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15. April 2014
Thomas Vorwerk
für satt.org


  The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro (Marc Webb)
The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro (Marc Webb)
The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro (Marc Webb)
Bildmaterial © 2014 Sony Pictures Releasing GmbH
The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro (Marc Webb)
The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro (Marc Webb)
The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro (Marc Webb)
The Amazing Spider-Man 2: Rise of Electro (Marc Webb)


The Amazing
Spider-Man 2:
Rise of Electro
(Marc Webb)

USA 2014, Buch: Alex Kurtzman, Roberto Orci, Jeff Pinkner, Comic-Vorlage: Stan Lee, Steve Ditko, Kamera: Dan Mindel, Schnitt: Pietro Scalia, Elliot Graham, Musik: Hans Zimmer and the Magnificent Six featuring Pharrell Williams & Johnny Marr, Production Design: Mark Friedberg, Art Direction: Kim Jennings, mit Andrew Garfield (Peter Parker / Spider-Man), Emma Stone (Gwen Stacy), Jamie Foxx (Max Dillon / Electro), Dane DeHaan (Harry Osborn / Green Goblin), Campbell Scott (Richard Parker), Embeth Davidtz (Mary Parker), Colm Feore (Donald Menken), Paul Giamatti (Aleksei Sytsevich / The Rhino), Sally Field (Aunt May), Chris Cooper (Norman Osborn), Felicity Jones (Felicity Hardy), Chris Zylka (Flash Thompson), Denis Leary (Captain Stacy), Marton Csokas (Dr. Kafka), B.J. Novak (Alistair Smythe), Sarah Gadon (Oscorp AI), Max Charles (Young Peter Parker), Stan Lee (Graduation Guest), Martin Sheen (Uncle Ben), 142 Min., Kinostart: 17. April 2014

Comichelden haben oft bestimmte catch phrases, die sich im kulturellen Bewusstsein festsetzen. So was wie »criminals are a cowardly and superstitious lot« oder »It's a bird … it's a plane … It's …«. Bei Spider-Man ist das Zitat, das die Figur (und ihre origin story) hervorragend zusammenfasst, sicherlich »with great power comes great responsibility«.

Im zweiten Film des Reboots (wird jetzt nach den Avengers-Filmen und denen um die X-Men und Wolverine zu einem dritten Marvel-Film-Universum ausgebaut, The Sinister Six, Venom und The Amazing Spider-Man 4 sind alle bereits in Planung) wirkt anfänglich alles so wie immer. Es gibt einen trotz zu erwartender Auflösung spannenden Prolog, in dem erneut Peters Eltern auftauchen dürfen (dass Richard Parker ein Wissenschaftler erster Güte war, erkennt man unter anderem daran, dass er schon im April 2002 ein Sony-Laptop mit W-Lan-Zugang hatte, das sogar in einem Flugzeug keine Netz- oder sonstigen Probleme hat), und danach setzt der Film an einer Stelle an, die inzwischen schon ein wenig angestaubt wirkt: Spider-Man schwingt sich durch die Straßenschluchten New Yorks (man muss ja den aktuellen Stand der CGI-Möglichkeiten – diesmal in 3D! – reflektieren) und es dauert nicht lang, ehe er bei einer Polizeiverfolgungsjagd einschreiten darf. Hierbei wird schon schnell das überbordende Thema des Films, das auch im direkten Zusammenhang mit der Verantwortungs-Kiste steht, angesprochen, doch aus meiner Sicht gelingt es dem Film schon in der ersten Viertelstunde, seine eigene Herangehensweise gehörig auszuhebeln.

Zum einen wird Spidey / Peter (Andrew Garfield) während der Verfolgungsjagd per Anruf von seiner Freundin Gwen (Emma Stone) darüber informiert, dass er im Begriff steht, seine eigene Schulalbschluss-Party zu verpassen, bei der auch noch Gwen die Abschlussrede halten darf. Und dann arrangiert der Film das Folgende als Parallelmontage: Gwen spricht über Themen wie Sterblichkeit und Hoffnung, jedem halbwegs informierten Kinogänger wird klar, dass dies wohl auf die Filmversion der Ereignisse in The Amazing Spider-Man #121 vorbereiten soll, und Peter hat während der Verfolgungsjagd die Vision, Gwens Vater, den im Vorgängerfilm verstorbenen Captain Stacy (Denis Leary) in einem der zahlreichen involvierten Polizeiautos sitzen zu sehen. Das ist die Verbindung, die die Filmemacher beabsichtigt haben, im weiteren Verlauf des Films geht es mehrfach darum, dass Peter Gwens Vater versprochen hatte, das Leben der Tochter nicht in Gefahr zu bringen, doch Gwen formuliert ihre Ansicht dazu nicht nur in dem Satz »Nobody makes my decisions for me«, sondern sie macht eine Zeitlang sogar Schluss mit Peter. Aber diese Sperenzchen gehörten ja auch schon bei den Raimi-Filmen zum Standard-Handlungsverlauf, und Parker bekommt auch hier die Chance, die Liebe seiner Angebeteten zurückzugewinnen.

