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4. Juli 2014 | Thomas Vorwerk für satt.org | ||||||||||
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USA 2013, Buch, Kamera: Tom Berninger, Live Performance Camera: Yael Shulman, Schnitt: Tom Berninger, Carin Bessen, Musik: The National, mit Matt Berninger, Aaron Dessner, Bryce Dessner, Bryan Devendorf, Scott Devendorf, Brandon Reid, Carin Besser, Isla Berninger, Nancy Berninger, Paul Berninger, 75 Min., Kinostart: 10. Juli 2014
Die aus Cincinnati stammende amerikanische Rockband »The National« besteht aus fünf Männern, von denen zweimal zwei Brüder sind: Aaron und Bryce Dessner (das sind sogar Zwillinge!) sowie Bryan und Scott Devendorf. Ausgerechnet Leadsänger Matt Berninger hätte zwar einen jüngeren Bruder, ist aber – rein brudertechnisch – in der Band so etwas wie das fünfte Rad am Wagen. Da trifft es sich sehr gut, dass ausgerechnet dieser »sechste Bruder«, Tom Berninger, nun der Regisseur eines Dokumentarfilms über die Band ist, der aber weit entfernt ist von den üblichen Musikdokus, die man so zu sehen bekommt.
Denn irgendwie ist die Hauptfigur des Films der Regisseur (kein Wunder, dass Michael Moore der Streifen gefällt ...), und wie sich der chaotisch-phlegmatische Tom von seinem anzugtragenden Bruder und den anderen Bandmitgliedern unterscheidet und wie er versucht, als Assistent des Managers einige einfach wirkende Aufgabe zu bewältigen und nebenbei noch einen Film zu drehen (seine früheren Regiearbeiten wirken wie verschrobene kurze Horror-Amateurfilme, beispielsweise über einen von den Toten auferstandenen Tierfänger), das ist die eigentliche Handlung des Films. Hin und wieder gibt es für »Fans« zwar auch ein paar Live-Auftritte und Interviews, aber wer wie ich keinen Schimmer von »The National« hat, kann sich dennoch köstlich amüsieren bei dem Film – und nebenbei einiges über den Kern der Filmkunst, die Montage, erfahren.
Ein sehr ungewöhnliches Detail des Films ist beispielsweise, dass Mistaken for Strangers die Tour zum fünften Album der Band begleitet, High Violet, das bereits 2010 erschien. Denn Tom, der teilweise etwas planlose Filmemacher, der als besserer Roadie solange mit dem Tourmanager Brandon Reid aneinander gerät, bis er trotz freundlicher Vetternwirtschaft entlassen wird (was die Filmarbeiten natürlich auch nicht eben unterstützt), zeichnet sich auch in der Post-Production-Phase nicht unbedingt durch geradlinige Eifrigkeit und Ambitionen aus. Und so spielt etwa das letzte Drittel des Films in der Brooklyner Wohnung des Sängers Matt und seiner Lebensgefährtin Carin, die Tom aufnehmen, ihm eine Deadline setzen – und Carin hilft als zweite Cutterin, einen roten Faden in das Material zu bringen. Das Interessante ist dabei, dass der Film natürlich dennoch auch die ursprüngliche Kopflosigkeit zeigt und seinen »eigentlichen Helden« unterstützt, statt jetzt in ein bloßes PR-Projekt verwandelt zu werden. Streng genommen ist der Schlussteil des Films mit der großen Wand voller verschiedenfarbiger Post-its, die die laufende Montagekonstruktion repräsentiert, eigentlich noch viel persönlicher als die Einblicke in die Tour-Maschinerie zuvor. Denn eine Welttournee ist ein komplexer Vorgang, bei dem alles klappen muss. Und ein Dokumentarfilm kann auch einfach eine Menge Chaos sein, das man nachträglich in eine Form bringen muss – wobei der Filmemacher weitaus mehr über diszipliniertes Arbeiten erlernen kann, als wenn er sich um Geschenkkörbe und Getränke kümmert.
