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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




13. Februar 2018
Thomas Vorwerk
für satt.org
Berlinale 2018



Alle Terminangaben sind sorgfältig abgetippt, aber ohne Gewähr. Die Filme werden immer unter dem Titel aufgeführt, unter dem man sie im offiziellen Berlinale-Katalog findet.


Cinemania-Logo 178:
Berlinale 2018, Teil 1:
boy-friend material



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Die Tomorrow
(Nawapol Thamrongrattanarit, Forum)

 
Vorführungen:
  • Sonntag, den 18. Februar
    um 22 Uhr im Zoo-Palast 2
  • Montag, den 19. Februar
    um 19 Uhr 30 im CinemaxX 4
  • Dienstag, den 20. Februar
    um 22 Uhr 30 im Cubix 9
  • Samstag, den 24. Februar
    um 11 Uhr im CineStar 8


Thailand 2017, Buch: Nawapol Thamrongrattanarit, Kamera: Niramon Ross, Schnitt: Nawapol Thamrongrattanarit, Chonlasit Upanigkit, Musik: Tongta Jitdee, Pokpong Jitdee, Sound Design: Nopawat Likitwong, mit Patcha Poonpiriya, Chutimon Chuengcharoensukying, Morakot Liu, Chonnikan Netjui, Koramit Vajrasthira, Sirat Intarachote, Sunny Suwanmethanont, Rattanarat Aurthaveekul, Jarinporn Joonkiat, Violette Wautier, 75 Min.

Auf der Berlinale-Seite zum Film kann man über den Regisseur lesen: »2007 war er Teilnehmer des Berlinale Talent Campus. Seither realisierte er mehrere Kurzfilme sowie seit 2012 auch abendfüllende Spiel- und Dokumentarfilme.« Gleich darunter sieht man dann in seiner Filmographie, dass er auch 2004 und 2006 bereits Kurzfilme drehte, Stücker vier, mit Längen von bis zu einer halben Stunde. Aber dass er durch den Talent Campus quasi erst als Filmemacher »erfunden« wurde, klingt ja gleich viel hübscher - aus Berlinale-Sicht. Wenn schon flunkern oder alternative facts basteln, dann einfach nicht die Wahrheit gleich daneben schreiben, liebe Berlinale! So doof sind wir mitunter gar nicht... (Grund genug, hier das erste Berlinale-Ärgernis des Jahres, das viele Journalisten schon bei den Vorab-PVen vergrätzte, zu erwähnen. Auch hier verschwieg man offensichtliche Beweggründe - natürlich finanzielle - und faselte etwas von [immens unglaubwürdigen] Trends und »ökologischen Gründen« - hübsch auf einen tausendfach wiederholten PR-Text in Tweet-Länge zusammengekürzt. Wer jemals vier Forums-Filme hintereinander sah, weiß, wie wichtig Koffein für den Alltag eines Kritikers ist... In Zeiten, als ich noch ein »angry young man« war, hätte ich vermutlich eine Kampagne mit dem Hashtag #BringYourOwnMovie gestartet, aber stattdessen konzentriere ich mich lieber auf die Filme, die man netterweise zur Verfügung stellte.)

Die Tomorrow - der Filmtitel ist Programm. Die Sterblichkeit, die uns schon morgen ereilen könnte, ist das alles beherrschende Thema. Oder wie Depeche Mode es vor Jahren auf einer B-Seite besangen: »Death is everywhere / There are flies on the windscreen«.

Die Tomorrow (Nawapol Thamrongrattanarit, Forum)

Die Eintagsfliege wird auch in diesem thailändischen Forumsbeitrag gleich bemüht. Dann gibt es ein Handyvideo von einem kleinen Kind, das man gerade über die harten Fakten des uns alle bevorstehenden Ablebens informiert hat - und das mit blankem Terror reagiert. Dazu tickt lange Zeit im Hintergrund eine Uhr, die später auch visualisiert wird und über die Filmdauer eine Statistik erfahrbar macht: In jeder Minute sterben 120 Menschen. Konsequenterweise heißt das, dass sich mit jeder Sekunde des Films (der aktuelle Stand wird immer mal wieder eingeblendet wie bei einer Videokamera aus den 1980ern) der body count um zwei meist anonym bleibende, ebenso fiktive wie ganz realitätsnahe Personen erhöht.

