Loving
(Jeff Nichols)
USA 2016, Buch: Jeff Nichols, Vorlage (Doku): Nancy Buirski, Kamera: Adam Stone, Schnitt: Julie Monroe, Musik: David Wingo, Kostüme: Erin Benach, Production Design: Chad Keith, mit Ruth Negga (Mildred Loving), Joel Edgerton (Richard Loving), Marton Csokas (Sheriff Brooks), Nick Kroll (Bernard Cohen), Terri Abney (Garnet), Alano Miller (Raymond), Sharon Blackwood (Lola Loving), Jon Bass (Philip Hirschkop), Michael Shannon (Grey Villet), Christopher Mann (Theoliver), Will Dalton (Virgil), David Jensen (Judge Bazile), Bill Camp (Frank Beazley), Andrene Ward-Hammond (Laura), Rebecca Turner (Nell / Pregnant Girl), Matt Malloy (Chet Antieau), 124 Min., Kinostart: 15. Juni 2017
Aus dem Presseheft: »Es sind die 50er Jahre, Richard und Mildred sind sehr ineinander verliebt. Doch Mildreds Hautfarbe macht eine Liebesbeziehung unmöglich.« DRÖHHT!! (Buzzergeräusch) - Weder ist es automatisch Mildreds Hautfarbe... ich finde ja, wenn Richard nicht seine ungünstige Hautfarbe gehabt hätte, wäre alles problemlos verlaufen. Auch ist es nicht primär die eine oder andere Hautfarbe, sondern die Gesellschaft, die das Problem darstellt, um mal ein Rosa-von-Praunheim-Zitat abzuwandeln.
Und schon hat man anhand zweier eigentlich vorsichtig formulierter Sätze verdeutlicht, warum der oft als »historisch« dargestellte Kampf um Menschenrechte längst noch nicht ausgefochten ist.
Da ist der Film nämlich ungleich geschickter und stellt es beispielsweise nicht so dar, als präsentiere sich die Situation wie folgt (wieder aus dem Presseheft, der direkt darauffolgende Satz dort) »In den Augen der anderen Weißen gehören die beiden nicht zusammen, unabhängig von der starken Zuneigung, die sie füreinander empfinden«. Denn auch, wenn es so ist, dass die (»weißen«) Gesetze das legale Problem darstellen, Richard ist zwar in der black community einigermaßen integriert, und gerade Mildreds Familie hat ihn größtenteils akzeptiert. Aber die scheelen Blicke kommen aus beiden Lagern.
© 2016 Universal Pictures
Und um mich noch ein wenig am Presseheft abzuarbeiten (auch, wenn es nur wenige Sätze sind), das »sehr ineinander verliebt« wird der Filmgeschichte in seiner Euphemisierung ebenso wenig gerecht wie das aufbauschende »den Mut eines Paares, dessen Leidenschaft größer ist als das Gesetz«. Liebe und Leidenschaft sind zwar hübsche Worte, wenn man ein Publikum in einen Film locken will - doch der Film beginnt wie folgt:
Dunkelheit, nächtliches Grillengezirpe, Vorspann. Close-Up Mildred (Ruth Negga). Sie schaut außerhalb des Bildfeldes auf eine Person, die sich wohl neben ihr befindet, und sucht in der Dunkelheit nach Worten, sagt schließlich zögernd »I'm pregnant«. Dann sieht man den superweißen (mit blondem Crewcut) Richard neben ihr, der nach einem kurzen Zögern sagt: »That's great!«, was wiederum ihre Gesichtszüge deutlich entspannen lässt. Erst jetzt sieht man, dass die beiden zusammen auf einer Veranda sitzen und jetzt durch ihre Körpersprache die Verbundenheit des Paares demonstrieren. So eine Schwangerschaft (ob »interracial« oder nicht) ist schon eine andere Sache als nur »sehr ineinander verliebt« zu sein.