Ein wenig suspekt bleibt der Film aber dennoch, denn einerseits behauptet Tom, fast alles mit einer kleinen Handkamera aufgenommen zu haben, andererseits sieht man ihn dann aber doch recht häufig im Bild und findet in den Credits versteckt nur einen weiteren Kameramann, der für die (weitaus professioneller wirkenden) Live-Performances zuständig ist. Evtl. ist hinter dem Ganzen doch noch eine durchdachte Marketing-Strategie versteckt, die gerade dadurch, dass vieles so unprofessionell und persönlich wirkt, weitaus größere Zuschauerkreise ansprechen kann. Im Zweifel für den Angeklagten, aber der Zweifel ist da ...
Originaltitel: Much Ado about Nothing, USA 2012, Buch: Joss Whedon, Lit. Vorlage: William Shakespeare, Kamera: Jay Hunter, Schnitt: Daniel S. Kaminsky, Joss Whedon, Musik. Joss Whedon, Kostüme: Shawna Trpcic, mit Amy Acker (Beatrice), Alexis Denisof (Benedick), Nathan Fillion (Dogberry), Clark Gregg (Leonato), Reed Diamond (Don Pedro), Fran Kranz (Claudio), Jillian Morgese (Hero), Sean Maher (Don John), Spencer Treat Clark (Borachio), Riki Lindhome (Conrade), Ashley Johnson (Margaret), Emma Bates (Ursula), Tom Lenk (Verges), Elsa Guillet-Chapuis (Photographer), Drew Goddard u.v.a., 109 Min., Kinostart: 24. Juli 2014
Die meisten kennen Joss Whedon als Regisseur des Multi-Millionen-Dollar-Superhelden-Spektakels The Avengers, doch meiner Ansicht ist sein gelungenstes Werk – abgesehen von der zu früh abgesetzten Fernsehserie Firefly – das relativ spontan während des »Writers' Strike« in Hollywood aus dem Boden gestampfte Internet-Musical Dr. Horrible's Sing-a-long Blog. Mit Neil Patrick Harris in der Titelrolle, Nathan Fillion (vor Castle), Felicia Day (vor Geek & Sunday) und Simon Helberg in einer Minirolle (bevor The Big Bang Theory richtig einschlug) erzählt er hier die zu Herzen gehende Geschichte eines schüchternen Möchtegern-Superschurken, dem ausgerechnet der gelackte Superheld »Captain Hammer« (Fillion) das Mädchen ausspannt. Man merkt diesem in drei Akte aufgeteilten Werk an, dass es hier und da etwas hakt, aber ähnlich wie bei der Rocky Horror Picture Show gibt es begeisterte Fans, die die gesamte Handlung nachspielen, man kennt alle Songs auswendig, freut sich noch über die kleinsten Details im Bild und selbst der Audiokommentar wurde in Musicalform eingespielt.
Das war aber noch zu Zeiten, als Whedon noch kein Superstar war. Okay, er hatte schon den Kinofilm Serenity als Fortsetzung seiner Serie Firefly umsetzen können und konnte sich glücklich schätzen, für einige Zeit Autor der Marvel-Comic-Serie X-Men zu sein, aber das immense Vertrauen, das man für The Avengers in seinen Schoß legte, musste sich zunächst noch einfinden.
Dass Whedon gleich im Anschluss an die Avengers-Dreharbeiten erneut ein kleines Nebenerzeugnis mit »Family & Friends« umsetzte, zeugt davon, dass er den Bodenkontakt nicht verlieren will.
Im eigenen Haus drehte er in Schwarzweiß eine Variation des Shakespeare-Komödienklassikers Much Ado about Nothing, den ich zwar dreimal gelesen habe (erst Anglistik-Studium, dann auch noch Recherche für diesen Text), bei dem ich aber dennoch oft an die Fassung von und mit Kenneth Branagh und seiner damaligen Gattin Emma Thompson denken muss.
