Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




14. September 2011
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Mein Stück vom Kuchen (Cédric Klapisch)
Mein Stück vom Kuchen (Cédric Klapisch)
Mein Stück vom Kuchen (Cédric Klapisch)
Bildmaterial: Studiocanal
Mein Stück vom Kuchen (Cédric Klapisch)
Mein Stück vom Kuchen (Cédric Klapisch)
Mein Stück vom Kuchen (Cédric Klapisch)


Mein Stück vom Kuchen
(Cédric Klapisch)

Originaltitel: Ma part du gâteau, Frankreich 2011, Buch: Cédric Klapisch, Kamera: Christophe Beaucarne, Schnitt: Francine Sandberg, mit Karin Viard (France), Gilles Lellouche (Steve Delarue), Audrey Lamy (Josy, la soeur de France), Jean-Pierre Martins (JP, le mari de Josy), Raphaële Godin (Mélody), Fred Ulysse (Le père de France), Kevin Bishop (Nick, le broker), Marine Vacth (Tessa), Flavie Bataille (Lucie), Tim Piggot-Smith (Mr. Brown), Philippe Lefebvre (Le PDG dans la fête), Lunis Sakji (Alban), Juliette Navis Bardin (Julie, l'analyste financière), Cédric Klapisch (Homme sur le quai), 109 Min., Kinostart: 15. September 2011

Ein Hauptangriffspunkt des französischen Kinos des letzten Jahrzehnts ist - mitunter ungerechterweise - die »Amélie-Haftigkeit«. Wann immer sich Kritiker oder Zuschauer anhand spielerisch kombinierter Kapriolen, märchenhafter Naivität, einer rehäugigen Hauptdarstellerin oder diverser anderer Aspekte an Jean-Pierre Jeunets Le fabuleux destin d’Amélie Poulain erinnert fühlen, führt dies öfter zu einer negativen als einer positiven Bewertung des betreffenden Films. In Maßen kann man diesen Vorwurf an das Wiederkäuen einer Erfolgsformel nachvollziehen, doch aus meiner Sicht ist Cédric Klapischs L’auberge espagnole - sozusagen die globalisierte, hippe Amélie-Version für ein junges »Independent«-Publikum mindestens genauso verheerend gewesen. Mit dem perfiden Unterschied, dass Jean-Pierre Jeunet selbst sich (für seine Verhältnisse, denn man darf nicht vergessen, was für Filme er bereits vor Amélie gedreht hat) davon weniger hat inspirieren oder einengen lassen als Klapisch, der zuvor eine große Hoffnung nicht nur des französischen, sondern des internationalen Kinos war - und der seitdem nicht nur ein Sequel zu seinem Erfolgsfilm drehte (ist das noch hip?), sondern in seinen Filmen seither eine vermeintlich verspielte Überinszenierung zelebriert, die sich diesmal glücklicherweise fast nur auf den Vorspann beschränkt. Doch schon der erzürnte mich, das gebe ich unumwunden zu.

Abgesehen davon erzählt Klapisch eine für ihn ungewohnte Geschichte, eine Klassenkampf-Komödie, wie sie in dieser Saison schon Ozon mit Potiche probierte (wenn auch mit gänzlich anderen Ansatzpunkten).

France (Karin Viard, das einzige Standbein dieses Films) ist mehrfach alleinerziehende Mutter und verliert gleich zu Beginn des Films ihren Job. Stéphane aka Steve (Gilles Lelouche) ist Börsenspekulant auf dem Weg zur eigenen Zweigstelle eines internationalen Unternehmens. Er gestaltet auch sein Liebesleben wie seinen Beruf - zielorientiert und ohne unangebrachte Rücksicht, wie man bei seiner Eroberung eines Fotomodells miterleben muss. Außerdem ist er Vater, doch er sieht seine Vaterrolle ähnlich wie eine Katze ihre Beziehung zum Herrchen oder Frauchen: Er will nur Vater sein, wenn ihm danach ist - ansonsten will er lieber seine Ruhe haben.

Der Film scharwenzelt jetzt eine ganze Zeit darum herum, was eigentlich fast von Anfang an offensichtlich ist:

  1. Natürlich ist Steve schuld daran, dass France ihren Job verloren hat, und das wird sie auch irgendwann herausbekommen.
  2. France und Steve müssen sich kennenlernen, und zwar, indem France bei ihm den Posten als Zimmermädchen und schließlich Nanny (oder eher Erzieherin) übernimmt - weil sie sonst ihre Familie nicht ernähren kann.
  3. Irgendwann landen die beiden trotz ihrer gänzlich unterschiedlichen Herkünfte gemeinsam im Bett - und daran ändert es auch nichts, dass France eigentlich so gar nicht in Steves Beuteschema passt.

Nochmal zurück zu 2): Da Steve sich um seine Karrierechancen kümmern muss und die Mutter seines Sohnes sich einfach mal zwischendurch abgesetzt hat, braucht der Sohn Rundumbetreuung, was France zwar finanziell fast abheben lässt, sie aber gleichzeitig von der eigenen Familie entfremdet - das alte Spiel mit der Karriere-Nanny, die sich jetzt eine eigene Nanny leisten kann, aber lieber bei ihren Kindern wäre.

Schon diese Umschreibung der wichtigsten Handlungsstränge dürfte klarmachen, dass Ma part du gâteau nicht ganz rund läuft. Über den liebenswerten Sohn wird das Charakterschwein Steve zwar zwischenzeitig fast erträglich, aber eine Annäherung, die eine RomCom (mit gemeinsamer glücklicher Familie) möglich machen würde, ist ausgeschlossen, weil das Geld für France nie so verführerisch ist, wie Steve das Schicksal des kleinen Mannes (oder der kleinen Frau) gleichgültig bleibt. Dadurch zeichnet sich eine Auflösung des Films ab, die in einem Denkzettel, einer moralischen Ohrfeige oder ähnlichem kulminieren muss – doch selbst die Pflichtaufgabe weiß Klapisch nicht zu meistern - von Kür ist gar keine Rede.

Zwar ist das komplette Scheitern dieses Films irgendwie noch ganz interessant anzuschauen, doch weder als Erfolgsfilm noch als Befreiungsschlag von der künstlerischen Karriere-Sackgasse Klapischs mag das Kuchenstück überhaupt erkennbar sein. Ein undefinierbarer Geschmack und eine undefinierbare Gestalt. Was aber irgendwie fast noch ein Hoffnungsschimmer für Klapisch ist. Im Sinne der Rasanz des Stillstands. Wenn der Karren erstmal in den Graben gefahren ist, kann man immerhin darüber nachdenken, wie man ihn rausziehen könnte.