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5. September 2018
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Das schönste Mädchen der Welt (Aron Lehmann)


Das schönste Mädchen der Welt
(Aron Lehmann)

Deutschland 2018, Buch: Lars Kraume, Aron Lehmann, Judy Horney, Lit. Vorlage: Edmond Rostand, Kamera: Andreas Berger, Schnitt: Ana de Mier y Ortuño, Musik: Boris Bojadzhiev, Konstantin Scherer, Songs: Robin Haefs, Konstantin Scherer, mit Aaron Hilmer (Cyril), Luna Wedler (Roxy), Damian Hardung (Rick), Jonas Ems (Benno), Heike Makatsch (Frau Reimann), Johannes Allmayer (Herr Schüssler), Sinje Irslinger (Lissi), Julia Beautx (Titti), Hussein Euraqui (Cem), Anselm Bresgott (Timo), Leon Wulsch (Kurti), Anke Engelke (Cyrils Mutter Anja), Heiko Pinkowski (Cyrils Vater Bernd), Amelie Elisa Klein (Philippa), Thorsten Merten (Taxifahrer), 103 Min., Kinostart: 6. September 2018

Regisseur Aron Lehmann war mir kein Begriff, Highway to Hellas und Die letzte Sau hatte ich beide verpasst. Aber zumindest scheint er etwas vom Business zu verstehen, denn Das schönste Mädchen der Welt funktioniert in vielerlei Hinsicht wie das bewährte Fack-ju-Göhte-Format: eine Oberstufenfahrt führt die jungen Protagonisten nach Berlin, in den Rollen der Lehrer findet man bekannte Gesichter: Heike Makatsch und Johannes Allmayer (aus Vincent will Meer oder Hin und weg) - zwischenzeitig sieht es sogar so aus, als würde sich zwischen den beiden etwas anbahnen. Heike Makatsch geht sogar auf die selbe dauerfrustrierte und respektlose Weise mit ihren Schülern um, weiß aber, wie sie die wilde Bande manipulieren kann (»Wer zuletzt im Bus ist, sitzt auf meinem Schoß!«)

Durch die Fokusverschiebung auf die Schüler spielt sich die Lovestory auch hier statt bei den Lehrern ab, aber Rollenklischees wie »Lissi und Titti« (eine überdeutliche doppelte Chantal-Variation) werden geradezu exakt übernommen (nur, dass die Rolle weitaus kleiner ist) . Und auch die Humor funktioniert auf dem selben Level: Man demonstriert größtenteils die Stupidität mancher Schüler und lässt dies mit einem gewissen Anspruch kollidieren. So wird Max Frischs Homo Faber als »ein bisschen gay« eingestuft, ein bekanntes Museum in Berlin wird als »Pokemon-Museum« missverstanden, und auf die Frage, wer die Berliner Mauer gebaut hat, kursieren einzig die Lösungsvorschläge »Trump« und »Hitler« (wobei Lissi und Titte ganz verzückt davon sind, dass ihre benebelte Eingebung die selbe war).

Das schönste Mädchen der Welt (Aron Lehmann)

© Nadja Klier / Tobis Film GmbH.

Wichtig ist, dass der Film nicht nur Jugendliche anspricht, sondern auch reifere, anspruchsvollere Zuschauer - und statt einen großen deutschen Literaten im Titel zu bemühen, kam man auf die eigentlich viel bessere Idee, eine bekannte literarische Handlung zu adaptieren. Nein, nicht schon wieder Romeo & Juliet, sondern Cyrano de Bergerac, was spätestens dann offensichtlich wird, wenn einem Anke Engelkes überproportionierte Nase auffällt und einem die Namen ihres erblich belasteten Filmsohnes (Cyril), dessen Angebeteter (Roxy) und des gutaussehenden Knaben, auf den diese steht (Rick) reichlich bekannt vorkommen.