Ich bin selbst kein glühender Verehrer Branaghs, der sich lange Zeit offenbar für einen wiedergeborenen Laurence Olivier hielt und teilweise sogar dessen Shakespeare-Verfilmung in ähnlicher Reihenfolge neuverfilmte (was gerade bei Henry V und Hamlet einen großen Qualitätsunterschied offenbarte), aber in dieser Großmutter aller Screwball-Comedies beweist er zumindest sein darstellerisches Können. Vielleicht lag es einfach daran, dass die beiden noch recht frisch verliebt waren, sich aber ähnlich wie ihre Filmfiguren bereits ein wenig auf den Senkel gingen, aber die Chemie zwischen den Hauptdarstellern ist etwas, was bei der Whedon-Version lange Zeit schmerzlich fehlt. Insbesondere Alexis Denisof als Benedick braucht hier ziemlich lange, bis man ihn zumindest »akzeptiert«.
Umso verblüffender, dass Whedons Much Ado da überzeugt, wo mich Branagh nur nervte: In der Interpretation des »Schurken« Don John (Sean Maher, der Arzt auf der Serenity), der bei Branagh von einem possenreißenden Michael Keaton verkörpert wurde. Die Rolle gibt eigentlich wenig her, weil sie dem »Bastard«-Klischee entspricht, das selbst in einigen von Shakespeares besten Werken (siehe King Lear) in seiner Eindimensionalität nicht überzeugt. Doch nicht nur gibt sich Maher Mühe, subtil perfide durchtrieben zu agieren, auch einer seiner Nebenschurken, bei Shakespeare eigentlich nur Stichwortgeber, erfährt bei Whedon die auffallendste interpretatorische Arbeit. Conrade ist hier eine Frau, und die eigentlich wunderhübsche und sehr witzige Riki Lindhome (eine Hälfte des Duos Garfunkel & Oates) wird hier mal wieder als Fiesling gecastet (vergleiche ihren Auftritt als Krankenschwester in Eastwoods Changeling oder ihr Frühwerk The Last House on the Left), doch aus dem puren Handlanger macht sie (mit Whedons Drehbuchleistung) plötzlich eine Geliebte mit reichlich plump umgesetzter, aber leicht auszumachender eigener Motivation. Wenn der dritte im fiesen Bunde, Borachio (auch nicht schlecht: Spencer Treat Clark), die beiden beim Pimpern stört, stöhnt sie leise vor sich hin, ist ziemlich sauer, wenn er zum für sie verfrühten Aufbruch appelliert (»Let us hither«), doch dann schließt sie schnell die Tür hinter dem vorauseilenden Störenfried und verwandelt das ergebene »to the death, my Lord« in eine ausgelebte Sexualität. Besonders subtil oder ausgefeilt ist das alles nicht, aber es sind solche kleinen Momente, die diesem Film als soundsovielte Bearbeitung des selben Stoffes die Existenzberechtigung verleihen. Riki und Sean haben eigentlich nur großartige Szenen, angefangen beim dialogfreien Beginn mit Plastikbindern (manchmal hatte der Film richtiggehend Ansätze der Dogma95-Bewegung) und später mit der Pool-Szene, die rein visuell ein Höhepunkt des Films ist. Mir persönlich gefällt auch ein liegengelassener Brautstrauß, der hier symbolisch überfrachtet wirkt wie sonst ein rumliegender Teddybär in einem Bruckheimer-Bay-Katastrophen-Spektakel. Weniger ist oft mehr. Unter den Darstellern glänzen auch Nathan »Castle« Fillion als Volltrottel, der mir aus der Branagh-Version gar nicht mehr in Erinnerung ist, oder Clark Gregg, der allerdings so seine Probleme hat, die nicht mehr zeitgemäßen Aspekte der Geschichte (Tochter verstoßen etc.) überzeugend rüberzubringen. Amy Acker als Beatrice hat ihre beste Szene, wenn sie unter einer Küchenanrichte ein Gespräch belauscht, die entsprechend lange Szene bei Branagh zwischen den Hecken eines Parks wird auch bei Benedick immerhin anders aufgelöst, aber die Slapstick-Elemente, die bei Shakespeare ja nicht zwingend Teil des Textes sind, drängen sich auch hier in den Vordergrund.
