Cinemania 50:
Kinojahreswende 2007 / 2008
Immer wieder kam etwas dazwischen, bis irgendwann einfach ein paar ungeschriebene Kritiken fallen gelassen wurden, und nun finden sich die Reste vom Filmjahr 2007 zusammen mit einigen brandneuen Streifen. Außerdem dabei: die wahrscheinlich längste Prali- äh, Filmkritik, die satt.org je gesehen hat.
Tale of Cinema
(R: Hong Sangsoo)
Originaltitel: Geuk jang jeon, Südkorea / Frankreich 2005, Buch: Hong Sangsoo, Kamera: Kim Hyung-ku, Kim Young-rho, Schnitt: Ham Sung-won, Musik: Jeong Yong-jin, mit Uhm Ji-won (Choi Young-shil), Kim Sang-kyung (Kim Dong-soo), Lee Ki-woo (Jeon Sang-won), Kim Myoeng-su, Kye Seong-Yong, 89 Min. [Rezension von Thomas Vorwerk] Innerhalb von etwa zwei Jahren bereits mein vierter Film von Hong Sangsoo (siehe auch KDB 169 & 196), nun kenne ich seine ersten zwei Filme und die letzten zwei, und somit auch die wiederkehrenden Themen und Strukturen. Wieder ein zweigeteilter Film, eine Art Dreiecksbeziehung, One-Night-Stands, Alkoholexzesse und Verzweiflung / Selbstmord. Doch bei
Tale of Cinema gibt es einen Trick, der die beiden Hälften weitaus stärker miteinander verbindet, als mir dies in seinen anderen Filmen aufgegangen wäre. Denn im Verlauf der zweiten Hälfte stellt sich heraus, daß die erste Hälfte ein Film war, in dem neben der Hauptdarstellerin auch ein Freund und (erfolgloser) Regiekollege des todkranken Künstlers hinter einer ganzen Retrospektive saßen. Und nach einem Gespräch auf der Straße treffen sie sich bei einem privaten Benefiz-Abendessen zur Unterstützung des (im Film kaum vorkommenden) Regisseurs wieder, und schließlich trinken sie wie das Paar im Film einen über den Durst und landen zusammen im Bett. Dadurch, dass die Geschichte des Films die Geschichte des (erfolglosen) Regisseurs ist, der diese seinem Freund erzählte, woraufhin dieser sie verfilmte, gibt es jede Menge Dopplungen: Life imitates art imitates life. Im Gegensatz zur gutaussehenden, aber undurchdringlichen, weil immer jedem Hauch eines Konflikts ausweichenden männlichen Figur im Film wirkt Sangwon (die Inspiration hinter der Filmfigur) immerhin ganz wie der Regisseur in
Woman on the Beach, Hongs neuestem auf der Berlinale gezeigten Film: aufdringlich, aggressiv und ziemlich von sich eingenommen. Warum die junge Schauspielerin mit so einem schrägen Kauz ins Bett steigt, nachdem sie auch noch erfahren hatte, dass er die Vorlage zur nahezu impotenten Filmfigur ist, ist nur eine der vielen Fragen, die der Film aufwirft. Am interessantesten wirken die Rituale um Handschläge und Marlboro-Zigaretten, die ein wenig so wirken, als wolle Woody Allen so cool wie Humphrey Bogart wirken. doch da das alter ego auf der Leinwand nur eine Blaupause jener Person ist, die ihr dann nacheifert, ist es offensichtlich, wie blödsinnig solches Gehabe ist.
Dennoch sind es jene kleinen (Film-)Momente, die den Charme des Films ausmachen. Eine wiederkehrende (aber variierte) Geste bei den drei Sexszenen, ein etwa viermal auftauchender Karaoke-Song (“a love that is too deep comes to an unhappy end” - oder lieber den Radetzky-Marsch auf Walkman?), eine Taxiverfolgung, Notizbücher, eine herrschsüchtige Mutter (auf zwei Fiktionsebenen), plötzlich auftauchender Schnee (eine gelungene Metapher für einen Neuanfang innerhalb des Films) oder eine verirrte Münze in einem Kaffeeautomaten.
Es ist offensichtlich, warum die Franzosen Hong lieben. Leider ist es aber ebenso offensichtlich, warum seine Filme in Deutschland keinen Verleih finden. Deutsche mögen keine intellektuelle Melancholie, bei der man auch noch mitdenken soll...
Art School Confidential
(R: Terry Zwigoff)
USA 2005, Buch: Daniel Clowes, Comic-Vorlage: Daniel Clowes, Kamera: Jamie Anderson, Schnitt: Robert Hoffman, Musik: David Kitay, Production Design: Howard Cummings, Jonah's Artwork: Daniel Clowes, mit Max Minghella (Jerome Platz), Sophia Myles (Audrey Baumgarten), John Malkovich (Professor Sandiford), Joel David Moore (Bardo), Jim Broadbent (Jimmy), Matt Keeslar (Jonah), Ethan Suplee (Vince), Nick Swardson (Matthew), Anjelica Huston (Art History Teacher), Steve Buscemi (Broadway Bob D'Annunzio), Adam Scott (Marvin Bushmiller), Marshall Bell (Lonny), Jack Ong (Professor Larry Okamura), Katherine Moennig (Candace), Jeremy Guskin (Eno), Jeanette Brox (Shilo), Monika Ramnath (Flower), Isaac Laskin (Kiss-Ass), Finneus Egan (Vegan), Shelly Cole (Filthy-Haired Girl), Jean St. James (Mom), Nikki Gray (Angry Lesbian), Richard Bakalyan (Cranky Guard), Lauren Lee Smith (Beat Girl), Kimi Reichenberg (Suburban Girl), Ezra Buzzington (Leslie, Male Model), Alex Ryan (Nympho), Valyn Hall (Cute Girl), Zach Maurer (Young Jerome), Lauren Bowles (Woman Strangled), 102 Min. [Rezension von Thomas Vorwerk] Nachdem Terry Zwigoff (
Crumb, Bad Santa) schon bei
Ghost World aufs vorzüglichste mit dem Comic-Künstler Daniel Clowes zusammengearbeitet hatte, adaptierte Clowes für die zweite Arbeit mit Zwigoff keine seiner längeren Stories wie
Like a Velvet Glove Cast in Iron (wofür David Lynch nach wie vor mein Idealregisseur wäre), sondern übernahm den (recht werbewirksamen) Titel und einige Gags eines vierseitigen Strips und ließ Clowes dazu ein eigenständiges Drehbuch schreiben. Inwiefern die ursprüngliche, um eine halbe Stunde längere Version des Films etwaige Schwächen dieses Drehbuchs aufzeigen könnte, kann ich nicht beurteilen, für mich ist
Art School Confidential in der Kinofassung ein durchweg gelungener Film, der in etwa die Lebensfreude eines Wes Anderson mit der satirischen Schärfe eines John Waters verbindet. Jerome Platz (Anthony Minghellas Sohn Max) ist ein zeichnerisch begabter junger Mann, der sich einbildet, er könne ein zweiter Picasso werden, der schon aufgrund seiner künstlerischen Genialität mit jeder gutaussehenden Frau der Welt schlafen könne. In der Realität sieht das Liebesleben wie die Künstlerkarriere des sich gerade auf einer Kunsthochschule eingeschriebenen Platz jedoch ganz anders aus. Seine Traumfrau und Muse Audrey (Sophia Myles, die Isolde aus
Tristan & Isolde) scheint sowohl künstlerisch als auch sexuell mehr von einem seltsamen Freak namens Jonah angetan, seine Ansichten über die künstlerischen Fähigkeiten seiner Kommilitonen werden nur von seinem gänzlich untalentierten Kumpel Bardo geteilt, und das Blatt scheint sich erst zu wenden, als Jerome auf künstlerisch wie ethisch verwerfliche Art von einem Medienereignis profitiert: einem auf dem Campus sein Unwesen treibenden Serienmörder.
Ein abgehalfterter Ex-Student (Jim Broadbent) hatte nämlich Mementos der Opfer zu collage-ähnlichen Gemälden umgearbeitet, und als sich die Chance für Jerome ergibt, versucht er an Ruhm und weiblicher Aufmerksamkeit abzugreifen, was möglich ist. Die eigentliche Identität des Killers ist im Film eine absolute Nebensache, es geht vor allem um den Ausverkauf der Kunst, der außerdem noch anhand eines einfallslosen Nachwuchsregisseurs (Ethan Surplee, der “Thumper” aus
Butterfly Effect) nachgezeichnet wird. Dabei gelingt es dem Film ähnlich wie in
Bad Santa, sich eigentlich über jeden lustig zu machen, aber die Figuren dennoch sympathisch darzustellen. Trotz einer illustren Riege von Stars in Nebenrollen (John Malkovich, Steve Buscemi, Anjelica Huston) konnte es der Film in Deutschland leider nur zur DVD-Premiere bringen, was schade ist, denn im sich zumeist durch lange Unterhosen auszeichnenden Bereich der Comicverfilmungen ist Terry Zwigoff mittlerweile so etwas wie ein Vorreiter, der auch Risiken auf sich nimmt.
“It has the singularity of outsider art, though the conscious rejection of spatial dynamics could only come from an intimacy with the conventions of picturemaking.“
Teeth
(R: Mitchell Liechtenstein,
Panorama 2007)
USA 2007, Buch: Mitchell Liechtenstein, Kamera: Wolfgang Held, Schnitt: Joe Landauer, Musik: Robert Miller, mit Jess Weixler (Dawn), John Hensley (Brad), Josh Paris (Dr. Godfrey), Hale Appleman (Tobey), Ashley Springer (Ryan), Vivienne Benesch (Kim [Dawn’s Mother]), Lenny Von Dohlen (Bill [Brad’s Father]), Nicole Swahn (Melanie [Brad’s Girlfriend]), Julia Garro (Gwen), Adam Wagner (Phil), Aspen (Mother, the Dog) [Rezension von Thomas Vorwerk] Von den zahlreichen Schauspielern, die auf der diesjährigen Berlinale ihre Ausflüge ins Regiefach präsentierten, war Mitchell Liechtenstein wahrscheinlich der Unbekannteste. Neben einer Rolle in Robert Altmans
Streamers war seine Hauptrolle in Ang Lees
The Wedding Banquet sein größter Filmauftritt, und wer erinnert sich anderthalb Jahrzehnte schon noch an jenes Gesicht?
Das Thema seines im deutschsprachigen Raum oft missverstandenen (“Tief?”) Films
Teeth ist ein Mythos, der mir persönlich zuvor völlig unbekannt war. Die
vagina dentata (satt.org-Leser sprechen fließend Latein) repräsentiert in unzähligen Kulturen die Bedrohung, die der Geschlechtsverkehr für den Mann darstellt. Man(n) “enters triumphantly, but always leaves diminished” (hätte ich auch übersetzt, wenn mir dafür ähnlich schöne Worte eingefallen wären). Es soll wohl auch medizinische Ursprünge für die Kastrationsangst geben, die wohl ein Großteil der männlichen Bevölkerung beschleicht, und im Presseheft gibt es interessante Informationen zu einem Anti-Vergewaltigungs-kondomähnlichem Teil für südafrikanische Frauen, das sich mit mikroskopischen Widerhaken des eindringenden Penis annimmt, und nur chirurgisch wieder entfernt werden kann. Die Erfinderin Sonette Ehlers kam auf die Idee, als ein Opfer ihr sagte “wenn ich doch nur Zähne da unten hätte.” Filme wie
Alien oder
Jaws sollen auch irgendwie ihren Ursprung in diesem Mythos haben, was für mich halbwegs Sinn gibt, aber nicht wirklich überzeugend ist.
