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28. Februar 2018
Thomas Vorwerk
für satt.org


Double Feature:
Molly's Game & Dressage


Nach dem Triple Feature nun ein Double Feature. Und in der Filmauswahl noch skurriler als zuletzt, weil kaum ein Leser wohl den in der Generation 14plus versteckten (und von der Jüry nur mit einer besonderen Erwähnung versehenen) iranischen Beitrag Dressage UND den erst in der zweiten Maiwoche anlaufenden Oscaranwärter Molly's Game gesehen haben wird. Doch ich sah sie direkt nacheinander (Molly zuerst) und empfand die erzählten Geschichten als äußerst ähnlich.

  Molly's Game (Aaron Sorkin)


Molly's Game -
Alles auf eine Karte
(Aaron Sorkin)

Originaltitel: Molly's Game, USA 2017, Buch: Aaron Sorkin, Buchvorlage: Molly Bloom, Kamera: Charlotte Bruus Christensen, Schnitt: Alan Baumgarten, Josh Schaeffner, Elliott Graham, Musik: Daniel Pemberton, Kostüme: Susan Lyall, Szenenbild: David Wasco, mit Jessica Chastain (Molly Bloom), Idris Elba (Charlie Jaffey), Kevin Costner (Larry Bloom), Michael Cera (Player X), Jeremy Strong (Dean Keith), Chris O'Dowd (Douglas Downey), Bill Camp (Harlan Eustice), Brian D'Arcy James (Brad), 140 Min., Kinostart: 8. März 2018

Aaron Sorkin wird immer gern als »Drehbuch-Legende« gehandelt, aber vor The Social Network hatte ich ihn überhaupt nicht auf dem Radar. Bei einer Filmliste wie A Few Good Men, Malice, The American President und Charlie Wilson's War wäre mir höchstens aufgefallen, dass zwei davon von Rob Reiner inszeniert wurden und ich die beiden letztgenannten ziemlich überflüssig finde. Und von seiner Fernsehserie West Wing habe ich nie auch nur einen Ausschnitt gesehen. Moneyball war dann zugegeben etwa so gut wie The Social Network, aber bei beiden haben ja auch halbwegs qualitätskonsistente Regisseure eine Rolle gespielt. Vielleicht sind mir seine Stoffe auch zu nah dran an einer deutlich US-amerikanischen Gegenwartsbetrachtung. Selbst, wenn er mal für den Broadway Harper Lees Literaturklassiker To Kill a Mockingbird adaptiert, scheint er mir immer irgendwie dasselbe Feld abzugrasen. Größtenteils geht es um die Probleme und Skandale der Reichen und Mächtigen, um Gerichtsdramen und Hochintelligente (Steve Jobs ist auch von ihm, habe ich aber nicht gesehen).

Aaron Sorkin soll ja ebenfalls extrem intelligent sein, und bei seiner neuesten Adaption einer Bestseller-Biographie hat er nun auch Regie geführt. Und mir kommt es so vor, als erkenne ich bei Molly's Game auch, dass zu viel Intelligenz einem Film auch schaden kann. Die Buchvorlage kenne ich nicht, aber da man sie im Film bereits in gedruckter Version (Paperback sogar) herumliegen lässt, ist einigermaßen offensichtlich, dass der Gerichtsfall, der im Zentrum des Films steht, erst nach dem Buch stattgefunden haben muss.

Molly's Game (Aaron Sorkin)

© SquareOne Entertainment

Somit hat man hier also die Umsetzung eines Buchs, bei dem Autorin Molly Bloom ganz offensichtlich manche Aspekte und Namen ganz gezielt herausgehalten hat. Was Sorkin ganz ähnlich hält. Die Superreichen und Prominenten, für die Molly hochexklusive Pokerpartien organisierte, haben alle »Tarnnamen« wie Player X (Michael Cera), ein besonders bekannter Prominenter, der offensichtlich psychologische Probleme hat, die er auf dem Rücken anderer austrägt.

Ähnlich wie in The Social Network beginnt der Hauptblock des Films mit den ersten Vorverhandlungen des Gerichtsverfahren und wir bekommen die Vorgeschichte größtenteils von der Hauptfigur nachgeliefert, wodurch eine zentrale Parallelmontage entsteht. Molly Bloom bringt als ihre eigene Erzählerin aber zuvor noch ihre frühere Ski-Karriere und das Verhältnis zu ihrem Vater ins Gespräch, wozu sie (bezogen auf die eigentliche Geschichte) ziemlich weit ausholt.

