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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




27. Oktober 2010
Friederike Kapp
und Thomas Vorwerk
für satt.org


Cinemania-Logo 68:
Potpourri

Mittlerweile gibt es Starttermine wie den 4. November, wo einfach mal 24 Filme in die deutschen Kinos geschüttet werden. Da ist der Kinogänger genauso überfordert wie der Kritiker, und zur Entlastung unseres emsigen, aber auch nur menschlichen HTML-Sklaven werden in diesem und dem nächsten Cinemania einfach mal einige weniger gelungene Kinostarts zusammen mit in der Besucherritze verschollenen Kritiken und der einen oder anderen kleinen Überraschung (diesmal: Kick-Ass) veröffentlicht.


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Boogie Woogie
(Duncan Ward)

UK 2009, Buch: Danny Moynihan, Lit. Vorlage: Danny Moynihan, Kamera: John Mathieson, Schnitt: Kant Pan, Musik: Janusz Podrazik, Casting: Gary Davy, Production Design: Caroline Greville-Morris, Art Direction: Nick Dent, mit Danny Huston (Art Spindle), Stellan Skarsgård (Bob Maclestone), Gillian Anderson (Jean Maclestone), Jack Huston (Joe), Heather Graham (Beth Freemantle), Amanda Seyfried (Paige Prideaux), Alan Cumming (Dewey), Christopher Lee (Alfred Rhinegold), Joanna Lumley (Alfreda Rhinegold), Simon McBurney (Robert Freign), Jaime Winstone (Elaine), Gemma Atkinson (Charlotte Bailey), Josephine de la Baume (Frenchie), Meredith Ostrom (Joany), Charlotte Rampling (Emille), Rosie Fellner (Rachel Leighton), Stephen Greif (Bob’s Lawyer), Jenny Runacre (Mrs. Havermeyer), Jan Uddin (Art’s Partner), Gaetano Jouen (Himself)

In diesem Jahr gab es wieder einiges interessantes im European Film Market zu sehen, doch da man das Programm der Presse im Vorfeld diesmal vorenthielt, konnte man sich frühestens am Start-Donnerstag einen Katalog und den Zeitplan der Vorführungen holen, und - so unwahrscheinlich das klingen mag - zu diesem Zeitpunkt waren einige der interessanten Filme bereits gelaufen. Durch ungeschickte Lage anderer Filme und einer generellen Frustration ob der Situation (einmal wurde ich auch als unwichtiger Pressemokel weggeschickt und hatte danach nicht nochmal Lust, mich durch den Schneematsch ins Marriott zu kämpfen, um womöglich wieder nur doof dazustehen) habe ich mich dann entscheiden, in diesem Jahr kein eigenes Cinemania zum Market zu erstellen. Umso glück-licher, dass die eine Market-Vorführung, die ich besuchte, eine sehr positive Überraschung war - und das, obwohl der Film offenbar so seine Probleme hat, Verleiher zu finden.

Robert Altman ist tot, es lebe Duncan Ward. Boogie Woogie ist ein Ensemble-Film wie viele Altman-Filme, und kann sich als companion piece zu The Player und Prêt-à-Porter durchaus sehen lassen, denn so wie Altman Hollywood und die Modebranche durch den Kakao zog, nimmt sich Duncan Ward (nach einer Romanvorlage und einem Drehbuch von Danny Moynihan) der Londoner Kunstszene an, die er genüsslich und satirisch seziert. Die Besetzung des Films kann zwar nicht mit Julia Roberts und Bruce Willis auftrumpfen, doch wenn der Regisseur noch ein paar solche Filme dreht, könnte er auch zum actors’ director avancieren, der in kleinen Rollen mehr »Fleisch« anbietet, in das man sich als Darsteller »verbeissen« kann, als dass die meisten Hollywood-Hauptrollen liefern.

Danny Huston als »Art« Spindle hat hier ein klein wenig mehr screen time als seine Kollegen, und fungiert auch als verbindendes Glied zwischen anderen Galeristen und Kunsthändlern, aufstrebenden Talenten und willigen Sekretärinnen, die alle auf der Suche nach persönlichem Erfolg und dem nächsten Hype durchs Leben irren. Noch stärker als bei Altman ist hier der Hang zum Techtelmechtel, quer durch die Geschlechter und gesellschaftlichen Schichten wird hier gebaggert, was das Zeug hält, und so, wie die Lebensabschnittspartner hintergangen werden, geschieht es auch mit den Geschäftspartnern.

Die Geschichte nutzt geschickt eine Rahmenhandlung, die sich erst nachträglich als solche offenbart, und die dem Episodenhaften des Films eine überzeugende closure verschafft. Doch die biographischen Fragmente der Protagonisten sind vor allem Bestandteile des satirischen Elements des Films, das deshalb besonders gut funktioniert, weil es nahe an der Realität ist. So wie der pitch zu The Graduate 2 in The Player auch nicht absurder ist als das spätere Semi-Sequel Rumor has it zum Film. Ich muss zugeben, dass ich viele der wie nebenbei auftauchenden Kunstwerke in Boogie Woogie (genau wie das titelgebende Werk von Mondrian) für übertriebene Parodien hielt, bis ich dann im Nachspann lesen konnte, dass beispielsweise der »Jesus mit Geschenkpaketen« vom Berlinale-gefeatureten Banksy stammt. Womöglich sind auch die drei Basketbälle in einem Plexiglas-Kasten und die Popart-Variante eines Pissoirs reale Kunstwerke, Damien Hirst als Art Consultant hat hier einen großartigen Job gemacht.

