Live By Night
(Ben Affleck)
USA 2016, Buch: Ben Affleck, Lit. Vorlage: Dennis Lehane, Kamera: Robert Richardson, Schnitt: William Goldenberg, Musik: Harry Gregson-Williams, Kostüme: Jacqueline West, Production Design: Jess Gonchor, Supervising Art Directors: Christa Munro, Bradley Rubin, mit Ben Affleck (Joseph »Joe« Coughlin), Zoe Saldana (Graciela), Chris Messina (Dion Bartolo), Chris Cooper (Chief Irving Figgis), Sienna Miller (Emma Gould), Elle Fanning (Loretta Figgis), Remo Girone (Maso Pescatore), Robert Glenister (Albert White), Miguel J. Pimentel (Esteban Suarez), Matthew Maher (RD Pruitt), Max Casella (Digger Pescatore), JD Evermore (Virgil Beauregard), Clark Gregg (Calvin Bondurant), Anthony Michael Hall (Gary L. Smith), 129 Min., Kinostart: 2. Februar 2017
In seiner vier Filme umspannenden und etwas überschätzten Regiekarriere hat Ben Affleck gleich zwei Romane des ebenfalls aus Boston stammenden Krimiautors Dennis Lehane verfilmt. Und zwar nicht etwa irgendwelche in sich abgeschlossene Werke, die sich zur Verfilmung allesamt mal anboten haben, wie Mystic River oder Shutter Island, sondern erstaunlicherweise jeweils »mittlere« Bände aus Buchserien. Zunächst Gone Baby Gone, den vierten Roman aus der mittlerweile sieben Bücher umspannenden Reihe um die zeitgenössischen Privatdetektive Patrick Kenzie und Angie Gennaro. Und nun den zweiten von bisher drei Bänden, die die Geschicke der irischstämmigen (fiktiven) Familie Coughlin schildern.
Ich kann nur für mich selbst sprechen, aber mich hat der erste Coughlin-Band, The Given Day, am meisten angesprochen. Weil die epische Breite (733 Seiten) und das Befassen mit historischen Themen 2008 noch neu war für Lehane (Shutter Island spielte auch in einem historischen Setting, konzentriert sich aber nicht so stark darauf), während dies im Nachfolgeband Live by Night schon wie eine »Wiederholung« wirkte, gerade auch die deutliche Betonung auf den Kampf für die Rechte von Minderheiten (natürlich ein edles und zu begrüßendes Unterfangen, aber es wunderte schon ein bisschen, wie sehr der Autor den Fokus wiederholt darauf legte). So wie der Kriminalfall aus Gone Baby Gone in Moonlight Mile ein spätes Romansequel erfuhr, schließt auch World gone by ans Schicksal der Hauptfigur aus Live by Night an. In Afflecks Verfilmung wird auch auf diese Fortsetzung verwiesen (quasi ein Augenzwinkern in die Richtung der Lehane-Leser), wenn man ein Statement über die nächsten acht Jahre abgibt (habe ich so beim Durchblättern des Buches nicht wiedergefunden), was auch nicht weiter stört, weil es dem uneingeweihten Kinogänger nicht auffallen wird. Was aber dem »Nur-Kinogänger« auffallen wird, ist eine Szene am Schluss, in der es um Joes Bruder geht, der im gesamten Film exakt zwei mal erwähnt wird und nie zu sehen ist. In dieser Szene spürt man, dass Ben Afflecks Respekt vor Lehane größer ist als sein common sense als Filmemacher, denn die Szene ist so überflüssig wie störend, wenn man eben nicht weiß (wie es für viele Kinogänger sein wird), dass Aiden »Danny« Coughlin die Hauptfigur aus The Given Day war.
Bildmaterial: Claire Folger © 2016 Warner Bros. Entertainment Inc. All rights reserved.
Dies ist aber nicht das einzige Problem des Films. Die epische Breite des Buches überträgt sich nicht besonders gut auf das Spielfilmformat, die etwas zwiespältige Karriere Coughlins wirkt als Voice-Over von Ben Affleck mehrfach etwas zu sehr von sich eingenommen. Die große Liebe zu Graciela aus dem Buch wird im Film mit tausendmal gesehenen Hollywoodbildern abgearbeitet, die Verknüpfung mit dem Familienschicksal von Polizeichef Figgis wird durch die Besetzung mit Oscar-Gewinner Chris Cooper und Shooting Star Elle Fanning viel zu sehr betont, während etwa Joes wichtigster Vertrauter, Dion (Chris Messina), in den Hintergrund verdrängt wird, wobei es so wirkt, als hätte der Hauptdarsteller und Regisseur darauf geachtet, selbst gut dazustehen. (Die irisch-italienische connection wird in Lehanes Büchern nicht nur bei Kenzie und Gennaro betont.)
Während die Coughlin-Bücher von Lehane eine wichtige Position in der Karriere des Autors einnehmen, hat man beim Film das Gefühl, dass man zwar großen Filmen wie Miller's Crossing oder sogar der Godfather-Trilogie hinterherstrebt, aber ihnen nicht ansatzweise nahekommt.
