Deadpool 2
(David Leitch)
USA 2018, Buch: Rhett Reese, Paul Wernick, Ryan Reynolds, Comic-Vorlage: Rob Liefeld, Fabian Nicieza, Kamera: Jonathan Sela, Schnitt: Craig Alpert, Elísabet Ronaldsdóttir, Dirk Westervelt, Musik: Tyler Bates, Kostüme: Kurt and Bart, Production Design: David Scheunemann, Supervising Art Director: Dan Hermansen, Set Decoration: Sandy Walker, mit Ryan Reynolds (Wade Wilson / Deadpool), Josh Brolin (Nathan Summers / Cable), Morena Baccarin (Vanessa), Zazie Beetz (Domino), Julian Dennison (Russell / Firefist), Andre Tricoteux (Colossus [body performance]), Stefan Kapicic (Colossus [voice & facial performance]), Karan Soni (Dopinder), T.J. Miller (Weasel), Brianna Hildebrand (Negasonic Teenage Warhead), Shioli Kutsuna (Yukio), Leslie Uggams (Blind Al), Eddie Marsan (Headmaster), Lewis Tan (Shatterstar), Rob Delaney (Peter), Bill Skarsgård (Zeitgeist), Terry Crews (Bedlam), Jack Kesy (Black Tom), Nikolai Witschl (Head Orderly Frye), Islie Hirvonen (Cable's Daughter), Thayr Harris (Meth Boss), Paul Wu (Triad Boss), Brad Pitt (Vanisher), James McAvoy (Prof. Xavier), 119 Min., Kinostart: 17. Mai 2018
Die große Bürde des Blockbuster-Kinos der letzten gut zwanzig Jahre trifft auf das Deadpool-Sequel im besonderen zu: Alles muss das zuvor da gewesene übertreffen, was in diesem besonderen Fall bedeutet: alles muss noch blutiger, witziger und selbstreflexiver sein als im Überraschungshit Deadpool, der, wie man im Film nebenbei nicht zu erwähnen vergisst, nur geringfügig weniger eingespielt hat als Mel Gibsons The Passion of the Christ - diesen aber außerhalb der USA am Box Office sogar übertraf.
Natürlich gibt es wieder viele Witze über Wolverine, Ryan Reynolds und dessen unrühmlichen ersten Deadpool-Auftritt in einem von mir bereits erfolgreich verdrängten Wolverine-Solofilm. Auch der Vorspann und die Filmmusik fallen erneut durch die Eigenheiten des ersten Deadpool-Films auf, nur noch etwas überdrehter, und während Ryan Reynolds zu einer ersten längeren Metzel-Montage, unterlegt mit Dolly Partons 9 to 5, einem Song über den täglichen Bürotrott, erklärt, dass Deadpool 2 nach den üblichen Regeln eines Familienfilms funktioniert (ich verkneife mir mal, zu erklären, warum seine Vergleichsfilme Bambi, The Lion King und Saw 7 sind), ist man als Zuschauer bereits etwas überfordert, weil die Gag-Lawine so schnell über einen her fällt, dass man kaum die Zeit findet, die einzelnen Scherze zu würdigen. Was für wiederholte Kinobesuche oder den späteren BluRay- und Download-Verkauf sicher hilfreich ist, wo man dann jede Szene noch mal mit Zeitlupe oder Pausetaste à la The Simpsons nach verpassten Gags durchforsten kann, ist beim primären Kinoerlebnis fast schon etwas frustrierend, aber mit drei Cuttern sicherlich beabsichtigt.
© 2018 Twentieth Century Fox
Was die Handlung des Films angeht, lockt man die Marvel-Fanboys mit der Gründung des B-Superhelden-Teams X-Force (ich muss zugeben, dass ich die C- und D-Versionen von Mutanten-Teams, also X-Factor und X-Statics, in meiner aktiven Comicleser-Zeit weitaus interessanter fand), orientiert sich aber eher an einer mythisch überhöhten Selbstfindungs-Mär (natürlich ironisch gebrochen), in der Wade »sein Herz« finden soll und die »richtige Zeit« abwarten muss, was aber vor allem dazu führt, dass der reichlich ziellose Titelheld sich bei seinen Entscheidungen vor allem davon leiten lässt, wenn jemand in akzeptabler Mentoren-Funktion irgendetwas über »Herz« und »richtige Zeit« sagt - bis Wade nach gefühlt zwanzig Minuten bereits gemeinsam mit einem reichlich überforderten Mutanten-Teenager (Julian Dennison als Russell / Firefist, der Junge mit der »prison wallet«) bereits in einer Vollzugsanstalt festhängt, seiner Superkräfte beraubt, und die beiden dort vom zeitreisenden Cable (Josh Brolin) mit seinen Superwaffen gejagt werden, wobei man fast bis ins Detail den Action-Plot von Terminator 2 nachexerziert.
