Schweden / Frankreich / Dänemark 2011, Buch: Ruben Östlund, Kamera: Marius Dybwad Brandrud, Schnitt: Ruben Östlund, Jacob Schulsinger, Musik: Saunder Jurriaans, Daniel Bensi, mit Anas Abdirahman (Anas), Sebastian Blyckert (Sebastian), Yannick Diakite (Yannick), Sebastian Hegmar (Alex), Abdiaziz Hilowle (Abdi), Nana Manu (Nana), John Ortiz (John), Kevin Vaz (Kevin), Tobias Akesson, Peggy Johansson (Zugbegleiter), Caroline Kruse, Tabita Fellert (Verkäuferinnen), Almir Karajkovic, Kawa Mohammadi, Kawan Mohammadi (große Brüder), Johan Jonason, Martin McFaul (wütende Väter), Lina Räftegård (schwangere Frau), 113 Min., Kinostart: 24. Januar 2013
Dieser Film, der es nur deshalb nicht zum »Film des Monats« geschafft hat, weil ich kurzfristig zu enthusiastisch auf Frankenweenie reagiert habe, ist in mancher Hinsicht eine Variation von Larry Clarks Kids (inklusive jungen Laiendarstellern), kombiniert mit teilweise starren und häufig sehr langen Einstellungen, wie man sie etwa aus den Filmen von Michael Haneke kennt (insbesondere 71 Fragmente einer Chronologie des Zufalls und Code inconnu). Ich habe tatsächlich lange Zeit mitgezählt und Buch geführt (bis zur 32. Einstellung) und bin mir sogar recht sicher, dass man noch unter den 71 Einstellungen Hanekes bleibt. Gleich die erste Einstellung ist besonders lang, die Kamera schweift über den (überdachten) Innenhof einer Shopping-Mall und beobachtet mal hier, mal dort, schließlich geht es um zwei halbwüchsige Mädchen, die offenbar aus reichem Elternhaus stammen (die eine hat gerade 500 Kronen irgendwo verloren, es scheint aber nicht, als wenn dies ein großes Problem darstellt). Anderswo im Innenhof (immer noch die selbe Einstellung, wenn einiges nicht offensichtlich nachsynchronisiert wäre, würde man fast von einer dokumentarischen Atmosphäre sprechen) treffen sich fünf dunkelhäutige Jugendliche (gar nicht mal viel größer als die Mädchen), die sich einigen »Die schnappen wir uns« und nach kurzem »Schnick Schnack Schnuck« zwei von ihnen vorbeischicken, die dann in einem der Handys der Mädchen jenes wiedererkennen, das einem Bruder eines der beiden letzte Woche gestohlen wurde, er erkennt genau den langen Kratzer. Obwohl sowohl für die Mädchen als auch für den Zuschauer klar sein sollte, dass dies nicht stimmen kann, gibt es eine lange Diskussion, ehe dann zum Vorspann weggeschnitten wird (auf eine komplett andere Szene, deren Zusammenhang zum Geschehen sich erst sehr spät ergeben wird). Wir kennen nun den modus operandi der kleinen Gang, einerseits wirken sie ein wenig bedrohlich, andererseits drängen sie ihre Opfer auf spielerische Weise in eine Position, wo sie selbst - zumindest Außenstehenden gegenüber - als Kriminelle dastehen können. Und ganz nebenbei nutzen sie die Vorurteile und Klischees ethnischen Minderheiten gegenüber auf gleich zwei Arten zu ihrem eigenen Nutzen.
Der Film zeigt die fünf Freunde, wie sie bei einer Rolltreppe herumspielen und bereits eine subtile Gefahr ausstrahlen, dann konzentriert man sich auf drei Jungen (ich glaube, sie hießen Alex, Sebastian und John), die in einem Schuhgeschäft miterleben, wie die »Gang« eigentlich nur Schabernack macht und sich ein wenig mit einem Verkäufer anlegt. Und dann geht es sehr bald wieder mit »Schnick Schnack Schnuck« los und ein Großteil des Films dreht sich um die drei plus fünf Jungs, als Zuschauer betrachtet man das Ganze bange und erwartet eine Eskalation.
Dass der Regisseur sich durch einen Zeitungsartikel zum Film inspirieren ließ, Gerichtsprotokolle und andere Recherchen anstrengte, ändert natürlich nicht das Geringste daran, dass der Film Rassismusvorwürfe schürt (und dies durchaus mit Bedacht, weil er zur Diskussion anregen will), obwohl er die Realität (bzw. natürlich einen subjektiv ausgewählten Ausschnitt der Realität) abzubilden versucht. Wenn man, wie in nicht wenigen Othello-Aufführungen, die Hautfarbe der Protagonisten austauschen würde, oder die Fünfer- wie Dreier-Gruppe beide ethnisch diverser besetzen würde, würde das am Inhalt des Films natürlich nichts ändern, nur die Schuldzuweisungen würden andere Ziele finden. Play traut sich, heiße Eisen anzufassen, und ist deshalb ein politisch hochinteressanter Film, der scih (trotz der Vorwürfe) nicht in ein bestimmtes Lager drängen lässt.
Doch weil Ruben Östlund außerdem offensichtlich ein großes inszenatorisches Geschick besitzt (die Vergleiche mit Larry Clark und Haneke sind durchaus verdient), ist dies ein Film, den man eben nicht nur aus politischem Interesse nicht verpassen sollte, sondern weil es auch ein verdammt guter Film ist. Bald ist ja wieder Berlinale, und da gibt es oft Filme, die sehr politisch sind und wichtige Themen ansprechen - aber manchmal rein filmisch erstaunlich langweilig sind. Play ist Kino, wie es sein sollte: gut und wichtig. Und so gesehen hat der Film Frankenweenie eigentlich eine Nasenspitze voraus. Aber satt.org ist halt nicht die Jury der evangelischen Filmarbeit, und so bekennt sich der Redakteur manchmal auch einfach zum sympathischen Unterhaltungskino. Am besten ist es aber natürlich, man schaut beide Filme!