|
Bildmaterial © 2011 Twentieth Century Fox
|
X-Men:
Erste Entscheidung
(Matthew Vaughn)
USA 2011, Originaltitel: X-Men: First Class, Buch: Ashley Edward Miller, Zack Stentz, Matthew Vaughn, Jane Goldman, Story: Bryan Singer, Sheldon Turner, Kamera: John Mathieson, Schnitt: Eddie Hamilton, Lee Smith, Musik: Henry Jackman, Production Design: Chris Seagers, Supervising Art Director: John King, mit James McAvoy (Charles Xavier), Michael Fassbender (Erik Lensherr / Magneto), Kevin Bacon (Sebastian Shaw), Rose Byrne (Moira MacTaggert), Jennifer Lawrence (Raven / Mystique), January Jones (Emma Frost), Nicholas Hoult (Hank McCoy / Beast), Lucas Till (Alex Summers / Havok), Caleb Landry Jones (Sean Cassidy / Banshee), Edi Gathegi (Armando Muñoz / Darwin), Oliver Platt (Man in Black Suit), Jason Flemyng (Azazel), Zoë Kravitz (Angel Salvadore), lex González (Janos Quested / Riptide), Glenn Morshower (Colonel Hendry), Matt Craven (CIA Director McCone), James Remar (US General), Ray Wise (Secretary of State), Michael Ironside (Captain), Tony Curran (Man In Black Suit Agent), Don Creech (William Stryker Sr.), Laurence Belcher (Charles Xavier, 12 Years), Bill Milner (Young Erik), Morgan Lily (Young Raven), Beth Goddard (Mrs. Xavier), Éva Magyar (Edie Lensherr), Ludger Pistor (1st German / Pig Farmer), Wilfried Hochholdinger (2nd German / Tailor), Carlos Peres (German Bartender), Hugh Jackman (Logan), 132 Min., Kinostart: 9. Juni 2011
Layer Cake, das Regiedebüt von Matthew Vaughn, habe ich immer noch nicht gesehen, aber ausgehend von Stardust, Kick-Ass und X-Men: First Class darf man Vaughn wohl zu den besseren Mainstream-Regisseuren der heutigen Zeit zählen. Hierbei tritt er insbesondere mit seinem neuen Film das Erbe von Bryan Singer an, der die ersten zwei X-Men-Filme drehte, und hier nach eher geringem Engagement bei X-Men: The Last Stand und X-Men Origins: Wolverine wieder coproduzierte und auch beim ursprünglichen Drehbuch mitarbeitete. Bei den ersten Szenen des Films orientierte man sich auch unübersehbar an den KZ-Szenen zu Beginn von X-Men, bevor man, auf diesen aufbauend, zunächst zwei kurze Kernszenen der Jugend von Erik Lensherr (damals Ian McKellen, jetzt Michael Fassbender) und Charles Xavier (damals Patrick Stewart, jetzt James McAvoy) vorführt, ehe der Großteil des Films 1962/63 spielt, bekanntlich sowohl der Zeit des Durchbruchs des Marvel-Verlags als auch des ersten Höhepunkts des Kalten Kriegs zwischen den USA und Russland, inklusive der Involvierung von Kuba.
Wann immer die 1960er besonders präsent im Film sind, pulsiert auf der Leinwand auch ein Flair von Darwyn Cookes Justice League: New Frontier (das Marvel-Äquivalent X-Men: First Class kenne ich leider nicht), von Mad Men, frühen James Bond-Filmen oder dem War Room aus Dr. Strangelove. Geschickt kombiniert Vaughn hierbei auch die damalige erzamerikanische Mentalität mit Russland als dominantem Feindbild und eine entspanntere und von Einsicht geprägte Handlung à la Sting (»The Russians love their children too«).
Doch Vaughn gelingt es über den Nostalgiefaktor hinaus, erstmals topaktuell die Atmosphäre der heutigen X-Men-Comics einzufangen. Der Film wirkt wie eine Mini-Serie von acht bis zwölf Heften, gefangen zwischen Splash-Page-Schlachtengemälden, größtenteils gelungenen Dialogwitzen und einer Show-and-Tell-Mentalität, wie man sie aus Grant Morrisons X-Men oder Seitenströmungen wie Planetary kennt. Hier wird nichts zu Tode erklärt, sondern der Film soll offenbar vor allem Spaß machen und erstaunen. Und so hat man den ganzen Ballast an Hauptpersonal der ersten Trilogie hinter sich gelassen und (wie in den unzähligen X-Heften, die alle gleichzeitig nebeneinander existieren) ein neues Personal zusammengesucht (übrigens größtenteils 1963 in Marvelheften noch völlig unbekannt), das jetzt seine Superkräfte vorführen darf (bei Mutanten kann man sich die Origin-Stories sparen, auch wenn mich die Hintergründe des Oberbösewichts Kevin Bacon schon interessiert hätten). Jennifer Lawrence als Raven / Mystique (in den frühen X-Filmen von Rebecca Romjin-Staros als Bösewicht etabliert) ist hier gleichzeitig eine Art Schwester für Xavier als auch der zerbrechliche Quasi-Teenager (die Sache mit dem Alter funktioniert nicht annähernd, aber vielleicht kann man das mit den Gestaltwandlerfähigkeiten erklären), der zuvor von Anna Paquin porträtiert wurde. Besonders hübsch und offensichtlich ist hierbei Möglichkeit eines »blauen Happy-Ends« mit Nicholas Hoult als Hank McCoy, doch es spricht für den Film, dass man sich hier eher am typischen Beziehungsverlauf eines Ben Grimm (Fantastic Four) orientiert hat.
Aus meiner Mentalität eines Filmzuschauers fehlt bei den vielen Facetten und Figuren ein wenig Glaserkitt, der alles zusammenhält, aber aus meiner Erfahrung als Comic-Leser wirkt alles kongenial und stimmig. Was irgendwie für eine gelungene Adaption spricht, die aber das Medium Film mehr in den Dienst der Comic-Atmosphäre (nicht im bunten Dick-Tracy-Sinne, sondern was das Wiedererkennen für die Fanboys angeht) stellt, und dadurch - und ich hätte nie gedacht, dass ich so was jemals behaupten würde - irgendwie innovativ und wegweisend wirkt. Zumindest, was Comic-Verfilmungen und Popcorn-Kino angeht.
Hin und wieder stören mich Kleinigkeiten wie überflüssige CGI-Effekte, blöde Dialoge (welches Wort ist bei »It’s worse then you previously imagined« zu viel?) oder unnötiges Blutvergießen (warum musste Oliver Platt sterben?), aber dem Film gelingen einige nachvollziehbare Figurenwandlungen (hier werden Teams schneller gewechselt als in der Bundesliga), das Casting ist trotz McAvoy großartig, und selbst der große Weltuntergangs-Showdown funktioniert besser als in den meisten vergleichbaren Filmen der letzten zehn Jahre. Und nach dem auf der Stelle tretenden dritten X-Film von Brett Ratner und dem gänzlich misslungenen Wolverine-Prequel ist dies eine gelungene Neugeburt des Franchise. Ich hoffe aber, dass man nicht sofort wieder aus den 60ern in die Gegenwart springt.