Die Nabelschau wird weit über die Schmerzgrenze getrieben (manche Details mag ich hier gar nicht wiedergeben), und selbst Danny Hustons verlogen-arrogantes »Ha Ha Ha« wirkt schnell ansteckend, denn auch wenn einem das Lachen manchmal im Halse stecken bleibt - Boogie Woogie war wahrscheinlich der amüsanteste Film der Berlinale, bei dem man manchmal erschrocken zum Sitznachbar schaut, und kurz darauf wieder spitze Schreie des Vergnügens von sich gibt, so abgedreht ist hier vieles.

Angefangen mit Kleinigkeiten wie der »Neubesetzung« des aus Boogie Nights bekannten »Roller Girls« mit Amanda Seyfried (obwohl Heather Graham perfiderweise auch mitspielt), über Christopher Lee als Michael-Haneke-Doppelgänger (der vielleicht sogar besser deutsch spricht), Momenten wie bei Tati (die Tür ohne Klinke), einen Scheidungskampf um eine gemeinsame Kunstsammlung bis hin zu Brustoperationen auf dem Weg zum Botticelli-Ideal (!).

Und es gibt soviel zu entdecken in dem Film: Der größte Loser des Films (Alan Cummings) trägt fast die selbe Hornbrille wie der gottähnlich auftretende Danny Huston, und doch werden diese Zwillinge mit Altersunterschied (ähnlich wie in Howl) gegeneinander angesetzt, selbst kleinste Rollen wie Simon McBurney als Butler verzaubern mit durchdachten Miniaturen, kurzum: es wäre ein Verbrechen, wenn dieser Film kein groißes Publikum finden sollte. Denn noch stärker als bei Prêt-à-Porter muss man sich in der Kunstszene gar nicht auskennen, um einen Heidenspaß an diesem Film zu haben.

(Natürlich ist Duncan Ward eben noch nicht Robert Altman und es gibt auch ein paar holprige und vorhersehbare Stellen, aber das beeinflusst den Gesamteindruck des Film nur marginal.)

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My Name Is Khan
(Karan Johar)

Indien 2010, Buch: Karan Johar, Shibani Bathija, Kamera: Ravi C. Chandran, Schnitt: Deepa Bhatia, Musik: Shankar Ehsaan Loy, mit Shah Rukh Khan (Rizvan Khan), Kajol Devgan (Mandira Rathore), Jimmy Shergill (Zakir), Sonya Jehan (Hasina), Yuvaan Makaar (Samir / Sam), Tanay Chheda (Khan als Kind), Christopher B. Duncan (Barack Obama), 165 / 107 Min.

Wieder einmal beschäftigt das Thema »islamischer Migrationshintergrund«. Erzählt wird die Geschichte eines indischstämmigen jungen Mannes, den es in die USA verschlagen hat. Dabei gibt es eine Besonderheit, die ihn von seinen Mitmenschen unterscheidet: Khan leidet unter dem Asperger-Syndrom, einer Störung seiner kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten. Sehr überzeugend spielt der Bollywoodstar Shah Rukh Khan den sozial gehandicapten jungen Mann, der oft nicht versteht, wie sein Gegenüber tickt, und der mit großer Beharrlichkeit, aber eingeschränkten Mitteln und oft vergeblich versucht, sich verständlich zu machen. Bezeichnend ist dabei eine Szene während seiner Einreise in die USA, in der erstmals der titelgebende Satz fällt. »My name is Khan«, erklärt er unermüdlich, wieder und wieder; der Name soll mit einem dunklen Rachen-c-h, wie in »Bach«, und eben nicht mit »k« Daß es ihm darum geht, das sagt er nicht. Die Zoll- und Grenzbeamten hören und kapieren den Unterschied überhaupt nicht, haben keine Ahnung, worauf er hinaus will, es interessiert sie auch nicht. Gehen Sie weiter, Mr. Kaan, er insistiert, wiederholt seinen Satz, bis er einfach nur nervt, die Beamten sind gereizt, die Situation kippt, Khan wird festgenommen. Ein dunkelhäutiger Mann, der wie ein Irrer den immerselben, sinnlosen Satz aufsagt und noch dazu Moslem ist? Sicher ein Terrorist.

Wenig später erfolgt seine Freilassung, aber der Anschlußflug ist weg. Khan schlägt sich einmal quer durch die Staaten, findet Aufnahme bei seinem Bruder Zakir (Jimmy Shergill) und dessen Frau Hasina (Sonya Jehan) in San Francisco, findet Arbeit und findet tatsächlich auch eine liebreiche Frau, die die Geduld aufbringt, eine Beziehung zu ihm aufzubauen. Mandira (Kajol Devgan) hat einen Sohn aus einer früheren Beziehung, Samir (Yuvaan Makaar) geht ebenso behutsam und freundlich mit Mutters wunderlichem Verehrer um wie dieser mit ihm. Heirat, Familienleben, Jahre des Glücks. Dann Nine Eleven. Wieder steht Khan unter Terrorismusverdacht. Parallel zur nationalen Tragödie trifft die kleine Familie ihre individuelle Tragödie. Das Kind stirbt, die Frau trennt sich. Von nun an hat Khan eine Botschaft, die er dem Präsidenten der Vereinigten Staaten persönlich überbringen will: »My name is Khan, and I’m not a terrorist.« Seine anschließende Kampagne erinnert ein wenig an den »langen Lauf« von Forrest Gump – ein Mann, eine Botschaft, ein riesiges Land, »God’s Own Country«, das sich von der Wahrheit des Aufrichtigen und Tapferen erobern läßt. Versöhnlicher Schluß.