Cyril ist zwar sehr belesen (Camus, Frisch, David Foster Wallace), aber seine poetische Ader wird sogar dem jungen Publikum angepasst: Er tritt maskiert bei Poetry Slams und Rap-Battles auf (Roxy übrigens auch) und unterstützt seinen attraktiveren, aber unterbelichteten Nebenbuhler als Texter, was zu Originalsongs führt, die vermutlich sehr werbewirksam sind. Teile des Films sind sogar deutlich im Musik-Videostil inszeniert und geschnitten.

Das schönste Mädchen der Welt (Aron Lehmann)

© Nadja Klier / Tobis Film GmbH.

Ich persönlich kann mit dem sich gegenseitig runtermachen im Sprechgesang recht wenig anfangen, weil ich die Beleidigungen größtenteils als von geringem Niveau erachte - und den üblichen Rap-Klischees entsprechend. So kommt es gegen Ende des Films auch zu einem Sangesstreit zwischen Cyril und Roxy und er nennt sie - vermutlich ist das unter Jugendlichen eine allgegenwärtige Bezeichnung wie »Opfer« oder »Schwuchtel« - »Flittchen«, was überhaupt nicht zu seinem Naturell und seiner Wertschätzung von ihr passt - und sie findet dies auch ganz in Ordnung, weil sie ja beim Rap-Battle auch bevorzugt ihre Gegner über ihre vermeintliche Pimmelgröße oder andere sexuelle Unzulänglichkeiten abzuwerten trachtet. Das entspricht ziemlich genau der von den Jugendlichen gestalteten Shakespeare-Aufführung in Fack ju Göhte.

Die Zweckfreundschaft zwischen Cyril und Rick wird ebenfalls durch eine zusätzliche, recht modern wirkende Motivation unterfüttert: Cyril ist zwar selbst in Roxy verschossen, wodurch er sich keinen Gefallen damit tut, Rick zu unterstützen, aber ein anderer Junge namens Benno hat eine Wette laufen, wie schnell er Roxy flachlegen könne (inklusive unschönem Videobeweis), und so bekommt Cyril quasi eine Chance, dem Publikum uneigennützig seine Liebe zu beweisen - oder in seinen eigenen Worten: »Besser du als Benno, die Drecksau!«

Das schönste Mädchen der Welt (Aron Lehmann)

© Nadja Klier / Tobis Film GmbH.

Die Stupidität der Figur Rick (Damian Hardung aus Club der roten Bänder) wird für meines Geschmack etwas überzogen (»Wir könnten 'ne Band gründen wie Willi Vanilli!«), aber die beiden Hauptdarsteller funktionieren durchaus. Aaron Hilmer (Die Pfefferkörner, Einsamkeit und Sex und Mitleid) und die Schweizerin Luna Wedler (Blue my Mind, Flitzer) haben die chemistry großer Filmliebespaare und man verzeiht ihnen ein, zwei weniger gelungene Passagen des Films, der ausreichend gute Pointen bietet und immerhin aus der Cyrano-Vorlage etwas Neues macht (wenn ich mir auch nicht sicher bin, inwieweit ein junges Publikum überhaupt mitbekommt, dass hier eine alte Geschichte neu erzählt wird).

Für eine deutsche Komödie deutlich überdurchschnittlich, auch wenn man sich für das Ende vielleicht etwas Unkonventionelleres hätte ausdenken können, eine kleine Überraschung zum Schluss.

Das schönste Mädchen der Welt (Aron Lehmann)

© Nadja Klier / Tobis Film GmbH.

Ich fand es auch etwas schwach, dass Roxy trotz ihrer Schlagfertigkeit im Film gerade etwas auf ihr Aussehen reduziert wurde.

Und bei der Ferris-Bueller-Gedächtnis-Szene im Museum bin ich mir immer noch nicht sicher, ob ich diese Verneigung an John Hughes gut fand oder zu aufgesetzt. Der Ansatz war jedenfalls interessanter als die im Presseheft komplett per Lyrics wiedergegebenen Original-Songs, die mir zu angestrengt einen auf Jugendlichkeit und Massenappeal machen.

Direkt nach dem Film hatte ich übrigens kurzfristig die Ambition, diese Rezension im Rap-Stil zu verfassen, doch über »Maskenmann gewinnt, verschwind't geschwind« bin ich nie hinaus gekommen.