Passend zur ersten Handy-Einstellung vom über alle Maßen verängstigten Bild folgt jetzt eine lange Einstellung, die vier junge Frauen zeigt, die am Folgetag jeweils ihre Schulabschlussfeier erwarten und sich gegenseitig Horoskope vorlesen. Als man einiges über die Zukunftspläne der jungen Damen erfahren hat, wirft die Kamera einen Close-Up-Blick auf die Horoskope und das Ticken wird lauter.

Ungeachtet meiner Verleugnung des Narrativs geht es im Film um unterschiedlich stark im Gedächtnis bleibende Alltagssituationen. Bevor es dazu aber kommt, muss erst das Hotelzimmer der Schülerinnen aufgeräumt werden - was durchaus etwas vom Tatortreiniger hat (auch, wenn das dräuende Ticken durch sanfte Musik ersetzt wurde). Und es folgen diverse Einzelbilder, von denen das erste eine Rakete zeigt, die sich einer Großstadt nähert. Vielleicht jene Großstadt, in der der Film spielt. Fix hintereinander Fotos, Fotos, Fotos, wie von Facebook oder Instagram, mit Formatwechseln, die (wie die langen Einstellungen) zu den wiedererkennbaren Stilmitteln des Films gehören.

Nebenbei Interviews mit Personen, die nichts miteinander zu tun haben scheinen (außer ihrer Sterblichkeit), und immer wieder eingeblendete Nachrichten. Ein Börsenmakler starb vor einer Kurstafel und wurde erst fünf Stunden später (als Toter) entdeckt. Auf die Nachricht folgt eine Szene, die wie ein enactment wirkt. In unmittelbarer Nähe zu zwei Frauen sitzt da ein Mann, der womöglich nur eingeschlafen ist.

Hier und da entdeckt man immer wieder Zusammenhänge zwischen den Nachrichten, Interviews und Spielszenen, die sich alle um das allseits präsente Thema des Films drehen, das ich aber - auch ohne wirkliche empathische Anbindung an die zumeist nur kurz auftauchenden Figuren - als immens spannend empfand.

Noch eine Nachricht, die als Text eingeblendet wird: Eine Frau wurde von einem Strommast erschlagen. Als sie gerade einen Welpen am Straßenrand fotografierte. Moment mal - vorhin bei den Einzelfotos war doch genau so ein Hundefoto zu sein!?

Ein alter Herr in einem der dokumentarisch wirkenden Interviews zeigt uns sein Hochzeitsfoto, das vor vielen Jahrzehnten entstanden sein muss. Später gehört eine junge Frau zu den Protagonistinnen, die eben jenes Schwarzweißfoto auf ihrem T-Shirt gedruckt zu haben scheint.

Eine der kleinen Spielszenen zieht sich etwas länger hin und bietet sogar eine emotionale Anbindung: Ein nerviger Anruf von einem Exfreund, von dessen suizidalen Plänen man in einer Parallelhandlung entfernt.

Und fast noch spannender: ein junges Model erfährt davon, dass sie den Job (durch den Ausfall einer prominenten Konkurrentin) nun doch bekommen könnte. In einem Telefonat mit einer nahen Vertrauten lügt sie, wie glücklich sie trotz der traurigen Nachricht sei. Und dann sieht man sie, wie sie ein Kosmetikprodukt anpreist: eine Creme mit Namen »Demain« (frz.: morgen).

Die Spielszenen bleiben fragmentarisch, der Essayteil des Films und die zahlreichen Verknüpfungspunkte sind durch die aktive Mitarbeit des Betrachters wirklich faszinierend - und ich habe das Gefühl, dass man beim zweiten Betrachten des Films noch vieles entdecken könnte. Und bei der fatalistischen Grundstimmung des Films hält der Film dennoch einen gewissen Optimismus aufrecht (vergleiche auch Martin Baltscheits Eintagsfliegen-Film Nur ein Tag: »Wer Angst vor dem Tod hat, hat auch Angst vor dem Leben« heißt es im Berlinale-Text), wenn etwa der uralte Mann aus dem Interview auch noch seinen 104. Geburtstag erlebt.

Nawapol Thamrongrattanarit - den Namen des Regisseurs sollte man sich wirklich merken. (Zugegeben, ein schlaffer Jokus mit den 25 nicht unbedingt einprägsamen Buchstaben, aber ich konnte es mir nicht verkneifen.)