Dieser gelungene Film schafft das Kunststück, mehrere Genres zu verbinden, verschiedene Themen gleichberechtigt zu verflechten und zu entwickeln. Gewalt und Tod, fragwürdige Verhörmethoden (»Folter» wäre ein angemessener Ausdruck), Fanatismus in verschiedenen Spielarten, Rassismus, das so oft gelungene und dann markant gescheiterte Miteinander verschiedener Kulturen und nicht zuletzt eine spannende, stimmige Darstellung eines Menschen mit Inselbegabung. Immer wieder werden die ernsten Themen des Films aufgefangen durch den leichten Ton der Komödie; der emotionale Rhythmus des Films ist bemerkenswert.

Die soziale Behinderung der Hauptfigur schafft eine geschickt genutzte dramaturgische Möglichkeit, die simple, zentrale Botschaft wieder und wieder direkt auszusprechen, ohne daß es plakativ wirkt, da sie einfach in Figur und Handlung gut motiviert ist.

Ein ausgezeichneter, sehr schöner Film. Schade, dass die deutsche Kinofassung um fast eine ganze Stunde gekürzt wurde. [Rezension von Friederike Kapp]

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Kick-Ass
(Matthew Vaughn)

UK / USA 2010, Buch: Jane Goldman, Matthew Vaughn, Comic-Vorlage: Mark Millar, John S. Romita Jr., Kamera: Ben Davis, Schnitt: Eddie Hamilton, Jon Harris, Pietro Scalia, Musik: Marius De Vries, Ilan Eshkeri, Henry Jackman, John Murphy, Kostüme: Sammy Sheldon, Production Design: Russell De Rozario, Supervising Art Director: John King, mit Aaron Johnson (Dave Lizewski / Kick-Ass), Christopher Mintz-Plasse (Chris D'Amico / Red Mist), Mark Strong (Frank D’Amico), Chloë Grace Moretz (Mindy Macready / Hit-Girl), Nicolas Cage (Damon Macready / Big Daddy), Lyndsy Fonseca (Katie Deauxma), Clark Duke (Marty), Todd (Evan Peters), Sophie Wu (Erika Cho), Kofi Natei (Rasul), Omari Hardwick (Sergeant Marcus Williams), Xander Berkeley (Detective Gigante), Michael Rispoli (Big Joe), Jason Flemyng (Lobby Goon), Garrett M. Brown (Mr. Lizewski), Elizabeth McGovern (Mrs. Lizewski), Deborah Twiss (Mrs. Zane), Craig Ferguson (Himself), 117 Min., Kinostart: 22. April 2010, DVD-Release: 16. September 2010

Matthew Vaughn (Stardust, Layer Cake) dreht zwar »nur« Genre- und Unterhaltungsfilme, aber dies mit viel Liebe und Respekt vor den Vorlagen. Mark Millars Comic Kick-Ass versieht er mit etwas Humanismus (wofür Millar sich selten interessiert) und die teilweise ultra-brutalen Zeichnungen von John S. Romita jr. werden hier etwas weniger zelebriert, was gut ist, weil der Effekt von Splatter-Effekten im Film einen anderen Komik-Grad annimmt als in Comics.

Stattdessen werden hier ganze Szenen aus bekannten Comic-Verfilmungen nachgestellt (Spider-Man springt vom Dach, Clark Kent rennt auf die Kamera zu, während er seine Zivilkleidung öffnet), man arbeitet mit Captions und Match-Cuts (der schönste ist der, wo die Mutter des Helden unspektakulär am Frühstückstisch stirbt, und per Dissolve aus einer Frühstücksflocken-Packung ihr Grabstein wird), und hat extrem viel Sorgfalt auf die Farbgestaltung gelegt (die unterschiedlichen Grüntöne, das Orange des Gangsterbosses).

Wie schon bei Stardust hat Vaughn die junge Hauptfigur von einem neuen Gesicht spielen lassen, und bei den kleineren Rollen können sich Stars (na gut, ein Star: Nicolas Cage) und talentierte alte Bekannte des Regisseurs (Mark Strong, Jason Flemyng, Dexter Fletcher) austoben und beweisen. Chloë Grace Moretz, die 11jährige Darstellerin von »Hit-Girl«, ist zudem eine ziemliche Entdeckung, die nicht das übliche großäugige, ach so süße Mädchen gibt, sondern ganz in ihrer Rolle als trainierte Killerin aufgeht. Wo andere Mädchen sich für Ponys begeistern, steht sie mehr auf Messer, und ihre knallviolette Tarnperücke schlägt den Bogen zwischen der Kleinmädchenbegeisterung für diese Farbe und Natalie Portmans ganz ähnliche Kopfbedeckung in Closer. Zugegeben, mit Natalies Jungkillerinnen-Auftritt in Leon kann sie in Sachen Nuancenreichtum nicht ganz mithalten, aber »Hit-Girl« ist mit den markigen Sprüchen, für die jede Gleichaltrige einen Monat Stubenarrest erhielte, einfach viel cooler.

Auch stolpert Aaron Johnson als Dave Lizewski alias Kick-Ass lange Zeit ähnlich tolpatschig durch den Film, wie es zuvor der Trist(r)an-Darsteller in Stardust tat. Die Parallelen in der Figurenentwicklung und dem Zusammenspiel von Komik und Gefahr sind offensichtlich, aber da Vaughn dies erneut gut gelingt, ist das auch kein Kritikansatz, sondern nur eine Feststellung.

Wie man dem Audio-Kommentar des Regisseurs entnehmen kann, war die Balance zwischen ernstzunehmender Gefahr und Komik auch eines der schwierigsten Probleme des Films, ebenso wie die teilweise lachhaften Kostüme und die ganze Situation, die aber nicht den ganzen Film zur Lachnummer machen durften. Und in dieser Hinsicht ist der Film sehr gelungen. Die Stellen, an denen ich Kritik ansetzen würde, sind im Original-Comic wahrscheinlich viel ausgeprägter (ich kenne genügend Millar-Comics, um mir dieses Statement herauszunehmen), und was die Adaption auszeichnet, sind eben jene Momente, die noch über die Vorlage hinausgehen, aber den Tonfall perfekt ergänzen. Beispielsweise, wenn Nicolas Cage wie Batman-Darsteller Adam West spricht oder bei der over-the-top-Inszenierung der Actionsequenzen.

