landet »in der Höhle des Löwen«, beim Mörder Peer, der seine Kinderporno-Sammlung auf durchnumerierten DVDs mitten im Wohnzimmerregal stehen hat und »für alle Fälle« das Küchenmesser zur harmlosen Befragung mitnimmt.

Ungeachtet der literarischen Vorlage (die dem Rezensenten übrigens nicht bekannt ist) wirkt der Film wie eine sehr deutsche Mixtur aus Versatzstücken. Ein bißchen audiovisuell unterfütterte kranke Männerfreundschaft à la Auto Focus, etwas Kindermord und obsessive Polizisten wie in Dürrenmatts Das Versprechen und seinen zahlreichen Verfilmungen - und jede Menge sich selbst zerfleischende Fälle für den Psychiater oder die Klapse.

Rein visuell spricht zwar die Kameraarbeit an, und einiges an dem Film ist auch clever durchkomponiert, aber im Gegensatz zu einem thematisch ähnlichen Film wie Alrun Goettes Unter dem Eis hat man hier bei den gelegentlichen Lachern immer den Eindruck, dass sie ungewollt und eher hilflos sind, und man bleibt distanzierter und fassungsloser Betrachter. Fassungslos nicht unbedingt nur aufgrund des Sujets, sondern auch, weil man sich fragt, warum jemand einen solchen Film, dem buchstäblich jeder Tropfen Menschlichkeit ausgesaugt wurde, unbedingt drehen wollte. Auch aus der Sicht der Darsteller mag zwar die einzelne Rolle interessant gewirkt haben, aber hätte es nicht irgendjemandem auffallen müssen, dass so ziemlich jede Figur, die durch diesen Film stolpert, einen gehörigen Knacks weg hat. Und wenn das auch per se nicht gegen den Film spricht, so wird daraus einfach zu wenig gemacht, als man über die versammelte »Verhagel-mir-den-Sommer«-Mentalität hinwegschauen möchte.