Doch zurück zum Film. Da ich nicht mit einem Kinostart dieses Films rechne, wird diesmal etwas mehr als üblich über die Geschichte ausgeplaudert. Dies war eine Warnung.
Dawn (Jess Weixler) beteiligt sich in der lokalen Keuschheitsgruppe ihrer High School und will sich, wie angeblich viele US-Amerikaner, erst nach der Heirat der körperlichen Liebe widmen. Das hängt aber auch mit einem Kindheitstrauma zusammen, als im Planschbecken ihr ziemlich aufdringlicher Halbbruder unbedingt seinen Finger hinstecken wollte, wo er nichts zu suchen hat, und dabei auf wundersame Weise seine Fingerkuppe verlor. Den Eltern wurden die Details dieses Unfalls von beiden Kindern vorenthalten, was man auch aus beiderlei Sicht nachvollziehen kann.
Aus dieser Prämisse bastelt Liechtenstein jetzt einen
Coming-of-Age-Film, der aber nach den Prinzipien eines Horrorfilms funktioniert. Wenig überraschend interessiert sich Dawn dann doch früher als gedacht für einen ihrer Mitschüler (“this does not feel wrong at all...”), der sich jedoch, wie in den EC-Comics oder der
Twilight Zone, als nicht ganz so liebe- und verständnisvoll wie angenommen verhält und das simple Wort “No” mal wieder nicht versteht, woraufhin er dann etwas später ein ganz ähnliches Wehgeschrei erklingen lässt. Der Film entwickelt sich weiter auf der Suche nach einem
Happy End, einem Geschlechtsakt ohne Blutvergießen, doch es scheint, als hätten es alle Männer in diesem Film auch nicht anders verdient. Der Gynäkologe verhält sich nicht sehr professionell und kann Glück haben, das er nur einige Finger verliert, bei allen anderen sind die Splattereffekte etwas spektakulärer.
Zu den guten Ideen des Film gehört noch das Atomkraftwerk, das, wie in Springfield, dräuend die Skyline der Stadt beherrscht (was neben dem evolutionären Weg -
How the snake got his rattle - eine mögliche Erklärung für Dawns Mutation darstellt, was zudem noch durch einen Ausschnitt aus dem entsprechenden 50er-Jahre Horrorfilm Them! unterstrichen wird), und die ebenfalls “mythische” Behandlung der Vagina im Biologieunterricht, wo die entsprechende Illustration durch einen großen goldenen Sticker verdeckt ist, was in Lynchburg, Virginia, wohl tatsächlich so gemacht werden soll (jedenfalls hat der Regisseur die Idee daher).
Gegen Ende des Films wird das Ganze leider zu sehr wie eine Horrorgeschichte (inklusive nerventötender Musik) weiterentwickelt, wo die Idee doch weitaus mehr Potential gehabt hätte. Dawns Entwicklung von
Purity zu
Power hätte jedenfalls interessanter ausfallen können. Der Stiefbruder (der übrigens durch das Kindheitserlebnis auch traumatisiert ist, und ausschließlich Analverkehr mit seiner - dadurch ziemlich genervten - Freundin praktiziert) muss als großer Bösewicht herhalten, und ähnlich wie bei einem anderen in diesem Heft besprochenen Film wird ihm (bzw. seinem ge
pierceten Penis) dann sein Haustier, ein Rottweiler mit dem schönen Namen “Mother” zum Verhängnis.
Einer der weniger Splatterfilme, bei denen die Frauen eine Spur lauter lachen als die Männer, insbesondere beim
Disclaimer im Nachspann: No man was harmed in the making of this film.
Könige der Wellen
(R: Ash Brannon & Chris Buck)
Originaltitel: Surf’s Up, USA 2007, Buch: Ash Brannon, Chris Buck, Christopher Jenkins, Don Rhymer, Kamera: Andres Martinez, Schnitt: Ivan Bilancio, Nancy Frazen, Musik: Mychael Danna, mit den Original- / deutschen Stimmen von Shia LaBeouf / Robert Stadlober (Cody Maverick), Jeff Bridges / Thomas Fritsch (Big Z / Geek / Freak), Zooey Deschanel / Jessica Schwarz (Lani Aliikai), Jon Heder / Dieter Landuris (Chicken Joe), James Woods / Bodod Wolf (Reggie Belafonte), Diedrich Bader / Engelbert von Nordhausen (Tank Evans), Mario Cantone / Rainer Fritzsche (Mikey Abromowitz), Kelly Slater / Warner Poland (Kelly), Rob Machado / Derrick Williams (Rob), Sal Masekela / Michael Nowka (SPEN Announcer Sal), Brian Posehn / Daniel Fehlow (Glen Maverick), Dana Belben / Almut Zydra (Edna Maverick), Reed Buck / Salvadore-Hugo Garth (Arnold), Reese Elowe / Marie Hinze (Katey), Jack P. Ranjo / Paul Gerlitz (Smudge), Ash Brannon, Chris Buck / ? (Filmmakers), 85 Min., Kinostart: 13. September 2007 [Rezension von Thomas Vorwerk] Beim zweiten Auftritt von Sony Animation (nach
Open Season) hat man glücklicherweise mehr Zeit auf das Drehbuch verwendet, und die nette Idee, einen Animationsfilm als Pseudo-Dokumentarfilm zu verkaufen, spinnt die Idee der “unsauberen“ CGI-Animationen in SF-Fernsehserien wie
Firefly und
Battlestar Galactica weiter. Es gibt sogar vermeintlich älteres Filmmaterial, das wie in den Grindhouse-Filmen von Tarantino und Rodriguez mit künstlichen Schlieren und Kratzern verfeinert wurde. Für das jüngere Publikum ist das zwar alles eine Ebene über dem Erfahrungshorizont, aber
animation isn’t just for kids anymore...
Pinguine hat man zwar in letzter Zeit recht häufig computeranimiert gesehen (und meine Nichte wollte mir auch lange Zeit nicht glauben, daß sie diesen Film nicht schon längst auf DVD gesehen hat), aber nach semimilitärischen Quartetten und gesangs- und steptanz-begabten Frackträgern kommen nun surfende Pinguine (und ein Gockel), und die Ikone, die diesen Sport überhaupt nur möglich gemacht hat, wird von niemandem anderen als Jeff “The Dude” Bridges gesprochen, der sich abgesehen von den White Russians auch ganz wie in
The Big Lebowski verhält. Es gibt sogar eine Pinkelszene, die aber so subtil das eigentliche Urinieren ausspart, daß für die Kinder der Gag später nochmal erklärt werden muss. “
The Chinaman is not the issue here!”
Auch die Frisur von Reggie Belafonte erinnert an einen bekannten Boxmanager, und diversen gastsprechenden Sportkommentatoren gehen sogar über meinen Erfahrungshorizont hinaus, ähnlich wie bei
Cars. Die eigentliche Geschichte dreht sich mal wieder um “winning isn’t everything”, Karriere und Selbstfindung sowie natürlich eine schnucklige Pinguindame, die wie nebenbei gegen Ende unserem Helden um den Hals fällt. Nicht Besonderes, aber gute Unterhaltung mit einigen schönen Inszenierungs-Ideen, und zwischendurch manchmal recht frech. Auf jeden Fall eine klare Verbesserung zu
Open Season, noch zwei oder drei Filme und Sony Animation könnte eine ernsthafte Konkurrenz zu Pixar oder Dreamworks darstellen...
“I hope the cameras are rolling because you're gonna want to watch it over and over.” - “Can I get in line now to not see it?”
American Gangster
(R: Ridley Scott)
USA 2007, Buch: Steven Zaillian, Vorlage (Zeitungsartikel): Mark Jacobson, Kamera: Harris Savides, Schnitt: Pietro Scalia, Musik: Marc Streitenfeld, Production Design: Arthur Max, Kostüme: Janty Yates, mit Denzel Washington (Frank Lucas), Russell Crowe (Detective Richie Roberts), Chiwetel Ejiofor (Huey Lucas), Josh Brolin (Det. Trupo), Lymari Nadal (Eva), Ted Levine (Det. Lou Toback), Roger Guenveur Smith (Nate), John Hawkes (Det. Freddie Spearman), RZA (Moses Jones), Yul Vazquez (Alfonse Abruzzo), Cuba Gooding Jr. (Nicky Barnes), Armand Assante (Dominic Cattano), Ruby Dee (Mama Lucas), Idris Elba (Tango), Jon Polito (Rossi), 158 Min., Kinostart: 15. November 2007 [Rezension von Daniel Walther] Langsam und sehr detailgetreu dokumentiert Ridley Scott in seinem neuen Film den Aufstieg und Fall des ersten großen schwarzen Gangsterbosses, zumindest lässt sich das so auf der zugehörigen Website nachlesen. Allerdings kommt eine gesetzesuntreue Figur wie die des Frank Lucas (Denzel Washington) in einem “Gangster Biopic” selten ohne Gegenspieler aus, der in diesem Film Detective Richie Roberts heißt und von Russell Crowe gespielt wird.
Nachdem Frank Lucas das Mafia-Geschäft bei seinem Boss Bumpy Johnson als Chauffeur von der Pieke auf gelernt hat, startet er nach dessen Tod Ende der 1960er eine eigene erfolgreiche kriminelle Karriere und nimmt somit seinen Platz ein. Es ist die Zeit des Vietnamkriegs und Lucas ist ein gewiefter “Geschäftsmann” mit einem wachen Verstand, und so kommt er auf die Idee, den Stoff direkt in Vietnam zu kaufen, sodass er damit auf einen Zwischenhändler verzichten kann. Den Transport der reinen Ware übernimmt das US-Militär, bei dem Lucas gute Verbindungen aufgebaut hat. Etwa zehn Jahre ist er sehr erfolgreich und verdient eine Menge Geld dadurch, dass sein Stoff (“Blue Magic” genannt) doppelt so wirkungsvoll aber auch halb so teuer ist. Dadurch wird er zu
dem mächtigsten Mann in Harlem. Der bereits erwähnte Gegenspieler Detective Richie Roberts ist das genaue Gegenteil. Ein unbestechlicher Cop in einer Zeit als die New Yorker Polizei für ihre Bestechlichkeit berüchtigt war. Richie ist so sauber und ehrlich, dass er sogar einen Wagen mit fast einer Million Dollar im Kofferraum an Drogengeld ordnungsgemäß abliefert. Derart große Ehrlichkeit weckt natürlich das Misstrauen der Kollegen, bringt ihm aber den Job als Leiter einer Sondereinheit gegen Drogen-Kriminalität ein. So stößt Richie bei seinen Ermittlungen irgendwann natürlich auf Frank Lucas. Dessen Monopolstellung auf dem Drogenmarkt zerbricht mit dem Ende des Vietnamkriegs und damit ist Lucas’ Abstieg besiegelt, sodass er am Ende wie in
Catch me if you can artig mit Richie Roberts zusammenarbeitet und ihm hilft.