Kick-Ass ist ein Erlebnis, nicht nur für Comic- oder Superhelden-Fans. Das einzige, was bei der DVD ein wenig stört, ist das Detail, das im Audiokommentar diverse herausgeschnittene oder komplett veränderte Szenen erwähnt werden, die sich alle sehr interessant anhören, doch sie gehören leider nicht zum Bonus-Material. Ich befürchte fast, dass dies durchaus beabsichtigt ist, denn Kick-Ass 2: Balls to the Wall ist bereits angekündigt, und womöglich möchte man diese Geldkuh noch etwas melken ...

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Please Give
(Nicole Holofcener)

USA 2010, Buch: Nicole Holofcener, Kamera: Yaron Orbach, Schnitt: Robert Frazen, Musik: Marcelo Zarvos, mit Catherine Keener (Kate), Rebecca Hall (Rebecca), Oliver Platt (Alex), Amanda Peet (Mary), Sarah Steele (Abby), Thomas Ian Nicholas (Eugene), Josh Pais (Adam), Rebecca Budig (Bigback), 90 Min., Kinostart: 8. Juli 2010

Wenn Friends with Money, der vorige Film der Regisseurin Nicole Holofcener, ähnlich ist wie Please Give, hätte ich ihn mir doch mal anschauen sollen. Anhand von Please Give wirkt Holofcener wie die US-amerikanische Version von Agnès Jaoui, nur, dass sie nicht schauspielert. Anhand der Tochter Abby lässt sich leicht der Bogen schlagen zur Figur der Lolita (Marylou Berry) in Comme un image (dt.: Schau mich an!), die sehr unsicher ist und unter der nur geringfügig älteren neuen Lebenspartnerin ihres Vaters leidet, die im Gegensatz zu ihr auch noch gertenschlank ist.

Sarah Steele, die Darstellerin der Abby, durfte in Spanglish schon mal eine ähnliche Rolle spielen. Damals kaufte ihre Mutter ihr bevorzugt Jeans in einer etwas zu kleinen Nummer, um sie zum Abnehmen zu »motivieren«. Bis dann die Nanny mit Schneidergeschick die Kleider etwas weitete, sich der Vater für die Nanny zu interessieren begann und alles etwas komplizierter wurde.

In Please Give sind Abbys Probleme verhältnismäßig harmlos. Den Babyspeck aus Spanglish hat Sarah Steele größtenteils verloren, stattdessen piesacken sie Pickel, so dass sie beispielsweise mit einer Unterhose über dem Kopf zum Familienessen erscheint, damit niemand ihre in der Selbstwahrnehmung gigantischen Hautverunreinigungen sieht. Ihre Mutter Kate (Catherine Keener) bestärkt sie zwar immer, dass das alles nicht so schlimm sei, doch Abby wünscht sich, dass ihre Probleme lieber jemand ernst nimmt, statt sie zu verharmlosen. Deshalb mag Abby auch Mary (Amanda Peet), die Enkelin der 91jährigen Nachbarin Andra, die in einem Schönheitssalon arbeitet und die Tragweite von Abbys Problem richtig einschätzt (inwiefern Mary somit nur ihren Job macht und sich ansonsten als oberflächliche und unsensible Person offenbart, scheint Abby hingegen zu übersehen). Dass Abbys Vater Alex (Oliver Platt) sich bei Mary öfters eine Gesichtsbehandlung, eine Handmassage und noch einiges darüber hinaus »gönnt«, führt dann zu einem schlecht abgestimmten Lügengebilde rund um Abby, dass sie zumindest verwirrt (ob sie die Ungereimtheiten und den Grund dafür durchschaut, wird nicht ausdefiniert).

Kommen wir zum Thema der Jeans. Hier geht es weniger um die Größe, sondern darum, dass die Jeans, die Abby akzeptabel findet, 200 Dollar kosten. Was in den Augen ihrer Mutter untragbar ist, solange man »45 Obdachlose in der Straße« habe. Dieser Vergleich mag seltsam wirken, aber wer im Film miterlebt, wie Mutter Kate ihre seltsamen Schuldkomplexe aufgrund ihrer Arbeit (das Aufkaufen von Möbelstücken aus den Wohnungen von Verstorbenen, die dann mit teilweise erstaunlicher Gewinnspanne weiterverkauft werden) dadurch kompensiert, dass womöglich tatsächlich jeden der 45 Obdachlosen kennt und durch tägliche Abgabe von 5- bis 20-Dollarscheinen mehr als nur »unterstützt«, der kann nachvollziehen, dass tatsächlich die Anzahl der Obdachlosen direkt den Kauf einer teuren Jeans für die Tochter sabotiert. Und wer jetzt glaubt, dass diese moralische Frage nur auf eine Art beantwortet werden kann, der unterschätzt Abby, die beispielsweise bei der obdachlosen Transe, die irgendwann während des Films plötzlich verschwindet, ziemlich genau attestieren kann, welche Markenprodukte hier für das Make-Up verwendet wurden.

Im Film geht es noch um einige andere Handlungsfäden wie die bereits erwähnte 91jährige Nachbarin Andra, auf deren Ableben man zwecks eines Durchbruchs zwischen den zwei Wohnungen bereits lauert - oder deren zweite Enkelin (neben der bereits erwähnten Mary) namens Rebecca (Rebecca Hall), die fast durchgehend sympathisch rüberkommt und nur verkuppelt werden muss, auf die im Verlauf des Films aber auch (zumindest andeutungsweise) eine große Schuld geladen wird.

