Arschkalt
(André Erkau)
Deutschland 2011, Buch: André Erkau, Kamera: Dirk Morgenstern, Schnitt: Florian Miosge, Musik: Dürbeck & Dohmen GbR, Titeldesign und Trickfilme: Lena Meyer, mit Herbert Knaup (Rainer Berg), Johannes Allmayer (Tobias Moerer), Elke Winkens (Lieke van der Stock), Peter Franke (Berg senior), Thorsten Merten (Abteilungsleiter Gerhard), Marion Breckwoldt (Pflegerin), Mira Partecke (Steffi), Johanna Katharina Geißler (Petra Rose), Wolfgang Suchner (Pfarrer), Jochen Stern (Schwerhöriger Mann), 90 Min., Kinostart: 21. Juli 2011
Viele meiner Kritikerkollegen neigen zu Extremen und Superlativen, und einer der kulturpessimistischsten (aber nicht verlässlichsten) von ihnen informierte mich darüber, dass Arschkalt seiner Ansicht der »schlechteste Film des Jahres« sei. Im Normalfall reicht das aus, damit ich einen Film meide, doch diesmal wurde der Streifen auf der mittleren der üblichen drei Pressevorführungs-Schienen gezeigt (die Alternative wäre also gewesen, dreieinhalb Stunden irgendwie totzuschlagen), und so entschied ich mich, selbst zu urteilen.
Ein Film mit solchen negativen Vorschusslorbeeren hat ja auch einen gewissen Vorteil. Im schlimmsten Fall urteilt man »Ja, da hat er recht«, aber das Potential für eine positive Überraschung ist bei negativen Erwartungen halt größer. Ich muss zugeben, dass ich innerhalb des Film einige Mangelerscheinungen feststellen konnte, so ist beispielsweise die Idee, die Hauptfigur Berg (Herbert Knaup) immer wieder als Off-Kommentar über das Einfrieren von Fischstäbchen, Brot, Dahlien, Bakterien, Geschirr usw. philosophieren zu lassen, während man dazu animierte Schemen hinter einer »Frostwand« sieht, weder besonders filmisch noch auf lange Sicht erkenntniserweiternd oder komisch, aber ich kann nachvollziehen, dass der Nachwuchsregisseur damit eine kostengünstige Methode gefunden hat, seinen Film auf anderthalb Stunden aufzublasen. Und wo mein Kollege extrem allergisch auf die Fischstäbchen-Allegorie reagierte, erinnerten sie mich zumindest ansatzweise an die Weisheiten des Gärtners Chance in Jerzy Kosinskis Being There (verfilmt mit Peter Sellers). Wenn andere ihre gesamten lebensnotwendigen Erkenntnisse Star Trek, Donald-Comics oder den Simpsons entnehmen können, so finden sich auch genügend Vergleiche zu diversen Lebenssituationen im physikalischen Vorgang des Einfrierens. Mitunter wird der Film dabei sogar geradezu romantisch (»Woran denkst Du?« --- »Dass nicht die Kälte der Eiswürfel in den Wodka übergeht, sondern die Wärme des Wodkas in den Eiswürfel.« [Zugegeben, hier muss man den Kontext kennen, um die Romantik zu finden]).
Der Titel des Films passt zugegebenermaßen weder zum Thema Romantik noch zu Naturwissenschaften, und da der Film zeitnah zum neuen Werner-Streifen Eiskalt startet, kann es natürlich kaum zum Vorteil gereichen, wenn der Filmtitel weniger Sinn macht als der einer ziemlich blödsinnigen Comicverfilmung. Meine Kollegen (der oben erwähnte war nicht dabei) erklärten mir, dass das Sitzfleisch mitnichten zumeist Körpertemperatur innehat, sondern dass man, wenn man zum Beispiel im Winter auf einer Bank sitzt, sehr schnell weiß, was »arschkalt« bedeutet. Diese Logik kann man natürlich sofort mit einem Begriff wie »handwarm« zerstreuen, und meiner Erfahrung nach frieren Extremitäten wie Füße oder Ohren zumeist schneller als die Körpermitte. Doch die Aussage des Filmtitels ist wohl vor allem, dass der Tiefkühlvertreter Berg nicht nur in einem Kühlwagen unterwegs ist, sondern auch emotional kalt und in vielerlei Hinsicht ein Arsch ist. Was sich dann im Filmtitel als gemeinsame Umschreibung wiederfindet.
Vorgestellt wird einem Berg zu Filmbeginn in vielen kleinen Momentaufnahmen, man könnte sogar ein hübsches Fremdwort wie Vignetten bemühen. Berg ist seinen Kunden barsch gegenüber, wirkt mit seinem miesepetrigen Gesicht und dem Dreitage-Stoppelbart schon visuell sehr schroff, seine Kollegen mögen ihn nicht, und Kindern gegenüber führt er sich auf wie W.C. Fields. Doch zu Herbert Knaup passt das, und als Zuschauer bereitet dies durchaus etwas Vergnügen. Wenn er von der neuen holländischen Vorgesetzten (Elke Winkens) einen tolpatschigen und nervigen Mitfahrer zugeordnet bekommt, will Berg sich zunächst mit seiner üblichen Art durchsetzen: »Hier ist das Lenkrad, da ist die Straße - jetzt biste eingearbeitet!« Doch Drehbuch und Chefin verlangen von ihm, sich mehr Mühe zu machen, und so entwickelt sich der Film lange Zeit wie Shrek: Berg ist der Einzelgänger (und Quasi-Oger), der sich mit seiner pessimistischen Weltsicht angefreundet hat, und Kollege Moerer (Johannes Allmayer aus vincent will meer) ist der penetrant gutgelaunte und blödsinnige Lebensweisheiten von sich gebende Esel (diesmal erinnerte mich die Figur des Moerer auch visuell an jenen ehemaligen Freund, an den mich schon der Esel erinnerte - was auch irgendwie amüsant war). Da dauert es auch nicht lange, bis sich die Chefin sozusagen als verwunschene Prinzessin herausstellt.
Was mich neben dem gelungenen Comedy-Timing für den Film eingenommen hat (auch wenn die Ähnlichkeiten zu Shrek mich mehr verzücken als die zum Vorjahresüberraschungshit vincent will mehr), sind die Kugelschreiberkritzeleien Moerers, die in leicht beschleunigter Weise auch graphisches Talent (ob nun vom Regisseur oder eher der Animateurin, die womöglich Lena Meyer heißt) bewiesen. Und im Gegensatz zu beispielsweise vincent will meer wirkt Arschkalt eher verspielt als verlogen, konzentriert sich auf sein Standbein die Komödie und streut allzu emotionales Beiwerk, was schnell nach hinten losgehen kann (für seinen in Pflege lebenden und todkranken Vater lässt Berg eine längst stillgelegte Fabrik wiederauferstehen, wie ein Miniatur-Ripoff von Good bye, Lenin), nur sehr sparsam.
Nichtsdestotrotz ist Arschkalt natürlich keinesfalls der Film, für den das Medium Kino seinerzeit erfunden wurde. Aber wer etwas leichte Komödie möchte und Herbert Knaup oder andere Film-Arschlöcher mag (Jack Nicholson in As Good as it Gets fällt mir dazu gerade ein), fährt hiermit wahrscheinlich besser als mit den durchschnittlichen US-Standard-Komödien vom Reißbrett.