Dumbo
(Tim Burton)
USA 2019, Buch: Ehren Kruger, Vorlage: Helen Aberson, Harold Pearl, Kamera: Ben Davis, Schnitt: Chris Lebenzon, Musik: Danny Elfman, Kostüme: Colleen Atwood, Production Design: Rick Heinrichs, mit Colin Farrell (Holt Farrier), Danny De Vito (Max Medici), Nico Parker (Milly Farrier), Eva Green (Colette Marchant), Michael Keaton (V.A. Vandevere), Finley Hobbins (Joe Farrier), Deobia Oparei (Rongo), Alan Arkin (J. Griffin Remington ), Joseph Gatt (Neils Skellig), Sharon Rooney (Miss Atlantis), Roshan Seth (Pranesh Singh), Phil Zimmerman (Rufus Sorghum), Douglas Reith (Sotheby), Lars Eidinger (Hans Brugelbecker), Miguel Munoz (Ivan the Wonderful), Zenaida Alcalde (Catherine the Greater), 114 Min., Kinostart: 28. März 2019
Wie zur Demonstration des Prinzips der seelenlosen Gelddruckmaschine und der Überflüssigkeit, jetzt jeden verdammten Disney-Zeichentrick-Klassiker als modernisiertes Remake ins Kino zu bringen, werden vor der Pressevorführung von Dumbo die Trailer zu Aladdin und The Lion King gezeigt, wobei letztgenannter den Originaltrailer bildgenau nachahmt und in Ermangelung menschlicher Protagonisten aus meiner Sicht auch nicht mehr als »Realverfilmung« bezeichnet werden kann, weil ich mir nicht vorstellen kann, was außer den Stimmen in solch einem Fall nicht aus dem Rechner kommen wird. Dass ein Location Scout mit Kamerateam tolle afrikanische Landschaften einfangen wird, erscheint mir unwahrscheinlich - denn die wären womöglich nicht deckungsgleich zu den Zeichnungen.
Im Original-Dumbo von 1941 kommen zwar karikierte Menschen wie der Zirkusdirektor vor, doch die Filmhandlung konzentriert sich ganz auf die größtenteils sprechenden Tiere (die Ähnlichkeit zu Bambi ist unübersehbar, es geht nur um zwei Variationen, wie Menschen den Tieren - oder der Natur allgemein - das Leben zur Hölle machen ... zum Zweiten Weltkrieg besonders passende Sujets).
Drehbuchautor Ehren Kruger (Arlington Road, Skeleton Key) wird mittlerweile als Experte dafür gehandelt, Franchises in passgerechte Handlungskonzepte zu verwandeln (Ghost in the Shell, diverse Transformers-Filme, einst The Ring). Natürlich wird im Pressehefte von ihm behauptet, dass Dumbo schon immer sein liebster Disney-Film war - auch, wenn man die Stärken (und Schwächen) der Zeichentrick-Version nur eingeschränkt im neuen Film wiedererkennt.
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Damals war ein fliegender Elefant (selbst gezeichnet) noch eine kleine Sensation (und die entsprechenden Szenen wurden fein dosiert auf die letzten viereinhalb Minuten des Films), heutzutage wird einem in Deutschland der Kurzauftritt von Lars Eidinger (eine einzige Szene, ca. vier Sätze) als Grund untergejubelt, diesen Film zu sehen, wobei aber vor allem das visuelle Spektakel das Publikum ziehen soll. Wenn man aufs Plakat schaut, sieht man zwar zentral den kleinen fliegenden Elefant mit den großen blauen Augen, aber rundherum drängen sich neben Colin Farrell die üblichen Verdächtigen aus Tim Burtons bevorzugter Equipe, die dem kleinen Kerl fast die Luft zum Atmen zu nehmen scheinen: Michael Keaton (Beetlejuice), Danny De Vito (Batman Returns), Eva Green (Dark Shadows), wovon man bis auf den Zirkusdirektor (De Vito) keine der Figuren je im Originalfilm erblickte.