Natürlich gibt es zu den beiden Hauptdarstellern noch einen ganzen Haufen von namhaften Nebendarstellern. Da wäre zum einen Josh Brolin als korrupter mieser Cop, hervorzuheben wäre aber auch Cuba Gooding Jr. Als Nicky Barnes macht er sich nicht schlecht als 70er Pimp mit Federboa. Überhaupt ist die Ausstattung des Films hervorragend und es gelingt Scott, 70er-Flair zu erzeugen. Der Film hangelt sich an den üblichen genretypischen Etappen entlang, von dem Aufstieg, dem ersten Feiern des Erfolges und dem Finden der Liebe bei Lucas bis zu dem Punkt, an dem die Nerven zusehends blanker liegen und eben alles zusammenfällt. Ebenso typisch wie die Entwicklung der Geschichte ist die ambivalente Darstellung von Frank Lucas. Zum einen der smarte und intelligente Familienmensch, dann aber zum anderen der skrupellose und mordende Gangsterboss. Das Gegenteil dazu stellt Richie Robertson dar, wenn wir beobachten können, wie er keinen Bezug zu seinem kleinen Sohn findet und seine Ehe an seiner Untreue zerbricht. Umso besser - jetzt hat seine Arbeit die ungeteilte Aufmerksamkeit. Interessant ist, dass mit Frank Lucas nach den bekannten Gangster- bzw. Mafia-Figuren aus Filmen wie
The Godfather, Scarface, Good Fellas oder aber auch
Donnie Brasco hier erstmals ein Schwarzer Gangsterboss ist, welcher aber filmisch genau wie die Hauptfiguren aus den genannten Filmen präsentiert wird. Nichtsdestotrotz schleppt sich der Film mit seinen 158 Minuten dahin, weil keine richtige Spannung aufkommen möchte, denn alles wirkt vorhersehbar und der Versuch, alles ganz detailliert und aufmerksam zu entfalten gelingt nur teilweise. Auch hätte der Film mithilfe der über die zwei Hauptdarsteller hinweg gute Besetzung das Thema des Drogenhandels eingehender behandeln können, doch diese Möglichkeit wird nicht genutzt. Was zusätzlich irritiert: Russell Crowes Darstellung erinnert stark an jene in
A Beautiful Mind, was angesichts seiner Rolle hier merkwürdig scheint - aber auch ein rein subjektiver Eindruck sein könnte.
Leider leidet der Film an einer Überdosis Gold, soll heißen es wirkt, als wenn die teilweise mehrfach oscar-prämierten Scott, Washington und Crowe mit ihrer Preiserfahrung genau wissen, wie man die nächste Oscarnominierung herauskitzeln könnte und genau so wirkt
American Gangster, was auch die vielfach attestierte Ähnlichkeit zu
The Departed erklären könnte.
Eben dieses routinierte und alle Zutaten beachtende des Films macht auch seine größte Schwäche aus: er ist zu jedem Zeitpunkt vorhersehbar. Dadurch soll nicht einmal die anständige Darstellung von Denzel Washington oder auch die Arbeit von Ridley Scott geschmälert werden, aber es gibt nichts Überraschendes.
Der Krieg des Charlie Wilson
(R: Mike Nichols)
Originaltitel: Charlie Wilson's War, USA 2007, Buch: Aaron Sorkin, Vorlage: George Crile, Kamera: Stephen Goldblatt, Schnitt: John Bloom, Antonia Van Drimmelen, Musik: James Newton Howard, mit Tom Hanks (Rep. Charlie Wilson), Amy Adams (Bonnie Bach), Julia Roberts (Joanne Herring), Philip Seymour Hoffman (Gust Avrakotos), Ned Beatty (Rep. Doc Long), Brian Markinson (Paul Brown), Daniel Eric Gold (Donnelly), Ken Stott (Zvi), Om Puri (President Zia), Faran Tahir (Brigadier Rashid), Rizwan Manji (Colonel Mahmood), Jud Tylor (Crystal Lee), Hilary Angelo (Kelly), Cyia Batten (Stacey), Emily Blunt (Jane Liddle), Peter Gerety (Larry Liddle), Wynn Everett, Mary Bonner Baker, Rachel Nichols, Shiri Appleby (“Charlie’s Angels“), 97 Min., Kinostart: 7. Februar 2008
Michael Clayton
(R: Tony Gilroy)
USA 2007, Buch: Tony Gilroy, Kamera: Robert Elswit, Schnitt: John Gilroy, Musik: James Newton Howard, mit George Clooney (Michael Clayton), Tom Wilkinson (Arthur Edens), Tilda Swinton (Karen Crowder), Sean Cullen (Gene Clayton), Sydney Pollack (Marty Bach), Michael O'Keefe (Barry Grissom), Ken Howard (Don Jefferies), Denis O'Hare (Mr. Greer), Robert Prescott (Mr. Verne), Austin Williams (Henry Clayton), Merritt Wever (Anna), David Lansbury (Timmy Clayton), Sam Gilroy (Copy Kid), 119 Min., Kinostart: 28. Februar 2008 (ursprünglich 15. November 2007) [Rezensionen von Thomas Vorwerk]
Zwei Filme mit einem ähnlichen Problem. Von weitem wirken sie bedeutend, sammeln Oscar-Nominierungen (okay,
Charlie Wilson’s War hat nur eine...), doch aus der Nähe betrachtet sind sie vor allem belanglos. Mike Nichols hat in vierzig Jahren so manchen großartigen Film inszeniert, und nach einigen weniger interessanten Werken hatte er mit
Closer (wie sein Frühwerk
Who’s afraid of Virginia Woolf? auf einem Theaterstück mit eingeschränktem Personal basierend) wieder von sich reden machen. Dem folgt jetzt also eine politisch bedeutsame Polit-Satire mit nicht weniger als drei Oscar-Gewinnern in den Hauptrollen. Nur leider zeigt der Film deutlicher als jeder andere, dass Tom Hanks inzwischen über seinen Zenit ist, und die hauptberufliche Mutter Julia Roberts hat sich bei ihren geschätzten vier Drehtagen auch nicht unbedingt überanstrengt. Wie eine Briefmarke stolziert sie durch den Film, zuviele Leute waren wohl der Ansicht, dass schon ihr Name und ihr Gesicht diesen Film adeln. Doch selbst der kleine Auftritt von Emily Blunt und die in den Hintergrund gedrängte Rolle von Amy Adams sind zu jedem Zeitpunkt interessanter als Frau Roberts verblassender Sex-Appeal, der hier ähnlich wie bei ihrem Auftritt in
Confessions of a Dangerous Mind dargeboten wird, als sei sie der Inbegriff einer
Femme Fatale. Fatal ist das schon, aber nicht besonders verführerisch.
Mit Abstand am interessantesten ist Philip Seymour Hoffman, der seine ganz persönliche Version eines Geheimagenten à la James Bond gibt (“You’re no James Bond” - “You’re no Thomas Jefferson, either. Let’s call it even.”).
Tom Hanks gibt den Volksvertreter Charlie Wilson, der gerne mit nackerten Mädels zusammen badet, Whisky trinkt, oder sich bei irgendwelchen Kommissionen nur dann beteiligt, wenn er dadurch beispielsweise besser an ballettkarten herankommt. Seine vielzähligen Sekretärinnen nennt er “Charlie’s Angels” und es ist auch offensichtlich, durch welche hervorstechenden “Talente” diese ihren Job bekommen haben. Aber, und hier beginnt die Verlogenheit dieser “wahren” Geschichte, man sieht Wilson nie seine Sekretärinnene vernaschen, sein Alkoholproblem drängt sich nicht in den Vordergrund, er bleibt vor allem ein “liebenswertes Schlitzohr”, wobei ich persönlich unter “liebenswert” etwas anderes verstehe, die Intention der Inszenierung aber so auslege. Wilson ist vor allem damit beschäftigt, seine Wahl-Sponsoren bei Laune zu halten, ohne dafür das Rechtssystem allzu offensichtlich mit Füßen zu treten, und als er im Whirlpool vom Einmarsch der Russen in Afghanistan hört, will er plötzlich auch mal etwas bewegen ...
Nun will ich den russischen Einmarsch nicht verteidigen, wer der Aggressor war, ist offensichtlich. Doch wie hier das hehre Ziel, russische Helikopter abzuschießen, sämtliche “schelmische” Korruption in den Hintergrund drängt, wie die Helikopterpiloten selbst wie Witzfiguren dargestellt werden, die es nicht anders verdient haben, und dann fast mit Szenenapplaus abgeballert werden, das hat etwas irgendwie krankes, was die US-Amerikaner in ihrer Selbstgefälligkeit womöglich nicht einmal bemerken. Um die Wertigkeit klarzustellen, zeigt man zuvor arme afghanische Opfer des Konflikts, doch wenn ausgerechnet ein “feiger” Überfall eines Russen mit Bildern wie aus einem Videospiel gezeigt wird, dann gerät das gesamte Moralkonzept des Films ins Wanken, und statt einer Politsatire wirkt das Ergebnis wie eine
M*A*S*H-Folge von einem
Klimbim-Regisseur, wobei Philip Seymour Hoffman sozusagen der wöchentliche Gaststar ist.
Michael Clayton ist nicht ganz so ärgerlich wie
Charlie Wilson’s War, dafür aber noch belangloser, denn im Film von Mike Nichols gibt es zwischendurch auch vieles Interessantes zu bestaunen, und teilweise wird man immerhin unterhalten. Bei
Michael Clayton hingegen hat man das Gefühl, den Film schon ca. zweimal gesehen zu haben. Gerade im Umfeld von George Clooney und Steven Soderbergh gibt es eine ganze Reihe von “solchen” Filmen, bei denen eine komplex verästelte Geschichte viele Nebenhandlungen erlaubt, und je nach Befähigung können Clooney, Soderbergh und ihre Epigonen wie Stephen Gaghan (der Regisseur von
Syriana, den man wie Tony Gilroy, den Autoren der
Bourne-Filme, vor allem als Drehbuchautor kannte) daraus auch interessante Filme machen, bei denen es immer wieder um ein Spektrum unterschiedlich “schuldiger” und “unschuldiger” Figuren geht, von denen am Ende keiner eine weiße, sondern alle nur eine unterschiedlich graue Weste tragen.
Das Stichwort “graue Weste” passt hier ganz gut, denn eine der besten Szenen des Films zeigt Tilda Swinton in einem unter den Armen arg durchgeschwitzten Seidenhemd, wie sie auf einer noblen Damentoilette fast einen Nervenzusammenbruch erleidet. Dafür kann man schon mal eine Oscar-Nominierung rausrücken, doch noch besser hätte die Szene gewirkt, wenn es nicht die erste der Schauspielerin gewesen wäre, und der Zuschauer erst anderthalb Stunden später erfährt, was denn ihr Dilemma ist. Da der Film nach der Clooney-Figur benannt ist, die auch durchweg im Mittelpunkt des Geschehens bleibt, erhöht die vorweggestellte Szene auch nicht unbedingt die Spannung, sie bleibt eine der fragwürdigen Entscheidungen des Regisseurs, die fast mehr im Dienste der Darstellerin als des Films zu stehen scheint. Ebenfalls für einen Oscar nominiert wurde Tom Wilkinson, meines Erachtens weniger für seine Darstellung als für seinen Mut, sich komplett zum Hanswurst zu machen. Und George Clooney bewegt sich genauso schlafwandlerisch durch den Film wie durch
The Good German,
Syriana usw. Einmal will er eine Autotür öffnen, und ich wartete bereits auf die Explosion, die dann aber erst 20 Minuten später kommt. Oft wirkt der Film wie ein “Best of” aller Filmschnipsel, die sich auf dem Fußboden des Schneideraums aller Section Eight-Filme von oder mit George Clooney angesammelt haben (mit Ausnahme der Danny Ocean-Filme). Und das mag zwischendurch mal amüsant sein, aber nicht annähernd abendfüllend. Bezeichnend für den Film finde ich auch, dass er versucht, ausgerechnet über seltsame Verbindungen zu einem Rollenspiel (“conquest and realm” könnten auch Begriffe aus der Managerwelt sein, das Pferd wirkt wie eine verpatzte Hommage an das Origami-Einhorn in
Blade Runner) sowas wie Tiefgang zu vermitteln. Sorry, didn’t work!
