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28. Januar 2015
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) (Alejandro G. Iñárritu)
Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) (Alejandro G. Iñárritu)
Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) (Alejandro G. Iñárritu)
Bildmaterial © 2015 Twentieth Century Fox
Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) (Alejandro G. Iñárritu)
Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) (Alejandro G. Iñárritu)
Birdman oder (Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit) (Alejandro G. Iñárritu)


Birdman
oder
(Die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)

(Alejandro G. Iñárritu)

Originaltitel: Birdman or (The Unexpected Virtue of Ignorance), USA / Kanada 2014, Buch: Alejandro G. Iñárritu, Nicolás Giacobone, Alexander Dinelaris Jr., Armando Bo, Kamera: Emmanuel Lubezki, Schnitt: Douglas Crise, Stephen Mirrione, Musik: Antonio Sanchez, Production Design: Kevin Thompson, Art Direction: Stephen H. Carter, mit Michael Keaton (Riggan Thomas), Edward Norton (Mike), Emma Stone (Sam), Naomi Watts (Lesley), Zach Galifianakis (Jake), Andrea Riseborough (Laura), Amy Ryan (Sylvia), Lindsay Duncan (Tabitha), 119 Min., Kinostart: 29. Januar 2015

Michael Keaton, Edward Norton, Emma Stone, Bester Film, Regie, Originalbuch, Sound Mixing, Sound Editing und natürlich Kamera. Kaum eine Rubrik, für die Birdman nicht oscarnominiert ist, aber das Ding ist m.E. viel zu verkopft, um abgesehen von der Kamera wirklich eine Chance zu haben. Die Bemühungen eines ehemaligen Superstars aus einer Filmreihe um den Superhelden »Birdman« (Michael Keaton), im St. James Theatre am Broadway mit einer Adaption einer Raymond-Carver-Kurzgeschichte sein Comeback zu feiern, werden durch allerlei künstlerische wie menschliche Probleme sabotiert, wobei eine superbewegliche Kamera die diversen Handlungsstränge »wie ohne Schnitt« (heutzutage kann man dabei ja viel mogeln) einfängt, und um das Theater herumwirbelt und dabei auch noch – wie nebenbei – die Gesetze von Raum und Zeit (natürlich im Dienst der Filmgeschichte) durchbricht. Teilweise schaut die Kamera dabei sogar Leuten »über die Schulter«, die sich sozusagen zweimal im Bild befinden (ohne, dass einen das als Zuschauer unnötig verwirrt, weil halt der ganze Film auf so einer wackligen Realitätsebene arbeitet).

Das ist nicht ganz so arty-farty und nicht ganz so übertrieben hochemotional wie Iñárritus frühere Filme (21 Grams, Babel etc.), aber schon eine riesige Angebernummer. Zugegeben, mit einigen wirklich netten Ideen (die Filmmusik liefert durchgehend ein Drummer aus einer Theaterküche – oder zur Abwechslung mal von der Straße aus), aber auch mit vielen sehr anstrengenden Figuren, die aber nicht durchgehend überzeugen. Dass Zach Galifianakis mal keine einzige Pointe zugesprochen bekommt, ist ganz lustig, und dass Edward Norton das Method-Acting auf eine neue Ebene der Lächerlichkeit hievt (»I think he's drinking real gin …«), ist ein Höhepunkt. Und Michael Keaton macht seine Sache auch ganz gut. Aber das Ganze ist so schrecklich darum bemüht, in jedem Moment superclever daherzukommen, dass die emotionalen Momente oft auf der Strecke bleiben. Die von Emma Stone gespielte Tochter des Birdman konnte mich etwa zu keinem Zeitpunkt überzeugen, und das muss gar nicht an der Schauspielerin liegen, sondern daran, dass der von ihr porträtierten Figur in relativ wenigen Szenen reichlich viel abverlangt wird. Man glaubt also schon dem Drehbuch nicht, und erst in den Schlussszenen des Films gelingt es der Darstellerin, die emotionale Fallhöhe zu erreichen, die die vier (!) Autoren ihr »untergejubelt« haben.

Nicht nur an der früheren Filmrolle von Keaton und dem überzogenen Schauspielanspruch von Norton kann man erkennen, dass alles selbstreferentiell bis über das Parodistische hinaus ausfällt, etwa wenn Norton auf der Bühne tatsächlich einen überproportionierten Ständer bekommt und mal wieder einen auf »Method« machen will. Solche Momente sind recht unterhaltsam (mit Edward Norton als Hauptfigur hätte ich den Film vermutlich mehr gemocht), aber die ganze post(postpost)moderne Reflexion über Schauspieler, Regisseure, Social Media und sogar Kritiker nervte mich irgendwann schon ein bisschen. Auch, weil sich der Film viel Mühe gibt, etwaigen Kritikpunkten zuvorzukommen. Wenn es hier in den Dialogen (über die Dialoge) heißt, etwas sei »Oprah Hallmark R. Kelly bad", dann zeugt das nicht etwa von einer gesunden Selbstironie (die aber manchmal auch durchscheint), sondern von einem Film, der so verdammt clever ist, dass er einen als Betrachter immer »außen vor« lässt.

Ich weiß, dass viele Kritiker auf so etwas abfahren, sich den Film mehrfach reinziehen und immer mehr entdecken und verstehen, wo ich mich schon nach etwa einer Stunde innerlich verabschiedet habe, aber da kenne ich andere Filme, die mir das Gefühl geben, dass sie es verdient haben, besonders viel in sie zu investieren und dafür dann reich belohnt zu werden. Maybe it's just not my cup of tea – und meine bisherigen Erfahrungen mit dem Regisseur haben den Film sicher nicht unterstützt. Wer indes auf Iñárritu steht, wird vermutlich weggeflasht werden. Aber so, wie mir das bei zunehmend überschätzten Regisseuren wie Nolan oder von Trier schon seit Jahren nicht mehr passiert, kam das bei Iñárritu bisher höchstens mal ansatzweise vor.