Die Transposition auf die menschlichen Figuren funktioniert nach einem sehr simplen Schema: die zentralen Elemente der Geschichte des Elefanten werden einfach im menschlichen Ensemble gespiegelt / verdoppelt. Holt Farrier (Colin Farrell) kehrt 1919 aus dem Ersten Weltkrieg zurück und hat einen Arm in Europa gelassen. Früher war er als Cowboy-Showreiter eine der Attraktionen des nun heruntergekommenen Medici-Zirkus, nun muss er als »Freak« - ganz wie Dumbo - im Zirkusbetrieb seine Nützlichkeit beweisen. Seine inzwischen mutterlosen Kinder liefern fürs kindliche Publikum die Identifikations-Figuren, vor allem über die fortschrittsgewandte, auf Wissenschaft schwörende Tochter Milly (Nico Parker) als Frühfeministin und role model. Nachdem man Jahrzehnte lang bei Disney die Frauen untergebuttert hat (Lieblingsbeispiel: das indische Mädchen aus The Jungle Book, das mit der traditionsbewussten Rolle als Haushaltssklavin Mowgli wie eine Sirene in die Welt der Menschen lockt), wird aktuell die Rollenverteilung fast umgedreht: In Dumbo ist es Millys kleiner Bruder Joe, der unbedingt unreflektiert die Familientradition als Zirkus-Performer fortführen will und seinem rückgekehrten Vater seine bescheidenen Talente vorführt. Weder sein Handstand noch seine Jonglierkünste wirken bemerkenswert, aber in einer infamen dunklen Ironie des Drehbuchs schafft er es so ungewollt, seinem Vater die vermeintliche Impotenz durch Amputation besonders vor Augen zu führen. (Das gibt dem Vater dann später die Möglichkeit u.a. im Faustkampf seine Virilität zu beweisen.)
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Während Dumbo wie im Originalfilm unter der Trennung von der Mutter leidet, übernehmen im Burton-Film zunächst die beiden Kinder die »Trainer«-Rolle des Elefanten (damals die kostümierte Maus Timothy, die nun in einer Statistenrolle abgelegt wurde), während der Vater (wie mehrere Figuren im Film) lernen muss, dass man zwischen Geschäft und Gefühl entscheiden muss. Wobei »Gefühl« hier fast ausschließlich für die Solidarität mit der Familie oder der Zirkustruppe übersetzt wird.
Dann kommt als deutlichste narrative Ergänzung auch noch eine Art dunkles Spiegelbild von Walt Disney (Michael Keaton als »V.A. Vandervere«), der für die Unterhaltung bzw. eigentlich die Gewinnmaximierung quasi über Leichen geht. An seiner Seite: Eva Green als aus Europa importierter Vorzeigedame (emotional oder sexuell läuft null, sie ist nur die jüngere schöne Melania an der Seite des alten reichen chief-in-command), die irgendwann gemeinsam mit den Kindern und dem Elefanten kämpft (als Luftakrobatin ist sie schon konzeptionell das Verbindungs-Glied zwischen Holt und Dumbo) und zwar mit Sehnsucht ausgestattet ist, aber fast ohne irgendein erotisches Knistern wie im default mode implizit die Rolle der verstorbenen Mutter annimmt. (Glückwunsch an diejenigen, die jetzt schon ihren aufgesetzten französischen Akzent als »knisternd« erachten.) Was jetzt auch nicht so weit weg ist von der Inderin aus The Jungle Book, der Aufopferungsbereitschaft und Familiensinn auch schon ins zweite X-Chromosom eingeimpft zu sein schienen.
