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August 2006
Thomas Vorwerk
für satt.org

Urmel aus dem Eis
D 2006

Plakat

Regie:
Holger Tappe

Buch:
Oliver Huzly, Sven Severin, Reinhard Klooss

Lit. Vorlage:
Max Kruse

Musik:
James Michael Dooley

mit den Stimmen von: Stefan Krause (Ping), Wigald Boning (Prof. Habakuk Tibatong), Anke Engelke (Wutz), Dominic Redl (Urmel), Frank Schaff (Wawa), Oliver Pocher (Schusch), Wolfgang Völz (Seelefant), Klaus Sonnenschein (König Pumponell), Florian Halm (Diener Sami), Kevin Ianotta (Tim Tintenklecks), Christoph Maria Herbst (Dr. Zwengelmann)

Kinostart:
3. August 2006

Urmel aus dem Eis

Zuletzt am Ende letzten Jahres machte man sich die zeitlos literarischen Stärken von Max Kruses Roman Urmel aus dem Eis bei Sat.1 zu Nutzen, und ließ die vor allem durch die Augsburger Puppenkiste bekannte Geschichte von fernsehprominenten „Comedians“ wie Dirk Bach, Barbara Schöneberger, Ralf Schmitz oder Guido Cantz als abgefilmtes Theaterstück mit inselgroßer, liebevoll ausgestatteter Bühne zur Prime Time laufen. Und nicht zuletzt wegen Ralf Schmitz (Ping), Barbara Schöneberg (Wutz) und Dirk Bach (Urmel) funktionierte das auch. Nun kommt die animierte Version in die Kinos, und die Besetzung der Sprachtalente wirkt ganz ähnlich: Anke Engelke als Wutz, Wigald Boning als Habakuk Tibatong oder Oliver Pocher als Schusch. Und natürlich der unvermeidbare Wolfgang Völz als Seelefant.


Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene

Doch so groß sind deren Sprachtalente allesamt nicht, daß sie bereits einen Kinoerfolg garantieren, bei Animationsfilmen aus deutscher Produktion ist der Anteil von unerträglichem Mist (e. g. Der Nussknacker und der Mäusekönig, ebenfalls mit Wolfgang Völz) bekanntlich recht hoch. Doch bei diesem Film merkt man schon recht früh, daß sich die Macher ganz an die Erfolgsgesetze amerikanischer Vorbilder gehalten haben - und dies durchaus nicht zum Nachteil.

Schon der Prolog erinnert an Ice Age: Statt des Hörnchens Scrat ist es hier ein Moskito, der unter anderem einem Frosch und einem Vogel zeigt, was eine Harke ist - nur mit Urmels Mutter hat er einen übermächtigen Gegner gefunden. Bei der Pressevorführung waren offensichtlich Kinoneulinge dabei, denn nach knapp vier Minuten ist der Film natürlich noch nicht zuende, sondern geht erst richtig los …

Das dinoähnliche Urtier Urmel (man beachte die erste Silbe) treibt irgendwann als Eisberg an die Südseeinsel Titiwu, wo der etwas spinnerte Professor Habakuk Tibatong einige Tiere menschenähnlicher gestaltet. Nicht wie Dr. Moreau, eher wie Dr. Doolittle - er bringt ihnen das Sprechen bei. Den Haushalt führt die putzwütige Sau Wutz („Öff! Öff“), neben dem menschlichen Adotivsohn Tim (als Identifikationsperson klar unterbeschäftigt) gehören zu den Schülern der Sprachschule die jeweils mit einem kleinen Sprachfehler ausgestatteten Tiere Ping (Pinguin), Wawa (Waran) und Schusch (Schuhschnabel, ein Vogel). Ähnlich wie in Madagascar spielt sich der Pinguin am schnellsten in die Herzen der Zuschauer, ist seine Sehnsucht nach einem eigenen Zuhause auch am leichtesten nachzuvollziehen. Insbesondere die große Muschel, die sein Schulkamerad Wawa gefunden hat, zieht Pings Aufmerksamkeit auf sich. „So eine pföne Mupfel“ möchte er auch gerne haben. Dann piesackt ihn auch noch sein Artgenosse Schusch („Ährster!! - So ähst das, wenn man flähgen kann“ - „Du bist ein Pfeusal“), und gemeinsam mit dem traurige Lieder singenden See-Elefant names Seele-fant stimmt er dann ein Gospel-Duett an. „Nobody knows the trouble I’ve seen.“

Zu dem ganzen Ärger gesellt sich dann auch noch das Urmel, auf das es der großwildjagende König Pumpernell abgesehen hat. Als zweite US-amerikanische Inspirationsquelle kann man jetzt noch Shrek benennen, die Gesichtszüge des Dieners Sami scheinen direkt vom bekannten Oger übernommen - und machen sich nicht einmal schlecht dabei. Daß hier zuwenig Handlung vorhanden ist, kann wirklich niemand behaupten - auf Sat.1 hatte man aus dem Stoff sogar einen doppelt abendfüllenden Zweiteiler gemacht - beim Kinofilm fällt da ein gewisse Straffung des Materials nur positiv ins Gewicht, und sowohl ein auf der Insel hausendes Ungeheuer als auch drogenähnliche unterirdische Ausdünstungen wirken in der CGI-Version denkbar überzeugender als auf der Sat.1-Bühne. Als Dreingabe, die sowohl auf einer Bühne als auch auf Augsburger Zellophan-Wasser schwer realisierbar ist, gibt es dann noch eine Surfeinlage mit visueller Komik wie aus einem 50er-Jahre Donald Duck-Cartoon (Hawaiimädchen, Indianer, Freiheitsstatue), und als vierte Anknüpfung an US-amerikanische Erfolgsrezepte folgt dann wie in Madagascar (oder Shrek) am Schluß die rhythmusbetonte Musiknummer, in diesem Fall We are Family von den Sisters Sledge.

Regisseur Holger Tappe, der zuletzt mit Back to Gaya positiv überraschte, gibt sich hier ohne satirische Spitzen, aber dafür mit der vollen Macht eines funktionierenden Familienfilms, bei dem sogar die leicht didaktischen Anwandlungen (Pazifismus, „Danke“ sagen als Benimmregel, Charaktereigenschaften bestimmen, wie die Drogenerfahrungen sich auswirken [Huch, wie ist denn das hier hergelangt …?]) nicht weiter negativ auffallen. Die positive Animations-Überraschung des Filmjahres!