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16. Mai 2012
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Der Diktator (Larry Charles)
Der Diktator (Larry Charles)
Der Diktator (Larry Charles)
Bildmaterial © Paramount Pictures International
Der Diktator (Larry Charles)
Der Diktator (Larry Charles)
Der Diktator (Larry Charles)


Der Diktator
(Larry Charles)

USA 2012, Originaltitel: The Dictator, Buch: Sacha Baron Cohen, Alec Berg, David Mandel, Jeff Schaffer, Kamera: Lawrence Sher, Schnitt: Greg Hayden, Eric Kissack, Musik: Erran Baron Cohen, mit Sacha Baron Cohen (Aladeen / Efawadh), Ben Kingsley (Tamir), Jason Mantzoukas (Nadal), Anna Faris (Zoey), Kevin Corrigan (Slade), Mitchell Green (Joteph), Jenny L. Saldaña (Hannah), Chris Elliott (Mr. Ogden), Kathryn Hahn (Pregnant Woman), Seth Morris (Pregnant Woman's Husband), John C. Reilly (Torturing Expert), Garry Shandling (Inspector), Erick Avari (Omar), Megan Fox, Edward Norton (Themselves), Anna Katarina (Angela Merkel), 83 Min., Kinostart: 17. Mai 2012

Nach Borat und Brüno (den Ali-G-Kinofilm habe ich nicht gesehen) war der Drops ein wenig gelutscht, zumindest ich erwartete von The Dictator abermals die bösartige Version dessen, was Hape Kerkeling vor langer Zeit als Königin Beatrix abgezogen hat: Jede Menge Leute Hopsnehmen (bei Hape authentischer als bei Sacha Baron Cohen) und ein paar Fitzelchen mit Spielhandlungen und Gags, Lauflänge klar unter anderthalb Stunden, statt Pamela Anderson und Paula Abdul taucht diesmal Megan Fox auf, la la la …

Und so wurde ich positiv überrascht, denn The Dictator ist diesmal ein richtiger Spielfilm. Es fängt noch an wie eine Nachrichtensendung (ein wenig wie Citizen Kane) und das Niveau an politischer Unkorrektheit und Frauenfeindlichkeit wird auch gleich in der vierten Einstellung oder so ganz hart angegangen, wenn erklärt wird, dass die Mutter des Diktatoren im Kindbett verstarb – ehe man dann sieht, wie ein Scherge ihr nach vollbrachter Aufgabe ein Kissen ins Gesicht drückt – ich muss gestehen, dass ich an der Stelle auch gelacht habe, und wer zu diesem Zeitpunkt nicht angewidert das Kino verlässt, ist wahrscheinlich am Haken.

Die Beschwerde »They raped me in a very unprofessional manner« oder die Feststellung nach einer Geburt »It's a girl – where's the trash can?« – bei denen meisten Da-bleibt-dir-das-Lachen-im-Halse-stecken-Gags sind die Opfer Frauen, wo es bei Borat und Brüno ja auch oft gegen Rassisten, Sexisten und andere dumme Menschen ging. Doch ungeachtet der fragwürdigen Ausrichtung des Films finde ich, dass The Dictator als Film am ehesten besteht. Natürlich hangelt sich auch hier der Film von einem Gag zum nächsten, doch es gibt nicht nur einen wirklichen Plot, ein Schicksal, das so zu Herzen geht wie zuletzt Kim Jong-Ils »I'm so ronery« in Team America: World Police (ein Film, an den ich hier öfter denken musste – was immer ein gutes Zeichen ist), und zum Schluss gelingt es dem Film tatsächlich, dem etwas lädierten Genre Romantic Comedy einen neuen ernstzunehmenden Vertreter beizufügen, denn auf eine etwas plumpe Art ist The Dictator eine der politischsten RomComs weit und breit, wenn der [VORSICHT! SPOILER!] geläuterte Aladeen schließlich zusammenfasst »Democracy has hairy armpits and could lose 5 pounds [...] Democracy, I love you«, dann ist das witzig wie wahr wie einst die Unterscheidung zwischen »dicks, pussies and assholes« bei Team America.

Noch einige Warnungen: Wer nur für John C. Reilly ins Kino gehen will (Cohen und Reilly waren ja in Talladega Nights mal echte Co-Stars), der sollte wissen, dass Reilly vielleicht fünf Sätze und zwei Minuten im Film hat. Wer gern über Religion lacht: dieses Thema wird im Film fast komplett ausgespart – man impliziert zwar auf etwas perfide Art, wie in Wadiya der Wind wehen könnte, aber abgesehen von ein paar Scherzen in Yiddish, einer Erwähnung des Wortes Jihad und einem etwas ausgereizten Gag mit Bezug zu 9/11 ist der Film womöglich ein wenig besorgt, dass man ungeschickt jemandem auf die Füße treten könnte, der nicht den selben Humor hat. Da geht man dann lieber auf Nummer Sicher mit Frauenfeindlichkeit (Anna Faris als Zoey: »I majored in FemLit«) und hier und da einer Prise Rassismus …

Zu guter Letzt noch ein Hinweis auf den großartigsten Schnipsel Filmkunst in diesem Film. Aladeen kennt sich zwar gut aus mit käuflichem Sex, Vergewaltigung und Folter, doch auf die Idee, sich mit einer locker geballten Faust etwas Entspannung zu verschaffen, bringt ihn erst Zoey, die womöglich auch durch diese Lebenshilfe zu seiner Traumfrau wird. Wenn bei des Diktators erster Erfahrung in Selbstbefriedigung zwischen ihm, der auf der anderen Seite der Tür befindlichen Zoey und einigen mentalen Bildern wild hin- und hergeschnitten wird, dann sieht man auch für Sekundenbruchteile ein paar Schnipsel aus der »Run, Forrest, Run!«-Szene aus Forrest Gump. Und ich kann es nicht überzeugend erklären warum, aber diese Idee des Films hat mein Herz wirklich erwärmt. Wer die eigene Sexualität nicht auslebt, ist sozusagen gehbehindert, und erst, wenn man sich einen von der Palme wedelt, fliegen die Beinschienen nur so weg und man läuft, wie man nie zuvor gelaufen ist. Auf eine implizite Art ist dies der schönste Moment des Films, der durchaus auch ein lebensbejahender Kommentar zu so manchen Religionen ist, die ähnlich wie Keuschheit und Beinschienen funktionieren.