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14. August 2019
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Once upon a Time ... in Hollywood (Quentin Tarantino)


Once upon a Time ... in Hollywood
(Quentin Tarantino)

UK / USA / China 2019, Buch: Quentin Tarantino, Kamera: Robert Richardson, Schnitt: Fred Raskin, Kostüme: Arianne Phillips, Production Design: Barbara Ling, Supervising Art Direction: Richard L. Johnson, Music Supervisor: Mary Ramos, mit Leonardo DiCaprio (Rick Dalton), Brad Pitt (Cliff Booth), Margot Robbie (Sharon Tate), Margaret Qualley (Pussycat), Julia Butters (»Mirabella Lancer«), Al Pacino (Marvin Schwarzs), Dakota Fanning (Squeaky Fromme), Kurt Russell (Randy), Lorenza Izzo (Francesca Capucci), Austin Butler (Tex), Madisen Beaty (Katie), Mikey Madison (Sadie), Maya Hawke (Flower Child), Emile Hirsch (Jay Sebring), Mike Moh (Bruce Lee), Bruce Dern (George Spahn), Timothy Oliphant (James Stacy), Luke Perry (Wayne Maunder), Damon Herriman (Charles Manson), Rafal Zawierucha (Roman Polanski), Damian Lewis (Steve McQueen), Rumer Willis (Joanna Pettet), Zoë Bell (Janet), James Laundry Hébert (Clem), Edward Headington (Lancer Borracho), Clifton Collins jr. (Ernesto The Mexican Vaquero), Rachel Redleaf (Mama Cass), Lena Dunham (Gypsy), Dreama Walker (Connie Stevens), Michael Madsen (»Sheriff of Janiceville«), Rebecca Gayheart (Billie Booth), 161 Min., Kinostart: 15. August 2019

Meine »üblichen Verdächtigen«, die bei Pressevorführungen meist um mich herumsitzen, waren unterschiedlich angenervt von diesem Film, nicht zuletzt, weil Tarantino sich gewisse erzählerische Freiheiten nimmt wie einen Prolog, der gefühlt fünf mal so lang ist wie die Passage, um die es vermeintlich geht im Film.

Ich war indes schon sehr früh hin und weg von dem Film, weil Tarantino halt ein 1969 entstehen lässt, wie man es sonst heutzutage nirgendwo mehr sehen kann. Das ist einfach old school cinema. Einmal fährt Brad Pitt einfach durch die Stadt, und man sieht nicht einfach nur Aufnahmen vor einer offensichtlichen green screen (wie in 99 von 100 Hollywood-Filmen), sondern Tarantino zeigt (zum Teil) echte Fahraufnahmen, bei denen man sich fragt, wie er das gemacht hat, diese cineastische Zeitreise, die wie ein »Best of« seiner Kunst wirkt. Früher hat er ja seine Musikauswahl zelebriert, jetzt wirft er einem in etwa fünf bis sieben Einstellungen fast einen kompletten Soundtrack vor die Füße - und man weiß sofort, dass da jemand auf youtube eine möglichst vollständige Playlist zusammenstellen wird.

Tarantino benutzt ja seltenst reguläre Filmmusik, hier gibt es etwa eine Szene, wo er sehr effektiv einen Score nutzt, der aber nebenan im Fernseher läuft, irgendein aufdringlicher Fernseh-Musikschnipsel aus jener Zeit, auf den die gezeigten Bilder in der Montage aber perfekt abgestimmt sind. Und um dieses postmoderne Spiel zwischen Realitätsebenen geht es in diesem Film, für Freunde des Kinos ist der Film ein einziger riesiger Diskurs darüber, wie viele unterschiedliche Ebenen dieses Hollywood-Märchens nebeneinander bestehen können.