Die Modernisierung des Stoffs verändert eigentlich wenig. Hin und wieder hört man mal ein Motorrad oder man lauscht feierlich einem Musikstück, in dem man auf dem I-Pod (oder war es nur ein gewöhnlicher MP3-Player?) auf einen Knopf drückt. Much Ado about Nothing ist weit entfernt davon, ein Höhepunkt im Whedon'schen Werk zu sein, aber als kleine Zwischenmahlzeit überbrückt der Film die Hungerstrecke bis zur Rückkehr der Avengers.
Deutschland 2014, Buch: Ralf Westhoff, Kamera: Ian Blumers, Schnitt: Uli Schön, Musik: Oliver Thiede, mit Gisela Schneeberger (Anne), Heiner Lauterbach (Eddi), Michael Wittenborn (Johannes), Claudia Eisinger (Katharina), Karoline Schuch (Barbara), Patrick Güldenberg (Thorsten), Julia Koschitz (junge Frau), Katharina Marie Schubert (Lena), André Jung (Paul), Gustav Peter Wöhler (Günther), 91 Min., Kinostart: 17. Juli 2014
Irgendwann mit zwölf Jahren oder so ist mir mal aufgefallen, dass es neben Adjektiven, zu denen es ein gegensätzliches Gegenstück gibt (etwa schnell oder hoch), und solchen, die man nicht in Pärchen sortieren kann (etwa grün oder mittelmäßig), zumindest ein Adjektiv gibt, dass zwei Gegensätze auf sich bündelt. Wenn man jemanden fragt »Was ist das Gegenteil von alt?«, ist es vermutlich sogar irgendwie bedeutsam, ob die gefragte Person mit »jung« oder »neu« antwortet.
Der Titel dieses Films spielt einerseits mit der naheliegenden Erkenntnis, dass man im Rentenalter nicht mehr blütenfrisch ist, aber eigentlich ist dies auch ein konkreter Ausspruch, mit dem sich eine Alten-WG bei der neuen Nachbarschaft ankündigt. Es dauert nicht lang und im Satz »Wir sind die Neuen« klingt auch eine gewisse Kriegserklärung mit ...
Denn wie clever oder blöd es ist, mit 60 noch mal die Kerngruppe der Wohngemeinschaft aus Studententagen zusammenzuklappern, um aktiv Armut und Vereinsamung entgegenzuwirken, so sehr zum »alten Eisen« wie die humorfreien, ganz im Studientakt gefangenen und sich penibel Partystimmung oder Ruhestörungen verbittenden nicht einmal halb so alten neuen Nachbarn aus der WG über ihnen gehören Anne, Eddi und Johannes ganz sicher nicht.
Und so werden im Dienste des Humors die Fronten abgesteckt und die Eigenschaften scheinbar »falsch herum« verteilt. Die einen gehen mit dem Frisbee in den nahen Park, die anderen »haben Rücken«. Mitunter ist das durchaus sehr amüsant, vor allem, wenn die Alten die Rückenschmerzen einzeln auskosten und nachträglich gute Ratschläge zu »gesunder Sitzhaltung« etc. abgeben können.
Doch vieles in dieser Komödie ist zu offensichtlich einem Masterplan nachempfunden. Man erkennt von weitem, wie man die jeweils drei WG-Mitglieder paarweise zuordnen kann (der erfolglose Jurist darf der von den Gesetzbüchern überforderten helfen, der alte Schürzenjäger Lauterbach hilft bei Liebeskummer etc.). Und auch die gelegentlichen Dialogperlen leiden darunter, dass man irgendwann nur noch neue Worte für die unveränderte Konfliktsituation abspult. Alles ist zu sehr durchgeplant und harmlos, über Fernsehniveau kommt man nur selten hinaus, und auch der geschwätzige Voice-Over-Kommentar der Hauptfigur Anne (Gisela Schneeberger, einst Stichwortgeberin für Gerhard Polt) nervt irgendwann.
