The Prodigy
(Nicholas McCarthy)
USA / Hongkong 2018, Buch: Jeff Buhler, Kamera: Bridger Nielson, Schnitt: Tom Elkins, Brian Ufberg,Musik: Joseph Bishara, mit Taylor Schilling (Sarah Blume), Jackson Robert Scott (Miles Blume), Peter Mooney (John Blume), Colm Feore (Arthur Jacobsen), Paul Fauteau (Edward Scarka), Brittany Allen (Margaret St. James), Paula Boudrea (Dr. Elaine Strasser), Elisa Moolecherry (Zoe), Olunike Adeliyi (Rebecca), T.J. Reilly (Tommy), 92 Min., Kinostart: 7. Februar 2019
Bei (anspruchsvollen) Horrorfilmen ist der Schlusstwist (siehe etwa The Babadook oder The Others) oder die vergleichsweise intensive Uminterpretation des Geschehens mittlerweile so häufig der Fall, dass man die Filme schon mit anderen Augen sieht. Mitdenken gehört mittlerweile fast schon dazu, was für ein Genre, dass sich jahrzehntelang aufs spaßig-schreckliche Blutvergießen verstand, schon eine gewisse Aufwertung bedeutet. Und meistens weiß man durch die Mundpropaganda schon im Voraus, bei welchen neuen Horrorstreifen man so etwas erwarten kann.
Außerdem gibt man sich in letzter Zeit auch mal Mühe, einen genuinen Schrecken zu erzeugen, selbst, wenn ich finde, dass man es mit der Prioritätisierung dieser Zielsetzung mitunter übertreibt (It, Hereditary).
© 2018 Orion Releasing LLC. All Rights reserved.
The Prodigy entwickelt einen gewissen Grundschauer und ist dabei erstaunlich straightforward erzählt. Und weil man sich dabei nicht nur auf billige Effekte verlässt, sondern einen gewissen Anspruch entwickelt, klappt das auch prächtig. Nicht zuletzt, weil einer der ältesten Tricks im Horrorgenre, das gruselige, von irgendeiner Macht oder einer bösen Zielsetzung erfüllte Kind, schon ziemlich gut funktioniert, wenn man es nicht komplett vergeigt.
Der größte Vorwurf, den man dem Film machen kann, ist es, dass sich das Marketing viel zu sehr auf eine Visualisierung konzentriert, die im eigentlichen Film eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Der phänomenale Kinderdarsteller Jackson Robert Scott hat als Miles im Film zwei unterschiedliche Augenfarben, und durch ein Halloween-Makeup, das ihn in eine Art Two-Face (klassischer Batman-Gegenspieler) verwandelt, wird nach Außen hin signalisiert, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Das wird nicht nur auf dem Plakat getriggert, gerade auch in der Bildauswahl, die man der Presse anbietet, ist dieses Thema so überrepräsentiert wie einst der Swimming Pool nebst Ludivine Sagnier im Bikini im gleichnamigen Ozon-Film. Nur dass sich dort die Bikiniträgerin tatsächlich für längere Passagen des Film am Pool herumtreibt, während Miles das Halloween-Make-Up im Film vielleicht für ein fünfminütige Szene trägt.
© 2018 Orion Releasing LLC. All Rights reserved.
Da der Film aber mit einem sehr leisen Horror arbeitet, der größtenteils auf einem generellen Gruseleffekt des »bösen« Auftretens von Miles aufbaut, bei dem es dann schon reicht, wenn der Knabe mal ein Messer oder Hammer in Händen hält, um einen handfesten Schrecken zu verbreiten, ist diese tagline-mäßige Visualisierung, die einem aber eigentlich nicht verrät, was los ist mit dem gruseligen Knaben, schon ganz in Ordnung.
Quasi gleich zu Beginn des Films wird aufgeklärt, worin das übersinnliche Phänomen besteht, das Miles umtreibt. Durch eindeutige match-cuts wird das »Böse« in ihm vermittelt, für den Betrachter ist trotz der Überwindung des Rationalen alles superdeutlich, nur die Filmfiguren um Miles herum, vor allem seine Mutter Sarah (Taylor Schilling), sind nicht eingeweiht und müssen ihm erst auf die Schliche kommen. dabei benutzen die eine Art psychologisch ausgebildetes Medium (Colm Feore), um herauszubekommen, was sein ungewöhnliches Verhalten auslöst. Und der perfide Twist des Films besteht darin, dass sich die Filmfiguren Sorgen um das Wohlergehen des womöglich irgendwie traumatisierten Kindes machen, während man als Betrachter ziemlich genau weiß, dass zwar das Wohl des Kindes auf dem Spiel steht, aber die Personen um Miles herum eindeutig in noch größerer Gefahr schweben.
Und wenn Miles sich dann mal von seinem Gegenspieler in seine Karten sehen lässt, um ihm unmissverständlich klarzumachen, wer hier die Zügel in den Händen hält, bricht der Schrecken mit aller Macht durch. Und weil man so konditioniert ist, hofft man dennoch, dass man das Böse irgendwie aus Miles herausbekommen kann, seinen »Dämon« (ich verwende hier einen eher blumigen Begriff) austreiben kann.