Beispielsweise zeigt man vermeintliche Dreharbeiten eines Films, aber schon wie im Endprodukt zusammenmontiert. Nur wenn die Schauspieler (eigentlich nur einer) patzen, hört man die Stimmen des Regisseurs oder des Scriptgirls, die quasi in die noch entstehende Handlung eingreifen, dabei aber unsichtbar bleiben. Ein Schauspieler stottert nur, wenn keine Kamera auf ihn gerichtet ist, eine Westernstadt, die größtenteils aus gemalten Kulissen besteht, wird durch die Filmmagie des Schnitts zu der geräumigen Innenansicht eines Saloons. Die aber, während die Magie eigentlich erst noch entsteht, man könnte dies eine ironisch gebrochene instant movie magic nennen, die offenbar nicht jeden Zuschauer so in ihren Bann zieht wie mich. Und wenn man dann noch in einer Szene der »realen Welt« einen Buchladen besucht, indem die dunkle Statuette eines Raubvogels herumsteht, ist das exakt die Art von spielerischen Filmanspielungen (The Big Sleep meets The Maltese Falcon), die zwar manchmal keinerlei Nährwert hat, aber mir viel mehr Spaß macht als ein stringenter Handlungsfaden, mit dem Tarantino sich nie belastete.

Once upon a Time ... in Hollywood (Quentin Tarantino)

© 2019 Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH

Leonardo DiCaprio und Brad Pitt spielen hier einen Western-Star mit Karriere-Problemen und sein bevorzugtes Stuntdouble, der aber auch als Fahrer agiert oder aufs Dach klettert, um die Fernsehantenne zu reparieren. Und Rick Dalton wohnt direkt neben dem Haus von Roman Polanski und Sharon Tate. Allein schon aus diesem Umstand bastelt Tarantino in seiner typischen Weise den kompletten Film - aber eben nicht so, wie andere Regisseure es machen würden: Er nutzt diese verführerische Prämisse vor allem, um vom Ende einer Ära zu berichten, und zwar als filmgeschichtlicher Exkurs, der ganz selbstverständlich auch die Tarantino-Filmographie noch mal widerkäut. Da geht es um Grindhouse (Death Proof) und Spaghetti-Western (Django Unchained - Tarantino zitiert sogar die Flughafenszene vom Anfang von Jackie Brown - The Graduate plus bunte Fliesen - wie ein Stück blutiges Fleisch, das er dem hungrigen Publikum vor die Füße wirft). Aber es geht ihm neben einer seltsamen Parodie der Filmkarriere von Clint Eastwood auch um prägnante Filme dieses filmhistorischen (und filmpolitischen) Paradigmenwechsel wie Soldier Blue, Easy Rider oder The Texas Chainsaw Massacre.

(Bei all diesen Ausführungen sollte man übrigens im Hinterkopf behalten, wer aktuell Präsident der USA ist - zumindest soviel Politik dringt diesem Film aus jeder Pore.)

Once upon a Time ... in Hollywood (Quentin Tarantino)

© 2019 Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH / Foto: Andrew Cooper

DiCaprio als Eastwood-Variation gehört hier zu einer Generation, die in der Vergangenheit lebt: er dreht vor allem Western oder auch mal einen Kriegsfilm, in dem er (wie in einer billigeren Version von Inglourious Basterds) Nazis abfackeln darf. Im Gegensatz zu Eastwood ist für Rick Dalton der Sprung von einer Westernfernsehserie zum Drehen von Italo-Western nicht die phänomenale Karrierespritze, die dann in faschistischen Selbstjustiz-Reißern wie der Dirty-Harry-Reihe gipfelt. Das junge Publikum dieser Zeit kann Rick Dalton höchstens aus Fernseh-Wiederholungen einordnen, weil man inzwischen in einer anderen Welt lebt, wo Western eben einen Diskurs über den Vietnamkrieg liefern. Und Dalton hasst diese Hippies mit Inbrunst. Brad Pitt als Stuntdouble Cliff Booth (es ist sicher kein Zufall, dass beide Nachnamen von amerikanischen Schurken / Mördern aus einer früheren Zeit tragen) ist politisch nicht ganz so rechts zu verordnen, aber auch er, der vielleicht noch die Chance hätte, innerhalb der nächsten Generation zu bestehen, ist ganz in alten Idealen (die gar nicht mal so »ideal« ausfallen) verhaftet.