Nachtrag: Als meine Kritik eigentlich schon stand, wurde mir noch das Presseheft zugeschickt, in dem man lesen konnte, dass der Regisseur schon seit Jahren Material und die kleinen Interviews gesammelt habe und dann die Drehbücher seiner sechs Minifilme passend zu diesem Background schrieb. Ist ja durchaus interessant, auch wenn der Film auch ohne diese Info für sich stehen kann.


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  Les rois mongols (Luc Picard, Generation Kplus)

Les rois mongols
(Luc Picard, Generation Kplus)

 
Vorführungen:
  • Sonntag, den 18. Februar
    um 13 Uhr im Haus der Kulturen der Welt
  • Montag, den 19. Februar
    um 13 Uhr 30 im CinemaxX 3
  • Mittwoch, den 21. Februar
    um 15 Uhr 30 im Filmtheater am Friedrichshain
  • Freitag, den 23. Februar
    um 16 Uhr 30 im CinemaxX 1


Kanada 2017, Int. Titel: Cross my Heart, Dt. Titel: Hand auf's Herz, Buch, Lit. Vorlage: Nicole Bélanger, Mitarbeit: Luc Picard, Kamera: François Dutil, Carmen Mélanie Pépin, Musik: Viviane Audet, Robin Joël Cool, Alexis Martin, Kostüme: Brigitte Desroches, mit Milya Corbeil-Gauvreau (Manon Ducharme), Henri Picard (Martin St-Jean), Anthony Boucard (Mimi Ducharme), Alexis Guay (Denis St-Jean), Clare Coulter (The Grandmother), Julie Ménard (Simone St-Jean), Maude Laurendeau (Jeanne Ducharme), Jean François Budreault (Gaston St-Jean), Martin Desgagnés (Pierre Ducharme), Sophie Cadieux (Suzanne Rouleau), Bobby Beshro (Inspector Dion), Nicola-Frank Vachan (Deputy Picard), Emmanuel Charest (Lieutenant Fraser), Gabriel Lemire (Paul St-Jean), 109 Min., empfohlen ab 12 Jahren

Franko-Kanada, 1970. Die zwölfjährige Manon (Milya Corbeil-Gauvreau) kauft Zigaretten für ihren Vater. Und wenn die Kioskbesitzerin sich dafür umdreht, klaut Manon schnell ein paar Bonbons für ihren kleinen Bruder Mimi (Anthony Boucard), den sie über alles liebt.

Dieses Intro ist, nach dem Film in die Erinnerung zurückgerufen, bereits sehr aussagekräftig.

Geklaute Bonbons gehören hier zu den wenigen positiven Aspekten einer Kindheit, die unter schlechten Vorzeichen steht. Der Vater ist todkrank, die Mutter komplett überfordert, oft übernachtet man bei der Tante, was zumindest über die beiden Cousins Martin und Denis eine kleine Gang bildet. Aber die Frau vom Jugendamt (solche erkennt man in diesem Jahr in Generation-Filmen jeweils an der suboptimalen Brille) schnüffelt schon herum, die Kinder sollen in Pflegefamilien gegeben werden. Und dabei scheint die Trennung von Manon und Mimi bereits ausgemachte Sache.

1970 war ich noch geringfügig jünger als Mimi, aber Teil meiner Siebziger waren auch die Terrorakte der RAF. Wie das alles miteinander zusammenhing, habe ich damals nicht annähernd durchdrungen, aber die Steckbriefe im Postamt gehörten durchaus zum production design jener Zeit.

Les rois mongols (Luc Picard, Generation Kplus)

© Echo Media / Philippe Bosse

In Les rois mongols (übrigens ein schöner Titel, dem die internationale und deutsche Übersetzung keinesfalls gerecht werden) sieht man in den Nachrichten ähnliche Geschehnisse. Die »Front de libé,ration de Quebec« ist nicht zufrieden mit der britischen Einmischung, es gibt Kidnappings, Geiselaustauschungen und Todesfälle. Manon fragt mal ihren Vater, ob die »Befreier« gute oder schlechte Menschen seien. Er liefert eine verkürzte Kinderversion: Sie seien gute Menschen, die schlechte Dinge tun.

Inwiefern zwölfjährige Generation-Besucher mit dem lokalpolitischen Hintergrund etwas anfangen können, kann man durchaus bezweifeln. Für die Handlung wichtig ist aber nur, dass Manon und Mimi auf der Suche nach einem Farbfernseher in einer Wohnung eine alte Frau im Rollstuhl sahen und diese nun kidnappen wollen, um ihre Anti-Pflegefamilien-Forderungen durchzusetzen. Und wenn die »Geisel-Oma« nebenbei noch Kuchen backen könnte, wäre ja alles prima. Die beiden Cousins wollen auch helfen und man bereitet die Tat vor, will in einer leerstehenden Jagdhütte von Onkel Gaston verschwinden.