Für den unbekannten Hund
(R: Dominik & Benjamin Reding)
Deutschland 2007, Buch: Dominik & Benjamin Reding, Kamera: Axel Henschel, Schnitt: Heike Ebner, Ton: Bernd Hackmann, mit Lukas Steltner (Bastian), Sascha Reimann (Festus), Zarah Löwenthal (Leila), Gunnar Melchers (Schmiege), Josef Heynert (Maik), 107 Minuten, Kinostart: 6. Dezember 2007 [Rezension von Friederike Kapp] Bastian (Lukas Steltner) ist ein ziemlich unsympathischer junger Mensch, ziellos, unzufrieden, destruktiv. An einer einsamen Tankstelle erschlägt er eines Nachts einen Landstreicher. Wieder aus dem Knast, muss er feststellen, dass Kumpel und Mittäter Maik (Josef Heynert) ihn erpressen will. Als die Gelegenheit sich bietet, verlässt er mit einer Gruppe Wandergesellen die Stadt.
Erst bei den wandernden Handwerksburschen lernt Bastian soziales Handeln. Der Altgeselle Festus (Sascha Reimann) nimmt ihn in seine Obhut und vermittelt immer wieder, wenn Bastian im Kreis der Gesellen aneckt. Als Festus seiner alten Liebe, der mittlerweile sesshaften Gesellin Leila (Zarah Löwenthal), begegnet und den Zorn ihres neuen Partners heraufbeschwört, entschärft Bastian die Situation.
Die Freundschaft zwischen Bastian und Festus steht jedoch auf tönernen Füßen: Der Penner, den Bastian erschlagen hat, war Festus’ bester Freund Schmiege (Gunnar Melchers). Bastian entschließt sich, reinen Tisch zu machen.
Die Exotik des Wanderlebens, die Geheimbünde der Gesellenvereinigungen, ihre Regeln und Riten, ihre Sprache, das Fortleben mittelalterlicher Traditionen – auch überdeutlich musikalisch illustriert – sind die eigentlichen Attraktionen des Films, hinter welche die Geschichte um Bastian und seine Entwicklung vom stumpfen Schläger zu einem mitfühlenden, empfindungsfähigen jungen Mann zu häufig zurücktritt.
Für den unbekannten Hund wirkt deshalb über weite Strecken wie ein Gang durchs Freilichtmuseum (geführte Tour) und birgt, wie der für jeden Wandergesellen überaus bedeutsame “Stenz” (Wanderstab), trotz aller knorrigen Windungen letztlich wenig Überraschung. Zum Glück ist der Film bei allem jugendlichen Sinn für Dramatik jedoch nicht frei von Humor. Er hätte insgesamt mehr Brechung vertragen.
Mein Kind vom Mars
(R: Menno Meyjes)
Originaltitel: The Martian Child, USA 2007, Buch: Seth E. Bass, Jonathan Tolins, Lit. Vorlage: David Gerrold, Kamera: Robert Yeoman, Schnitt: Bruce Green, Musik: Aaron Zigman, mit John Cusack (David Gordon), Bobby Coleman (Dennis), Amanda Peet (Harlee), Joan Cusack (Liz), Sophie Okenedo (Sophie), Oliver Platt (Jeff), Richard Schiff (Lefkowitz), Taya Calicetto (Esther), Zak Ludwig (Young David), Bud (Somewhere / Flomar), 106 Min., Kinostart: 8. November 2007 [Rezension von Thomas Vorwerk] Der Grund für einen Kinobesuch war hier recht offensichtlich: John und Joan Cusack zusammen in einem Film, noch dazu mit der bahnbrechenden Casting-Idee, sie Geschwister spielen zu lassen. Leider erwies sich dies nicht als abendfüllend.
Wie zuletzt in
1408 spielt John Cusack hier wieder einen Schriftsteller, diesmal den Sci-Fi-Spezialisten David Gordon, der sich, so erfahren wir recht früh, als Kind wie ein Außerirdischer gefühlt hat. Wie sinnig also, daß David ein Kind adoptieren will, das sich ebenfalls als Außerirdischer ausgibt und verhält. Das Detail, daß es eine Spur komplizierter sein dürfte, als allein lebender Mann eine Art “Adoption auf Probe” zugewilligt zu bekommen, wollen wir an dieser Stelle ebensowenig genauer untersuchen wie die recht offensichtliche Rolle von Amanda Peet als jüngere Schwester der verstorbenen Gattin Davids. Um innovative Geschichten geht es hier nicht, die neue Familie nebst Hund ist bereits vorprogrammiert, und zumindest über die literarische Vorlage (eine Kurzgeschichte des SF-Autors Dave Gerrold, schon über die Namensähnlichkeit drängt sich eine autobiographische Note auf) wird eine Art Authentizitätsversuch gestartet.
Der Einsatz von CGI-Effekten, um beispielsweise Ampeln und Sterne zu visualisieren, wirkt zu Beginn noch recht vielversprechend, doch auch visuell bleibt der Film irgendwann auf der Strecke, und selbst schauspielerisch gibt es zwar neben den Cusack-Geschwistern noch Angelica Huston, Sophie Okonedo, Oliver Platt und den überzeugenden Kinderdarsteller, doch die Geschichte ist zu schablonenhaft, um jemals mehr zu bewirken als die standardisierten cinematographischen Beeinflussungen der Tränendrüsen. Im Grunde genommen wirkt der Film wie für eine sehr eingeschränkte Zuschauergruppe geschaffen: Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch, die auf John Cusack stehen. Laut Presseheft finden die Drehbuchautoren, die Cusack die Rolle auf den Leib schneiderten, daß der Film einen Meilenstein in Cusacks Karriere bildet, weil er hier erstmals einen Vater spielt. Dummerweise haben sie dabei aber mindestens
1408 und
Pushing Tin vergessen (in letzterem spielt Cusack einen zweifachen Vater) - und Filme von vergesslichen Drehbuchautoren haben mitunter ein Problem...
27 Dresses
(R: Anne Fletcher)
USA 2007, Buch: Aline Brosh McKenna, Kamera: Peter James, Schnitt: Priscilla Nedd-Friendly, Musik: Randy Edelman, Kostüme: Catherine Marie Thomas, mit Katherine Heigl (Jane), James Marsden (Kevin), Malin Akerman (Tess), Edward Burns (George), Judy Greer (Casey), Michael Ziegfeld (Taxi Driver Khaleel), Peyton Roi List (Young Jane), Charli Barcena (Young Tess), Anne Fletcher (Rude Taxi Stealer), 107 Min., Start: 14. Februar 2008 [Rezension von Thomas Vorwerk] “Vom Autor von
Der Teufel trägt Prada“ prangt es auf dem Plakat. Liegt es nur an mir, dass ich mich wundere, dass es a) nicht “Autorin“ heißt, und b) gar nicht um die Romanautorin Lauren Weisberger, sondern um die Drehbuchautorin Aline Brosh McKenna (
Three to Tango) geht, die hier als Motivation zum Kinobesuch genutzt wird?
Wenn man dann auch noch mitbekommt, wie der Trailer teilweise von völlig neuartigen Blumendüften durch die Multiplexbelüftungsanlage begleitet wird, der Film am Valentinstag startet, und man den Pressematerialien die unverzichtbare Information entnehmen kann, dass Frau McKenna “bereits zweimal Brautjungfer und einmal Trauzeugin“ war, ist man ausreichend vorgewarnt, dass es sich um einen
chick flick handelt. Doch auch Filme, die vorgeblich für Frauen konzipiert sind, können ein gemischtgeschlechtliches Publikum unterhalten und sogar begeistern ... - wenn, ja wenn ... die Qualität stimmt.
Ein Film um die (mindestens) 27fach erprobte Brautjungfer Jane (Katherine Heigl), die frei nach dem Sprichwort “always the bridesmaid, never the bride“ natürlich insgeheim auch mal einen Hochzeitsantrag von “Mr. Right“ bekommen möchte, hätte theoretisch auch Potential, doch wo
The Devil wears Prada die aktualisierte (und nicht unbedingt verschlechterte) Version eines Karrieremärchens à la
Working Girl (dt.:
Die Waffen der Frauen) war, wirkt
27 Dresses wie eine unangekündigte Zeitreise zu den Komödienvehikeln mit Rock Hudson und Doris Day. James Marsden (zuletzt als Prinz Edward in
Verwünscht, laut Presseheft außerdem Darsteller “eines Zyklopen in der
X-Men-Trilogie“) übernimmt den Hudson-Part als Gesellschaftskolumnist, dessen blumige Hochzeitsartikel unser Frauchen verzücken, während er dem Thema eigentlich eher zynisch gegenübersteht. Anders als bei Hudson wird das zugrundeliegende Trauma dieser Einstellung sogar ansatzweise erklärt, bis dann die einzige Aktualisierung der angestaubten Prämisse, eine frühe (alkoholisierte) Liebesnacht folgt, die aufgrund der Hauptdarstellerin natürlich wie ein Ripoff von
Knocked Up wirkt. Und das unglückliche Händchen bei der Auswahl der Inspirationen und (damit in Beziehung stehenden) Darsteller hat noch öfter ins sprichwörtliche Klo gegriffen, denn Malin Akerman als durchtriebene Schwester wirkt wie ein Aufguss von Cameron Diaz' Rolle in
In Her Shoes und gleichzeitig wie ein Sequel zu Akermans eigener Rolle in
The Heartbreak Kid, wo sie auch schon auf den ersten Blick wie eine Traumfrau erschien (halt eine “Ersatz“-Cameron Diaz), bis sich dann nach und nach auch ihre schlechteren Eigenschaften zu erkennen gaben. Das läuft hier genauso, nur dass sie das Ganze auch noch vorsätzlich vorgaukelt. Es folgt dann der Geschwisterzwist und die Missverständnisse zwischen den eigentlich füreinander geschaffenen (und in diesem Fall stimmt das natürlich sogar, denn vom ersten Auftritt von James Marsden an weiß man, dass er und nicht Edward Burns als Janes Chef sich durchsetzen wird), ehe der Film, der streckenweise auch noch wie eine Modenschau wirkt, zum vorhersehbaren Ende findet. Teilweise ist das Ganze extrem penetrant und langweilig inszeniert (Gute Laune mit dem Brecheisen), die Musik könnte einen schon beim Vorspann aus dem Kino verjagen, und die einzigen positiven Details, die mir in Erinnerung bleiben, waren der Gag mit dem Taxifahrer und die (zu wenigen) Auftritte von Judy Greer (
13 Going on 30, The Hebrew Hammer), die hier die undankbare Rolle bekam, für die Joan Cusack bei
Working Girl für den Oscar nominiert wurde.