Mich persönlich hat auch etwas gestört, dass die zeitliche Einordnung der »Alten« offensichtlich absichtlich vage ausfällt, um möglichst vielen Zuschauern Identifikationspotential zu liefern. Einerseits spielt man gern mit dem 68er-Begriff (das ist 46 Jahre her), andererseits steht in Lauterbachs Wohnung eine Wham!-Single, was selbst bei Langzeitstudium nicht wirklich zusammenpasst.
Regisseur und Autor Westhoff hat zwar einige nette Ideen, aber mehr als den Beweis, dass auch eine deutsche Sitcom funktionieren könnte, bietet der Film nicht.
UK 2013, Buch: Stephen Greenhorn, Kamera: George Richmond, Schnitt: Stuart Gazzard, Musik: Paul Englishby, Songs: The Proclaimers, mit Antonia Thomas (Yvonne), Jason Flemyng (Harry), Peter Mullan (Rab), Jane Horrocks (Jean), George MacKay (Davy), Freya Mavor (Liz), Paul Brannigan (Ronnie), Kevin Guthrie (Ally), Daniela Nardini (Chef), Sara Vickers (Eilidh), Emma Hartley-Miller (Janice), Elaine M. Ellis (Morag), Robert Yates (Reveller), Paul McCole (Ewan), Gayle Telfer Stevens (Francine), Emily-Jane Boyle (Christine), John Spence (Brendan), Charlie Reid, Craig Reid (guys with horn-rimmed glasses getting out of a pub), 100 Min., Kinostart: 3. Juli 2014*
Die in ihren Heimatort Leith (Teil des schottischen Edinburgh) zurückkehrenden Afghanistan-Soldaten Davy und Alvy werden mit einem Dasein konfrontiert, das ähnlich traumatisch wie ihre Kriegserfahrungen ausfällt: sie befinden sich in einem Jukebox-Musical frei nach dem Bühnenerfolg, der auf den Songs des Spätachtziger-Popfolk-Duos The Proclaimers (500 Miles, Letter from America) aufbaut. Der tägliche Kampf um den Wiederaufbau alter Beziehungen (nicht nur mit den Freundinnen, sondern auch mit einem körperlich weniger unversehrt zurückgekehrten Kameraden) und um einen neuen Job (ziviler Kriegsschauplatz: ein Call-Center) findet seine Entsprechung in der Elterngeneration, wo Rab (Peter Mullan) und Jean (Jane Horrocks) rechtzeitig zur bevorstehenden Silberhochzeit ihre Ehe zu kitten trachten.
Ob der Soldatenalltag im Opener Sky takes the Soul oder die spätere Rehabilitation als Haupthandlung: ein paar kaum der Vergessenheit entronnene Songs (ich habe damals die gleichnamige CD gekauft und konnte nicht mal recht spezifizieren, warum mir der Titel vage bekannt vorkam) sind nicht unbedingt die perfekte Herangehensweise an Themen, die durchaus einer gewissen Ernsthaftigkeit bedürfen (und dabei habe ich das Recht auf individuelle Lebenserfahrungen, uneheliche Kinder und Brutalität als Damoklesschwert einer Beziehung noch gar nicht mitgezählt). Wie man es von einem Musical kaum anders erwartet, setzt sich schlussendlich der »uplifting spirit« mit einer das Heimatnest abfeiernden Massenchoreographie durch, was vermutlich auf der Bühne weniger absurd wirken dürfte als im Kino, wo man das Spartenpublikum (insbesondere in Deutschland) nur mühsam erreichen wird.
