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Bildmaterial © 2014 Sony Pictures Releasing GmbH
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St. Vincent
(Theodore Melfi)
USA 2014, Buch: Theodore Melfi, Kamera: John Lindley, Schnitt: Sarah Flack, Peter Teschner, Musik:Theodore Shapiro, mit Bill Murray (Vincent MacKenna), Jaeden Lieberher (Oliver Bronstein), Melissa McCarthy (Maggie Bronstein), Naomi Watts (Daka Parimova), Chris O'Dowd (Brother Geraghty), Terrence Howard (Zucko, Kimberly Quinn (Nurse Ana), Lenny Venito (Coach Mitchell), Nate Corddry (Terry), Dario Barosso (Ocinski), Donna Mitchell (Sandy), Ann Dowd (Shirley, Sunnyside Administrator), Scott Adsit (David), Reg E. Cathey (Gus), Deirdre O'Connell (Linda), Ray Iannicelli (Roger), Greta Lee (Teller #23), Maria Elena Ramirez (Amelda), Ron McLarty (Principal O'Brien), Addison Rose Melfi (Girl in Class), Teddy / Jagger (Felix the Cat), 102 Min., Kinostart: 8. Januar 2015
Manchmal ergeht man sich ja in Tagträumen, wie wohl der eine Film mit einem anderen Hauptdarsteller geworden wäre. Und nicht nur bei Horrorvisionen mit Ronald Reagan. Aktuell habe ich sogar erfahren, dass Jeffrey Combs (Weyoun in DS9) auch mal für die Rolle vorgesprochen hat, mit der Jonathan Frakes bekannt wurde.
Bill Murray ist so jemand, dem man manche Rolle zutraut (so lange es nur kein US-Präsident oder CGI-Kater ist). Und in seinem neuesten Film bietet er auch eine Vorstellung, die zwei prominente Darstellungen seiner Kollegen quasi »interpretiert« und in neue Gefilde führt. Denn wie Murray hier in Camouflage-Shorts durch sein Leben schlurft, erinnert zum einen an Jeff Bridges als The Big Lebowski, aber gleichzeitig entspricht die Handlungsstruktur von St. Vincent in groben Zügen Clint Eastwoods Gran Torino: Ein mürrischer alter Griesgram will einfach nur seine Ruhe, gerät dann aber in eine (nur im Eastwood-Fall brutale) Rachegeschichte mit einem Nachbarsjungen, der ein klitzeklein wenig an sein Herz rührt. Obwohl der aufstrebende Kinderstar Jaeden Lieberher als Oliver zwar im gefährlich liebenswerten Alter ist, wird hier glücklicherweise keine kitschtriefende »Little Lord Fauntleroy«-Kiste daraus (so ein Film, den meine Mutter jedes Jahr zu Weihnachten schaut und bei dem ich schon bei der glockenhellen feinmodellierten Synchronstimme des »kleinen Lords« die Mentalkrätze bekomme). Dazu beherrscht Murray emotionale Nuancen einfach zu meisterhaft und schafft es, sich seine Griesgrämigkeit und Sturheit ebenso zu bewahren wie das Geheimnis, dass er doch ein mitfühlender und opferbereiter Mensch ist, eben ein Quasi-Heiliger, dieser »St. Vincent«.
Die eigentliche Geschichte trägt übrigens autobiographische Züge des Regisseurs und Drehbuchautors Theodore Melfi, der einst seine elfjährige verwaiste Nichte adoptierte, die jene Hausaufgabe mit sich brachte, auf der der ganze Film basiert: »Find the Catholic saint that inspires you, and find someone in your real life that mimics the qualities of that saint.« Und an dieser Stelle eine zweite Entwarnung, denn auch, wenn Oliver tatsächlich eine religiös angehauchte Schule besucht (»I’m a catholic, which is the best religion, because we have the most rules.«), so wächst sich die ganze Heiligen-Sache nie so aus, dass sie das Vergnügen am Film verderben könnte. Dafür sorgt nicht nur Murray, sondern auch der wie immer großartige Chris O'Dowd als Brother Geraghty. Die Nebendarsteller überzeugen übrigens durchgehend. Nur kurz erwähnt: Nate Corddry aus Mom. Melissa McCarthy hat man zumindest auf der Kinoleinwand noch nicht so zurückhaltend agieren sehen wie hier (und wenn sie ein paar Klamaukfreunde ins Kino lockt, ist das auch okay), Naomi Watts bietet hier die komische Variation einer Russin, wie sie sie »in ernsthaft« schon in Cronenbergs Eastern Promises darbot (okay, streng genommen war das eine Halbrussin), nun mit Babybauch und recht ulkigem Akzent. Und Terrence Howard spielt hier zwar einen etwas klischeebeladenen Gangster, aber sein kleiner Auftritt unterstützt den Film ebenfalls, denn durch die drohende Gefahr eines Geldeintreibers kann »Bill & Ted's Excellent Adventure« nur gewinnen (der Regisseur heißt Theodore, falls jemand beim Lesen den Faden verloren haben sollte), denn die Fallhöhe ist durchaus wichtig.
Und so kann man sich ganz auf einen Bill Murray in prächtiger Spiellaune konzentrieren, und seinen Co-Star Lieberher, der übrigens aufgrund der guten Zusammenarbeit mitausschlaggebend war, dass Murray nun bereits wieder mit ihm dreht (oder drehte), unter der Regie von Cameron Crowe.
Und dieses seltsame Paar hat einige wirklich tolle Momente gemeinsam, weil es für ein Kind (und für Kinozuschauer) immer von Vorteil ist, wenn der vermeintliche Babysitter vor allem mit Alkohol und einer »Lady of the Night« beschäftigt ist, wenn er einem nicht gerade beibringt, wie man möglichst effektiv auf eine Nase schlägt, die einem nicht behagt. So lernt Oliver bspw. Abbott & Costello kennen (Komiker aus der Schwarz-Weiß-Ära, für die Leser in Olivers Alter), was einen der schönsten Dialoge des Films initiiert:
»Are they old?«
»No, they're dead. The oldest you can get!«
Ach ja, ein Detail, das vermutlich in den meisten Kritiken zum Film ausgewalzt wird, bleibt hier unerwähnt, weil der Zuschauer es selbst erfahren soll. In Robert Altmans The Player wird mal der Pitch zu einem Sequel von The Graduate gebracht, bei dem selbiges Detail Argwohn erweckte, aber St. Vincent beweist, dass man auch unkomische Themen angemessen in eine Komödie einbringen kann. Da können die Macher eines aktuellen deutschen Erfolgsfilms vermutlich noch viel lernen …