Die Gebrüder Weihnachtsmann
(R: David Dobkin)
Originaltitel: Fred Claus, USA 2007, Buch: Dan Fogelman, Kamera: Remi Adefarasin, Schnitt: Mark Livolsi, Musik: Christophe Beck, , mit Vince Vaughn (Fred Claus), Paul Giamatti (Nick / Santa Claus), Miranda Richardson (Annette Claus), John Michael Higgins (Willie), Kevin Spacey (Clyde), Rachel Weisz (Wanda), Kathy Bates (Mother Claus), Elizabeth Banks (Charlene), Trevor Peacock (Papa Claus), Chris “Ludacris” Bridges (DJ Donnie), Jeremy Swift (Bob Elf), Elizabeth Berrington (Linda Elf), Frank Stallone, Roger Clinton, Stephen Baldwin (Themselves), Kinostart: 29. November 2007 [Rezension von Thomas Vorwerk] In den Vereinigten Staaten hat der Weihnachtsfilm für die ganze Familie eine erfolgreiche Tradition, in jeder Saison kommt es hier zu Abräumern wie
Elf oder
Santa Clause, die aus mitteleuropäischer Sicht kaum verständlich wirken. Mittlerweile versuchen zwar auch deutsche Produktionen, auf diesen Schlitten aufzuspringen (
Meine schöne Bescherung, Es ist ein Elch entsprungen), doch nur in den Staaten kann selbst eine weihnachtliche Backstory selbst noch Filme aus völlig anderen Genres (
Die Hard, Gremlins, Alone at Home) zu richtigen Abräumern machen.
Was momentan drüben außerdem sehr erfolgreich ist, sind Komödien in der Tradition entweder der Zucker- oder Farrelly-Brüder, und mit Bad Santa gelang es Terry Zwigoff vor einigen Jahren, eine bitterböse, politisch unkorrekte und nicht einmal jugendfreie Weihnachtsgeschichte zu erzählen, die zwar am Ende auch von einer gehörigen Portion Gutmenschentum teilgemeuchelt wurde, aber dennoch eine gewisse Form der Souverenität behalten konnte.
Eine derartige Komödie mit Paul Giamatti und Vince Vaughn, gedreht vom Komödienspezialisten David Dobkin (
The Wedding Crashers): auf dem Reißbrett sah das recht vielversprechend aus, doch wenn der Film seine witzigsten Szenen bereits hinter sich hat, bevor die Hauptdarsteller überhaupt zu sehen waren, so ist ein mittelschweres Fiasko die Folge.
Die Nacherzählung der Familiengeschichte der Brüder Fred und Nick Claus ist noch ganz putzig, im Stil der aktuell angesagten Neuinterpretationen bekannter Märchenstoffe. Doch weder ist Paul Giamatti im Fettanzug mit Wurstfingern besonders spaßig, noch traut sich Vince Vaughn als “missratener” Bruder, die Sympathien des Publikums ernsthaft aufs Spiel zu setzen - und damit verliert er auch das Interesse des Publikums.
Um noch mal auf den Regisseur zurückzukommen: Dobkin hatte seinerzeit auch
Shanghai Knights gedreht - und
Fred Claus ist ähnlich auf überflüssige Schauwerte und “theoretisch” komische Szenen abonniert. So hat man etwa John Michael Higgins (den Co-Produzent Vince Vaughn wohl aus The Break-Up rübergerettet hatte) und Ludacris als CGI-geschrumpfte Weihnachtselfen, eine riesige Nordpolkulisse, einen Hochgeschwindigkeitsflug mit Rentieren, einen mit Weihnachtshits vollgestopften Soundtrack und Kevin Spacey, der im Grunde genommen seine Rolle als Lex Luthor nochmal abspult - nur mit dem peinlichen Unterschied, dass selbst der noch ganz gelungene Bösewicht gegen Ende zu einem Besseren bekehrt wird. Kathy Bates wird bei ihren geschätzten drei Drehtagen Spaß gehabt haben, das Kostüm von Elizabeth Banks ist atemberaubend, und die beste Szene des Films wird zu einem Zeitpunkt verbraten, als sie schon nichts mehr retten kann. Fred Claus geht nämlich zum Treffen der “Siblings Anonymous” und trifft dort auf Frank, Roger und Stephen, die ebenfalls nicht gut auf ihre viel berühmteren Brüder Sylvester, Bill und Alec zu sprechen sind.
Alas, too little too late.
Asterix bei den Olympischen Spielen
(R: Frédéric Forestier & Thomas Langmann)
Originaltitel: Astérix aux jeux olympiques, Frankreich / Deutschland 2007, Buch: Thomas Langmann, Olivier Dazat, Alexandre Charlot, Franck Magnier, Comic-Vorlage: René Goscinny, Albert Uderzo, Kamera: Thierry Arbogast, Schnitt: Yannick Kergoat, Musik: Frédéric Talgorn, mit Clovis Cornillac (Astérix / Asterix), Gérard Depardieu (Obélix / Obelix), Benoît Poelvoorde (Brutus), Alain Delon (Jules Cesar / Julius Caesar), Stéphane Rousseau (Alafolix / Romantix), Vanessa Hessler (Prinzessin Irina), Jean-Pierre Cassel (Panoramix / Miraculix), Franck Dubosc (Assurancetourix / Troubadix), Josè Garcia (Couverdepus / Vielverdrus), Michael Bully Herbig (Pasunmotdeplus / Redkeinstus), Santiago Segura (Docteurrmabus / Doktormabus), Bouli Lanners (Samagas / König Aderlas), Sim (Agecanonix / Methusalix), Adriana Karembeu (Mme. Agecanonix / Mme. Methusalix), Jerôme Le Banner (Claudius Muscullus), Alexandre Astier (Mordicus / Obstinatus), Luca Bizarri (Alpha), Paolo Kessissoglu (Beta), Elie Semoun (Omega), Nathan Jones (Humungus), Jamel Debbouze (Numerobis), Dorothée Jemma (Bonemine / Gutemine), Claudia Cardinale, David Beckham, Zinédine Zidane, Michael Schumacher, Jean Todt, Tony Parker, Elsa Pataky, 120 Min., Kinostart: 31. Januar 2008 [Rezension von Thomas Vorwerk] Im Jahr 2007 erreichte der Boom der Comicverfilmungen erstmals Ausmaße, daß nahezu durchschnittlich jeden Monat eine Comicverfilmung in den deutschen Kinos Einzug hielt, darunter neben den absehbaren Sequels zu bekannten Franchises auch so unerwartete (und nicht einmal immer gänzlich misslungene) Neuzugänge wie
30 Days of Night, Ghost Rider, Sakuran, 300 oder
Persepolis. Im Kinojahr 2008 kommt somit die erste Comicverfilmung auch gleich im Januar, und ähnlich wie bei den amerikanischen Superhelden-Filmen um seit Jahrzehnten etablierte Ikonen in Pyjama-Hosen geht es auch beim neuen Asterix-Film keineswegs um die werkgetreue Umsetzung eines einzelnen, zuvor in Comicform erschienenen Abenteuers, sondern, wie es im Vorspann immerhin auch so ausgewiesen wird, orientiert man sich nur am allgemeinen “Werk” von Goscinny und Uderzo. Das bedeutet somit, daß sich zu den aus der Serie und insbesondere dem zwölften Band bekannten Figuren und Handlungen abermals aus anderen Abenteuern bekannte Figuren wie Brutus (diesmal der aus
Man Bites Dog bekannte belgische Komiker Benoît Poelvoorde) und Julius Caesar (nach Gottfried John und Alain Chabat diesmal der weitaus charismatischere Alain Delon), aber auch gänzlich neuerfundene Figuren wie der poetisch veranlagte Gallier Romantix (Stéphane Rousseau) oder die athenische Prinzessin Irina (das im Erscheinungsbild an Natalie Portman erinnernde Model Vanessa Hessler, hierzulande durch die Alice-Kampagne bekannt). Wie in den schwächeren späteren Asterix-Alben sind der (zumindest im Comic) kleinwüchsige Gallier und sein rundlicher Freund also wieder mal damit beschäftigt, einem hoffnungslosen Liebespaar (wie auch zuletzt bei der
Normannen-Verfilmung
Asterix und die Wikinger) beizustehen.
Der römische Emporkömmling Redeflus wird also durch den ebenfalls auf die Prinzessin scharfen Brutus ausgetauscht, wie als (misslungene) Wiedergutmachung wird dem der von Bully Herbig gespielte Redkeinstus zur Seite gestellt, und plötzlich wird ein Wagenrennen zur olympischen Disziplin, damit auch Michael Schumacher und Jean Todt kleine Rollen bekommen können. Das Handlungselement des Dopingmittels Zaubertrank und der blaugefärbten Zungen wird zwar beibehalten, aber anstelle mittlerweile klassischer Gags wie der bevorzugten Zubereitung von Champignons gibt es jede Menge laue Späße um Brutus’ nicht sehr subtile Methoden, seinen Vater zu töten, oder eine Dopingkontrolle durch aufblasbare Käfer (die Parallele zu Alkoholtests mit “Röhrchen” ist mir nicht entgangen, aber dieser Scherz war ein Röhrchenkrepierer), die dann später als Ekelhöhepunkt des Films verspeist werden.
Nach einem Schnelldurchlauf durch die Filmographie von Alain Delon darf auch Gérard Depardieu seine frühere Rolle als
Cyrano de Bergerac recyclen, wenn er nacheinander Romantix und Idefix (!) als Soufleuse aus dem Busch beim Liebesgeplänkel unter der Balkonbalustrade assistiert. Neben einem kurz erwähnten Folterknecht namens Guantanamos der einzig gelungene neue Gag, ansonsten gibt es Sparwitze, Langeweile und zum Ende eine nicht abreissende Nummernrevue mit leidlich bekannten Sportgrößen (oder dem Sänger Francis Lalanne), die kurz ihr Talent bei neuerfundenen Sportarten wie “Füßeball”, “Schlägerball” und “Körbchenball” demonstrieren können, bis dann die schier unendlichen zwei Stunden des Films endlich vorbei sind.
Da ich die zuvorigen Asterix-Realverfilmungen allesamt “verpasst” habe, kann ich über den “neuen” Asterix Clovis Cornillac kein vergleichendes Urteil fällen (im Gegensatz zu amerikanischen Comic-Verfilmungs-Trilogien wie
Spider-Man oder
X-Men gibt es mit Gérard Depardieu nur einen einzigen Schauspieler, der offenbar nichts besseres zu tun hatte als in allen drei Filmen mitzuspielen), aber angesichts der Begeisterung eines Bekannten bei
Mission Kleopatra muss ich davon ausgehen, daß der Vorgänger besser war. Bei den olympischen Spielen war zu keiner Zeit Grund für Begeisterung gegeben, und insbesondere ein weiterer Gastauftritt von Numerobis gegen Ende des Films (Jamel Debbouze soll laut meinen Informationen ein Qualitätsmerkmal des zweiten Films gewesen sein) unterstrich nur noch, daß man leidlich versuchte, der Qualität des früheren Films nachzueifern. Leider wie gesagt ohne Erfolg.