Leichter gesagt als getan, alle Nase gibt es Komplikationen, die offensichtlichste ist die, dass die so gar nicht großmütterlich auftretende alte Dame (Clare Coulter, spielte auch in Sarah Polley Away from her mit) zu allem Übel eine der verhassten Britinnen ist, was die Kommunikation stark erschwert (die arme Frau weiß auch nicht wirklich, was die Halbstarken mit ihr wollen).

Nicht wirklich de-eskalierend ist bei den Umständen, dass Martin und Denis noch einen älteren Bruder haben. In jenem Alter, in dem man für politische Revoluzzeraktionen sehr empfänglich ist. Und der ist ebenfalls verschwunden, was zu einem aufregenden Showdown führt, sobald die wenig fähige Lokalpolizei die zunehmend verräterischen Hinweise zusammengetragen hat und sich auf eine gefährliche Schießerei einstellt.

Die Bemühungen, sich bei Generation-Filmen jeweils in die Lage (und vor allem des Alter) des Zielpublikums zu versetzen, wird bei Les rois mongols zu kleinen Diskussionen führen. Ist das Thema zu hart, erkennt man als 12jähriger, dass die Hauptfiguren nicht zu Vorbildern taugen - und wie viel kann die Einsprecherin aus den linguistischen Annäherungsversuchen zwischen aus deutscher Sicht zwei Fremdsprachen herüberretten?

Der Film basiert auf einem Jugendbuch, und entsprechend endet es nicht wie bei Bonnie & Clyde im Zeitlupen-Kugelhagel, man mag sogar bemäkeln, dass man nach eher ruppigen zwei Dritteln gegen Ende fast versöhnlich wird - aber im Grunde ist das Ende, das (im weiteren Sinne) fast eine Art Happy End andeutet im Spannungsfeld unterschiedlicher Betrachter noch am diskussionswürdigsten. Das Generationsprogramm fordert ja seine unterschiedlich kleinen Besucher immer gern, aber Les rois mongols gehört hier nicht zu jenen fragwürdigen Grenzüberschreitern, sondern besteht im thematischen Seiltanz, ist für jung wie alt empfehlenswert.

Ich habe selten zuvor darüber nachgedacht, aber nach diesem Film hat man regelrecht Lust, sich mit jungen Kinogängern über ihre Wahrnehmung des Films zu unterhalten.


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  Das Abenteuer einer schönen Frau (Hermann Kosterlitz, Retrospektive)

Quelle: Deutsche Kinemathek



Das Abenteuer einer schönen Frau
(Hermann Kosterlitz, Retrospektive)

 
Vorführungen (mit Vorfilm In einer kleinen Konditorei):
  • Montag, den 19. Februar
    um 21 Uhr 30 im Zeughauskino
  • Mittwoch, den 21. Februar
    um 19 Uhr 30 im CinemaxX 8


Deutschland 1932, Buch: Hans Wilhelm, Lit. Vorlage: Suzanne de Callias, Kamera: Robert Baberske, Curt Courant, Schnitt: Willy Zeunert, Musik: Theo Mackeben, mit Lil Dagover (Thea Roland), Hans Rehmann (Jerry Simpson), Margarete Kupfer (Dienerin Anna), Paul Bildt (Professor Maschke), Ernst Senesch (Trainingsleiter), Margot Walter (Blumenmädchen Elli), Walter Steinbeck (Bing), Olly Gebauer (Irene), Kurt Vespermann (Journalist Merkel), Paul Heidemann, Hans Mierendorff, Walter Steinbeck, Karl Hannemann, Fritz Odemar, Klaus Pohl, Theo Lingen, 89 Min.