Es geht in diesem Film um den Kampf des erzkonservativen Establishments gegen die neue Generation, wobei Protofeministinnen, Blumenkinder, Pornodarstellerinnen und die Manson-Familie nie genau getrennt werden.

»Don't cry in front of a Mexican« sagt Cliff mal zu seinem Chef, der öfters mal stottert, wenn er nicht vor einer Kamera steht und generell ein trauriges Bild abgibt, sich aber immer wieder in alten Filmausschnitten seiner Karriere selbst abfeiert. Die Rechten mögen Immigranten bekanntlich genauso wenig wie Hippies, und wenn Cliff und Rick sich eine Folge FBI anschauen, in der Rick eigentlich den Schurken spielt, ist offensichtlich, dass sie auf dessen Seite stehen. Seine unschuldigen Opfer werden als schlechte Schauspieler charakterisiert und sterben in einem hinterhältigen Drive-By-Shooting, wie die Helden aus Easy Rider. Für jemanden wie Rick Dalton ist Dennis Hopper ein absolutes Feindbild, während er sich in die Rolle von Steve McQueen in The Great Escape hineinträumt. Übrigens ein gutes Beispiel dafür, wie der Film das cineastische Wissen seines Publikum fordert, denn John Sturges als Regisseur, der sowohl Western drehte als auch seine Helden gegen Nazis antreten ließ, passt hier genau in meine Interpretation Tarantinos. Und Steve McQueen ist im Gegensatz zu Clint Eastwood eben ein Opfer dieser Zeit, (er überlebte die 1970er nur knapp), so wie man es bis zur vorletzten Szene auch von Rick Dalton (karrieremäßig) annehmen würde.

In Once upon a time ... in Hollywood springt Tarantino zwischen der eigentlichen Handlung, Film- und Fernsehausschnitten, Dreharbeiten und Hollywood-Anekdoten hin und her. Steve McQueen taucht wie Roman Polanski bei einer Party in der Playboy Mansion auf, und Tarantino betont sehr häufig, dass das Hollywood jener Zeit ohne Immigranten nicht denkbar wäre. Man sieht im Hintergrund viele Filmplakate, und fast überall spielen »Zugezogene« bzw. Migranten der zweiten Generation mit wie Yvette Mimeux, Elke Sommer, Ann-Margaret, Bruce Lee oder meinethalben Dean Martin.

Once upon a Time ... in Hollywood (Quentin Tarantino)

© 2019 Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH

Meine Lieblingsszene des Films ist die, wo Cliff zunächst »Pussycat« kennenlernt und dann mit ihr zusammen seinen alten Freund George besuchen will. Die Szene auf der Spahn-Ranch ist Tarantinos Version von Soldier Blue. Man befindet sich auf einer Ranch, eine quintessentielle Western-Situation, aus der dann eine Bedrohung wie bei The Texas Chainsaw Massacre erwächst. Inklusive einer Figur mit den anatomischen Merkmalen eines Inbreds, nur politisch anders interpretiert. Den ganzen Film lang spielt Tarantino immer wieder damit, wer hier die Opfer und wer die Täter sind.