Es war k’einmal im Märchenland
(R: Paul J. Bolger, Yvette Kaplan)
Originaltitel: Happily N’ever After , Animationsregie: Dino Athananassiou, Buch: Rob Moreland, Doug Langdale, Kamera: David Dulac, Schnitt: Ringo Hess, Musik: Paul Buckley, mit den Original- / deutschen Stimmen von Sarah Michelle Gellar / Nina Moghaddam (Ella), Freddie Prinze jr. / Malte Arkona (Rick), Michael McShane / Martin Semmelrogge (Rumpelstiltskin), Sigourney Weaver (Frieda), George Carlin (The Wizard), Patrick Warburton (Prince Humperdink), Wallace Shawn (Munk), Andy Dick (Mambo), Tress MacNeille (Witch 1), John Polito (Wolf 1), John De Maggio (Dwarf 1 / Dwarf 2 / Giant), 87 Min. [Rezension von Thomas Vorwerk] Schon im Zusammenhang mit
Hoodwinked / Die Rotkäppchen-Verschwörung vor einem Jahr habe ich festgestellt, dass der Märchenfundus momentan munter gefleddert wird, und bei dem ziemlich bescheuert betitelten
Happily N’ever After, der sich auch noch damit rühmt, vom Produzenten von
Shrek und
Shrek II zu stammen (da heutzutage jeder etwas größere Film an die 20 Produzenten hat, kann man sich schnell ein aufregendes Œuvre zusammenstellen), wird diese Tendenz weitergeführt, was aber vor allem verdeutlicht, daß man den Märchenschatz der Gebrüder Grimm auch nur soundso oft neu interpretieren kann, bis sich selbst bei abgedrehten und abenteuerlichen Nacherzählungen nur noch Langeweile einstellt. Während ich noch ein glühender Verehrer von
Shrek II mit seinen vielen Filmanspielungen war, war
Shrek the Third für mich nur noch ein schwacher Abklatsch, und ausgerechnet der gemeinsame Aufruhr der Märchenbösewichte aus
Shrek the Third findet sich auch hier als wichtigstes Handlungselement. Damit wird sogar der Titel des Films eingeführt / erklärt, ehe dann die Handlung vorm vermeintlichen Höhepunkt einfriert und alles noch mal ganz in Ruhe anhand eines empfindsamen Märchen-Schicksals-
Gleichgewicht aufgebaut wird, auf das während der Abwesenheit des Zauberers seine zwei Lakaien aufpassen sollen, was zu einer schnellen Folge von Sparwitzen auf Kosten von Froschkönig, Rapunzel etc. führt, ehe dann die eigentlichen Hauptfiguren eingeführt werden, die hoffnungslos in den Märchenprinzen verschossene Ella (übrigens keine Kurzform für Salmonella oder Mozzarella, sondern eher für Cinderella) und der von ihr kaum beachtete Rick, der sozusagen das männliche Aschenputtel gibt. Damit wären auch fast alle Ideen dieses Film bereits aufgelistet (einzig die drei Köche, die ihre unterschiedliche Körpergröße durch entsprechende Kochmützen kompensieren, könnte man als Designidee noch erwähnen, für die Unbelehrbaren lasse ich die zwei bis drei noch halbwegs gelungenen Scherze an dieser Stelle aus), was folgt, ist dann eine mäßig spannende und mäßig witzige Geschichte, die angeblich die Genrekonventionen durchbrechen soll, aber dabei so klischeebeladen ist, dass man jederzeit eine Viertelstunde im Kinosessel einschlafen kann, ohne beim Aufwachen ein Problem damit haben zu dürfen, der Geschichte zu folgen.
Die rote Zora
(R: Peter Kahane)
Deutschland 2008, Buch: Peter Kahane, Ronald Kruschak, Christian Zübert, Lit. Vorlage: Kurt Held, Kamera: Dragan Rogulj, Schnitt: Gudrun Steinbrück, Musik: Detlef Petersen, mit Linn Reusse (Zora), Jakob Knoblauch (Branko), David Berton (Duro), Pascal Andres (Nicola), Woody Mues (Pavle), Mario Adorf (Gorian), Ben Becker (Karaman), Dominique Horwitz (Ivekovic), Hilmi Sözer (Begovic), Badasar Calbiyik (Dordevic), Nora Quest (Zlata), Jan Jakob Müller (Karamans Sohn), Jannik Werner (Ivekovics Sohn), Moritz Grabbe (Stjepan), Iris Minich (Anka), 99 Min., Kinostart: 24. Januar 2008 [Rezension von Ni Gudix]Kitsch mit KlamaukMeine Schwester hat mich dazu angehalten, unvoreingenommen in diesen Film zu gehen. Das ist schwer, denn das Buch von Kurt Held und die Serie von Fritz Umgelter hatten meine Jugend gebeizt wie kein anderes Kulturwerk davor. Ich war elfeinhalb, als mich der Zora-Virus infizierte: auf SWR3 lief die Serie wochentags um 18.30h, nach der „Sesamstraße“ und vor dem „Sandmännchen“, und kaum hatte ich Lidija Kovacevic als Zora zum ersten Mal gesehen, war's um mich geschehen. Ich sog die Geschichte und die Dialoge auf wie ein Schwamm das Wasser; ich las mit roten Ohren im Buch, das ich kurz danach von meiner Mutter bekommen hatte, die Folgen nach, die ich gerade im Fernsehen gesehen hatte; ich lief mit meiner kleinen Schwester durch den Wald der Umgebung und spielte Zora (was vor allem bedeutete: barfuß über Steine und Unkraut zu laufen, vom Trimm-Dich-Pfad abzuweichen und durchs Gehölz zu streichen und sich vorzustellen, man würde von wilden Gymnasiasten oder einem Luchs verfolgt); ich erinnere mich sogar noch, daß ich einmal nachts vor mich hinsagte: „Lieber Gott, mach, daß morgen alle Kleider in meinem Kleiderschrank aussehen wie die von Zora!“ (Leider erhörte Gott mein Gebet nicht; lange zerrissene Röcke besaß ich immer noch nicht.) Kurz: „Die rote Zora und ihre Bande“ war eine Bombe gewesen. Von allen Autoren, Büchern, Fernsehserien und Filmen hatte mich nichts so dermaßen beeindruckt. Astrid Lindgren, Michael Ende, Janosch, Paul Maar, „Nils Holgersson“, „Pinocchio“, „Luzie der Schrecken der Straße“ – das war alles auch da, sicher. Aber ganz oben auf dem Olymp saß Zora. Unerreichbar. Unvergleichlich. Später gab es noch einige andere „ähnliche“ Serien wie z.B. „Der Stein des Marco Polo“ oder „Die schwarzen Brüder“, aber für mich waren das nur fade Surrogate. Jede Woche überflog ich die Spalten der 3.Programme in der Fernsehzeitung, um ja keine Wiederholung zu verpassen, und als sich meine Eltern einen Videorekorder anschafften, nahmen wir einmal alle 13 Folgen auf VHS auf.
Die Nachricht einer Verfilmung des Stoffes hatte mich 2006 gefreut, zumal ich manchmal das Gefühl gehabt hatte, daß es außer mir nicht sonderlich viele Zora-Überzeugte gab. Man vergesse nicht, daß meine Infektion in einer Zeit stattfand, als es noch keinen Merchandising-Schnickschnack zu Filmen und Büchern zu kaufen gab und als man sich auch noch nicht im Internet mit Gleichgesinnten austauschen konnte, weil es kein Internet gab. Man hatte die Möglichkeit, sich den Roman zur Serie zu kaufen und zu lesen. Oder man konnte die Serie seinen Mitschülern empfehlen – das änderte aber nichts an der Tatsache, daß man dennoch nichts anderes tun konnte als warten, bis irgendein Programmdirektor die Serie wieder auszustrahlen gewillt war. Man konnte Briefe schreiben an die Fernsehanstalten, was ich auch ein paarmal tat – aber mehr Möglichkeiten, sein Glühen auszuleben, gab es nicht. Man mußte seine eigene Phantasie in Gang setzen und in Rollenspielen glühen. Da es keine Schlüsselanhänger mit Zora-Bildchen drauf zu kaufen gab, machte ich mir meine Zora-Souvenirs selber: ich schnitt die Bildchen aus, die in der Fernsehzeitung drin kamen, und ich las das Buch so oft, bis ich es auswendig konnte. Auch die Titelmusik der Serie konnte ich schnell abrufen; und bis heute durchströmt mich Glück, wenn ich sie irgendwo höre oder im Kopf abspulen lasse. Auf CD habe ich sie nicht, auch nicht als PC-Musikdownload.
Ich hätte mein Glühen damals gern mit jemandem geteilt, aber außer meiner Schwester schien niemanden der Stoff zu interessieren. Auch später wunderte ich mich manchmal, wie „Die Rote Zora“ in Listen von großartigen Jugendbüchern oder gelungenen Verfilmungen fehlen konnte – man redete über Paul Maars „Sams“, man redete über „Harry Potter“, man lobte Astrid Lindgren und Michael Ende in den höchsten Tönen, man entdeckte Cornelia Funke – aber was ist denn mit Kurt Held und der „Zora“?! Das Buch als Kinofilm zu zeigen schien mir eine gute Idee, das ganze mal wieder ins Gespräch zu bringen.
Also: ich freute mich auf den Film.
Aber ich wurde ziemlich enttäuscht.
Der Film „Die rote Zora“ von Peter Kahane ist schlecht. Man kann es nicht anders sagen.
Nicht, weil er Sachen anders inszeniert als Fritz Umgelter das tat – nein, so will ich hier nicht argumentieren, denn so kommen wir nicht weiter. Ich habe mich informiert: was wollte Peter Kahane mit seiner Verfilmung erreichen, was war ihm wichtig? Wollte er einen Film „frei nach Kurt Held“ drehen?
Nein. Er gab an, sich wesentlich an die Romanvorlage gehalten zu haben. Er „respektiere Kurt Helds spannende Abenteuergeschichte“ und habe versucht, „die Balance zwischen emotionalen und aktionsreichen Szenen zu halten und dabei nicht nur der Vorlage gerecht zu werden, sondern auch seinen jüngeren Zuschauern“.
Noble Vorsätze, doch beide funktionieren nicht. Der Vorlage wurde der Film nicht gerecht, weil er kitschig, unglaubwürdig und klamaukhaft geriet. Von einer „Balance“ ist nichts zu spüren; vielmehr wird zwischen ausgesprochen dümmlich und plakativ wirkenden Gefühlsduseleien und slapstickhaften Prügel- und Verfolgungsszenen hin- und hergewechselt. Und den „jüngeren Zuschauern“ wird er auch nicht gerecht, weil er sie unterfordert. Er mißachtet das wichtigste Gebot aller großen Kinderbuchautoren: KINDER SIND NICHT DUMM. Kinder merken es sehr wohl, wenn man sie für doof hält und ihnen leichte Kost serviert, weil sie angeblich die Zusammenhänge nicht verstehen. Erich Kästners, Michael Endes, Janoschs, Astrid Lindgrens Bücher, aber auch die Abenteuergeschichten von Federica de Cesco, Lisa Tetzner, Klaus Kordon oder Mark Twain sind deshalb zeitlose Klassiker, weil sie anspruchsvoll sind und den Kindern zutrauen, diesem Anspruch gerecht zu werden.