© Focus Features 2016
Die Situation ist absurder, als man sich das heutzutage vorstellen würde. Zwar reisen die beiden noch vor der Geburt vom Bundesstaat Virginia nach Washington, um zu heiraten, und Richard hängt stolz das marriage certificate eingerahmt an die Wand des Hauses, das das Paar aktuell mit Mildreds Familie teilt (Maurer Richard verbringt aber auch viel bei seiner Familie und hilft beispielsweise, als seine Schwester Nell ein Kind bekommt), aber des Nachts schleichen sich Polizisten an, verschaffen sich leise Zutritt zum Haus und treten schließlich die Tür des Schlafzimmers ein, um die »Verbrecher« abzuführen, darunter die erkennbar schwangere Mildred, die dann einfach mehrere Nächte in einer Arrestzelle verbringen muss, wobei es sich der reichlich negativ gezeichnete Sheriff Brooks (Marton Csokas) nicht einmal nehmen lässt, bei der Überführung eines schwarzen Häftlings zu implizieren, er könne diesen ja auch zu Mildred sperren, weil sie ja die Hautfarbe teilen. Wenn der Sheriff Mildred mal als »that woman« bezeichnet, wirkt das schon wie das Nonplusultra seiner Anerkenntnis ihrer menschlichen Natur.
In einer bis auf wenige dramatische Momente sehr unterkühlten Inszenierung legt Jeff Nichols vor allem Wert auf bestimmte Formulierungen, seien es Gesetzestexte oder Urteilssprüche. »Almighty God created the races white, black, yellow, malay and red.« Klingt unglaublich idiotisch, basiert aber auf den zu diesem Zeitpunkt bereits ein gutes Jahrhundert zurückliegenden »wissenschaftlichen« Kategorien des Schweden Carl Linnaeus, später vom Deutschen (!) Johann Friedrich Blumenbach um »malay« ergänzt. Ich war zu faul, nachzulesen, ob die Wissenschaftler die Kategorien ähnlich wie der Richter in diesem Film tatsächlich zum Teil einer Schöpfungsmythologie erklärt hatten...
»The crime of being married« (Überschrift eines zeitgenössischen Zeitschriftenartikels) wird ebenfalls sehr blumig umschrieben: »feloniously against the peace and decency of the Commonwealth«.
© Focus Features 2016
Ich bin ein langjähriger Fan von Regisseur Jeff Nichols (besonders von seinen ersten drei Filmen Shotgun Stories, Take Shelter und Mud), und ich könnte auch keine Stelle des Films benennen, wo er irgendwas »falsch« gemacht hat ... aber leider hat mich Loving nicht so berührt wie seine anderen Filme. Der für die Entwicklung von Menschenrechten wichtige Gerichtsfall, bei dem ein Ehepaar auseinandergehalten werden muss wie Nitro und Glycerin, ist ein tolles Thema, die Hauptdarsteller sind toll, alles ist clever gelöst, aber leider hat es für mich nicht so recht »gefunzt«. Irgendwie entwickelt sich keine wirkliche Spannung und ich habe das Geschehen eher unbeteiligt beobachtet. Ich könnte zwar nicht benennen, woran das liegt, aber ich will hier auch meine Empfindungen nicht unterschlagen.
Dennoch würde ich den Film uneingeschränkt empfehlen, u.a. auch deshalb, weil man hier eine Geschichte mit historischem Vorbild eben nicht auf ein Filmformat hin dramatisiert hat, sondern versucht, möglichst nahe bei den nicht immer schwarzweiß (sorry!) gezeichneten Entwicklungen zu verbleiben. Um einen Rechtsanwalt, der seine eigene Agenda hat, eine Kämpferin für's Recht, die aber die Liebe zu ihrem Mann, die ihr noch eine Ecke wichtiger ist, nie für das Glück späterer Generationen verraten würde. Selbst, wenn das dem Film ein wenig den Drive nimmt, ist das Ansinnen der Authentizität etwas, was man loben muss!
Foto: Ben Rothstein
Nachtrag: Mir ist übrigens aufgefallen, dass bei einem der Gerichtstermine Mildred Loving weiß trägt und Richard schwarz - und bei einem anderen genau andersherum. Ich glaube, es gab noch mindestens eine andere Szene mit ähnlichen Umständen, und wenn man von Anfang an auf dieses Detail achtet, könnte das der Anlass für eine interessante Interpretation sein. Wobei es hier natürlich ausnahmsweise nicht nur um die vom Regisseur beabsichtigte Kostümdramaturgie geht, sondern auch um eine etwaigen Eindruck, den die »Angeklagten« oder vielleicht ihr Anwalt erzielen wollen.