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11. November 2015
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Irrational Man (Woody Allen)
Irrational Man (Woody Allen)
Bildmaterial © 2015 GRAVIER PRODUCTIONS, INC.
Photos: Sabrina Lantos

Irrational Man (Woody Allen)
Irrational Man (Woody Allen)


Irrational Man
(Woody Allen)

USA 2015, Buch: Woody Allen, Kamera: Darius Khondji, Schnitt: Alisa Lepselter, Kostüme: Suzy Benzinger, Art Direction: Carl Sprague, Set Decoration: Jennifer Engel, mit Joaquin Phoenix (Abe), Emma Stone (Jill), Parker Posy (Rita), Jamie Blackley (Roy), Betsy Aidem (Jill's Mother), Ethan Phillips (Jill's Father), Robert Petkoff (Paul), Sophie von Haselberg (April), Susan Pourfar (Carol), Tom Kemp (Judge Spangler), Kate McGonigle (Ellie), 95 Min., Kinostart: 12. November 2015

Joaquin Phoenix hat ja mitunter so eine rebellische Ader (I'm still here), und darauf bezogen scheint ihm seine Rolle im neuen Woody-Allen-Film wie auf den Leib geschneidert: unrasiert und mit fettiger Tolle tritt er einen neuen Job als Universitätsdozent an – und ca. für die ersten vierzig Minuten des Films gibt es kaum mal eine Stelle, wo er nicht einen Flachmann, Plastikbecher oder ein Whiskyglas in der Hand hält. Der ultimative Frauenschwarm ist das nicht gerade.

Aber offensichtlich gibt es Studentinnen (und Lehrstuhlkolleginnen), die ihn rein aufgrund seiner Publikationen und mentalen Fähigkeiten »verehren« – was man im Film anhand der von Emma Stone und Parker Posey gespielten Damen recht deutlich erkennt.

Joaquin als »Abe« doziert indes über Kants kategorischen Imperativ, der selbst dann greifen sollte, wenn man von einem Killer gefragt wird, wo sich sein potentielles Opfer versteckt. Die ultimative Ehrlichkeit klingt beim Rollennamen (»Honest Abe« war der Spitzname von US-Präsident Lincoln) zwar durch, aber Abe macht auch schon früh im Vorlesungsraum eines klar: »There's a difference between a theoretical world of philosophical bullshit and the real world.«

Dieser Standpunkt passt aber eher für den (filmmäßig gesehen) »frühen« Abe, denn neben einer allgemein eher schlechten Laune und wenig Interesse an seiner Umwelt leidet er auch noch an einer Schreibblockade, die sich auch auf andere Bereiche auszudehnen scheint. Aber sowohl Emma Stone als Studentin Jill als auch Parker Posey als Kollegin Rita wollen ihm helfen ... seinen »zest for life« neu zu entwickeln und – das klingt auf Englisch einfach so schön – »to get his creative juices flowing«.

Und siehe da, nachdem Abe bei Rita auch sexuell keine Tinte auf dem Füller hatte, findet er einen neuen Lebensinhalt – und die doch reichlich naive Jill (die wie Rita eigentlich in festen Händen ist) bildet sich ein, dass sie daran ausschlaggebend beteiligt ist. Doch in der zweiten Hälfte des Films entwickelt sich Irrational Man zu einer Art Dostojewski-Exkursion. Wobei Jill alle seine Bücher kennt, man bei Abe aber nur – und das ist bezeichnend – Schuld und Sühne und den Idioten herumliegen sieht. Plötzlich sieht Abe wieder einen Sinn im Leben, will wieder Zimt auf seinen Croissant – und im Bett funktioniert es auch wieder. Denn ausgerechnet seine philosophischen »Bullshit«-Theorien will er nun auf sein Leben anwenden ... ohne Rücksicht auf Verluste.

Schon zu Beginn des Films, der mit der Phoenix- und der Stone-Figur zwei Erzähler hat, fühlte ich mich an Woody Allens Bemühungen, Tragödie und Komödie gegeneinander auszuspielen (siehe auch Melinda and Melinda), erinnert. Und in mir keimte der Verdacht, dass vielleicht Emma Stone in einer Komödie steckt, Gevatter Phoenix indes eher in einer Tragödie.

Ausnahmsweise war es aber so, dass Allen, über den ich in letzter Zeit nur wenig positives verlauten ließ, mich diesmal tatsächlich mal mit dem Richtungswechsel seines Films überraschen konnte. Und deshalb will ich diesbezüglich auch nicht alles ausplaudern. Nur soviel: der Film fügt sich durchaus ins übrige Werk Allens – nur in eine Kategorie, die sich prozentual nicht so völlig nach vorne drängt.

Aber zurück zu den zwei Erzählerstimmen. Hierbei ist mir aufgefallen, dass mehrere ganz konkrete Phrasen (z.B. der »zest for life« und das mit den »creative juices«) sich bei beiden Erzählerfiguren finden lassen – und nicht immer lässt sich das durch aufgegriffene Zitate erklären, so dass ich mich auch fragte, ob an dieser Stelle der Autor Allen, der ja hinter den Kulissen seiner Figuren werkelt, ein wenig den Überblick verloren hat – oder ihm der Wiedererkennungswert einfach wichtiger war als die Trennung zwischen den Figuren. Um dabei aber ins Detail zu gehen, müsste ich den Film öfter als einmal sehen – und so tierisch interessiert es mich dann auch wieder nicht.

Aber damit bin ich schon wieder bei meiner Beschäftigung angekommen, auf den armen alten Mann (wird am 1. Dezember übrigens 80) einzuschlagen. Denn wo es dem Drehbuch (neben einer gewissen Subtilität) leider mangelt, ist die Einarbeitung der Figuren in ein eigenes Universum. Emma Stone hat irgendwie den Status der Hauptfigur und bekommt mit zwei oder drei Kommilitonen, einem Freund und ihren Eltern (darunter Ethan »Neelix« Phillips) immerhin einige Ansprechpersonen, aber Phoenix und Posey existieren quasi in einem luftleeren Raum. Vermutlich ist das ein weitverbreiteter Zustand in unzähligen Filmen, aber diesmal störte mich das, weil die ganze Konstruktion mir zu simpel erschien. Zusätzlich hatte ich auch das Gefühl, dass Emma Stone (für die ich längere Zeit eine Schwäche hatte) sich doch eher auf Komödien beschränken sollte, weil sie mich hier mit ihrem gespielten Erstaunen (und anderen Emotionsausdrücken) so überhaupt nicht überzeugen konnte (von der absurden Szene, wo sie geistesgegenwärtig ihren Rocksaum runterzieht, gar nicht zu reden). Ihre Rollen- und Filmauswahl in letzter Zeit (Birdman, Aloha) wirkt auf mich (Oscargedöns hin oder her) auch nicht besonders gelungen – da hat sie mich in der Frühzeit ihrer Karriere weitaus stärker beeindruckt (selbst in den eher kleinen Rollen in The Rocker, House Bunny oder Ghosts of Girlfriends Past).

Alles in allem ist Irrational Man aber – auf Woody Allen bezogen – wieder ein Hoffnungsschimmer.