Das Thema Schuld (oder auch mal das komplette Fehlen solcher psychologischen Ablenkungen) und die Kompensation davon sind die Themen des entsprechend benannten Please Give, für den übrigens passenderweise die Produktionsfirma »Feeling Guilty« verantwortlich zeichnet. Was den Film für mich wirklich verbessert hat, ist das kleine Detail, dass Abby gegen Ende tatsächlich ihre Jeans bekommt, und sie somit ein doch eindeutig erfahrbares Happy End vergönnt bekommt. Dass sich in gewisser Weise auch auf ihre Darstellerin Sarah Steele überträgt, auf deren weitere Filmographie ich gespannt bin.

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Lebanon
(Samuel Maoz)

Israel / Frankreich / Libanon / Deutschland 2009, Buch: Samuel Moaz, Kamera: Giora Bejach, Schnitt: Arik Leibovitch, Musik: Nicolas Becker, Productiuon Design: Ariel Roshko, Benoît Delbecq, mit Reymond Amsalem (Assna), Oshri Cohen (Herzel), Yoav Donat (Shmulik), Michael Moshonov (Yigal), Zohar Shtrauss (Gamil), Itay Tiran (Asi), 93 Min., Kinostart: 14. Oktober 2010

»Der Mensch ist aus Stahl, der Panzer ist aus Eisen.« Die Grundidee dieses Films ist eigentlich ziemlich genial: Man erlebt die ersten Tage des Libanon-Konflikts 1982 aus der Sicht eines Panzers bzw. seiner Besatzung. Das ergibt eine klassische griechische Einheit von Raum und Zeit, man kann trotz knapp bemessenem Budget viel aus dem einen Schaustück, dem Panzer holen, und als Zuschauer fühlt man sich sofort an Petersens Das Boot oder Klassiker von Hitchcock (Rope, Lifeboat etc.) erinnert.

Auch die Idee, das Zielfernrohr des Panzers sozusagen wie ein »Auge« zu behandeln und darüber hinaus fast nur Funksprüche (»Cornelia von Nashorn. Ich habe eine Engel.« - »Bring den Engel zum Nashorn« - mehr Sorgfalt bei den Untertiteln hätte hier geholfen ..) als Einblick in die Außenwelt zuzulassen, wirkt zunächst verdammt clever.

Natürlich sind die Panzerinsassen mit der Situation völlig überfordert. Man hat zuvor nur auf Fässer geschossen, richtet das Geschützrohr auf Verbündete, um diese besser sehen zu können, und muss, kaum, dass der Panzer sich in Bewegung gesetzt hat, natürlich dringend pinkeln.

Doch ich habe das Problem, dass ich mich mit Optik und Filmsprache ein wenig befasst habe, und dadurch wurde dieser Film für mich zu einem einzigen Ärgernis. Die subjektive Kamera, als die das Zielfernrohr hier fungiert, funktioniert nämlich allenfalls als »Symbol«, mit Realismus hat das Ganze gar nichts zu tun. Man kann immer das sehen, was man laut Drehbuch sehen soll, und das, was man nicht sehen soll, bekommt man nicht zu sehen. Zusammenhänge zur Entfernung vom Panzer, zur Höhe von Sichtobjekten und zur gesamten Raumsituation sind allenfalls marginal. Man zoomt hektisch vor und zurück, und wenn es den Filmemachern in den Kram passte, hört man dazu ein Geräusch. Wenn es stören würde, ist kein Geräusch zu hören. Die Bewegungen der Kamera / des Zielfernrohrs sind auch keineswegs konsistent mit der Bewegung des Panzers. Man kann ja verstehen, dass man keinen Panzer genommen hat, den Kameramann reingesetzt hat und die Statisten dann halt schnell in Sicherheit robben mussten, aber man hätte wenigstens versuchen können, die Illusion aufzubauen oder aufrechtzuerhalten.

Selbst wenn einige Ideen visuell interessant sind (eine Panzerfaust fliegt auf die Kamera zu, dann ein Schnitt auf ein aufgerissenes Auge), funktioniert der Streifen einfach von vorne bis hinten nicht. Der im Panzer angekettete Syrier (ein Kriegsgefangener) und seine Situation werden immer wieder über den Dialog zu vermitteln versucht, visuell nachvollziehen kann man hier wenig.

Ein Höhepunkt der inszenatorischen Unbekümmertheit (ein noch netter Begriff) wird vielen Zuschauern wahrscheinlich gar nicht auffallen. Wenn man vom Panzer abspringt, ist es sehr schwierig (nur etwas für Leichtathletik-Weltstars), vor dem Kanonenrohr zu landen (Mal ganz abgesehen davon, dass es keinen logischen Grund für so eine gefährliche Zirkusnummer gibt). Und von solchen Kleinigkeiten strotzt der Film nur so, während die Handlung keine wirklichen Überraschungen bringt, die Identifikation mit den Figuren sich in Grenzen hält, und halt das übliche (Anti-)Kriegsfilmprogramm abgespult wird.

Aber da viele Menschen sich nicht um solche Kleinigkeiten kümmern und viele Filmpreise aufgrund humanistischer und politischer Aussagen vergeben werden, gab es aber auch schon viele Filmpreise wie den Goldenen Löwen in Venedig, und das sei dem Film gegönnt. Wer sich aber schnell an ausgedörrten Sonnenblumenfeldern sattsieht und statt einer Message solides Filmmaking bevorzugt, sollte sich nach einem anderen Film umsehen.

