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12. August 2015
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Coconut Hero (Florian Cossen)


Coconut Hero
(Florian Cossen)

Deutschland 2015, Buch: Elena von Saucken, Kamera: Brendan Steacy, Schnitt: Philipp Thomas, Musik: Matthias Klein, mit Alex Ozerov (Mike Tyson), Bea Santos (Miranda), Krista Bridges (Cynthia), Sebastian Schipper (Frank), Jim Annan (Pastor Harris), R.D. Reid (Bestattungsunternehmer), Jeff Clarke (Arzt), David Tompa (Sozialarbeiter Steven), Udo Kier (Therapeut Mr. Morrow), 100 Min., Kinostart: 13. August 2015

»Faintville«, Kanada. Mike Tyson (Alex Ozerov) sieht keineswegs aus wie der beißwütige Boxer mit dem Gesichtstattoo, sondern ist ein scheuer, blasser, introvertierter 16jähriger mit schwarzen Haaren, der einen nicht in nicht geringem Maße an Craig Roberts in Submarine oder Bud Cort in Harold and Maude erinnert. Und gerade von Harold hat man mit Ausnahme seiner 80jährigen Freundin reichlich für diesen Film übernommen. Aber das ist diesmal gar kein Vorwurf, denn es klappt vorzüglich. Wo Harold gerne Beerdigungen besucht, sich aus dem von der Mutter geschenkten Sportwagen einen Leichenwagen bastelt und spektakuläre Fake-Selbstmorde inszeniert, die aber auf sein eingeschränktes Publikum – die Mutter – längst keinen Eindruck mehr machen, meint Mike das mit dem Selbstmord ernst, annonciert sogar seine eigene Todesanzeige – und überlebt dann wegen eines blöden Details doch. Und wird noch stärker zum Gespött in der Schule, wo ihn selbst Kids, die fünf Klassen unter ihm sind, mit dem »Mike-Tyson-Alarm« (»Mr. Tyson, please don't rape me, I'm still so young!«) veräppeln. Nach einem Gespräch mit einem Geistigen (die Termine bei Therapeuten etc. findet man natürlich auch in Hal Ashbys Kultklassiker aus dem Jahre 1971) kommt Mike dann auf die Idee, einfach direkt im Gebet um seinen Tod zu bitten (»Hey Jesus, now listen up!«). Und als ihm sein Arzt kurz darauf eröffnet, dass er einen walnussgroßen Gehirntumor hat, scheint die Jesus-Masche tatsächlich zu funktioniert zu haben. Mike ist um einiges besser drauf, informiert sich bei Bestattern und Friedhofsgärtnern über Details, erzählt aber seiner Mutter nichts vom Tumor und entscheidet sich auch strikt gegen irgendwelche Untersuchungen oder Eingriffe.

Coconut Hero (Florian Cossen)

Bildmaterial © Majestic

Die ultimative Ironie der Geschichte besteht darin, dass er die Leiterin seines Kurses für »Bewegungstherapie« bittet, mit ihrem Pick-up-Truck die beim Sägewerk gestohlenen Latten zu sich nach Hause zu bringen, mit denen er seinen preiswerten Do-it-yourself-Sarg basteln will. Und auch, wenn Mike sich der geringfügig älteren jungen Frau (die zauberhafte Bea Santos als Miranda) gegenüber eher unflätig verhält (Frisuren kritisieren … ganz gefährlich!), sieht diese seinen »Hilferuf« quasi als Flirtinitiation und scheint durchaus nicht abgeneigt. Nicht, dass Mike das auf Anhieb kapieren würde …

Coconut Hero (Florian Cossen)

Bildmaterial © Majestic

Gleichzeitig taucht auch noch Mikes Vater auf, der aus Deutschland stammende Frank (Sebastian Schipper), der sich bisher nur dadurch auszeichnete, dass er sich kurz nach der Geburt aus dem Staub machte und für Mikes tollen Nachnamen verantwortlich zeichnet (ich muss zugeben, dass ich an der Stelle, wo das erklärt wurde, nicht so superaufmerksam war). Ausgerechnet durch Mikes (falsche) Todesanzeige sieht Frank sich motiviert, mal »vorbeizuschauen« …

Coconut Hero (Florian Cossen)

Bildmaterial © Majestic

Abgesehen vom Kontostand erinnert auch Mikes Mutter an die von Harold. Ganz konkrete (eher rudimentär vorhandene) Erziehungsmethoden statt Einfühlungsvermögen oder der Gabe, mal zuzuhören. Und die ganze Selbstmordkiste wird beinahe komplett ignoriert: Wenn Mike nach einem »Unfall« mit der Flinte einen Verband am Kopf trägt, schickt sie ihn direkt aus dem Krankenhaus zurück in die Schule und sagt, er soll besser behaupten, er hätte sich den Kopf gestoßen. Was seine Situation natürlich höchstens noch verschlechtert …

Coconut Hero (Florian Cossen)

Bildmaterial © Majestic

Ich will hier gar nicht die ganze Geschichte nacherzählen, weil es durchaus einige überraschende Wendungen gibt. Die positivste Überraschung ist aber die leichtfüßige Inszenierung. Ich bin aus irgendwelchen Gründen kein großer Fan von so typischen Montagestrecken, die mit Musikteppich unterlegt längere Zeitphasen wie Rocky Balbaos Boxtraining oder jene Tagesabschnitte, in denen bei Baywatch mal gerade keiner am Absaufen ist, bebildern. Aber das ist in Coconut Hero ein ziemlich hervorragend funktionierendes Stilmittel, das als Beigabe auch noch die Leistung der jungen Darsteller durch den Zauber der Montage sehr unterstützt. Auch die Musikauswahl und ein Hang zu Zeitlupeneinstellungen zeugen hier davon, dass Florian Cossen (Das Lied in mir) seinen Job versteht und seine Drehbuchautorin Elena von Saucken (man teilt sich sogar die title card!) ebenfalls. Zwischendurch hat man Zeit für hübsche Details wie Mikes künstlerische Ader, die sich natürlich auch wieder um sein Lieblingsthema Tod dreht. Und die kleine scheue Liebesgeschichte ist auch so stilsicher erzählt, dass es ein Vergnügen ist. Selbst ein Kneipenausflug mit dem Vater, bei dem der dem Minderjährigen einfach mal eben einen Schuss Bier für seine Cola abgibt, zeugt von einer Zärtlichkeit, die den ganzen Film durchdringt und nur ganz selten etwas übertrieben wird (Parallelmontage Haarewaschen).

Coconut Hero (Florian Cossen)

Bildmaterial © Majestic

Der eine Woche früher angelaufene About a Girl ist übrigens die ideale Ergänzung für ein jugendliches »Love & Death«-Double Feature – und man kann dabei trotz der vielen Parallelen davon ausgehen, dass diejenigen, die beide Filme sehen, trotz vieler Ähnlichkeiten jeweils einen Film besser als den anderen finden werden. Unter anderem, weil die Auflösung der Geschichte (Kriegen sie sich? Wird das Selbstmordopfer gerettet?) faktisch wie auch vom Tonfall her unterschiedlich ausfällt. Ich fand die Kokosnuss-Variante eine Spur ansprechender, kenne aber auch Leute, die gerade damit so ihre Probleme hatten.

Einfach beide anschauen und selbst ein Bild machen. Ich bin mir bereits jetzt sicher, das es nicht so viele bessere deutsche Filme dieses Jahr geben wird.