Immerhin haben die teilweise reichlich umarrangierten Songs selbst beim ersten Hören einen Mitwipp-Faktor und insbesondere die bekannteren Schauspieler (aber auch das Jungvolk) geben sich geflissentlich Mühe, beim Kreieren des Handlungsbogens wie beim Singen, das gerade die gemütvollen Passagen unterstützt. Das Thema »Sunshine« das in diesem Sommer auch in dem anderen aus dem Königreich stammenden, überzeugenderen Laune-Film vorherrscht (Walking on Sunshine, Start Ende September), wird hier vor allem zu touristischen Zwecken genutzt (Schottland: immer eine Reise wert), während man in der publikumstauglicheren Gegenveranstaltung nicht kleckert, sondern klotzt. Dennoch haben beide Filme die Existenzberechtigung eher verdient als so manche Sing-und-Tanz-Nummer mit fettem Budget, die hier und da eine Kinoleinwand okkupiert. Gerade so ein abgedrehtes Projekt wie ein Musical aus Songs einer Band, die ein Großteil der Bevölkerung vermutlich nur aus dem kaputten Tapedeck von Marshall Eriksons »Fiero« kennt, hat natürlich einen rebellischen Charme, dem man sich kaum entziehen kann, und ein Filmverleiher, der sich eines solchen Mauerblümchens annimmt, hat meinen tiefempfundenen Respekt und meine besten Wünsche verdient (obwohl Under the Skin vermutlich dringender einen Kinostart verdient hätte). Noch dazu in der heißen Phase der WM, wo man seine Neigung zum Herkunftsland des Fußballs wegen frühem Ausscheiden sämtlicher angelsächsischen Inselteams nun auf andere Weise Ausdruck verleihen kann.
* Nachtrag: Tja, von wegen Respekt und so. Nach Fertigstellung des Textes zeigte sich, dass der Filmstart von Sunshine on Leith nun doch wieder abgesagt wurde. Wahrscheinlich dann irgendwann auf DVD … Schade!
Originaltitel: Qu'est-ce qu'on a fait au Bon Dieu?, Frankreich 2014, Buch: Philippe de Chauveron, Guy Laurent, Kamera: Vincent Mathias, Schnitt: Sandro Lavezzi, mit Christian Clavier (Claude Verneuil), Chantal Lauby (Marie Verneuil), Ary Abittan (David Benichou), Medi Sadoun (Rachid Benassem), Frédéric Chau (Chao Ling), Noom Diawara (Charles Koffi), Frédérique Bel (Isabelle Verneuil), Julia Piaton (Odile Verneuil), Emilie Caen (Ségolène Verneuil), Elodie Fontan (Laure Verneuil), Pascal N'Zonzi (André Koffi), Salimata Kamate (Madeleine Koffi), Tatiana Rojo (Viviane Koffi), 97 Min., Kinostart: 24. Juli 2014
Meine Kritiken können ja manchmal reichlich vernichtend ausfallen, mitunter wird mir auch unterstellt, ich sei »launisch«. In diesem Fall profitiert der Film aber von einer meiner Launen, denn ich sah Qu'est-ce qu'on a fait au Bon Dieu? innerhalb eines kurzen Sichtungsfenster, dass ich im Nachhinein als meine »Klischee-Toleranz-Woche« auswies. Innerhalb dieser Woche amüsierten mich Klischees, die mich zu anderen Zeitpunkten vermutlich verärgert hätten (wie einige meiner Kollegen, die auf diesen Film reichlich erzürnt reagierten). Nun darf man dieses rein persönliche Phänomen nicht missverstehen, dadurch wird hieraus beileibe kein guter Film – nur eben ein Film, über den ich mich nicht aufgeregt habe. Hin und wieder muss man ja auch die positiven Aspekte sehen.