© 2018 Orion Releasing LLC. All Rights reserved.
Und selbst, wenn man jetzt als Zuschauer die Winzigkeit von Wissen, die ich in diesem Text verschweige (ein Kritikerkollege von mir plaudert dies ganz konkret aus, behauptet aber, nichts gespoilert zu haben, was ich insofern fragwürdig finde, weil er dadurch dem Film den etwa 2-5minütigen Informationsvorsprung wegnimmt) ... selbst wenn man darum weiß (A ist in der Macht von B und versucht C umzusetzen), ist The Prodigy dennoch unglaublich spannend und ich bilde mir ein, dass dies auch noch bei einer zweiten Sichtung funktionieren würde.
Und die wahre Qualität des Films besteht darin, mit welcher Kompromisslosigkeit man das dann den kompletten Film über durchzieht. Das wirklich »Böse« lässt man in Horrorstoffen nur sehr selten durchblicken, und heutzutage ist selbst jemand wie Michael Myers, der unerbittliche Serienmörder aus den Halloween-Filmen, fast nur ein Art fieses Maskottchen, dem man glucksend bei der Ausübung seines bevorzugten Zeitvertreibs zuschaut und vielleicht um ein paar seiner potentiellen Opfer fürchtet (bei den allermeisten weiß man ja, wer draufgeht und wer eine Chance hat, und es ist mehr eine Frage des wenn als des ob).
In The Prodigy wird dies durch die Verwicklung des eigentlich unschuldigen Kindes in die Vorgänge weitaus dramatischer (bei einem Angriff durch den kleinen Miles kann man den nicht ohne weiteres mit einer Kettensäge zurechtstutzen, sondern versucht, sowohl sich selbst als auch ihn zu retten, was das fortwährende Dilemma des Films ausmacht).
© 2018 Orion Releasing LLC. All Rights reserved.
Mit meiner liebsten Einstellung des Films (und ein wenig der Szene drumherum) wird das Prinzip der Doppelbesetzung von Unschuld und ultimativ Bösem sehr schön auf den Punkt gebracht. In A Quiet Place gab es vor nicht einmal einem Jahr diese fiese Szene mit einem Nagel auf einer Treppenstufe, die in unterschiedlichen Variationen ein heutiger Horrorstandard wurde. Über eine drohende Verletzung, die man als Zuschauer bösartigerweise in ihren Ausmaßen einzuschätzen weiß (fragt mal jemanden, wie das so ist, wenn man mit einer Kettensäge den Arm abgetrennt bekommt und erwird maßlos überfordert sein - aber barfuß auf einen Legostein getreten sind wir alle schon mal), wird ein hinterhältiger Suspense aufgebaut. Hier ist es so, dass ein Kindermädchen Miles in den Keller folgt, und man weiß als Betrachter ziemlich sicher, dass er für sie etwas Gemeines vorbereitet hat. Der Schmerz und die Verletzung folgen dann auch, und statt sich für einen Splattereffekt zu entscheiden, sieht man einen Sekundenbruchteil nach der Verletzung (die einen Treppensturz nach sich zog) die untere Hälfte eines kaputten Glases, von dessen »Splitterspitze« in dem kleinen Zwischenschnitt plötzlich Blut herunterläuft (was ein wenig doof ist, weil es rein logisch so wirkt, als käme das Blut aus dem Glas heraus, es muss aber natürlich schon vorher am Glas gehaftet haben und den Gesetzen der Schwerkraft folgen müssen - aber irgendwie muss man so etwas ja effektvoll visualisieren). Das Hinterhältige an der Einstellung bestand für mich als Comicfan darin, dass ich zweifelsfrei erkennen konnte, dass das kaputte Glas mal einen Garfield-Aufdruck hatte (man sieht in etwa ein paar orange Füße und einen Bauchansatz), wodurch die hinterhältige improvisierte Waffe gleich noch mal um ein Vielfaches abgründiger wirkt, denn wer jetzt irgendwann mal mit Kindern zu tun hatte und ein vergleichbares Senfglas o.ä. besaß (ich habe etwa gleich neben dem Monitor ein Glas mit der Dr.-Oetker-Kuh Paula stehen, das ich schon länger der kleinen Tochter einer bekannten zukommen lassen wollte), der kann den Schrecken eines sich bösartig verhaltenden Kindes ohne weiteres nachvollziehen: aus dem fragilen Schutzbefohlenen wird eine unerbittliche und fiese Gefahr. Und das volle anderthalb Stunden lang - und nicht auf dem vergleichsweise harmlosen Level von Damien oder Pet Sematary, sondern noch mit dem zusätzlichen psychologischen Twist.
The Prodigy ist jetzt nicht das Meisterwerk, das das gesamte Genre umschreibt - aber ein immens gut funktionierender Horrorfilm, der trotz des übernatürlichem Mumpitz sehr clever und fürsorglichen zum größtmöglichen Effekt geführt wird.