Molly's Game (Aaron Sorkin)

© SquareOne Entertainment

Wenn man sich im weitesten Rahmen im Bereich Biopic befindet, ist die wichtigste Frage immer: was nehmen wir rein und was lassen wir weg? Manche Filmbiographien sind zu sehr auf fragwürdige kausale Zusammenhänge heruntergebrochen (als Kind wurde ich geschlagen, deshalb wurde ich Boxer), andere zerfasern, weil so ein Leben halt viele Facetten hat. Je danach, wie sehr dieses Leben einem großen Publikum bekannt ist, umso mehr muss man vermutlich liefern, wenn man sich nicht des immer wieder gut funktionierenden Kunstgriffs bedient, nur einen eng abgesteckten Zeitraum auszuwählen (was dem Hauptdarsteller auch erspart, einen unglaubwürdigen Altersvorgang bieten zu müssen).

Ich wusste von Molly Bloom vor dem Film gar nichts, und empfand die reine Informationsmenge als zu umfassend. Insbesondere die Rolle ihres Vaters (Kevin Costner), der früher auch ihr knallharter Ski-Trainer war, ehe sie sich von ihm löste und er dann in einem unvermuteten (zentralen) Moment seiner Tochter wieder über den Weg läuft und passend zum Filmende closure bietet, erschien mir reichlich konstruiert. Klar, das Treffen kann exakt so stattgefunden haben und auch für Molly eine wichtige Rolle in ihrer Entwicklung gespielt haben, aber der erzählerische Bogen war für mich einfach zu weit gefasst, unter anderem auch, weil man schon in der Skiszene zu Beginn dermaßen viel Information in den Film hineinzuquetschen versucht (dass er drei Cutter gab, ist sicher kein Zufall), dass man davon schnell überfordert wird bzw. nicht mehr weiß, was man jetzt speichern soll und was im weiteren Verlauf keine große Rolle spielt. Insbesondere auch, wenn man entweder noch nicht weiß, worum es geht, oder eigentlich auf die Poker- und Gerichtsgeschichte wartet.

Molly's Game (Aaron Sorkin)

© SquareOne Entertainment

Bei einer gedruckten Biographie kann sich der Autor (oder hier die Autorin) natürlich so weit ausbreiten, wie es gefällt, aber eine Filmdramaturgie folgt meist bestimmten Regeln. Es gibt zwar verschiedentlich auch Filmbiographien, die sich lang und breit ausbreiten, aber bei Molly's Game hat man eigentlich nicht diesen Eindruck. Nur, wenn der Film zwischendurch mal wieder ein wenig auf der Stelle zu stehen scheint.

Die Handlung dreht sich voll und ganz um die Titelfigur Molly (Jessica Chastain). Wie sie ein olympisches Skistar werden wollte und stattdessen wegen eines Astes einen schrecklichen Unfall hatte, wie sie sich später mit anderen Jobs durchschlagen musste und schließlich selbstständig macht. Wie die von ihr arrangierten Pokernächte zu einem einträglichen Geschäft werden, bis plötzlich das FBI sie verhaftet. Und wie sie vermeintlich wirklich keine Ahnung hatte, dass einige ihrer Klienten russische Mafiabosse waren. Und wie sie sich dann irgendwie durch die Gerichtsverhandlung kämpfen muss, ohne die Identität ihrer Spieler preisgibt - woraus Staatsanwalt und FBI ihr einen Strick drehen wollen.

Nebenbei spielt auch Idris Elba als ihr zunächst wenig erpichter Anwalt eine Rolle, und es geht um das langsam erarbeitete Vertrauen zwischen den beiden.

Molly's Game (Aaron Sorkin)

© SquareOne Entertainment

Alles recht grazil zusammengebastelt, aber ohne den Impetus, den man sich von solche einer Geschichte erwarten würde. Nicht zuletzt weil Molly Bloom (wie Mark Zuckerberg in The Social Network) durchgehend eine unnahbare, etwas arrogante und zu sehr von der eigenen Intelligenz überzeugt ist, woraus sich die nicht geringe Überheblichkeit nährt. Und inzwischen habe ich den Verdacht, dass Aaron Sorkin bei diesen Figuren allzu gut Bescheid weiß, wie diese funktionieren. Was gewisse Schlüsse zulässt, die ich aber nicht direkt aussprechen möchte - dann wäre ich nämlich ähnlich arrogant, wie ich es hier bei mir unbekannten Personen impliziere. Womöglich ist Mr. Sorkin auch ein total netter Kumpeltyp, der nur in seinen Scripts einen Hang zu solchen Überflieger-Figuren hat.