Auch Kurt Helds Buch ist anspruchsvoll, und Kahane hat das Verbrechen begangen , ausgerechnet den Anspruch aus dem Buch weggekürzt zu haben, wodurch auch die Glaubwürdigkeit leidet und das ganze Konzept des Romans in die Tonne getreten wird.
Den genauen Inhalt des Buches möchte ich hier nicht wiederholen, er ist hinreichend bekannt und steht im Internet überall, bei Amazon, bei Wikipedia oder auch auf tv-kult.de. Ich möchte hier lediglich aufzeigen, warum der Film nicht funktioniert.
Kahane mußte sich zunächst fragen: wie presse ich 384 Seiten Text in 90 Minuten? Fritz Umgelter hatte zumindest 13 mal 30 Minuten Zeit gehabt. Mir ist klar, daß man kürzen und zusammengießen muß, will man aus einem Buch einen Film machen; und insofern hatte ich Plotverschlankungen erwartet. Man kann einen großen dicken Roman verfilmen, indem man einige Nebenhandlungen im Roman für den Film streicht und sich auf einen Hauptplot konzentriert.
Das hat Kahane aber nicht richtig, d.h. nicht konsequent gemacht. Teile aus dem Buch sind wirklich ersatzlos gestrichen worden, aber das, was er drinließ, ist immer noch viel zuviel und steht manchmal ohne Funktion in der Gegend herum, so daß der Film streckenweise nur ein Schnelldurchlauf des Buches ist. Alles geht wahnsinnig schnell. Branko kommt in die kleine Stadt, hört, wie Karaman (Ben Becker) den Bürgermeister (Dominique Horwitz) besticht, sieht einen alten Fischer (Mario Adorf) hinter seinem Marktstand, hebt einen Fisch auf, kommt ins Gefängnis, wird von einem Mädchen gerettet und erfährt, daß das Mädchen eine Bande hat und in einer Burg haust. Im Film erfahren wir zwischen diesen Aktionen nichts. Wir wissen nicht, was Branko mit dem Fischer Gorian verbindet, wir wissen nicht, warum Branko einen Fisch aufhebt, und über Branko wissen wir auch so gut wie nichts. Branko hat weder Karaman noch Doktor Ivekovic noch das Mädchen mit den roten Haaren, die ihn dann aus dem Gefängnis holt, je zuvor gesehen; insofern ist die fixe Vertrautheit, die zwischen Branko und Zora herrscht, nicht recht nachvollziehbar. Und auch aus Zoras Sicht muß man fragen: warum wandert sie, nach ihrem Kotelettdiebstahl zu Beginn, gleich so einträchtig neben einem Jungen her, den sie vor einer Minute zum erstenmal gesehen hat? Woher will sie wissen, daß Branko keiner von der „anderen Seite“ ist? Sie kennt ihn ja gar nicht! Müßte man nicht erwarten, daß eine stadtbekannte Diebin und Bandenanführerin, die von der Polizei gesucht wird, vorsichtiger sein sollte und nicht jeden einfach so anquatschen, geschweige denn einfach so in ihre Bande aufnehmen?
Diese Unklarheiten wären nicht entstanden, wenn sich Kahane an das Buch gehalten hätte. Was ihn dazu bewog, Branko von auswärts nach Senj kommen zu lassen „auf der Suche nach seinem Vater“, bleibt sein Geheimnis. Im Buch ist Branko ein Senjer Gassenbub, der die rote Zora zwar noch nicht kennt, aber viel über sie hört und sie auch gelegentlich über den Markt huschen sieht. Und auch Zora kennt Branko vom Sehen und weiß, daß er genauso arm ist wie sie.
Das mit Arm und Reich ist meines Erachtens das größte Problem im Film. Daß sich Zora und ihre Jungs aus existentieller Not zusammenraufen, daß sie nicht viel mehr besitzen als das, was sie am Leibe tragen, daß sie einiges durchgemacht haben und nur deshalb Lebensmittel klauen, um nicht zu verhungern – darauf kommt man im Film nicht. Alle fünf Bandenmitglieder sehen proper und gesund aus, ihre Kleider sind zwar interessant kombiniert, aber nicht die Bohne zerschlissen, zerrissen oder sonstwie so, wie man sich die Kleidung von Straßenkindern auf dem Balkan Ende der 1920er Jahre vorstellt, und alle fünf tragen sie Socken und Schuhe. Man hat den Eindruck, es handelt sich um fröhliche Schulschwänzer, um Gymnasiasten im Zivil, die sich nachmittags in einer Burgruine treffen, um ein wenig Abenteuer zu spielen. Hat Kahane sich etwa von Enid Blyton oder Miß Ponybiß oder TKKG inspirieren lassen?! “Fünf Freunde in der Burg Nehajgrad“, “Fünf Freunde auf Abenteuer in Kroatien“: brrr! Zora erklärt Branko natürlich den Hintergrund ihrer Bandenmitglieder – aber das, was man sieht, deckt sich nicht mit dem, was sie sagt. Singend und grinsend sitzt Zora auf dem Burgplateau; lachend rennen sie durchs Gehölz (wohlgemerkt mit Stiefeln an); fröhlich prügeln sie sich mit den Gymnasiasten; das geklaute Huhn ist laut Textbuch ihre erste Mahlzeit heute, doch man glaubt ihnen das nicht. Man glaubt auch Zora nicht, als sie Branko im Schiff ihre eigene Geschichte erzählt, ihre Flucht vor der Blutrache in Albanien, und dabei in Tränen ausbricht.
Und noch ein wesentlicher Kritikpunkt: Straßenkinder, die sich durch Diebstahl über Wasser halten und aufpassen müssen, daß man sie nicht erwischt, sind normalerweise aufmerksam wie Windhunde und haben auch mehr Kondition, mehr Geschicklichkeit und einen besseren Orientierungssinn als andere Kinder. Auf dieses Moment legte Kurt Held Wert. Es war ihm wichtig zu beschreiben, wie hart Zoras bloße Füße sind, mit denen sie unerschrocken durch den Wald rennt; wie die Bande in regelmäßigem Dauerlauf von der Burg in die Stadt läuft und Branko bei diesen Konditionsübungen erst mal anfängt zu keuchen; wie sie leise und blitzschnell durch die Gassen von Senj huschen, tausend Schlupfwinkel, tausend Abkürzungen, tausend Geheimgänge kennen; wie sie sich in perfekt imitierten Vogeltönen untereinander verständigen. Im Film merkt man von diesen Dingen fast nichts. Kein geschicktes barfüßiges Klettern über Mauern, kein verwirrendes Huschen durch Geheimgänge, keine speziellen Outlaw-Geschicklichkeiten also. Nun gut, Branko schwimmt wie ein Fisch, und Duro hat sich einen Falken dressiert, aber daß Pavle stark ist wie ein Bär und Nicola der Kleinste und Wendigste, davon merkt man nichts. Durch das Eliminieren der Flucht-in-die-Berge-Szene hat Kahanes Bande auch einen erschreckend winzigen Bewegungsradius: von der Burg in die Stadt an die Bucht, Ende. Nicht mal halsbrecherische Klippenkletterei muß Branko absolvieren, wenn er zu Zlata will - die badet nämlich am Strand gegenüber der Bucht. Die Flucht in die Berge hat bei Kurt Held eine wichtige Funktion: man sieht, wie jedes einzelne Bandenmitglied gefordert ist und wie alle fünf in schwierigen Zeiten wie eine Familie zusammenhalten, wo jeder mit seinem speziellen Können zum Erhalt der Familie beiträgt. Das findet man bei Kahane nicht. Die Profilzeichnung wird sogar so vernachlässigt, daß man sich fragt: wozu sind Pavle und Nicola überhaupt da? Duro hat die Funktion des Gegenspielers von Branko, aber Pavle und Nicola wirken nur als Staffage. Und was Geschicklichkeit und Gerissenheit betrifft, so sieht man wirklich nichts Besonderes. Was Kahanes Bande kann, kann jeder: ein bißchen durchs Grün wetzen, ein bißchen herumlümmeln, ein bißchen klauen. Nicht mal darin sind sie besonders geschickt; daß sie nicht gekitscht werden, hat nur damit zu tun, daß die Gendarmerie als besonders tumb und langsam von Kapée dargestellt wird, so daß alles noch viel mehr wie ein riesiger Klamauk wirkt. Bei der Flucht aus dem Gefängnis wird Begovic und Dordevic, den Hotzenplotz-Polizisten, ein Stückchen vorgespielt, und sie spielen mit – niemand käme auf die Idee zu glauben, daß es sich tatsächlich um eine ernste Flucht handelt, daß Branko und Zora um ihre Freiheit laufen müssen und die Polizisten auch wirklich alles daransetzen, die „Spitzbuben“ zu erwischen. Im Gegenteil. Es ist alles nur ein Spiel, gell? Das Leben als Straßenkind in Senj ist doch schon unheimlich lustig: man hat schicke Kleider, ein Schiebermützchen nach der neusten Mode, man hat den ganzen Tag Freizeit und nichts anderes zu tun, als von Zeit zu Zeit die Gymnasiasten zu verprügeln, man kann sich am Strand sonnen, gelegentlich aufs Meer sehen, und wenn einem gar zu langweilig ist, kann man in der Stadt was klauen gehn oder sich in ein Bandenmitglied verlieben. Fiderallala!
Daß Kahane in der Pressemitteilung davon schwadroniert, wie wichtig die Themen der „Roten Zora“ (Armut gegen Reichtum, Straßenkinder, Kapitalismus, Ausbeutung) auch und gerade heute noch sind, wirkt fast als Farce, denn sein Film bringt nichts davon so rüber, daß man es ernstnehmen könnte.
