Dt. Titel: Dans la maison, Frankreich 2012, Buch: François Ozon, Lit. Vorlage: Juan Mayorga, Kamera: Jérôme Alméras, Schnitt: Laure Gardette, Musik: Philippe Rombi, mit Fabrice Luchini (Germain), Ernst Umhauer (Claude Garcia), Kristin Scott Thomas (Jeanne Germain), Emmanuelle Seigner (Esther Artole), Denis Ménochet (Rapha Artole, Vater), Bastien Ughetto (Rapha Artole, Sohn), Jean-François Balmer (Rektor), Yolande Moreau (Rosalie & Eugénie, Zwillinge), Catherine Davenier (Amouk), Vincent Schmitt (Bernard, Mathelehrer), Jacques Bosc (Claudes Vater), 105 Min., Kinostart: 29. November 2012
Es ist kein Geheimnis, dass François Ozon in den letzten Jahren ziemlich nachgelassen hat. Filme wie Angel, Ricky oder Potiche haben alle ihre Stärken, können aber als Ganzes nicht so begeistern wie einst Huit femmes oder Swimming Pool. Mit Dans la maison kehrt er wieder zur früheren Meisterschaft zurück, der Film ist sogar eine Art Gegenstück zu Swimming Pool. Wir erinnern uns: In Swimming Pool ging es um eine britische Kriminalautorin (Charlotte Rampling), die zum Schreiben das französische Ferienhaus ihres Verlegers aufsucht und dort auf dessen »lebenslustige« Tochter (Ludivine Sagnier) stößt. Aus dem Kontrast der unterschiedlichen Frauen (verklemmt bzw. ungehemmt) wird schließlich auch so etwas wie ein Kriminalfall - und ein Vexierspiel zwischen Illusion und Realität, zwischen Fiktion und Wirklichkeit. In Dans la maison gibt es eine ganz ähnliche Figurenkonstellation, doch diesmal sind die beiden Hauptfiguren männlich. Monsieur Germain (Fabrice Luchini) ist ein Französischlehrer mit großer Verehrung für die Literatur, dem das Korrigieren einfallsloser und orthografisch unzumutbarer Aufsätze ein Greuel ist. Jede Klasse wirkt für ihn noch schlimmer als die vorherige. Da wird er aufmerksam auf Claude, einen sechzehnjährigen Schüler, der unübersehbares Talent als Autor zeigt. Zum einen will Germain ihm helfen, dieses Talent auszuarbeiten (u.a. indem er ihm fette Wälzer von Victor Hugo ausleiht), zum anderen ergötzt er sich auch an den Texten Claudes, was schnell über das übliche Schüler-Lehrer-Verhältnis hinausgeht. Noch interessanter wird das Ganze dadurch, dass Claude seine Geschichten sozusagen in Fortsetzungen schreibt, und alles geht davon aus, dass er den Mitschüler Rapha in dessen Haus besucht und sich dabei zunehmend für Raphas Mutter (Emmanuelle Seigner) interessiert, die er zunächst als ansehnliche »Mittelklasse-Frau« abklassifiziert, bevor er sich dann in sie verliebt. Dass seine autobiographisch inspirierten Geschichten nicht eins zu eins aufgeschrieben wurden, ist von Anfang an erkennbar, zunächst geht es dabei um die schriftstellerischen Mittel, das Erlebte aufs Papier zu bringen, doch schon bald vermischen sich die literarischen Ansprüche und die Handlungsinitiativen, die nicht nur den Text voranbringen sollen, sondern auch die realen Personenkonstellationen beeinflussen. Germain und seine Frau (Kristin Scott Thomas, die hier die Diane Keaton zu Luchinis Woody-Allen-Variation gibt), die jeweils »Mitleserin« ist, geben Impulse an Claude weiter - und verstricken sich zunehmend selbst in die Geschichte. Erst wird Germain nur eine Figur im Text (»Sein Mangel an Talent verbittert ihn« - Frau Germain dazu: »So spricht der über dich!« - Germains Urteil: »Er liegt nicht falsch!«), doch dann wird auch noch Rapha in den zunächst spielerischen Kampf zwischen Claude und Germain hineingezogen wird und Raphas Vater, »Rapha senior«, kommt zur Elternsprechstunde und beschwert sich - und zwar nicht rein verbal. Und Germains Frau kommt in ihrer Funktion als Galeristin (ein Metier, das Ozon mit sichtlicher Freude veräppelt) ebenfalls in Kontakt mit den vermeintlichen »Romanhelden«.
Ozon arbeitet nur vereinzelt mit Adaptionen, in diesem Fall war das spanische Theaterstück El chico de la última fila (Der Junge aus der letzten Reihe) von Juan Mayorga sogar seine erste Adaption eines lebenden Autors, und trotz vieler Veränderung soll der Autor damit auch zufrieden sein - spätestens, nachdem Ozon beim Filmfestival in San Sebastian (das B-Festival unterstützt meine anfängliche These) den Hauptpreis dafür abräumte.
Ein Detail des Films, dass zumindest mich entzückte, ist Ozons Entscheidung, nicht wie in Hollywood die Geschichte unnötig zu dramatisieren (keine Explosion am Schluss), sondern sich gerade auf die banale Normalität der Figuren zu stürzen (Lehrerdasein, Trainingsanzug von Rapha sr.) und diese durch das komplexe, aber immer spielerische Skript ordentlich durchzumischen. Der beste Ozon seit Swimming Pool, wenn man beide mehrfach schaut, könnte Dans la maison sich auch ganz nach oben schieben in der Filmographie des Franzosen.