Seit Jahren lege ich Wert darauf, die Berlinale-Filme jeweils unter dem Titel vorzustellen, den sie im offiziellen Katalog tragen. Wenn normalerweise dort die Originaltitel aufgeführt werden, man aber hier und da davon abweicht (etwa bei Hong Sangsoos Pul-lip-deul, bei dem man den internationalen Titel Grass vorzieht), dann nervt mich das ein wenig. Aber so etwas wie »Das Abenteuer einer schönen Frau« ist mir noch gar nicht untergekommen. Auf der Kinoleinwand steht Das Abenteuer der Thea Roland, auf imdb nutzt man auch diesen Titel - und ich muss jetzt irgendwie davon ausgehen, dass die Kuratoren der Retrospektive einen triftigen Grund hatten, den ungleich blöderen Titel mit der »schönen Frau« (in Filmen sind die Menschen recht häufig überdurchschnittlich gutaussehend) quasi »offiziell« zu machen. Seltsam, aber so steht es geschrieben.

Thea Roland (Lil Dagover, die man u.a. aus Das Cabinet des Dr. Caligari kennt) ist eine offensichtlich begüterte Bildhauerin, die für ihr nächstes Projekt (der Auftrag eines Sanatoriums mit dem deutlich auf den Wänden prangenden Spruch »mens sana in corpore sana«) so ein echtes Mannsbild als Modell für die nächste Skulptur benötigt. Da sie alleinstehend und begehrenswert ist (sogar ihr Arzt baggert sie an) - und alle Welt nach bestimmten vorformulierten Regeln zu denken scheint (der Titel ihrer Skulptur »Das Glück« wird schon mal als »Die Ehe« umbenannt), führt das zu den ersten Verwechslungen.

»Da drinnen ist ein Boxer. Ein Mann, ein Kerl, sehr gut gewachsen. Und ich brauch so was -« Als sie dem deutsch-englischen Boxstar Jerry Simpson (Hans Rehmann, der ähnlich wie Patrick Stewart nicht einmal seinen eigenen Rollennamen überzeugend aufsagen kann, aber ansonsten sehr charmant ist) wortwörtlich hinterherläuft, belehren sie selbst die Frolleins vom Straßenstrich, sie solle »den Mann in Ruhe lassen«. »Sie sehen doch, er hat kein Interesse!«

Der flapsige Stil des Films ist sehr ansprechend, um die zeitgeschichtlichen Veränderungen, die »neue Frau« und dergleichen, wie sie in den Berlinale-Texten betont werden, habe ich mich eher wenig gekümmert, weil man diese Komödie jetzt auch nicht so wirklich ernst nehmen kann, hier geht es eher ums unschöne Kaugummikauen, und das Erklären das Boxenfachbegriffs »Clinch«, was zu einer schicklich hinter einer Säule verborgenen Umarmung führt, die sich offenbar mit ein paar off-camera-Seufzern zu einer längeren sportlichen Lektion auswächst.

Eine Blumenbestellung, die am Bahnsteig von Thea missgedeutet wird, erschien mir symptomatisch für den Film: Man bereitet umständlich (also mit hohem narrativen Aufwand) Rom-Com-Missverständnisse vor, aber wenn die Pointe dann zündet (teilweise ein Jahr später), dann lässt man sie eher verpuffen. Was ein wenig ungeschickt wirkt, aber irgendwie auch seinen Charme hat.

Die schönste Szene ist aber die, als die versnobte, von Vorurteilen zerfressene bessere Gesellschaft die Nase rümpft über gewisse Geschehnisse - »Wir müssen darauf bestehen, dass der Herr das Haus verlässt - oder wir sähen uns gezwungen, zu gehen!« Und Thea nach all ihren früheren Umwegen inzwischen genau weiß, was sie will. Und augenblicklich die Drohung als opportunes Versprechen umdeutet: »Kommen Sie gut nach Hause. Adieu!«

Inwiefern das jetzt vor allem daran liegt, dass der unvermutete Kindsvater sich nicht zu schade war, auch mal den Kinderwagen durch den Park zu schieben? Diese Auslegung der Handlung wirkt auf mich wie eine allzu gefällige soziopolitische Deutung.

Das Abenteuer der Thea Roland ist für mich vor allem sehenswert als frühe Tonfilm-Variante typischer (aber für die damalige Zeit auch etwas gewagter) Rom-Com-Strukturen. Wer darin besonders auf Trends der Weimarer Zeit (und dem, was darauf folgt) achten will, sollte sich davon nicht den Spaß verderben lassen.

Hermann Kosterlitz hatte später noch eine drei Jahrzehnte umfassende internationale Regiekarriere (vor allem in den USA) und drehte Filme wie Harvey, The Robe oder (mein persönlicher Favorit) My Man Godfrey. Ach ja, und wer in den Credits Theo Lingen entdeckt hat: der hat im Film exakt einen Satz.