Dass die ethischen Beweggründe, warum Wade den Jungen retten will und mehrere Superhelden bereit sind, für dieses Ziel (oder das Gegenteil davon) ihr Leben zu opfern, im Film eher rudimentär ausgeführt werden, gehört zu den Details, die der alles kommentierende Wade mal ausnahmsweise nicht als lazy writing anprangert.
© 2018 Twentieth Century Fox
Viel wichtiger scheint da der vermeintlich gigantische und sehr mächtige Marvel-Schurke, der nebenbei aus dem Knast befreit wird und der später seinen Überraschungs-Auftritt (neben den Cameo-Auftritten von Brad Pitt und einigen X-Men) zelebriert und man ähnlich wie beim neugegründeten X-Force-Team die Bedeutungslosigkeit und Obskurität der Figur für das Marveluniversum augenzwinkernd abfeiert. Obwohl der übermächtige Gegner nebenbei mal eben Deadpool in der Mitte entzwei reißt - aber auch Wades Kraft, selbst schwerste Verletzungen wieder zu heilen, wird im Film so bis zum Äußersten ausgereizt, dass man selbst sein gleich zu Beginn des Films angekündigtes Ableben eigentlich schulternzuckend abhakt. Aus meiner Sicht war da viel interessanter, dass Deadpool sich als letzte Worte (?) gegen einen weiteren Yentl-Bezug entscheidet und lieber »Do you want to build a snowman« aus Frozen zitiert.
Zu jedem Zeitpunkt des Films ist überdeutlich, dass man in Sachen ironischer Brechung und Superlativen wirklich lang überlegt hat, was dem novelty value des Vorgängers gerecht werden kann, und während man im Kino sitzt, wird man auch ganz köstlich amüsiert, aber wenn man dann später den Film im Rückblick betrachtet, muss man doch einige Abstriche machen, weil u.a. das obligatorische Showdown-Spektakel als nervendstes Klischee des Genres nicht wirklich dadurch aufgefangen werden kann, dass Wade nebenbei das Klischee kommentiert (»big CGI fight coming up«). Oder die teilweise äußerst fragwürdige Spielerei mit dem Zeitreise-Elemente durch die abgedrehten Soundtrack-Entscheidungen (Enyas Only time und Chers If I could turn back time) irgendwie abgemindert oder gerechtfertigt werden kann.
© 2018 Twentieth Century Fox
Selbst, wenn man sich über das Franchise, das Studio oder Superhelden allgemein bis zum Exzess lustig macht (»dated metaphor for racism in the sixties«), ist Deadpool 2 letztlich doch nur ein Superhelden-Film, der bis auf zwei oder drei Finten exakt nach den Konventionen abläuft. Die »subversiven« Elemente, der Sand im Marvel-Getriebe, darf nie die Fanboys, die sogar auf einem Plakat als Loser bezeichnet werden, wirklich beleidigen oder gar intellektuell überfordern. Was sich auch bei der gesamten Werbekampagne (Flashdance-Teaserplakat, 2D-Brillen) zeigt.
Für mich kann Deadpool 2 durch sein »höher, weiter, greller« keineswegs den innovativen Überraschungsfaktor des ersten Films wiederholen, weil man ganz wie erwartet einfach das selbe Programm noch mal abspult, dabei aber der lässige und größtenteils konsequenzlose Massenmord (Paradebeispiel: Eddie Marsan als Figur und Pointengeber) einen zunehmend bitteren Nachgeschmack bekommt. Selbst, falls sich der Erfolg des ersten Films wiederholen oder sogar übertreffen sollte, würde ich bei Deadpool 3 wahrscheinlich eher verzichten. Das Kaugummi hat irgendwann den Geschmack verloren.
© 2018 Twentieth Century Fox
Interesting fact: Die Filmemacher sind ziemlich stolz darauf, dass sie in einem Superhelden-Film ein lesbisches Paar eingebaut haben. »Negasonic Teenage Warhead« und Yukio haben im Film ca. fünf gemeinsame Sprechszenen, aber auch, wenn ich erst mit etwa einem Tag Verspätung auf die Idee kam, diese Szenen genauer zu rekapitulieren, so bin ich mir doch recht sicher, dass die beiden, wenn sie mal miteinander sprechen, sich jeweils über Deadpool austauschen (»Ich mag ihn«, »Haben wir einen Fehler gemacht?« usw.). Alison Bechdel, die Erfinderin des Bechdel-Tests, wird darüber ganz sicher nicht glücklich sein.