UK 2011, Buch: Paddy Considine, Kamera: Erik Wilson, Schnitt: Pia Di Ciaula, Musik: Dan Baker, Chris Baldwin, mit Peter Mullan (Joseph), Olivia Colman (Hannah), Eddie Marsan (James), Paul Popplewell (Bod), Ned Dennehy (Tommy), Samuel Bottomley (Samuel), Sally Carman (Marie), Sian Breckin (Kelly), Paul Conway (Terry), Lee Rufford (Lee), Robin Butler (Jack), Archie Lal (Post Office Cashier), Julia Mallam (Dunk Girl), Fiona Carnegie (Woman in Charity Shop), Piers Mettrick (Man in Pub), 91 Min., Kinostart: 13. Oktober 2011
Paddy Considine (demnächst wieder als Schauspieler in Submarine) hat sich erlaubt, auch mal Regie zu führen, und man kann nur froh darüber sein. In der Hauptrolle wurde von ihm Peter Mullan besetzt, ein anderer britischer Schauspieler, der auch schon mal Regie führte (The Magdalene Sisters). Und sie ergänzen sich in ihrer inszenatorisch-darstellerischen Wut hervorragend. Joseph (Mullan) ist eine tickende Zeitbombe. Er sucht die Konfrontation, ist nur selten in der Lage, einen Gang zurückzuschalten. Und selbst dann ist es meist schon zu spät. Gleich zu Beginn des Films regt er sich über irgendwelche Thekengespräche o. ä. auf, braucht für seine Wut irgendein Ventil - und tritt auf seinen Hund ein. Eine Spur zu grob, denn das Tier verendet, und ansatzweise erkennt man auch mal einen zärtlichen Kern in dem grobschlächtigen Mann. Doch ähnlich wie bei Steinbecks Lenny, der die tote Maus streichelt, nützt das niemandem mehr etwas.
Dieser Joseph trifft nun auf Hannah (Olivia Colman), eine eher unscheinbare Frau aus besseren Kreisen, die aus eher wohltätigen und beschäftigungstherapeutischen als gewinnmaximierenden Gründen einen Second-Hand-Laden führt, in dem Joseph mal Unterschlupf findet. Die zaghafte Kommunikation beschränkt sich zunächst auf Josephs wüste Schimpfworte und ihr Gebet »Give him strength to find his way«, ehe Joseph weinend zusammenbricht.
Man könnte jetzt noch ausgiebig die anderen Fixpunkte in Josephs Leben beschreiben oder Hannahs Problem mit ihrem erfolgreichen Gatten James (Eddie Marsan, auch so ein britischer Schauspieler, der wahrscheinlich ein großartiger Regisseur wäre), doch wie der Film all diese Mahnmale des zwischenmenschlichen Elends auf einem überschaubaren, aber dennoch beeindruckenden Tableau ausbreitet, das ist eine der größten Freuden dieses Films, und durch allzu detaillierte Inhaltsangaben will man diese nicht schmälern.
Tyrannosaur erinnerte mich aufgrund seines etwas seltsamen deutschen Zusatztitels »Eine Liebesgeschichte« schon vor dem Kinobesuch an Joyce Carol Oates’ Rape: A Love Story, doch Vergleichsfilme, in deren Olymp sich der Film einreiht, gibt es auch genügend. Etwa Mike Leighs Naked, The War Zone von Tim Roth (noch ein Schauspieler, der mal Regie führte), Boys Don’t Cry, Shotgun Stories, Fish Tank oder andere traurige kleine Dramen, die mit geringem Personalaufwand ganz gewaltige emotionale Pinselstriche setzen (wobei Tyrannosaur immerhin optimistisch und hoffnungsvoll bleibt).
Als Film fürs erste Date bietet sich der Film nicht unbedingt an (obwohl Travis Bickle sich mit dieser Auswahl eindeutig verbessert hätte), aber Tyrannosaur ist meiner bescheidenen Meinung einer dieser Filme, die man als Erwachsener (im Gegensatz zum 32jährigen Transformers-Fan) unbedingt sehen sollte, um nicht gänzlich zu vergessen, worum sich das Kino (und das Leben!) eigentlich drehen.
Wenn es nach mir ginge, sollten Paddy Constantine, Peter Mullan und Tim Roth alle drei Jahre oder so (je nachdem, wie oft sie großartige Ideen haben) Regie führen. Andererseits weiß man ja seit Charles Laughton und The Night of the Hunter (vielleicht eine große Inspiration dieser Regisseure?), dass ein einzelnes großes Werk auf lange Zeit so leuchtet wie ein einziger Stern am dunklen Himmel.
Nur schade, dass dieser dunkle Himmel die Analogie unserer gegenwärtigen Kinolandschaft ist. Mehr Licht! Selbst so ein trübes, trauriges, tränendurchflutetes Lichtspiel wie Tyrannosaur strahlt.