Die Story-Prämisse ist schnell umschrieben. Der einigermaßen katholische Gaullist Claude und seine Gattin Marie haben vier Töchter im heiratsfähigen Alter. Gleich zu Beginn sieht man in kurzer Abfolge (jeweils »Ein Jahr später«), wie drei davon heiraten, wobei die zu diesem Zeitpunkt dem Zuschauer unvertrauten Figuren jeweils durch drei Vornamen repräsentiert werden, die ich im Nachhinein gerne mitgeschrieben hätte. Denn sie machten überdeutlich klar, dass die Namen der Töchter (durch den deutschen Verleihtitel wird man ja auf den Umstand gestoßen) allesamt super-französisch klangen (auch wenn ich nie zuvor von einer »Ségolène« gehört hatte), während ihre Gatten (deren erste Vornamen Rachid, David und Chao lauten) jeweils einem unterschiedlichen Migrationshintergrund und / oder einer bestimmten Religion zuzuordnen sind. Das Vorurteil regiert also schon bei der namentlichen Vorstellung, und durch die dramaturgische Parallelität der drei Hochzeiten wird auch sichergestellt, dass man das humoristische Element dieser drei (ansonsten erstaunlich harmonischen) Eheschließungen nicht übersehen soll. Bei der dritten Hochzeit beschwert sich etwa der Fotograf beim Gruppenfoto darüber, dass einer der Anwesenden (natürlich Vater Claude) nicht lächelt, woraufhin der schauspielerisch nicht unnötig talentierte Christian Clavier (man kennt ihn aus Klamauk-Filmen wie Die Besucher oder einigen Asterix-Verfilmungen) sich ein Lächeln abringt.
Ehe der Film dann in seine zweite Phase übergeht und Marie und Claude, die nur im Schlafzimmer oder Auto, also fernab anderer Ohren, ihren Frust artikulieren, so etwa mit der Frage »Warum tut uns der liebe Gott das an?« auch ihre vierte Tochter »an einen Migranten verlieren« (ach wie witzig, dass sie ihren Verehrer als den guten Katholiken Charles ankündigt, aber dabei zu erwähnen vergisst, dass er ein »Schoko-Schock« ist), werden zunächst einmal die drei Schwiegersöhne sowie Claude und Marie nebst Töchtern bei einem gemeinsamen Essen aufeinander losgelassen und dürfen sich jeweils durch rassistische Klischees hervortun. Wie gesagt, ich beobachtete diesen sehr dialoglastigen Teil des Films, in dem man von chinesischen Hunderezepten bis zu unterschiedlichen Beschneidungszeitpunkten kaum ein potentielles Ärgernis ausließ, eher amüsiert. So wie einen Hundekampf, bei dem immerhin keine Ohren abgebissen wurden.
Apropos Hund: Ein kleiner Schoßhund Maries, der offensichtlich nur deshalb im Drehbuch vorkam, weil er bei einer vermeintlich feierlichen Beerdigungszeremonie der Vorhaut eines Enkels selbige durch geschultes Eingreifen runterschlucken kann, kam im weiteren Verlauf des Films (obwohl sich einiges davon im Haus von Claude und Marie abspielte) beinahe nie wieder vor (was ich dem Film in seiner allumfassenden Konstruiertheit übel genommen hätte: »Der Hund hat seine Schuldigkeit getan, der Hund kann gehen ...«), aber die Filmemacher gönnten dem kleinen Pinscher dann doch noch anderthalb Einstellungen, was ich schon zu den positiven Punkten des Films (denn so viele gab es davon ja nicht) zählen würde.
Mein in seiner Quasi-Subtilität liebstes Klischee des Films ist übrigens, dass in der Ehe mit dem Chinesen (natürlich versäumt man auch nicht, zu erwähnen, dass Asiaten laut allgemeinen Vorurteilen kleinere Pimmel haben) Zwillinge geboren werden, was auf indirekte Art und Weise den Bevölkerungsvorsprung des chinesischen Volkes umsetzt.
