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9. März 2011
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Biutiful (Alejandro González Iñárritu)
Biutiful (Alejandro González Iñárritu)
Biutiful (Alejandro González Iñárritu)
Bildmaterial © 2011 PROKINO Filmverleih GmbH
Biutiful (Alejandro González Iñárritu)
Biutiful (Alejandro González Iñárritu)
Biutiful (Alejandro González Iñárritu)


Biutiful
(Alejandro González Iñárritu)

Mexiko / Spanien 2010, Buch: Alejandro González Iñárritu, Armando Bo, Nicolás Giacobone, Kamera: Rodrigo Prieto, Schnitt: Stephen Mirrione, Musik: Gustavo Santaolalla, Production Design: Brigitte Broch, mit Javier Bardem (Uxbal), Maricel lvarez (Marambra), Hanaa Bouchaib (Ana), Guillermo Estrella (Mateo), Eduard Fernández (Tito), Cheikh Ndiaye (Ekweme), Diaryatou Daff (Ige), Taisheng Cheng (Hai), Luo Jin (Liwei), 148 Min., Kinostart: 10. März 2011

Im längsten Text eines Regisseurs, den ich je in einem Presseheft gesehen habe, erklärt Alejandro González Iñárritu u. a., dass er nach drei Filmen (Amores Perros, 21 Grams, Babel) genug hatte von »parallel verlaufenden Handlungssträngen, zersplitterten Strukturen und sich kreuzenden Erzählungen« und sich deshalb für »eine Figur, einen Blickwinkel, eine Stadt, einen geradlinigen Erzählstrang« entschied. Ein Entschluss, den man gutheißt, denn Regisseure, die sich immer wieder wiederholen, werden nur selten besser dadurch. Da ich gerne zwischen den Zeilen lese und gerade das Ungesagte interessanter finde als das Gesagte, wunderte ich mich aber darüber, dass Iñárritu bei seinen weitschweifigen Ausführungen zur Entwicklung der Idee, dem Castingprozess, der engen Zusammenarbeit mit Javier Bardem usw. gar nicht erwähnt, dass das Drehbuch seines vierten Spielfilms erstmals nicht von Guillermo Arriaga (The Three Burials of Melquiades Estrada) stammt. Wollte der nicht auf »sich kreuzende Erzählungen« verzichten oder gibt es da noch eine (persönliche?) Geschichte, die mit Bedacht nicht ins Presseheft sollte? Nur mal so ein Denkanstoß ...

Ganz so geradlinig, wie Iñárritu behauptet, ist Biutiful nun auch wieder nicht. Immerhin gibt es einen seltsamen Prolog, der später wieder aufgegriffen wird (kein schnöder Flashback, sondern schon Storytelling aus de Ära nach Pulp Fiction). Und auch, wenn der Film an Javier Bardem klebt wie ein Heftpflaster, und von diesem Ausnahmeschauspieler auch einen Großteil seiner Kraft bezieht: auch in einem einzelnen Leben kann man parallel verlaufende Handlungsstränge und zersplitterte Strukturen habe, es ist nur einfach so, dass hier statt dreier Episoden auf dreifache Weise der Weg des Protagonisten beschrieben wird (Iñárritu erklärt dies, ohne auf die Parallele zu seinen anderen Filmen einzugehen - und ich erkläre es nicht, weil man es selbst im Film erleben sollte). Außerdem ist die Atmosphäre des Films ganz ähnlich zu den Vorgängern, und es geht auch um die selben Themen: Liebe, Tod, Ausbeutung von Fremden, die moderne Gesellschaft (hier in Form des wabernden Untergrunds von Barcelona). Kurzum: es geht wieder um moralische Fragen, eine kräftige Prise Melodrama und auch ein bisschen esoterischen Mumpitz.

Bardem als Uxbal ist eine interessante Figur, und gerade das Zusammenleben mit seinen Kindern und zwei sehr unterschiedlichen Frauen sind das Herz des Films. Doch Iñárritu will mindestens so viel erzählen wie in seinen anderen Filmen und irgendwie hat er dabei ein wenig zuviel abgebissen und droht inszenatorisch daran zu ersticken, was alles in Uxbals Leben vorgeht - und wie feinsäuberlich sich das alles gegen Ende des Films handlungsmäßig und thematisch zu einem vermeintlich runden Ganzen zusammenfügt. Für mich war es so, dass ich diese dramaturgische Leistung des Films zwar zu schätzen weiß, dass mich der Film aber nicht mitriss. Und außer bei Amores Perros ist das eigentlich Standard bei diesem Regisseur. Alles ist eine Spur zu clever und eine Spur zu bedeutend, als müsse man sich als Zuschauer durchgehend verbeugen vor dem Herrn Filmemacher. Dummerweise funktioniert das bei mir aber so gar nicht. Die absolute Schlüsselszene des Films, bildgewaltig, surreal und verstörend (sie spielt am Strand, ich will nichts ausplaudern) war womöglich eine dieser Ideen, die er in seinen »Erklärungen« zum Film ausführt, doch für mich wirkte diese Szene gemeinsam mit der fast halben Stunde, die nötig ist, um die Begleitumstände zu beschreiben, einfach aufgesetzt und ein bisschen selbstverliebt in seine Kreativität (wie auch der lange Text als Blaupause für die respektvollen Verneigungen). Iñárritu ist für mich einfach zu sehr Klassenprimus und »Schweinchen Schlau« und seine Filme sind so grässlich didaktisch und bedeutsam. Darüber verdränge ich leider auch die guten Ansätze. Bardem ist großartig, Hauptdarstellerin Maricel lvarez ebenso, das Buch ist ziemlich clever aufgebaut, die Geschichte ist teilweise durchaus anrührend, aber das ändert alles nichts daran, dass der Funke aber so gar nicht überspringt. Vielleicht dreht Iñárritu als nächstes ja tatsächlich mal einen »ganz anderen« Film. Ich würde es mir wünschen.