Den Schauspielern mache ich keinen Vorwurf. Die gecasteten Kinder (allesamt keine Anfänger vor der Kamera) hätten eine wunderbare Bande spielen können, wenn sie nicht einem so verschnittartigen Drehbuch hätten folgen müssen. Ein wirkliches Fehlcasting war allerdings die Darstellerin der Zlata, der Tochter des Bürgermeisters, in die Branko sich verliebt. Sie sieht im Film aus wie Nelly Olsen aus „Unsere kleine Farm“: blond, etwas blöde, spindeldürr und mit Sommersprossen. Man fragt sich ehrlich, was um alles in der Welt Branko an diesem Hühnchen findet, zumal er neben sich doch eine so integere und bildhübsche Zora hat. Dies ist ein weiterer Riß in der Glaubwürdigkeit, diesmal der psychologischen: Zora wird als Kind rebellisch, weil sie nicht in die Schablone paßt. Sie ist nicht besonders hübsch, damit – nach den damals geltenden Weiblichkeitsregeln – nicht besonders weiblich. Und da sie wegen ihrem Äußeren nicht geliebt wird, erarbeitet sie sich Autorität auf andere Weise: sie ist mutig, kräftig und intelligent, sie liest die Bücher über die Uskoken und hat so Ideale, an die sie sich hält und die sie ihren Jungs vermittelt: hundertprozentige Solidarität, hundertprozentige Konsequenz und niemals aufgeben. Im Grunde sind das die Ur-Prinzipien der Frauenemanzipation, die man auch bei Simone de Beauvoir nachlesen kann: Überwindung des Weibchen-Korsetts durch Reifung zum ganzen Menschen, Überwindung der für Frauen typischen Passivität durch Aktivität und intellektuelle Größe. Zora hat schon in jungen Jahren aufgehört, nach dem Weibchen-Schema „ich bin nicht hübsch, keiner liebt mich“ zu ticken und passiv zu leiden – würde sie so ticken, wäre sie nicht Rebellin und Bandenanführerin geworden, albanische Blutrachevergangenheit hin oder her. Konfrontiert man Kurt Helds Zora mit seiner Zlata, wird auch klar, warum Zora auf Zlata unglaublich eifersüchtig ist, denn Zora wird bei Zlatas Anblick auf den Riß in ihrer Seele zurückgeworfen. Zlata repräsentiert das, was Zora trotz all ihrer Kühnheit nie erreichen wird: Schönheit, Eleganz, Privilegien. Als Tochter des Bürgermeisters fällt Zlata alles automatisch in den Schoß, sie muß sich nicht anstrengen und sich nicht schmutzig machen, sie besitzt die Souveranität und Selbstsicherheit ihres Standes ganz automatisch, während Zora sich diese Dinge hart erarbeiten mußte. Zora empfindet es daher nicht nur als persönliche Niederlage, daß sich Branko in Zlata verliebt, sondern auch als Verrat an der Sache: als Verrat an der solidarischen Gemeinschaft der Uskoken. Bei Kurt Held wird das Problem am Ende so gelöst, daß sich Zlata als Frau mit sozialem Gewissen entpuppt und es am Ende ihr zu verdanken ist, daß Zoras Bande nicht im Gefängnis landet.
Bei Kahane leistet Zlata (Nora Quest) diese Aufgabe zwar auch, nur allerdings mal wieder völlig unglaubwürdig, denn die Zlata, die sie spielt, ist keine Dame, sondern gleich alt wie Branko, und warum ausgerechnet ihr „Nein!“ im Gerichtssaal ihren Vater, den Bürgermeister Ivekovic, umstimmen soll, bleibt ein Geheimnis, zumal diesem „nein“ keine Argumentation folgt und es auch nur ein Ausruf eines verliebten Teenagers ist. Warum sollte ein Bürgermeister im Gerichtssaal anders abstimmen, nur weil sein Töchterchen mit hochrotem Kopf „Nein!“ kiekst? Lachhaft.
Und Zora wirkt im ganzen Film vor allem eins: nett, hübsch, ohne wirkliche Probleme. Lidija Kovacevic hatte die Zora 1979 verhärmt, energisch, oft auch herrisch und kühl gespielt, mit langem wehendem Rock, Tuch über den Haaren und gelenkigen Füßen. Aber Linn Reusse wirkt mit ihren Marlene-Dietrich-Hosen, den Hosenträgern, dem Mützchen und dem blauen Sweatshirt eher wie Pippi Langstrumpf als wie Zora. “Wild“ schüttelt sie ihre Locken, “wild“ rennt sie herum, flotte Sprüche hat sie drauf - die Rebellion einer Zora aber ist tiefer begründet als nur im Lockenschütteln, und dieses Tiefere, den Riß in der Seele, das nimmt man dieser neuen Zora nicht ab.
Ich könnte so weitermachen, es gibt noch tausend Fragen, die dieser Film aufwirft und nicht beantwortet. Was verbindet die Kinder mit dem alten Gorian? Wie kommt es, daß der Strand, an dem Zlata badet, nur einen Steinwurf entfernt ist von der Bucht, auf der die Bande sitzt? Gibt es keine Zäune, die den Badestrand der Reichen von den Gassenkindern trennt? Wie kommt es, daß Branko an der Außenwand des Rathauses hochklettern, bei Zlata im Zimmer einsteigen kann und dabei von niemandem gesehen wird? Wie kommt es, daß Zora am Ende forsch durchs Rathaus latschen kann, um Branko zu befreien, und dabei niemandem begegnet, keinem Diener und nichts? Warum ist Dordevic anscheinend noch dämlicher als Begovic? Wer ist Stjepan? Warum ist die Bande so solidarisch mit ihm? Warum steht der reiche Karaman auf dem Markt selbst hinter seinem Stand, hat der keine Gehilfen? Wo kommen am Ende die neuen Arbeitsuniformen der Kinder her? Und die wichtigste Frage: warum lassen sie sich am Ende doch fangen?
Das hat mich ehrlich gesagt am meisten getroffen: das Ende. Im Trailer heißt es noch großspurig: „Diese Jungs sind nicht zu fassen“, und so soll es ja auch sein. Im Film werden sie aber am Ende doch gekitscht. Und zwar warum? Weil sie in ihrem Liebesdusel vergessen zu fliehen. Zora und Branko verstecken sich im Rathaus vor der anrückenden Gendarmerie, und man erwartet jetzt, daß sie irgendeinen geheimen Fluchtweg finden und die Stadtoberen ein letztes Mal foppen. Aber nein. Sie neigen sich die Gesichter zu, sagen sich schöne Sachen und wollen sich gerade küssen, als Dordevic den Vorhang aufreißt und grinst – Schnitt – und die nächste Szene spielt im Gerichtssaal, wo Zora und ihre Jungs mit Handschellen stehen und betreten kucken. Warum dieses absolut dumme Ende? Sind wir hier in einem amerikanischen Schluchzfilm, an dessen Schluß bekanntlich immer eine Gerichtsverhandlung steht? Und warum dieser kitschige Liebesunsinn? Warum werden die zarten Gefühle, die Zora für Branko hegt, so dermaßen aufgebläht? Warum rettet Zora Branko überhaupt, wenn sie doch nur vorhat, mit ihm zu knutschen? Das hätte sie auch im Gefängnis tun können, dazu hätte es nicht des Wettlaufs gegen die Zeit von der Wache zum Rathaus bedurft. Abgesehen davon, daß diese ganze Liebesduselei im Film die Glaubwürdigkeit der Darsteller als gerissene Straßenkinder noch weiter untergräbt. Duro liebt Zora, Zora liebt Branko, Branko liebt Zlata – was soll dieser Fez? Warum wird die Geschichte mit der Krake zum Showdown der vier Teenies stilisiert? Man merkt wann der Regisseur zu Linn Reusse sagt: „So, Meechen, und jetzt bitte verliebt kucken – Achtung Klappe!“, und das paßt absolut nicht zu Kurt Helds burschikoser, starker Zora. Auch sie liebt Branko, aber sie läßt sich von ihren Gefühlen nicht hinreißen. Sie kann es sich schlicht und einfach nicht leisten, leichtsinnig zu werden, nur weil sie Schmetterlinge im Bauch hat, denn sie wird ja nach wie vor von der Polizei gesucht und muß ständig auf der Hut sein. Es geht um Existenzkampf! Es geht darum zum Beispiel auch dann, als die Kinder nach den Thunfischen Ausschau halten und abwechselnd auf der Vendette liegen und durch das Fernrohr sehen. Thunfische bedeuten Arbeit, Arbeit bedeutet Nahrung, Nahrung bedeutet Leben. Keine Thunfische bedeutet Hunger, für Gorian und die Kinder, und damit Verschärfung der Lebenssituation. So einfach ist das. Zora kann es sich auf der Vendette also gar nicht erlauben, statt auf die Fische auf Branko zu starren; und auch beim anschließenden Thunfischzerlegen muß sie mithelfen, da wird jede Arbeitskraft gebraucht – ein „tut mir leid, ich kann jetzt nicht, ich bin verliebt“ kann man sich, wenn man arm ist und verfolgt wird, nicht leisten. Aber in Kahanes Kinofilm ist ja alles nur Spiel und Spaß. Eine Vendette haben sie hier nicht, nur ein Fernrohr, und Zora kuckt einmal durch, sieht die Fische, sagt „oooh – schööön“, setzt das Rohr wieder ab und kuckt Branko an, der neben ihr sitzt. Und während die anderen dann ins Wasser eilen und die Fische betäuben (was im Film wieder mal aussieht wie eine fröhliche Planscherei), zwirbelt Zora versonnen an ihren Locken und tut gar nichts.
Durch diese Passivität Zoras und durch das neue Ende wird das, was Kahane auch groß hervorhob an der Geschichte, der Zusammenhalt und die Solidarität der Bandenmitglieder untereinander nämlich, ad absurdum geführt. Indem Zora mit Branko im Rathaus knutscht, statt zu fliehen, läßt sie den Rest ihrer Bande im Stich - sie verrät die unbedingte Solidarität der Uskoken. Wo Duro, Pavle und Nicola dann auf einmal wieder herkommen und warum sie dann auch noch lächeln, ist ebenfalls ein Geheimnis des Regisseurs - was gibt es zu lächeln, wenn unsere Bandenchefin uns durch ihre durch rosa Wolken verschuldete Leichtsinnigkeit in die Klauen der Gendarmerie bringt?! Wo ist er denn nun hin, der große Zusammenhalt?!
Es ist nicht alles schlecht an diesem Film. Der Darsteller des Duro, David Berton, gefällt mir zum Beispiel sehr gut. Auch das Zusammengießen von Direktor Kukulic und Doktor Frages, den Chefs der Fischereigesellschaft, mit dem Fischhändler Radic und dem reichen Bauern Karaman in einen einzigen bösen, von Ben Becker gespielten Kapitalistenheuschreck, funktioniert besser, als ich dachte. Aber die kleinen Mängel überall machen das Konzept des Buches kaputt: die hübschen Kleider der Bande, ihre fast immer fröhlichen Gesichter, das Übermaß an schmusigen Blicken überall, die Sicherheit, mit der sich Branko und Zora im Rathaus bewegen (wo sollen Straßenkinder so eine Sicherheit herhaben?! Dies steht vor allem im Kontrast zu Brankos Unselbständigkeit in kritischen Situationen, denn weder im Gefängnis noch im Rathaus versucht er, selbst zu fliehen oder eine Fluchtmöglichkeit zu finden, er rüttelt nur einmal an der Klinke und hockt sich dann hin, kein panisches Umherblicken auf der Suche nach einem Fenster oder einem Notausgang, kein Versuch, die Tür irgendwie aufzubekommen) und auch Linn Reusses immer perfekte Lockenpracht (wenn der roten Zora die Haare ins Gesicht hängen, sieht das zwar sehr pittoresk aus; aber eine Bandenführerin muß in erster Linie klar sehen und nicht pittoresk aussehen, weswegen ein energisches Haarezurückbinden der Zora hier manchmal mehr Glaubwürdigkeit verliehen hätte).
Kurt Held hat seine Geschichte damals Kindern erzählt, mündlich, bevor er sie aufschrieb. Und Kinder sind aufmerksame Zuhörer, die merken, wenn etwas nicht funktioniert. Wenn man beispielsweise erzählt, daß Pavle sich verletzt, dann darf man nicht vergessen, ihn eine angemessene Zeitlang humpeln zu lassen. Unterläßt man das, wird es von den Zuhörern sofort bemerkt. Vielleicht hätte Kahane das auch machen sollen, dann wären nicht so viele Fehler vorgekommen.
Im Buch ruft Zora zum Schluß: „Die Uskoken sind tot – es leben die Uskoken!“
Aber das tun sie in diesem Film nicht.
In den nächsten paar Cinemanias: Berlinale, was sonst?