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1. November 2017
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Lady Macbeth (William Oldroyd)


Lady Macbeth
(William Oldroyd)

Großbritannien 2016, Buch: Alice Birch, Lit. Vorlage: Nikolaj Leskow, Kamera: Ari Wegner, Schnitt: Nick Emerson, mit Florence Pugh (Katherine), Cosmo Jarvis (Sebastian), Naomi Ackie (Anna), Paul Hilton (Alexander), Christopher Fairbank (Boris), Golda Rosheuvel (Agnes), Anton Palmer (Teddy), Rebecca Manley (Mary), Fleur Houdijk (Tessa), Cliff Burnett (Father Peter), 89 Min., Kinostart: 2. November 2017

Es passiert nicht oft, dass ich als Kritiker den Impuls verspüre, Filme vorm Kinostart bereits mehrfach zu sehen (falls sich da überhaupt eine Möglichkeit ergibt). Meist suche ich da auch eine konkrete »Berechtigung«, weil man (bzw. ich) den Verleihen nicht unnötig auf der Tasche liegen will. In diesem Jahr geschah dies nur bei den Filmen Weirdos, Golden Exits und Lou. Und dann bei Lady Macbeth, zu der ich aber auch drei verschiedene Kritiken schrieb und mir die Literaturvorlage besorgte und las. So sehr verzückte mich der Film (falls nichts Weltbewegendes mehr kommt, mein Lieblingsfilm 2017).

Nikolaj Leskows Novelle Die Lady Macbeth aus dem Landkreis Mzensk erzählt von einem vermeintlich realen Kriminalfall, der auch ohne Zutun des Autors mit der berühmten Shakespeare-Figur in Bezug gebracht wurde. Leskow bezog sich auf Gerichtsakten, sah sich als »Aufzeichner, nicht Erfinder«. Warum es in seinem Text jedoch hochsymbolische Träume von einer Katze gibt, die quasi als Wiedergänger eines Mordopfers am Gewissen der Täterin nagen? Das klingt für mich keineswegs nach Gerichtsakten, sondern nach Literatur.

Lady Macbeth (William Oldroyd)

© Koch Films

Aus dem »Kriminalfall«, der für den Film kurzerhand nach England verlegt wurde, aber etwa zur selben Zeit spielt (im Presseheft steht 1856, im Film selbst gibt eine Fotografie den klarsten Hinweis über die Zeit) machte die theatergeschulte Drehbuchautorin Alice Birch ein Drama über Feminismus, Rassen und Klassen.

Der Film beginnt mit der Hochzeit der knapp über 20jährigen Katherine (Florence Pugh, von der man sicher noch hören wird). Man nimmt komplett ihre Perspektive ein, sie wurde mehr oder weniger wie ein Stück Vieh an einen wohlhabenden Minenbesitzer »verkauft«, der sich aber in der Hochzeitsnacht abweisend und kalt verhält und offensichtlich psychische Probleme hat (hier aber nie als »Opfer« verstanden wird). Katherine, ein gut erzogenes Mädchen vom Lande, soll nun dekorativ das Anwesen repräsentieren, falls es zu seltenem Besuch kommt. Und möglichst nie das Haus verlassen. Wie unglaublich langweilig und ermüdend das ist, zeigt der Film in seinem ersten Viertel (es würde mich übrigens nicht wundern, wenn hier die Uhren absichtlich etwas langsamer ticken ...). Der Gatte Alexander (Paul Hilton) und der fast noch schlimmere Schwiegervater Boris (Christopher Fairbank) missachten Katherine und kommandieren sie herum, einmal wird sogar die Sklavin Anna (Naomi Ackie) abgestellt, um zu kontrollieren, dass Katherine nicht einschläft. Das geht also schon in Richtung Folter.

Lady Macbeth (William Oldroyd)

© Koch Films

Als dann aber die beiden Hausherren mal aus geschäftlichen Gründen das Anwesen verlassen, blüht Katherine auf (man beachte hierbei auch die komplett uminterpretierte Katze, die hier eher zum Symbol der Emanzipation wird), es kommt zu einer leidenschaftlichen Affäre à la Wuthering Heights mit dem rebellischen Stallburschen Sebastian (Cosmo Jarvis). Wenn man beim Zustandekommen dieser Vereinigung, in der Anna eine gewisse Rolle spielt, den Film mit dem Reclamheftchen vergleicht, so ist dies hochinteressant. Bei Leskow ist die Anna-Figur eine burschikose Bäuerin, die sich bei einem kleinen Streich durchaus zur Wehr setzen kann, im Film ist sie eine bereits entkleidete junge Sklavin, die in unmittelbarer Gefahr steht, Opfer einer Massenvergewaltigung zu werden. Und das subtile Zusammenspiel zwischen Sebastian und Anna bleibt auch weiterhin hochspannend, wo Leskow die Figur nahezu sofort wieder vergisst.

Der Fokus liegt aber auf Katherine, und wenn man den Film mehrfach sieht (und nicht mehr so genau auf die Handlung achten muss), kann man sich an den subtilen Nuancen delektieren. Mehrfach konfrontiert sie Personen, die vermeintlich »auf ihrer Seite« stehen (also Anna und Sebastian) mit den zunehmend argwöhnisch werdenden Hausherren. Und zumindest einmal beobachtet sie das Geschehen mit dem süffisanten Anflug eines Lächelns aus halbwegs sicherer Entfernung.

Lady Macbeth (William Oldroyd)

© Koch Films

Es macht einfach Freude, dieser Figur dabei zuzusehen, wie sie Eigenständigkeit und Selbstvertrauen entwickelt. Dass sie dabei zu einer einigermaßen kaltblütigen mehrfachen Mörderin wird (die aber immer für jene Rechte kämpft, derer sich Alexander und Boris wie gottgegeben sicher sind), nimmt man gerne hin, durch den Filmtitel ist man ja gewarnt, in welche Richtung es gehen wird.

Nach den beiden naheliegenden Todesfällen macht die Handlung des Films dann noch eine unerwartete Kehrtwende (von der Leskow-Vorlage entfernt man sich immer deutlicher) und ausgerechnet beim Kampf um Frauenrechte und unterdrückte Minderheiten wird man als Zuschauer nun etwas gefordert, was die Vergabe der Sympathien und Identifikationsfiguren angeht. Die Szene am Wasserfall, mit ihrer narrativen Ellipse, wird hier zum stellvertretenden Höhepunkt des Films, der durchaus keinen Vergleich mit Gevatter Shakespeare fürchten muss.

Lady Macbeth (William Oldroyd)

© Koch Films

Wenn der eine oder die andere ZuschauerIn dann nicht total zufrieden damit ist, wie die Geschichte zu Ende erzählt wird, dann kann ich nur noch mal auf Leskow verweisen, bei dem (und er würde sich mit den »tatsächlichen Begebenheiten« rausreden) das letzte Drittel der Novelle vielleicht als Schilderung russischer Zustände interessant ist, aber handlungstechnisch komplett enttäuscht. Da hat man bei Alice Birch und ihrem ebenfalls tollem Debütregisseur William Oldroyd hingegen das Gefühl, dass die beiden ganz gezielt auf »ihr« Ende und die damit verbundene Aussage hingearbeitet haben.

Lady Macbeth ist übrigens auch im Rennen um den europäischen Filmpreis.