»Du siehst nur einen Teil des Ganzen,
Du siehst nicht das Gesamtbild.«

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Ich - einfach unverbesserlich
(Pierre Coffin & Chris Renaud)

Originaltitel: Despicable Me, USA 2010, Buch: Ken Daurio, Cinco Paul, Schnitt: Gregory Perler, Pam Ziegenhagen, Musik: Heitor Pereira, Pharrell Williams, Production Design: Yarrow Cheney, mit den Original- / deutschen Stimmen von Steve Carell / Oliver Rohrbeck (Gru), Jason Segel / Jan Delay (Vector), Russell Brand / Peter Groeger (Dr. Nefario), Julie Andrews / Kerstin Sanders-Dornseif (Gru’s Mom), Will Arnett / Alex Lutter (Mr. Perkins), Kristen Wiig / Nana Spier (Miss Hattie), Miranda Cosgrove / Friedel Morgenstern (Margo), Dana Gaier / Derya Flechtner (Edith), Elsie Fisher / Sarah Kunze (Agnes), Pierre Coffin / ? (Minions Tim, Bob, Mark, Phil, Stuart), Chris Renaud / ? (Minion Dave), Jemaine Clement / ? (Minion Jerry), Jack McBrayer / Bernhard Völger (Carnival Barker), Danny McBride / Hans-Jürgen Dittberner (Fred McDade), Mindy Kaling / ? (Tourist Mom), Ken Daurio / ? (Egyptian Guard), Ken Jeong / ? (Talk Show Host), Rob Huebel / Claus Kleber (Nachrichtensprecher), 95 Min., Kinostart: 30. September 2010

Für den Wettbewerb um die bescheuertsten deutschen Verleihtitel gibt es immer neue Kandidaten, in diesem Fall ist nicht nur die schlechte Übersetzung des Wortes »despicable« bemerkenswert, besonders schwer wiegt auch, dass die Figur, die sich laut deutschem Titel als »unverbesserlich« beschreibt, dieses natürlich nicht ist, der menschenscheue Aushilfs-Superschurke Gru (Originalstimme: Steve Carell) wird natürlich im Verlauf des Films durch die Dauerkonfrontation mit drei Waisenkinder butterweich und schmusefreundlich.

Waisenkinder kontra böser alter Mann ist ja so ein Standard-Thema in Kinder- und Familienfilmen, in unterschiedlichsten Variationen von Little Lord Fauntleroy bis Lemony Snicket (und wenn »Der kleine Lord« kein Waisenkind sein sollte, ändert dies nichts an meinem Statement). In diesem Fall sind die Kids aber nicht ganz so zuckersüß, und der Griesgram immerhin aus Nerd-Sicht durchaus eine Identifikationsfigur. Aber man schrammt natürlich immer mal wieder haarscharf am üblen Kitsch vorbei: »Und bitte mach, dass wir bald von jemandem adoptiert werden. Und dass Mama und Papa lieb sind und ein zahmes Einhorn haben.«

Unabhängig von den Waisen kämpft Gru einen Superschurken-Kampf gegen den ganz ähnlichen »Vector«. Das kann einerseits an Actiongehalt fast mit The Incredibles mithalten, ist aber andererseits etwa auf dem Intelligenz-Niveau eines durchschnittlichen Inspector-Clouseau-Films (nicht dieser Steve-Martin-Kram, sondern die Klassiker von Blake Edwards, als Peter Sellers noch lebte). Gru klaut einen Gefrierstrahler bei den Koreanern, der ihm aber dann wieder von Vector gestohlen wird, und ohne viele Ballaststoffe ist das durchaus unterhaltsam.

Der eigentliche Superstar des Films sind aber die »Minions« (heißen auch in der deutschen Version so, was trotz des bereitstehenden Begriffs »Schergen« hier nicht nachteilig gewertet werden soll). Unzählige gelbe Überraschungs-Eier-Kapseln mit blauen Latzhosen und wahlweise einem oder zwei hinter dicken Brillengläsern versteckten Augen, die wie Lemminge (das Konsolen- und PC-Spiel) oder die Munchkins in The Wizard of Oz am Rande ihre eigenen kleinen Abenteuer bestehen. Die Minions bekommen im Nachspann des Films auch echte 3D-Szenen (»Halte den Zollstock in die Kamera!«), während der mit einer überdimensionalen Nase gestrafte Gru der vielleicht flachste 3D-Star aller Zeiten sein dürfte. Aber heutzutage muss es ja dreidimensional sein ...

»Seht euch dieses flauschige Einhorn an.
Es ist so flauschig, ich werde waaahnsinnig!«

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Die Entbehrlichen
(Andreas Arnstedt)

Deutschland 2008, Buch: Andreas Arnstedt, Kamera: Patricia Lewandowska, Schnitt: Sylvain Coutandin, Musik: Contriva & Masha Qrella, mit André M. Hennicke (Jürgen Weiss), Steffi Kühnert (Silke Weiss), Oskar Bökelmann (Jakob Weiss), Ingeborg Westphal (Rosemarie Weiss), Kathi Hahn (Hannah Wehr), Matthieu Carrière (Gerhardt Rott), Lehrerin Frau Bauer (Claudia Weiske), Axel Wandke (Martin Wehr), Maike Bollow (Vera Wehr), Paul Arnstedt (Sebastian Wehr), Daniela Holtz (Dr. Freund), Marc Bischoff (Boris Klupp, Makler), Michael Kind (Bertram Held, Sozialbeamter), Kinostart: 30. September 2010

Es gibt Regisseure, die beherrschen es, die Untiefen menschlicher Schicksale auszuloten, und gleichzeitig den Humor nicht komplett auszuklammern. In Deutschland ist Andreas Dresen hierfür vielleicht das beste Beispiel, in seinen Komödien wie Halbe Treppe oder Sommer am Balkon ist der Sozialrealismus jederzeit spürbar, und in einem ernsteren Film wie Willenbrock ist immer noch Platz für Humor. Bei Wolke 9 zeigt er gar Lebensfreude sozusagen gleichberechtigt neben tiefer Depression.