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Danmark
(Kasper Rune Larsen, Generation 14plus)

 
Vorführungen:
  • Dienstag, den 20. Februar
    um 15 Uhr im Zoo-Palast 1
  • Mittwoch, den 21. Februar
    um 16 Uhr 30 im CinemaxX 1
  • Donnerstag, den 22. Februar
    um 16 Uhr im CinemaxX 3
  • Samstag, den 24. Februar
    um 10 Uhr im Haus der Kulturen der Welt


Dänemark 2017, Int. Titel: Denmark, Buch: Kasper Rune Larson, Kamera: Claus Lill Haagedorn, Schnitt: Martin Nygaard Friis Hansen mit Frederikke Dahl Hansen (Josephine), Jonas Lindegaard Jacobsen (Norge), Jacob Skyggebjerg (Myre), Jens »JK« Kristian (JK), Marta Holm (Anna), 90 Min.

Norge (Jonas Lindegaard Jacobsen) ist 22 und lebt in der dänischen Provinz. Bei seinem Job, der Pflege des behinderten Mads, muss er zwar eine gewisse Verantwortung zeigen, aber darüber hinaus führt er ein entspanntes Leben, fachsimpelt mit seinem besten Kumpel Myre über eine Musiker-Karriere als Rapper oder einen Umzug in eine Großstadt, raucht und trinkt ein bisschen, ist auch One-Night-Stands nicht abgeneigt (obwohl Myre hier der aktive Pol ist, der Doppeldates arrangiert).

Aus einem harmlosen Kurzbesuch der 16jährigen Josephine (Frederikke Dahl Hansen) entwickelt sich eine schnelle Nummer und kurz später eröffnet sie ihm, dass sie von ihm schwanger sei und jetzt Unterstützung bei der Abtreibung brauche, weil ihre Mutter (die man übrigens im ganzen Film nicht sieht) da nicht die rechte Ansprechperson sei. Josephine zieht sogar kurzerhand bei ihm ein und bringt sein Leben gehörig durcheinander. Aber letztlich gefällt ihm diese Veränderung und er ist ja auch durchaus bereit, Verantwortung zu übernehmen.

Was Norge nicht weiß, der Zuschauer aber schon lange: Als Josephine ihre nicht sehr euphorische Verführungsnummer initiiert, weiß sie längst, dass sie durch einen eher experimentellen Beischlaf schwanger geworden war (»it was just a one-night-stand when I was drunk. I just wanted to look cool or something«). Je mehr sie merkt, dass sie mit Norge durchaus eine Chance hätte (in diesem Zusammenhang fällt auch der Spruch vom »boyfriend material«, der meinen ersten Berlinale-Tag fast so sehr prägte wie die allgegenwärtigen Schwangerschaften), umso deutlicher kämpft sie mit dem Wissen, dass sie ihm eigentlich mal die Wahrheit sagen müsste. Während sie bei gemeinsamen Frauenarzt-Besuchen sehr auf die Informationsvergabe achten muss, und Norge recht schnell etwas zu ahnen scheint, es aber ja gewohnt ist, für eine Person zu sorgen, die von ihm abhängig ist.

Danmark (Kasper Rune Larsen, Generation 14plus)

© Claus Lill Haagedorn

Auf die Musikarbeit einiger Geschwister, die mit allerlei kuriosen Instrumenten arbeitet, ist man glaube ich besonders stolz - ich muss sagen, dass mich die Songs mit dem vermeintlichen Elfengesang irgendwie ein wenig nervten.

Klingt ein wenig wie die Grundstruktur einer modernen Romantic Comedy, ist aber eher ein Jugenddrama (obwohl die Szene wo eine Gespielin oben ohne an die Wohnungstür schlurft und lapidar vermeldet »Deine kleine Schwester ist an der Tür« schon auch ein gehöriges Humorpotential hat).

Die Kamera ist manchmal zum schwindelig werden, man hat ein wenig das Gefühl, dass in den Szenen wo »Jose« auftaucht, der Kameramann auch irgendwie fokussierter agiert. Zumindest erschließt sich mir nicht die Funktion der Wackelkamera. Oder der häufig geschnittenen »Dardenne-Einstellung« auf die Schulter Norges. Zwischen Milieubeschreibung und immer wieder leichtem Humoreinschlag (der feiste Familienvater resümiert »children have many uses«, nachdem er den kleinen Sohn schickte, Bier zu holen) wirkt der Film so orientierungslos wie seine Protagonisten, aber das ungleiche Paar (wenn Norge erschöpft von der Arbeit kommt, spiel Jose manchmal mit dem Schlafenden, als sei er ihr Püppchen) hat irgend etwas ergreifendes, allein über diese Anbindung schafft es Danmark über seine anderthalb Stunden.

