Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




7. November 2018
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Nur ein kleiner Gefallen (Paul Feig)


Nur ein kleiner Gefallen
(Paul Feig)

USA 2018, Dt. Titel: Nur ein kleiner Gefallen, Buch: Jessica Sharzer, Lit. Vorlage: Darcey Bell, Kamera: John Schwartzman, Schnitt: Brent White, Musik: Theodore Shapiro, Kostüme: Renee Ehrlich Kalfus, Production Design: Jefferson Sage, Art Direction: Brandt Gordon, Set Decoration: Patricia Larman, mit Anna Kendrick (Stephanie Smothers), Blake Lively (Emily Nelson), Henry Golding (Sean Townsend), Andrew Rannells (Darren), Linda Cardellini (Diana Hyland), Jean Smart (Margaret McLanden), Rupert Friend (Dennis Nylon), Bashir Salahuddin (Detective Summerville), Joshua Satine (Miles Smothers), Sugenja Sri (Dennis Nylon Receptionist), 117 Min., Kinostart: 8. November 2018

Mit etwa zwei Jahren Verspätung habe ich Paul Feigs vorletzten Film, Ghostbusters, erst vor einigen Monaten auf DVD nachgeholt - und er landete gleich auf Platz 1 meiner Jahres-Shitlist (inzwischen um zwei Plätze abgerutscht)! Besonders bezeichnet fand ich dabei einen über vierminütigen Zusammenschnitt aus dem Bonusmaterial, in dem (bei Filmen wie Talladega Nights - The Ballad of Ricky Bobby ein Highlight) alternative Takes mit anderen Pointen vorgeführt wurden ... und nicht ein einziges Mal in Gefahr kam, darüber zu lachen. Für einen Experten für Komödien mit weiblichen Protagonisten (Bridesmaids, The Heat) schon ein Armutszeugnis!

Aber bei Paul Feig war die bisherige Karriere noch (trotz des bevorzugten Genres / Themas) so heterogen, dass ich ihm gern eine weitere Chance geben wollte. (Im Gegensatz etwa zu David Yates, dem schlechtesten aller Harry-Potter-Regisseure, den ich nach Harry Potter 5 & 6 konsequent boykottiere - obwohl ich so ziemlich jeden Rowling-Roman gelesen habe ... who cares about Grindelwald?).

Ich ging zu A Simple Favor mit der Erwartung, eine weitere Frauenkomödie zu sehen. Und als mein Sitznachbar mir erzählte, er habe den Trailer gesehen und sei auf einen Psycho-Thriller gespannt, zweifelte ich ein wenig an seinem Verstand...

Nur ein kleiner Gefallen (Paul Feig)

© Lionsgate / Peter Iovino, SMPSP

A Simple Favor ist tatsächlich ein Psycho-Thriller. Doch mich hat der Film als Komödie überzeugt! Offiziell (bzw. laut Klappentext in die selbe Schublade gestopft) gehören zu den Inspirationen der Romanvorlage von Darcey Bell »Frauen-Thriller« wie Gone Girl oder Girl on the Train (wobei ich anhand der Verfilmungen vor allem zu letztgenanntem eine Verbindung sehe), mich erinnerte der Film aber eher an den letzten Roman Polanski, D'après une histoire vraie - mit einem kräftigen Schuss Single White Female!

Anna Kendrick als etwas mausige Vorzeigemutti Stephanie (der vielsagende Nachname »Smothers« beinhaltet bereits das Wort »mother« - und brachte diese schreckliche Diane-Keaton-Komödie zurück in meine Erinnerung) ist mit ihrem bis zuletzt durchgeplantem Vollzeit-Mutter-Stundenplan bereits zum Gespött anderer Elternteile ihrer Schule geworden (im Presseheft spricht man von einigen davon in der Funktion eines griechischen Chors, für meinen Geschmack bleiben sie aber zu konturenlos, um wirklich bemerkenswert zu sein). Sie führt als einzige Freizeitaktivität, die ein wenig über ihren (übrigens alleinerziehenden) Mutterstatus ein wenig hinausgeht, einen Küchen-Vlog, heutzutage in Filmen ein gern genutztes Mittel, um unscheinbare Figuren zu Medienereignissen aufzublasen.

Dann trifft Stephanie auf die »Bad Mom« Emily (Blake Lively), die einen Traumjob hat, ein tolles Haus und einen britischen Schriftsteller als trophy husband. Dass sie ihren Sohn vernachlässigt und am Anfang einer Alkoholikerkarriere steht (»Oh, martini time! I figure it's 5 o'clock somewhere...«), wird nicht zu sehr in den Mittelpunkt gestellt. Und obwohl Emily Stephanie fast wie den letzten Dreck behandelt und ausnutzt, ist die graue Maus von dem ganzen Glitter so verblendet, dass sie jetzt unbedingt zur besten Freundin Emilys werden will (so weit zu Single White Female, inkl. leichter Stil-Annäherung).

Nur ein kleiner Gefallen (Paul Feig)

© Lionsgate / Peter Iovino, SMPSP

An dieser Stelle des Films, als Stephanie gerade mal wieder auf beide Kinder aufpasst, verschwindet Emily und immer mehr Indizien sprechen dafür, dass sie das Opfer eines Verbrechens wurde ... oder war sie vielleicht selbst die Täterin, die ein kompliziertes doppeltes Spiel führt?