Doch zurück zur Verfolgungsjagd und dem Problem des Films, dass ihn bereits in der ersten Viertelstunde zum (für mich) schlechtesten der fünf bisherigen Spider-Man-Filme dieses Jahrtausends machte. Neben zwei »Nebenschurken« geht es hier vor allem um einen von Paul Giamatti gespielten rücksichtslosen LKW-Fahrer, dessen Rollennamen man erst später erfährt, der aber u.a. über einen tätowierten Stacheldraht um den Hals und eine ausufernde Wut recht schnell charakterisiert wird. Gleich zu Beginn fährt dieser Herr, offenbar Teil eines großangelegten Raubüberfalls, mit seinem Gefährt mal über die Kühlerhauben gleich zweier Polizeiautos (dass auch so ein LKW umkippen kann, ist ihm offenbar nicht bewusst), und er benimmt sich im Grunde wie ein wildgewordenes Nashorn mitten im belebten Straßenverkehr. Nun kommt Spider-Man dazu und hängt sich an das Seitenfenster des mit ungesunder Geschwindigkeit durch die Metropole knatternden Gefährts, klopft höflich an und verwickelt den Fahrer in ein Gespräch. Denn, so Regisseur Marc Webb: »We wanted this film to be more playful, more fun.« Und so will der freundliche Spinnenmann aus der Nachbarschaft dem Fahrer die Hand schütteln, was zu folgendem Dialog führt:

Aleksei: »I don't shake.«
Spidey: »Are you a hugger?«
Aleksei: »I'm a killer!«

Das könnte und sollte eine gewisse Warnfunktion haben, doch Spider-Man macht weiterhin Faxen, was u.a. dazu führt, dass der gemeingefährliche Verkehrsteilnehmer auch noch eine Pistole hervorkramt und auf den Superhelden schießt. Zwischendurch hat Spider-Man aber Zeit genug, einen Passanten (Jamie Foxx) nicht nur vor dem heranrauschenden LKW zu retten, sondern noch ein so ausgedehntes Gespräch mit ihm zu führen, so dass dieser fortan glaubt, Spider-Man sei sowas wie sein persönlicher bester Freund. Dann findet noch das bereits erwähnte Telefonat statt, und man hat eigentlich durchweg den Eindruck, dass Spider-Man den entscheidenden Vorteil hat, dass er über die Altersfreigabe des Films, in dem er mitspielt, bereits bestens informiert ist, und deshalb davon ausgehen kann, dass sämtliche links und rechts zerschrotteten Polizeiautos nur konsequenzloses Beiwerk sind. In diesem Film stirbt nur jemand, wenn es einen dramaturgischen Sinn hat (und sei es nur, um die Superkräfte der Schurken zu verdeutlichen), Kollateralschäden und unschuldige Passanten existieren quasi nicht.

Und während Gwen über Sterblichkeit und Schicksal referiert (»time is luck«, »we are not immortal«), bahnt sich der Höhepunkt der Verfolgungsjagd an: Der LKW knallt frontal in einen quer stehenden Omnibus. Hierbei sieht man in Zeitlupe, in einer heutigen technologischen Fortführung der »bullet time« aus The Matrix, das Businnere, die Kamera fliegt sozusagen durch den Bus, landet dann auf der anderen Seite des Busses, wo gerade ein koreanischer Opa mit Enkel beinahe von diesem Bus erschlagen werden, doch Spider-Man ist bereits dort, stoppt und stemmt den Bus einfach, gibt noch einen Oneliner zum Besten und taucht quasi im nächsten Augenblick bei der Schulabschlussveranstaltung auf, damit Stan Lee »I think I know that guy!« sagen kann.