Der Regieneuling Andreas Arnstedt würde sich geehrt fühlen, mit seinem Namensvetter verglichen zu werden. Doch hier zeigt sich leider, dass sowohl die Komödie als auch die Tragödie hohe Kunst ist. Und bevor man nicht mindestens eine dieser Künste beherrscht, sollte man sich nicht aufs Eis wagen, sie gleich zu verbinden.

Die Entbehrlichen schildert das Schicksal einer Hartz-IV-Familie und einiger Personen aus ihrem Umfeld. Erzählt wird das Ganze größtenteils aus der Sicht des elfjährigen Jakob (Oskar Bökelmann), der zur Unterstützung eines kleinen narrativen Kniffs zu Beginn sozusagen die »Backstory« in Flashbacks liefert. Dann scheinen sich diese Erinnerungen in Phantastereien zu verwandeln, und schließlich stellt man fest, dass die Narration sich von Jakob loslöst. Gegen Ende des Films ist die komplette Geschichte in ihrer chronologischen Abfolge recht klar, man fragt sich aber, was abgesehen von den zwei halbherzigen falschen Fährten, die der Film schnell links liegen lässt, die Motivation der Schnittfolge war. Okay, zumindest in Bezug auf die von André Hennicke dargestellte Figur von Jakobs Vater Jürgen kann man die Beweggründe im Schnittraum nachvollziehen, doch zwischen dem, was hier andeutungsweise möglich gewesen wäre, und dem, was der Film wirklich liefert, klafft eine große Schlucht.

Dieses Fazit lässt sich auch auf andere Aspekte des Films ausweiten. Sicher ist es begrüßenswert, den Teufelskreis der Armut und das Versagen der Politik anzuprangern, doch (unabhängig von der »wahren Begebenheit«, die der Film ebenso zu seinem Aushängeschild erklärt wie die diversen Festivalauftritte) warum muss diese Geschichte so plakativ ausgewalzt werden und dabei seine Protagonisten so zur Zielscheibe des Gespötts machen?

Ein arbeitsloser Malermeister, der einen halbverrotteten Trabbi mit einer krakeligen Werbebotschaft überzieht, um Aufträge zu bekommen - und dadurch aufgrund seines »wohlhabenden« Status als Autobesitzer die finanzielle Unterstützung durch den Staat verliert. An diesem Beispiel soll sich der gesellschaftliche Missstand abzeichnen, doch leider wirkt der Film teilweise so hilflos wie seine Protagonisten, und nur aufgrund der »guten Absichten« und das quasi nichtexistenten Budgets einem oft auch unfreiwillig komischen Film meine Sympathie zu schenken, ist einfach nicht drin. Dass oft Klischees bemüht werden und der junge Regisseur keinen halbgaren Scherz außen vor lassen konnte (warum trägt eigentlich plötzlich Jakob plötzlich das schwarze »WM 1945«-Tieschört der Neonazis?), mag man ja noch gutmütig übersehen, aber spätestens der Low-Budget-Selbstmord, der sich dadurch auszeichnet, dass der sich Erhängende, der es sich noch mal anders überlegt hat, an der kurzen Strippe die Beine einziehen muss, um nicht gegen die Intentionen des Drehbuchs gerettet zu werden, ließ mich ohne Scham an der falschen Stelle laut auflachen, und auch die Schelte eines Kritikerkollegen (übrigens ein ausgesprochener Dresen-Fan) änderte nichts an meiner Meinung, dass dieser Film vielleicht gut gemeint war, aber weit entfernt davon ist, auch gut gemacht zu sein. Bei den Kurzbewertungen meines Fanzines Klirr Di Birr wurde aus gegebenem Anlass die Rubrik »uninteressant« in »entbehrlich« umgetauft.

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Konferenz der Tiere
(Reinhard Klooss, Holger Tappe)

Deutschland 2010, Buch: Oliver Huzly, Reinhard Klooss, Klaus Richter, Sven Severin, Lit. Vorlage: Erich Kästner, Schnitt: Alexander Dittner, Musik: David Newman, mit den Stimmen von Ralf Schmitz (Erdmännchen Billy), Thomas Fritsch (Löwe Sokrates), Christoph Maria Herbst (Hahn Charles), Bastian Pastewka (Elefantenkuh Angie), Oliver Kalkofe (Hoteldirektor Smith), Peter Groeger (Schildkröte Winston), Margot Rothweiler (Schildkröte Winifred), Bianca Krahl (Giraffe Gisela), Nico Mamone (Büffel Chino), Tilo Schmitz (Nashorn Biggie), Constantin von Jascheroff, Frank Schaff (Erdmännchen), Santiago Ziesmer (Affiger Friseur Bongo), 93 Min., Kinostart: 7. Oktober 2010