Bevor ich jetzt endlich zu Charles und Laure komme, noch ein Satz zum deutschen Verleihtitel. Monsieur Claude und seine Töchter lenkt die Aufmerksamkeit des potentiellen Kinogängers auf ganz andere Aspekte als der altbacken wirkende Originaltitel, und mit einer kurzen Erläuterung, was die Töchter »auszeichnet«, kann man den noch skeptischen Zuschauer schnellstens ins Bild setzen, was ihn (oder sie) in diesem Film erwartet. Es wird aber leider im Nachhinein durch diesen Titel noch stärker betont, dass der Film nicht nur rassistisch ist (auch, wenn ich glaube, dass sich die Filmemacher dieses Umstands zu einem Teil bewusst sind), sondern auch sexistisch, denn die Töchter mögen sich zwar eine gewisse Individualität und Unabhängigkeit dadurch erringen, dass sie offenbar aus tiefempfundener vorurteilsfreier Liebe geheiratet haben und nicht, um bestimmten gesellschaftlichen Konventionen zu entsprechen. Doch um die Töchter geht es in diesem Film so überhaupt nicht. Selbst die vierte Tochter Laure (Elodie Fontan), die eine etwas größere Rolle hat, bleibt fast komplett ohne Merkmale, insbesondere Tochter 1-3 zeichnen sich nur dadurch aus, dass sie (auch durch Verschwesterung) Familienfrieden anstreben und sich, als Stütze des französischen Volkes, innerhalb kürzester Zeit schwängern lassen. Wo in anderen Komödien die Karriereabsichten moderner Frauen immer als wichtiger Konfliktpunkt vorkommen, dienen die Damen hier fast nur als Enkel-Produktionsstätten.
Wenn es dann in der zweiten Hälfte des Films darum geht, dass Claude und Marie die von der Elfenbeinküste stammenden anderen Schwiegereltern André und Madeleine kennenlernen, zeigt sich zumindest ein klitzekleines bisschen Frauenpower, aber auch das wird übertüncht durch die überraschenden Ähnlichkeiten der Schwiegereltern (die Eltern sämtlicher anderer Schwiegersöhne hat man höchstens mal bei den Hochzeiten kurz erhaschen können): Marie und Madeleine favorisieren die selbe Bibelstelle, und Claude und André angeln und saufen gerne. Na, wenn das keine Multi-Kulti-Völkerverständigung ist. Es geht sogar so weit, das die älteren Herren die Kleidung tauschen und gemeinsam in einer Ausnüchterungszelle landen, ehe sie dann sogar den typische Rom-Com-Endspurt zum Bahnhof liefern.
Hmmm...
So richtig positiv (oder auch nur neutral amüsiert) ist mein Text dann im Endeffekt doch nicht ausgefallen, auch wenn ich so manches Ärgernis (Marseillaise-Chor!) oder Dummdreistigkeit (ein Schneemann mit Schlitzaugen, Bart und Kippa) noch gar nicht erwähnt habe. Also zum Schluss noch eine dritte »gute« Idee des Films (die Stellen, bei denen ich gelacht habe, verblassen in der Erinnerung, weil man sie fast durchgehend in Guess who's coming to Dinner? oder einer beliebigen Ben-Stiller-Komödie schon besser sah).
Zum Zeitpunkt, als sich die Multi-Kulti-Großfamilie nach anfänglichen Querelen einigermaßen zusammengerauft hat (auch, wenn dafür einige Puten in den Müllschlucker wandern mussten), befürchten die durch die Schneemannaktion verbrüderten drei Schwiegersöhne, dass »der Schwarze den Familienfrieden bedroht«, und es gibt eine Filmanalogie, die mir in ihrer Absurdität schon wieder gefallen hat. Es sei wie in Spielbergs Saving Private Ryan, wo man Matt Damon ja vor allem deshalb retten muss, weil seine drei Brüder vor ihm bereits alle im Krieg gefallen waren. Und deshalb wollen Rachid, David und Chao auch die vierte Tochter Laure retten, bevor auch diese an einen Migranten verloren geht. Nur komisch, dass ich es nicht so in Erinnerung habe, dass Private Ryan von jenen deutschen (?) Soldaten gerettet wurde, die für den Tod seiner Brüder verantwortlich waren. Aber man soll ja nicht immer so kleinlich sein …
Fazit: Nett bescheuerte Film-Analogie, für den Film überdurchschnittlich intelligente Idee mit den chinesischen Zwillingen, und der Hund taucht auch noch mal auf – man muss auch hin und wieder die positiven Aspekte sehen ;-)
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