Die eine Ebene, wo das weniger gut gelungen ist, betrifft das Frauenbild. Im Film gibt es drei weibliche Wesen, die positiv gezeichnet sind. Margot Robbie als Sharon Tate spielt nicht nur den klutz, der später dirty movies drehte (es ist erschreckend, wie oft in der Vermarktung des Tarantino-Films jener Filmschnipsel eine Rolle spielt, in dem man den Slip der echten Sharon Tates unter ihrem Rock aufblitzen sieht, auf ihre Nacktaufnahmen für den Playboy wird vergleichsweise unaufdringlich angespielt), Margot Robbie schlendert durch den Film wie jemand, der auf die Charakteristika »jung«, »schön« und »naiv« festgenagelt ist. Dass sie das Establishment unterwandert, indem sie mit zwei Männern zusammenlebt und einfach mal ein Blumenmädchen in Polanskis Porsche mitnimmt, habe ich nicht übersehen. Aber wie sie sich darüber totfreut, wie das Kinopublikum auf sie reagiert, wie sie - anders als Rick und Cliff - in die »Film im Film«-Narration eintaucht, das charakterisiert sie als ein altes »Idealbild« einer Frau, und »ein bisschen dumm« scheint da einfach dazuzugehören.

Ähnlich ist es auch mit »Pussycat« (Margaret Qualley) - das overacting zwischen ihr und Pitt hat noch einen gewissen Charme, ungeachtet gewisser Fehler scheint sie durchaus intelligent, aber dass Tarantino ihre Rolle erst in Pornodialoge einkleidet, ehe sie keinen dringlicheren Wunsch verspürt, als Brad Pitt beim Autofahren einen zu blasen - das hat für mich weniger mit »freier Liebe« zu tun als mit der Tarantino'schen allesumfassenden Ambivalenz, die hier in unangenehme Gefilde driftet. Dass Brad Pitt, ganz Gentleman und vorbildlich, auf die orale Stimulation verzichtet, weil er annimmt, sie sei noch minderjährig, passt dann aber wieder zum zentralen Bruch zwischen den Zeitaltern, den 50ern und den 70ern. Man hat nur leider das Gefühl, dass Tarantino dies gänzlich aus männlicher Perspektive durchdacht hat. Da waren seine früheren Frauenfiguren gelungener.

Once upon a Time ... in Hollywood (Quentin Tarantino)

© 2019 Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH

Die dritte Frauenfigur (übrigens die einzige, die nicht auf des Regisseur hier überbordenden Fußfetischismus eingehen muss) ist die angeblich achtjährige Co-Darstellerin in Ricks aktuellem Western-Dreh. Dass sie das mit dem Method Acting etwas zu sehr zu Herzen nimmt, ist ein kleiner Gag am Rande, aber als Jüngste weit und breit ist sie am deutlichsten ein Protofeministin, die sich Kosenamen verbittet und in ihrer Professionalität ein großes Vorbild für den »alten Hasen« Dalton ist. Wenn sie diesem zuflüstert, wie großartig sie seine schauspielerische Leistung fand, könnte man dies auch als Naivität werten (was bei einer Achtjährigen nicht unbedingt ein Makel wäre), aber ich würde sogar sagen, dass sie dem psychisch angeknacksten Dalton einfach eine Kerntherapie liefert. Diese Szene, die sich am weitesten von der Welt von 1969 entfernt und in die Zukunft deutet, rettet Tarantino vor meinem schärfsten Vorwurf.

Squeaky (Dakota Fanning), Katie, Sadie und Francesca sind zwar auch noch Frauenfiguren, aber sie sind allesamt zu begrenzt auf ihre Funktion im Film, um hier genau seziert zu werden. Außerdem soll man ja so wenig wie möglich spoilern.


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Mich hat der Film übrigens schon mit drei kleinen Einstellungen zu Beginn voll angefixt: a) hinten in einem Auto ist eine Kamera installiert, man sieht durch die Windschutzscheibe, wie sich das Auto bewegt; b) man sieht ein Flugzeug fliegen, in interessanter Kadrierung von halb unten; c) eine Stewardess geht eine Wendeltreppe herunter, die Kamera verfängt sich kurz in ihrer Spiralfrisur (vgl. Vertigo, Lola rennt) - Keinerlei echte Handlung, aber filmmaking, das verzaubert.