Reinhard Klooss und Holger Tappe sind die Macher hinter der soliden CGI-Adaption Urmel aus dem Eis Tappe war zuvor auch schon Co-Regisseur von Back to Gaya). Sie sind aber leider auch die Verantwortlichen für das überflüssige Sequel Urmel voll in Fahrt, und so wie ich beim ersten Urmel-Film begrüßte, wie man den Anschluss zu amerikanischen Marketing-Strategien im Animations-Segment hielt, so wirkt diese Neubearbeitung des Erich-Kästner-Klassikers, der schon die Vorlage zu einem der wenigen deutschen Nachkriegs-Zeichentrickfilme auf der Erfolgswelle von Disneys The Jungle Book lieferte, wie ein etwas tolpatschiges Nachäffen aktueller amerikanischer Animationsfilme. Insbesondere der Elefant und die Giraffe wirken stark wie die marginal im Geschlecht veränderten Blaupausen der bei Kindern bekannten Figuren Horton (Horton hears a Who) und Melman (Madagascar), ein paar Anklänge an Ice Age, und auch bei der weiteren Tierauswahl ging man auf Nummer Sicher: Erdmännchen als Prototyp der anthromorphisierten Identifikationsfiguren in Kindergröße, allerlei reine Pointenablieferer wie ein Tasmanischer Teufel, für Kurt-Freunde ein Eisbär namens Sushi, für die älteren Zuschauer (auch gern Kinderbetreuer genannt) ein Schildkrötenpaar, das sich seit 714 Jahren die Treue hält, und eine Standard-Anklage aller Missstände, die durch Verbrechen der Menschheit gegen die Natur zustande kamen und kommen (Handys, Fast Food, Kosmetik, Autos.

Das sieht auf den ersten Blick pädagogisch wertvoll aus, ist aber so langweilig wie beliebig, und jegliche umweltfreundliche Message wird für einen kleinen Pups-Gag gerne geopfert.

Dazu kommt die ebenso wenig inspirierte Soundtrack-Sauce für jung und alt: King of the Road, Radar Love, Splish, Splash, I was taking a bath. Das ist alles so dermaßen auf den kleinsten gemeinsamen Teiler eines möglichst großen Publikums gemünzt (Millionen Fliegen können sich nicht irren ...), dass eigentlich nur noch eine Frage offen bleibt: »Wie kriegt man die Hyänenkacke so rund?«

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Veronika beschliesst zu sterben
(Emily Lloyd)

USA 2009, Dt. Titel: Veronika Decides to Die, Buch: Roberta Hanley, Larry Gross, Lit. Vorlage: Paulo Coelho, Kamera: Seamus Tierney, Schnitt: na Ní Dhonghaíle, Musik: Murray Gold, mit Sarah Michelle Gellar (Veronika Deklava), Jonathan Tucker (Edward), Erika Christensen (Claire), David Thewlis (Dr. Blake), Florencia Lozano (Dr. Thompson), Rena Owen (Nurse Josephine), Erica Gimpel (Nurse White), Victor Slezak (Gabriel Durant), Barbara Sukowa (Mrs. Deklava), Victor Steinbach (Mr. Deklava), Melissa Leo (Mari), Virl Andrick (Boss), 103 Min., Kinostart: 30. September 2010

Der Filmtitel nimmt die ersten Minuten vorweg: Veronika (Sarah Michelle Gellar) legt »Exit« von Radiohead auf ... doch der Selbstmordversuch misslingt und sie findet sich in einer psychatrischen Anstalt wieder, wo ihr eröffnet wird, dass eine Herzattacke irreparablen Schaden bei ihr anrichtete und sie somit doch in den nächsten Tagen oder Wochen sterben wird.

So weit, so melodramatisch. Aus der Bestseller-Vorlage von Paulo Coelho hätte eine Regisseurin vom Schlage Jane Campion oder Isabel Coixet (womöglich sogar Sandra Nettelbeck) einiges herausholen können, doch Neuling Emily Lloyd hat wenige gute Ideen, aber dafür viele schlechte (falls einige davon aus dem Roman stammen, hätte man sie halt ändern müssen).

Der obligatorische love interest, Autist Edward, ist eine Mischung aus Billy Bibbit (inklusive Sexualtherapie), Chief Bromdon und Robert Pattinson.

Vom besten und bekanntesten aller Klapsen-Filme zu klauen, ist keine Schande, doch wo bei One flew over the Cuckoo's Nest jeder nächtliche Regelverstoß auf seine Konsequenzen nicht lange warten ließ, scheint es sich hier um eine Psychatrie zu handeln, auf die der Begriff »Abenteuerspielplatz« besser zutrifft. Alle Patienten sind aufs Beste informiert, wo die interessanten Drogen stehen und wie man an sie herankommt. Wer nachts draußen im Regen spazieren oder ausdrucksstark Klavier spielen möchte, wird dabei durch das Pflegepersonal nicht behelligt. Und der Höhepunkt der Heilungsinnovationen ist ein mannshoher Elektroventilator, der direkt am schmalen Rand ums Schwimmbecken steht. Gerade für suizidgefährdete Patienten, die nicht allein ins Jenseits gehen wollen, praktischer als der traditionelle Haarfön neben der Badewanne.

Ansonsten verlässt sich die Schmonzette auf ausgiebige Musikeinsätze (bei Helen und The Piano abgeschaut), und der wiedererwachende Lebenswille (große Überraschung!) der Titelheldin kristalliert sich im Wunsch, an den Strand zu gehen (vincent will meer) und einen großen Taco zu essen.

Nach etwa zwei Dritteln des Films hatte ich eine absurde Idee bezüglich des weiteren Handlungsverlaufs, verwarf diese aber mit dem Satz »Das können die nicht machen« ... - Oh doch, sie können!

Die einzigen Lichtblicke des Films sind die bereits erwähnte Sexualtherapie (immerhin ein Element des Films, das gegen den Strich gebürstet ist), zwei kleine Einstellungen, die ein Hinfallen als Aufwärtsbewegung inszenieren (!), das Detail, dass Edward und sein Arzt (David Thewlis) eine sehr ähnliche Narbe auf dem Kinn haben und das trotz einer großen Dummheit nicht komplett verpatzte Ende. Es hätte noch viel schlimmer sein können.