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Die vermeintlich vorwärtsgerichtete Verlogenheit, die beim Disney-Konzern immer mal wieder durchscheint, ist hier ganz gut versteckt. Die einstigen Karikaturen von Schwarzen werden nie zum Thema (die Krähen wurden ersatzlos gestrichen, anstelle zahlreicher starker schwarzer Handlanger fällt der strong man Rongo eher durch seine vielfältigen auch intellektuellen Begabungen auf). Dann gibt es noch einen weisen Inder, eine leicht pummelige »Meerjungfrau« und man feiert ähnlich wie in The Greatest Showman die Solidarität unter den Minoritäten ab (»one of us«), weshalb natürlich auch der kleinwüchsige De Vito ganz für seine Truppe einsteht und zum Schluss (mild spoiler, there's a happy ending!) sogar als Signal für politische Korrektheit alle wilden Tiere freilässt. Was aber faktisch bedeutet, dass Dumbo nebst Mutti sich fröhlich einer Elefantenherde anschließen (dieses Sequel wird nie erzählt werden, und ich bin mal so gnädig, nicht zu eruieren, was Dumbos Wachstum mit seinem evolutionären Vorteil machen wird) und die kostümierten Mäuse aus ihrem Käfig gelassen werden. Für »Nutztiere« und dekorative Zierfische im Glaskasten der Meerjungfrau gilt die Generalamnestie aber offensichtlich nicht. Die unterschiedlichsten Ausprägungen von Tier- und Naturschutz spielen in meinem Leben mittlerweile eine größere Rolle, und Disney orientiert sich immer am politischen Mainstream: leise Trump-Kritik ist okay, aber man wird nicht gleich zum fundamentalistischen tree-hugger!
Burtons Dumbo ist ein Familienfilm. Den Eltern wird Unterhaltung geliefert (im familientauglichen Segment durchaus akzeptabel), alles wirkt von konservativen Familien-Idealen mit einer winzigen Prise Fortschritt durchdrungen, und mit 3D-Zuschlag werden die Kassen klingeln (man muss es dem Disney-Konzern fast positiv anrechnen, dass - wohl mit Rücksicht auf die Kinder - nicht auch noch der Überlängenzuschlag abgezockt wurde). Burton ist Experte fürs Spektakel und er tobt sich auch aus. Die Nightmare Island passt etwa nicht zum Disneyland-Abklatsch »Dreamland« und Burton darf die Schatten eines Werwolfs und eines Riesenkrokodils in den dunklen Nebel eines kollabierenden Vergnügungsparks werfen.
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Aber an anderen Stellen wird die wenig ergiebige Künstlichkeit auch überzogen, ob in der Quasi-Vorspann-Passage mit dem zum Schauwert ausgestellten Zug (wird auch im Original-Film ausgeschlachtet, aber das waren andere Umstände) oder bei den Pink Elephants on Parade, die 1941 wie ein psychedelische Nachklapp zu Fantasia wirkten, von Burton aber wie ein offenbar ernstgemeinter circus act umgesetzt werden, wo Seifenblasen (ohne die geringste Erklärung) ein Eigenleben entwickeln. Für Animationsfreunde ist es ja schön, wenn etwas aus dem alten Film aufgenommen und aktualisiert wird (und ich rede hier nicht um den Nachspann-Song von Arcade Fire, sondern eher von den Feuerwehr-Clowns, bei denen abermals Colin Farrell und Dumbo parallelisiert werden in ihrer Demütigung), aber die Mischung aus simpler Story und nicht-narrativen Kapriolen mag vor 78 Jahren, als der abendfüllende Zeichentrickfilm noch in seinen Kinderschuhen steckte, vertretbar gewesen sein, im Burton-Film wirkt vieles derart aufgeblasen, dass es zwangsläufig irgendwann platzen muss und nur einen seifigen Geschmack hinterlässt.
Zum Abschluss noch meine liebsten zwei Winz-Details im Film (ich fand ja nun auch nicht alles schrecklich): Vor der Zirkusvorführung werden im Dreamland Dumbo-Puppen verkauft. Als Dumbo dann über den Zuschauern eine Runde fliegt, klatscht ein kleines Mädchen so begeistert, dass ihr die Puppe runterfällt. Und als zu Beginn der vielleicht schlechtesten Szene des Films Eva Green auf Dumbo reitend einen Überwachungsturm mit den gesamten Schalthebeln für den Dreamland-Betrieb betritt, sagt sie »Bonsoir!« und Dumbo ahmt das Wort trompetend nach.