Wenn er als Autor und Regisseur seine Hauptfigur mal in reichlich freizügiger und definitiv manipulativer Kleidung auftreten lässt, die so gar nicht zu Mollys hochgeschlossener und zurückhaltender Persönlichkeit zu passen scheint, so muss das ja auch nichts über Sorkin den Regisseur sagen, sondern wird vielleicht in Mollys Autobiographie detailliert exakt so beschrieben.

Ich konnte jedenfalls mit dem gesamten Film und auch der Hauptfigur nicht warm werden. Und auch Idris Elba, den ich eigentlich sehr mag, bleibt hier, wie alle Figuren, immer sehr auf Abstand, wodurch Emotion und Empathie im Film eigentlich kaum eine Rolle spielen. Dass Molly für ihre moralisch integren Prinzipien einsteht, ist lobenswert, aber ungeachtet, dass sie sich mehrfach informiert, ob sie auch keine Straftat begeht (und eine feine Linie nie überschreitet), so ist sie doch für mich keine sympathische Figur, um deren Schicksal ich gerne gut zwei Kinostunden lang besorgt bin.


◊ ◊ ◊

Dressage
(Pooya Badkoobeh, Generation 14plus)

Iran 2018, Buch: Hamed Rajabi, Kamera: Ashkan Ashkani, Schnitt: Sepideh Abdolvahab, Musik: Shahab Paranj, Kostüme: Sara Samiee, Set Design: Keyvan Moghaddam, mit Negar Moghaddam (Golsa), Ali Mosaffa (Golsas Vater), Shabnam Moghaddami (Golsas Mutter), Yasna Mirthamasb (Amir), Baset Rezaei (Milad), Houshang Tavakoli (Amou), Beh Afarit Gahfarian (Shirin), Shayan Fasihzadeh (Arash), Rambod Motalebi (Mehran), Lotfollah Seifi (Nohooz) Alireza Sanifar (Saeid), Alireza Aghakhani (Amirs Vater), 95 Min.

Bei Golsa, der Hauptfigur aus dem iranischen 14plus-Film Dressage, ist das anders. Zu Beginn lernt man auch sie als Kriminelle aus Gelegenheit (oder eigentlich eher Langeweile) kennen, die ebenfalls offensichtlich aus begüterten Kreisen stammt. Mit ihren ebenfalls keineswegs aus Problemfamilien stammenden Freunden überfällt sie einen Kiosk. Wobei man auch den Verkäufer bewusstlos schlug. In einer Art Räubernest / Jugendkeller zählt man das erbeutete Geld. 78.000! Wer sich mit der iranischen Währung so wenig auskennt wie ich, bekommt einen Überblick, wie viel das sein muss, wenn einer der privilegierten Halbstarkenbande bemerkt, dass die erbeuteten »Lebensmittel« mehr wert sein. Und im Grunde hat man eigentlich nur ein paar Chips-Packungen und Getränke mitgehen lassen, die vielleicht für zwei Tage reichen. Und die man vermutlich ohne Probleme auch einfach vom Taschengeld hätte kaufen können.

Nun kommt es aber zum Problem der Freizeitgangster, denn irgendwie hatte man im Adrenalinschub der aufregenden Betätigung vergessen, das Band der Überwachungskameras mitzunehmen. Man hatte zwar diesen Schritt vorsorglich geplant, doch nicht, wer ihn durchführen soll. Und weil auf das zusätzliche Risiko ohne den geringsten Nutzen niemand erpicht ist, wird insbesondere von den Jungs (einer macht sich starke Sorgen, wie sein Vater auf die Blödsinnshandlung reagieren könnte) entschieden, dass Golsa sich darum kümmern muss. Aus der vermeintlich freundschaftlichen Gleichberechtigung wird ruckzuck eine Unterdrückung, die Abstimmung verläuft 4:1 nach dem Prügelknaben-Prinzip.

Dressage (Pooya Badkoobeh, Generation 14plus)

© Touba Film / Omid Salehi

Golsa geht zurück, wird mit dem immer noch auf dem Boden liegenden Opfer konfrontiert, und versteckt die Aufnahme in einem Schuppen nahe der Stelle, wo sie (die Eltern bezahlen's) Reitunterricht nimmt. Aber aus ihrer Sicht ist in der Freundschaft der Clique der erste Sprung oder Knacks.