Bildmaterial: Claire Folger © 2016 Warner Bros. Entertainment Inc. All rights reserved.
Am stärksten fiel mir das auf in einer Sequenz, bei der man das Gefühl hat, sie solle wie ein Höhepunkt des Films dastehen, während die langgezogene Schießerei sich vor allem dadurch auszeichnet, dass Figuren gegeneinander antreten, dem Betrachter weder besonders viel bedeuten, noch die Inszenierung die angestrebte Spannung liefern kann. Man sieht einfach diverse Gangster aus zwei verschiedenen Lagern, die sich gegenseitig über den Haufen schießen, und mittendrin ist auch Ben Affleck zugegen, der zwar, wie einem im Nachhinein suggeriert wird, die Lage halbwegs durchgehend im Griff hat und nur beim Timing durch (ebenfalls eher suggerierte als durch die Handlung bewiesene) Intelligenz die Oberhand behält.
Am eigentümlichsten wirkt im Film die Nebenhandlung um die vom Weg abgekommene Tochter des Polizeichefs, Loretta (Elle Fanning). Nicht nur habe ich mir diese Figur im Roman völlig anders vorgestellt, auch wirkt die Passage im Film übereilt (insbesondere der späte »Bekehrungsversuch« durch den Polizeichef) und bringt die Haupthandlung irgendwie ins Straucheln (ich konnte das laute Stöhnen der Kritikerkollegen hören, als der Film zu einer Art Epilog anhob, die einem als bloßen Kinogänger so unangebracht wie unnötig erscheint).
Bildmaterial: Claire Folger © 2016 Warner Bros. Entertainment Inc. All rights reserved.
Das schlimmste Verbrechen der Verfilmung ist es, dass man (ich kann dies nur eingeschränkt beurteilen, weil ich ja das Buch schon kannte) durch den Film meines Erachtens nicht im geringsten Lust auf den Roman bekommt. Ganz im Gegenteil. Das war selbst bei Gone Baby Gone, der in meinen Augen als Film auch ein paar Probleme hat, nicht so deutlich der Fall.
Es gibt ja bei Regisseuren (selbst bei den ganz großen) dieses Phänomen, dass man manchmal beobachten kann, wo sie sich in die Hauptdarstellerin verliebt haben (das kann sogar eine florierende und Jahre anhaltende richtige Beziehung sein) und darüber hinaus die Fähigkeit verloren zu haben scheinen, sich auf das Wohl des jeweiligen Films zu konzentrieren. Bei Live by Night beschleicht einen der Verdacht, Affleck hätte sich in den Roman verliebt, sei aber ungeeignet, dieses Gefühl auf den Zuschauer zu übertragen. Und diese Einsicht, die den Film zum Teil sogar noch retten mag, erhält man auch nur, wenn man das Buch kennt.
Was letztlich zum irgendwie traurigen Fazit führt: Lieber das Buch lesen (oder gleich die Trilogie), und wenn man dann dieses ins Herz geschlossen hat und vielleicht ein besonderes Faible für einige der Filmdarsteller hat, kann man dem Film immer noch eine Chance geben. Man sollte aber nicht zu viel erwarten!
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Den positivsten Eindruck im Film machte auf mich Matthew Maher, der aus der Rolle eines unsympathischen Ku-Klux-Klan-Anführers tatsächlich eine trotz der brutalen Stumpfsinnigkeit der Figur anrührende Miniatur schuf.
Und dem »Vorwurf« auf imdb, dass Affleck für den Film gut zwei Jahre brauchte, was irgendwie impliziert, dass er mit dem Material (Adaption, Schnittphase) nicht klar kam, kann ich übrigens soweit revidieren (ja, ich nehme hier Ben Affleck in Schutz!), dass der sehr spät geplante Start des Film mir bereits aufgefallen war, als glaube ich noch nicht einmal die Dreharbeiten abgeschlossen waren. Ich erahne die Begründung dafür in der vermutlich zeitaufwendigen Karriere als Schauspieler, wenn man hin und wieder den Batman spielen muss. Ich könnte mir auch vorstellen, dass Affleck eine Art »Deal« von den Warner Studios angeboten bekam, dass er dafür dieses seit Jahren gehegte Traumprojekt umsetzen kann - aber evtl. unter der Bedingung, dass die Post-Production den Dreharbeiten zum Justice League-Film nicht im Weg stehen darf. Denn daran knüpft sich eine ungleich größere Verpflichtung des Konzerns.
Was genau indes dazu führte, dass Affleck jetzt doch nicht die Regie beim ersten »richtigen« Batman-Film mit ihm in der Hauptrolle übernehmen wird, darüber möchte ich nicht spekulieren. Mir erscheint es jedoch auffällig, dass die universell am gelungensten eingeschätzte Regiearbeit Afflecks, Argo, offenbar nicht unter großem Zeitdruck entstand. Und da der Start von Live by Night nicht gerade euphorisch gefeiert wurde, spricht es durchaus für Affleck, sich eines vermutlich noch heftigeren Drucks nicht auszusetzen.