Immerhin erlebt man recht selten einen Film in diesem Niemandsland zwischen leichter Kifferkomödie und einem gut beobachteten, intimen Sozialdrama. Wenn man in solch einer Situation steckt, gleicht das Leben vermutlich eher diesem konturlosen Mittelweg als den häufig bemühten Extremen rechts und links.


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  Yocho / Foreboding (Kiyoshi Kurosawa, Panorama)

Yocho
(Kiyoshi Kurosawa, Panorama)

 
Vorführungen:
  • Samstag, den 17. Februar
    um 16 Uhr im Zoo Palast 2
  • Mittwoch, den 21. Februar
    um 19 Uhr 30 im Zoo Palast 1
  • Donnerstag, den 22. Februar
    um 11 Uhr im CinemaxX 7
  • Freitag, den 23. Februar
    um 16 Uhr im Cubix 9
  • Samstag, den 24. Februar
    um 12 Uhr 30 im CinemaxX 7


Intern. Titel: Foreboding, Japan 2017, Buch: Hiroshi Takahashi, Kiyoshi Kurosawa, Lit. Vorlage: Tomohiro Maekawa, Kamera: Akiko Ashizawa, Schnitt (Serie): Koichi Takahashi, Musik: Yusuke Hayashi, mit Kaho (Etsuko), Shota Sometani (Tatsuo Yamagiwa), Masahiro Higashide (Shiro Makabe), Ren Osugi (Nishizaki), 140 Min.

»It started with a slight sense of foreboding.«

Der Mann der Erzählerfigur Etsuko (Kaho) verhält sich ein wenig seltsam, »the sky looks a bit weird« und ihr Vorarbeiter Kasuya lässt zweimal eine Schatulle fallen, scheint Schmerzen in der Hand zu verspüren. Ihre Kollegin Miyuki will bei ihr übernachten, sie hat Angst vor einem Geist, der in ihrem Haus spukt. Der Geist offenbart sich als ihr Vater, den sie nicht erkennt. Sie scheint nicht einmal mehr zu verstehen, was ein Vater überhaupt ist.

Was meine Rezeption von Yocho sehr geprägt hat, war die fehlende Information darüber, dass der 140-minütige Film offenbar der Zusammenschnitt einer Miniserie ist. Laut imdb bestand die aus fünf Teilen zu je einer Stunde, aber wenn man Vor- und Nachspann, notwendige Kapitulationen der früheren Teil, und nicht zuletzt die möglichen Werbeblöcke von der Zeit abzieht, muss gar nicht unbedingt etwa Fehlen an der puren Laufzeit.

Doch die Dramaturgie ist bei einem Mehrteiler natürlich ein ganz andere, und wenn man nicht weiß, dass so was wie Cliffhanger und »Wiedereinführungen« die Handlung deutlich prägen, mag man sich wundern, wie der Film mal Tempo aufnimmt, dann wieder verliert - und sich die Handlung »mit zwei Schritten vor, einem zurück« ganz eigentümlich entwickelt.

Yocho / Foreboding (Kiyoshi Kurosawa, Panorama)

© YOCHO Project Partners

Miyukis Vater erklärt Etsuko, dass sich seine Tochter schon seit einer Woche so verhält. Wenn sie im Schreck die hand hochreißt und gegen eine frei hängende Glühbirne stößt, erkennt man die Anspielung an Hitchcocks Psycho - doch das Schauspiel wirkt eher suboptimal. Das Budget für Yocho ließ offensichtlich einiges zu wünschen übrig. Alle Nase lang spürt man, dass hier genutzt wurde, was an bestehenden Locations vorhanden war (eine Werkhalle, zwei Wohnungen, ein Spital und Etsukos Arbeitsplatz, an dem die Statisten nicht wirklich beschäftigt wirken). Und auch die »Spezialeffekte« sind sehr low budget ausgefallen, etwa (zu Beginn, als man noch Geister vermutet) Lichteffekte wie aus A Ghost Story.