Gerade zu Beginn des Films sieht man ein typisches Verhalten von Golsa, das auch eine symbolische Bedeutung hat: sie läuft fast immer mit Ohrsteckern herum und benutzt diese auch, um sich von ihrer Umwelt abzuschirmen. Wenn ihre Mutter nach Hause kommt, Golsa sich aber gerade nicht mit dieser beschäftigen will, steckt sie schnell die Dinger in die Ohren und behauptet dann, sie hätte nicht gehört, als die Mutter kam. Eine ritualisierte Abwehrhaltung.

Dressage (Pooya Badkoobeh, Generation 14plus)

© Touba Film / Omid Salehi

Im Verlauf des Films legt sie diese Angewohnheit komplett ab, denn Golsa lernt jetzt hinzuschauen. Im Zusammenhang mit ihrem Pferd (»Dressage« ist ein französischer Begriff, der etwas mit Dressur zu tun hat) kommt mal die Sprache darauf, dass man, wenn man ein Pferd schlägt (oder zu oft schlägt), damit rechnen muss, dass dieses sich widersetzt und die gelernten Lektionen ignoriert.

Exakt dies macht auch Golsa durch. Einer der Mittäter will das Band ausgeliefert bekommen, doch Golsa weigert sich. Ohne irgendeinen Plan, einfach, weil sie die Schnauze voll davon hat, nur noch das zu tun, was andere ihr befehlen.

Dressage (Pooya Badkoobeh, Generation 14plus)

© Touba Film / Omid Salehi

Die 16jährige will ihre eigenen Entscheidungen treffen und verantworten, doch in der Konfrontation verstärkt sich der Druck nur. Doch sie hält stand. Nach und nach kommt immer mehr heraus über das Verbrechen, nicht zuletzt, weil die Mitschuldigen sich ein wenig verhalten wie Mafiosi, die Schutzgeld verlangen. Die Windschutzscheibe des Autos von Golsas Vater wird beschädigt, und aus den Drohgebärden werden schließlich sogar Ohrfeigen.

Hierbei ist es gar nicht mal so wichtig, ob die Gewalt von den Eltern, von einem männlichen Mitschüler oder implizit vom Patriarchat ausgeht. Golsa rebelliert auch gegen ihren Stand. Als die Eltern (auch aus einer finanziellen Bredouille heraus) ihr Privilegien entziehen, wozu auch das Pferd zählt, beginnt sie stattdessen, im Stall zu arbeiten. Sie erlebt die Überheblichkeit der früheren Cliquenmitglieder gegenüber geringer gestellten, während ihr jugendlicher (und armer) Co-Worker aka Stallbursche ihr beisteht (wenn dies kein iranischer Filme wäre, gäbe es hier vielleicht eine kleine Lovestory und man würde auch behaupten können, dass einer der Jungs aus der Clique zuvor ihr Freund war).

Dressage (Pooya Badkoobeh, Generation 14plus)

© Touba Film / Omid Salehi

Und die Geschichte entwickelt sich immer weiter, man erkennt die Machtstrukturen überall, auch die Anzeichen der Rebellion vermehren sich, und Golsa lernt auf die harte Art, dass Zivilcourage und Gerechtigkeit nicht immer leicht umzusetzen sind. Sie beginnt einen neuen Nebenjob im Kiosk, lernt, dass der Angestellte vom Überfall (ein Ausländer) eine kleine Tochter hat (Idris Elba hat bei Molly's Game auch eine Tochter, mit der Molly ein paar Sätze wechselt und so erfährt, dass auch deren Vater hohe Ziele für das Kind hat, aber weniger rücksichtslos durchgreift) und von seinem Chef drangsaliert wird. Für den Schaden vom Raub muss er quasi selbst einstehen, wenn er nicht seinen Job verlieren will und seine Familie dann nicht mehr ernähren kann.

Golsas schmerzhafteste Erfahrung ist vermutlich, dass sie als Privilegierte den weniger begüterten durch ihre Rebellion nicht wirklich helfen kann, der Druck wird meistens an die Schwächsten weitergereicht, wie zu Beginn an sie. Wie sie schließlich dadurch reift, ist eine der besten Coming-of-Age-Lektionen, die nicht zuletzt auch durch das oft zurückhaltende (aber im Gegensatz zu Molly sehr emotional mitreißende) Spiel von Negar Moghaddam getragen wird. Aber auch das Drehbuch und die Inszenierung machen aus dieser vergleichsweise harmlosen kleinen Geschichte etwas, was man in Molly's Game vielleicht zwischenzeitig erhofft, aber nie auch nur im Ansatz geliefert bekommt.