Im Zusammenspiel der beiden Frauen hat man schon von so einigen seltsamen Familiengeheimnissen gehört, weil Emily cleverer ist, vor allem, was Stephanie angeht. In der zweiten Hälfte des Films (evtl. sind es sogar zwei Drittel) entwickelt sich Stephanie jetzt zu einer Art Aushilfsdetektivin, die der Sache mit Emily auf den Grund gehen will - während sie wie nebenbei für Emilys Sohn die deutlich bessere Mutter ist und auch deren Gschmusi ihr zuvor sträflich vernachlässigtes Liebesleben wieder etwas aufwertet.

Was hierbei ziemlich interessant ist, dass es mehrere kleine Hinweise darauf gibt, dass die so fade, unscheinbare und »artige« Stephanie es vielleicht auch faustdick hinter den Ohren hat (obwohl diese These mit ihren detektivischen Anstrengungen natürlich auf Dauer nicht so zusammenzupassen scheint).

Die Thriller-Elemente des Films sind teilweise ziemlich over-the-top, die immerneuen Wendungen kann man irgendwann nicht mehr so richtig ernst nehmen und sie untergraben die Glaubwürdigkeit auch sehr ... aber der satirische Tonfall des Kampfes der zwei Frauen (Schriftsteller-Gschmusi Sean wird auch reichlich mit hineingezogen) ist immens unterhaltsam, und dafür lässt man sich die teilweise trashigen Handlungsstränge (Agatha Christie auf Ecstasy?) durchaus gefallen.

Nur ein kleiner Gefallen (Paul Feig)

© Lionsgate / Peter Iovino, SMPSP

Auch, wie sich der Film vom Suburgatory-Oberflächenschein immer mehr in dunkle Krimi-Gefilde bewegt, ist beste Unterhaltung. Hier und da geht es zwar durchaus um Leben und Tod, aber hier kann man das ohne Probleme mal gar nicht so ernst nehmen und sich einfach gut amüsieren. Als Vergleichsfilm zu diesem Element fällt mir eigentlich nur Danny De Vitos War of the Roses ein (She-Devil und Serial Mom gehen auch ein wenig in die Richtung).

Stilistisch ist der Film perfekt auf seine Story abgestimmt: Kostüme, Ausstattung oder der von französischen, leicht rebellischen Pop-Chansons getragene Soundtrack. Ich muss allerdings auch sagen, dass ich nie Desperate Housewives oder ähnliche Formate gesehen habe und vielleicht noch Nachholbedarf habe, wo andere Zuschauer bereits den Sättigungsgrad erreicht haben.

Den typischen Paul-Feig-Stil erkennt man besonders zu Beginn des Films wieder, diese Schockwitze, die aber immer auf einem fürs Massenpublikum goutierbaren Level bleiben (diverse Jahre Two and a Half Men haben das amerikanische Publikum im Grunde vorbereitet auf diesen Humor). Emilys Sohn Nicky meckert etwa »You won't let me have any fun!«, woraufhin sie entgegnet »That's not correct, I let you rip up my labia when you came out of my body!«

Nur ein kleiner Gefallen (Paul Feig)

© Lionsgate / Peter Iovino, SMPSP

Anna Kendrick hat gegenüber den typischen Paul-Feig-Vollblut-Komödiantinnen den Vorteil, dass man ihr die zerbrechliche Seite durchaus abnimmt und so auch ein bisschen mit ihr mitfühlt, wenn sie sich etwas tolpatschig in Emilys Büro auf Spurensuche macht. Wie blitzschnell sie dann immer wieder Indizien ausmacht, kann auch niemand ernstnehmen, aber man lässt sich halt darauf ein, weil auch die (meisten) Verfehlungen des Films zu seinem außergewöhnlichen Charme beitragen.

Wenn Stephanie und Emily im späteren Teil des Films nicht mir in den direkten Clinch gehen können (Emily ist ja offiziell tot), führt man über den Polizisten Summerville (Bashir Salahuddin) einen gelungenen Teil-Zeit-Gegenspieler für Stephanie ein, dem gegenüber sie nicht zur Verdächtigen werden will, was durch die Affäre mit dem Liebhaber der Verstorbenen oder ihre Entscheidung, Emilys Kleiderschrank aufzutragen (»Nice dress, didn't seem to be your style...« - »Oh, I'm very versatile!«) nicht unbedingt leichter wird. Und wie es sich für den Krimiteil des Films gehört, offenbart sich dann auch noch eine jüngst abgeschlossene Lebensversicherung. Doch dann geht es mit dem Hitchcock-Teil des Films, der aber eher einem Vertigo-Remake von Pedro Almódovar gleicht, aber gerade erst los. Passend zum French style fragt Stephanie ihren neuen Lover (dem sie auch längst nicht mehr trauen mag) irgendwann mal: »Are you trying to diabolique me?«

Was wirklich interessant ist: Ich glaube, ob man jetzt 25 Querverbindungen und aufgegriffene Motive im Film wiedererkennt oder einem die ganze Herangehensweise komplett neu ist, ob man sich jetzt Sorgen um die Figuren und den Ausgang macht oder dem Ganzen tiefenentspannt wie bei einer Partie Cluedo gegenübersteht: Im Gegensatz zu Ghostbusters funktioniert A Simple Favor als Film - man mag unterschiedlich stark auf das Sujet ansprechen, aber ich bilde mir ein, dass kaum jemand den Film als komplett misslungen einstufen wird. Das ist jetzt nicht dasselbe wie ein Meisterwerk, aber für mich persönlich reicht's allemal, den Film im (zugegeben eher schwachen) November zum Film des Monats zu erklären (wenn auch der Umstand, dass ich Whatever happens next schon während der Berlinale abgearbeitet habe, dieses etwas glatte Hollywood-Produkt durchaus begünstigt).