»More playful, more fun.« So, wie das Finale der Verfolgungsjagd inszeniert ist (Parallelmontage, aufwendige Zeitlupensequenz), tritt man die Themen des Films, die noch überdeutlich herausgearbeitet werden, eigentlich komplett mit Füßen, denn um die Sterblichkeit der Passagiere des Busses geht es nicht im geringsten. Das sah zwar alles hochdramatisch aus, aber man tut dann einfach so, als wäre im Innern des Busses nur ein wenig Coffee-to-go verschüttet worden, und das unglaubliche Fehlen von Verantwortungsgefühl, das der vermeintliche Held des Films hier von langer Hand demonstriert hat, wird einfach im Handlungsfluss übergebügelt.

Wie soll man einen Film ernstnehmen (oops, das böse Wort, »Ernst«, der Film will doch nur unterhalten!), wenn die komplette Konsequenzlosigkeit einerseits den Streifen durchzieht (ein richtiger Schmarrn ist auch die Szene mit der Tribüne am Times Square, wo Spidey noch schlimmer sämtliche physikalischen Gesetze in einer Zeitlupensequenz außer Kraft setzt), es aber andererseits um Verantwortung, Sterblichkeit undsoweiter gehen soll? Sorry, aber ich war während des übrigens erschreckend langen (und mehrfach langatmigen) Films tatsächlich ein paar Mal kurz davor, das Kino zu verlassen …

Jamie Foxx als Titel-Bösewicht Electro ist anfänglich eine ziemlich blöde Karikatur, die wie einst Willem Dafoe vor allem mit verteilten Rollen mit sich selbst redet, ehe er sich in eine Mischung aus Geordi La Forge auf Tarchannen III und Doc Manhattan verwandelt und seine Selbstgespräche immerhin auf eine soundtechnisch interessante Ebene versetzt werden.

Dane DeHaan, der Nachfolger von James Franco (und demnächst soll er James Dean spielen), hat ein sehr ausdrucksvolles, irgendwie einzigartiges Gesicht, aber er nervt auch ziemlich.

Felicity Jones bekommt eine Wegwerfrolle, die das Drehbuch irgendwann komplett aus den Augen verliert.

Noch schlimmer ist es aber für die zahlreichen Nebenschurken, die bei Oscorp arbeiten und deren Rollennamen man meistens nicht einmal mitbekommt, einzig Marton Csokas darf als »Dr. Kafka« so tun, als sei er ein Aushilfs-Mengele (mit schlimmem deutschen Akzent) in der Marvel-Entsprechung des »Arkham Asylum«, der ausgerechnet Jamie Foxx foltern darf (politische Ansatzpunkte für's Feuilleton), ehe er dann wie viele namenlose Kollegen seine kleine Sterbeszene bekommt.

Andrew Garfield und Emma Stone machen ihr Ding, stehen schauspielerisch aber auch eher auf der Stelle. Insbesondere Emma.

Sally Field hat immerhin eine hübsche Szene, in der sie rumjammern kann, dass sie vermutlich die einzige Figur im Film ist, die nicht jederzeit eine Anstellung als Physikprofessor o.ä. bekommen könnte.

Und Paul Giamatti durfte offenbar die kompletten Dreharbeiten sitzend verbringen, was am Ende leider in reichlich schlechten Effekten kulminiert (er wirkt wie ein Hologramm in einem Roboter).

Selbst die vermutlich beste Idee des Films, die Großbildflächen am Times Square, die Electro »hintergehen«, indem sie statt seiner plötzlich Spider-Man zeigen, leidet stark darunter, dass die Liveschaltung auf unzähligen Werbeträgern nicht einmal ansatzweise Sinn ergibt.

Und die Musik der »Superband«, um die wohl ein ziemlicher Wirbel gemacht wird, klingt zwar nicht ganz so sehr nach Hans Zimmer, ist aber einsatztechnisch die selbe Brühe wie sonst, da können Pharrell Williams und Johnny Marr auch nicht viel dran ändern.

Und da ja im Internet Kulturbanausen herumgeistern, die andere Kinogänger darauf hinweisen, ob sie in einem Film den Nachspann durchsitzen müssen, weil es noch ein Schmankerl am Schluss gibt, oder »beruhigt« gehen können (ich sitze selbst noch in dem hinterletzten Mist meistens bis zum Schluss im Kino, das hat auch was mit Respekt zu tun – und mit Informationen, die man auch auf imdb nicht ohne weiteres bekommt), werde ich mal so viel verraten: Es gibt keine Szene »nach« dem Abspann, aber der Abspann selbst hat in einigen Ländern, zu denen auch Deutschland gehört, eine Überraschung, die man nicht verpassen sollte, wenn man mitreden will. Und ich habe nicht gesagt, dass es eine positive Überraschung ist.