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Gainsbourg
(R: Joann Sfar)
Originaltitel: Gainsbourg (vie héroïque), Frankreich 2009, Buch: Joann Sfar, Kamera: Guillaume Schiffman, Schnitt: Maryline Monthieux, Musik: Olivier Daviaud, Production Design: Christian Marti, Set Decoration: Isabelle Girard, Kostüme: Pascaline Chavanne, mit Éric Elmosnino (Serge Gainsbourg), Lucy Gordon (Jane Birkin), Doug Jones (La Gueule / Die Fresse), Laetitia Casta (Brigitte Bardot), Sara Forestier (France Gall), Anna Mouglalis (Juliette Gréco), Mylène Jampanoï (Bambou), Kacey Mottet Klein (Lucien Ginsburg), Razvan Vasilescu (Joseph Ginsburg), Dinara Droukarova (Olga Ginsburg), Philippe Katerine (Boris Vian), Yolande Moreau (Fréhel), Claude Chabrol (Musikproduzent), Kinostart: 14. Oktober 2010, 121 Min.
Als Comic-Zeichner und -Autor hat Joann Sfar so ziemlich alle Preise eingeheimst, die es so gibt, was liegt also näher, als sich mal in einem neuen Medium auszuprobieren. Der Kinobesucher wird somit reich beschenkt, denn Sfar hat bereits bewiesen, dass er Geschichten erzählen kann, und er hat auch nicht die geringsten Berührungsängste, seinen Erstlingsfilm so umzusetzen, wie es ihm gefällt.
Einerseits orientiert sich Sfar an traditionellen Musiker-Biopics wie Ray oder Walk the Line, doch ihm geht es nicht darum, historisch akkurat ein Leben nachzuzeichnen. »Die Wahrheit könnte mir gar nicht gleichgültiger sein.« Und so übertreibt er und spitzt zu, dass es eine Freude ist. Unter dem Nazi-Regime will der kleine Lucien (Serge heißt der 1928 geborene erst viel später) der Erste sein, der stolz mit einem gelben Judenstern auf der Brust herumläuft, und seine Vorstellung vom Judentum ist somit auch von Schmähplakaten geprägt, die in der Fantasie des Jungen Kreaturen entstehen lässt, die die Regie mit einer anfänglichen Animationssequenz und Puppentricks mit dem hervorragenden Kreaturendarsteller Doug Jones (u. a. Abe Sapien in den Hellboy-Filmen) umsetzt.
Der Film arbeitet durchgehend mit einer klaren Farbdramaturgie, erzählt mal in Episoden, mal märchenhaft (ein wenig wie die Bob-Dylan-Biographie I'm not there, nur viel interessanter), und immer mehr bedacht auf den Gesamteindruck als auf die Stimmigkeit irgendwelcher Details. Brigitte Bardot, die im Film von Laetitia Casta dargestellt wird, wird beispielsweise mit einer kraftvollen Szene eingeführt, bei der sie einen afghanischen Windhund durch einen Hotelkorridor führt. Die Bardot beteuert, nie so einen Hund besessen zu haben, aber für den Film (und seinen Zuschauer) ist die Lüge viel interessanter als die Wahrheit.
Und so lümmelt sich Sara Forestier als blutjunge France Gall lolitagleich durch den Song Baby Pop, mit Overknee-Stiefeln ahmt man den Stil des Barbarella-Films nach und singt über Comic-Strips, Gainsbourgs Wohnung erinnert an die Bathöhle, und sein alter ego Die Fresse mit der übertriebenen Nase an Dick-Tracy-Bösewichte.
Wichtig ist für den Film natürlich auch die Musik, und neben der unumgänglichen Legende um die Entstehung des Skandalsongs Je t'aime ... moi nun plus (mit einem kleinen Auftritt des jüngst verstorbenen Claude Chabrol) bietet der Film einen guten Überblick über die mehrere Jahrzehnte andauernde Karriere des Sängers und Komponisten, der sich in seiner »Gainsbarre«-Phase einfach neu erfand (unrasiert und mit langen Haaren) und immer wieder für Überraschungen gut war wie den Song Nazi Rock oder eine Reggae-Version der Marseillaise.
Der Film (bzw. teilweise einfach Gainsbourgs Leben) ist so voller Ideen (das Dali-Bett, der Sägefisch, der Song über Lollis, die Pressekonferenz), das er auch über seine zwei Stunden Laufzeit durchweg unterhält und fesselt. Manches ist etwas plakativ und gewollt wie die Hommage an die Schlussszene am Strand in Truffauts Les quatre-cents coups (auch ein Erstling), doch größtenteils erfreut der Film, der eben nicht wie ein Künstlerwohnheim gestrickt ist, sondern wie ein Freudenhaus.
Als nächstes soll Sfar angeblich seine Katze des Rabbiners verfilmen, man darf gespannt sein.