Lange Zeit (vermutlich zwei bis drei Episoden lang) besteht der Reiz von Yocho darin, dass man nicht wirklich weiß, worum es geht. Endzeitstimmung, seltsame Geräusche, Spiegel, die durch einen Erschütterungseffekt alles verzerren. Und dann dieser seltsame Arzt Dr. Makabe (mein Japanisch reicht nicht zum Sake bestellen, aber es liegt nahe, dass man das Wort »makaber« dort auch kennen könnte), der irgendeinen Einfluss auf den im Spital arbeitenden Tatsuo (Etsukos Mann) geltend macht. Inzwischen scheint auch er von diesem rätselhaften Schmerz in der Hand befallen zu sein.

Ohne jetzt zu viel verraten wollen, war für mich im Film der an Peter Lorre (mit einem Schuss Jay Baruchel) erinnernde Tatsuo (Shota Sometani) die interessanteste Figur. Wie Lorre an der Seite von Raymond Massey in Arsenic and Old Lace (dt.: Arsen und Spitzenhäubchen) oder noch deutlicher Draculas Gehilfe Renfield ist er der Lakai einer mysteriösen bösen Macht, nutzt dies teilweise auch, um seine eigenen Machtfantasien umzusetzen, droht dabei aber ganz abzurutschen. Hauptfigur Etsuko erfährt nach und nach, wie die seltsamen Geschehnisse miteinander zusammenhängen (ausgedehnte Flashbacks, die als erste Hälfte einer Episode vermutlich weitaus besser funktionieren) und will den Gatten retten, was sich dann in Episode 4 & 5 (gefühlt und im Nachhinein rekonstruiert) zu einem ausgedehnten Showdown auswächst, der leider am stärksten unter dem fehlenden Produktionsgeld leidet.

Wo man im Mittelteil noch geradezu philosophisch um den Verlust intellektueller Konzepte (statt Blut bei Dracula) herumtheoretisiert (inwiefern kann man die Zukunft einschätzen, wenn man nicht weiß, was Vergangenheit ist?), kommt dann die Einmischung der Regierung (wo das Fehlen des Budgets auch superdeutlich wird) und man hilft sich mit seltsamer Musik (Stummfilm-Grusel lässt grüßen) und zwischendurch mal leicht gekippten Kadragen, während der ganze Film zunehmend ins Kippen gerät. Das Nonplusultra an Effektkino findet sich auch auf dem bevorzugten Pressebild wieder: der durch die Räume des Spitals eilende Dr. Makabe, der inzwischen stärker geworden ist, lässt die Menschen in seiner Umgebung umfallen wie fliegen. Nur reagiert keiner der Statisten darauf (eine gewisse Panik wäre naheliegend) noch ist das Geld da, die eher unter dem Laienschauspiel leidenden Einstellungen zu wiederholen.

Letztendlich muss auch der eigentlich ganz patent aufspielende Ersatz-Lorre sich angesichts der an ihn gerichteten Herausforderungen, die andere Defizite kaschieren sollen, geschlagen geben.

Vernichtendes Urteil: Als Episoden rezipiert, würden sich vermutlich viele Zuschauer irgendwann in Folge 4 oder 5 verabschieden. Wenn man davon allerdings nichts weiß (wie es bei mir war, kommt man gegen Ende nicht mehr aus dem Wundern heraus, weil die anfänglich durchaus faszinierenden Ansätze gegen Ende leider so rasant abstürzen, das der Film eine Eigendynamik entwickelt, die leider ganz in Richtung unfreiwillig komischer Trash geht. Wenn man bedenkt, dass Regisseur Kurosawa (nicht verwandt mit Akira) als Horror-Experte einigermaßen etabliert ist und direkt vor der Serie einen ganz ähnlichen Stoff schon einmal umsetzte, wäre das Interessanteste an Yocho vermutlich eine »Chronologie des Scheiterns«, die man wie bei Joss Whedons Firefly anhand eines Audiokommentars geliefert bekäme. Wobei aber noch die schwächste, aus dem Kontext gerissene Firefly-Episode überzeugender ist als das Finale von Yocho.

Es ist ein wenig so, als hätte der Regisseur während der Dreharbeit das Konzept davon, was Regie beinhaltet, zumindest zum Teil verloren.

Übrigens wirkt das Ende des Films auch ganz so, als wenn man bei Zuschauerzuspruch noch eine Staffel hinterherliefern wollte. Ich kenne die Quoten nicht, aber ich kann's mir kaum vorstellen...

Bald in Cinemania 179 (Animation):
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