Skin
(Guy Nattiv)
USA 2018, Buch: Guy Nattiv, Kamera: Arnaud Potier, Schnitt: Lee Percy, Michael Taylor, Musik: Dan Romer, Kostüe: Mirren Gordon-Crozier, mit Jamie Bell (Bryon »Babs« Widner), Danielle Macdonald (Julie Price), Vera Farmiga (Shareen Krager), Bill Camp (Fred »Hammer« Krager), Mike Colter (Daryle Jenkins), Daniel Henshall (Slayer), Zoe Colletti (Desiree), Louisa Krause (April), Kylie Rogers (Sierra), Colbi Gannett (Ingrid / »Iggy«), Mary Stuart Masterson (FBI-Agent Jackie Marks), 117 Min., Kinostart: 3. Oktober
Ich halte nichts von Nationalismus, aber der 3. Oktober ist vermutlich einer der wenigen Feiertage, wo man mit Recht sein Land feiern kann. Umso erschreckender finde ich den Trend, dass dieser Tag zunehmend (auch, wenn er mal nicht auf einen Feiertag fällt) als »Thementag« für Kinostarts missbraucht wird.
Weihnachtsfilme ergeben im Mai nur wenig Sinn, Horrorfilme, die kurz vor Halloween starten, sind okay, aber wenn Peter Rabbit zu Ostern startet, man sich jedes Jahr einen abbricht, einen Valentinstag-tauglichen Film zusammenzubasteln, dann wird es schnell peinlich. Und wenn Deutschstunde oder Werk ohne Autor am 3. Oktober anlaufen, aktiviert das nur mein Mitleid mit Schülern, die zur cineastischen Geschichtsstunde verdonnert werden. Den Titel dieser Ost-West-Liebesgeschichte, die ebenfalls passgenau in die Kinos kommt, habe ich glücklicherweise gleich wieder verdrängt (mag ein toller Film sein, aber schon auf diesen Starttermin reagiere ich inzwischen bereits allergisch).
Da passt Skin, der komplett in den USA spielt, aber aus unerfindlichen Gründen auch mit der deutschen Geschichte zusammenhängt, schon deutlich besser, denn trotz seiner pädagogischen Botschaften kann dieser Film halt nichts dafür, diesen Starttermin bekommen zu haben - und wurde nicht (zumindest gefühlt) extra auf den Tag der deutschen Einheit hin konzipiert.
© Ascot Elite Entertainment / 24 Bilder
Der Film ist »inspired by true events«, was ich schon mal besser finde als die häufiger verwendete Formel »based on« - denn reichlich dramatisiert werden solche Filme ohnehin, da bevorzuge ich es, wenn man zur Verbesserung des Filmstoffs vielleicht mal ein Detail fallengelassen oder geändert wurde. Auch, wenn man hier das Gefühl hat, dass verdammt viel Material mit eingebaut wurde in die Narration.
So ist etwas die Rolle des antirassistischen Aktivisten Daryle Jenkins (Mike Colter), der versucht, bekannte und straffällige Neonazis »umzudrehen«, im richtigen Leben besonders bemerkenswert, im Film wirkt er der eigentlichen Geschichte etwas aufgedrückt.
In Skin geht es um den durch rassistische Tattoos entstellten (im Presseheft nutzt man das Verb schmücken und verziert es mit Anführungsstrichen) Bryon »Babs« Widner (Jamie Bell), der gleich zu Beginn des Films seinen ganzen Fremdenhass in einer brutalen Straftat demonstrieren kann, wobei gerade diese Tat später an seinem Gewissen nagt. Dieser Anfangspunkt der Geschichte wird auch gleich dazu benutzt, die Animosität zwischen Jenkins und den Nazis aus seiner »Nachbarschaft« einzubringen, wobei halt das Aufeinandertreffen von »Gegendemos« schnell in Gewalt umschlagen kann.
© Ascot Elite Entertainment / 24 Bilder
Parallel zur ganzen Filmhandlung gibt es einen fortlaufenden Flash Forward, der immer wieder zeigt, wie »Babs« über einen langen Zeitraum seine Tätowierungen in einem ebenfalls schmerzhaften medizinischen Prozess wieder loszuwerden trachtet (dazu gibt es übrigens einen eigenen Dokumentarfilm mit dem Titel Erasing Hate). Dadurch weiß man im Grunde, dass »Babs« die Handlung irgendwie überleben wird - aber man bangt ohnehin mehr mit den später auftauchenden Nebenfiguren...
Zunächst wird geschildert, wie der von Vorzeigenazis aufgenommene Babs sein Leben verbringt. Seine »Mutter« Shareen (Vera Farmiga, kaum wiederzuerkennen) führt passenderweise einen Tattooladen, Papa »Hammer« (Bill Camp, aktuell auch in den Comicverfilmungen Joker und The Kitchen) ist der Anführer des »Vinlanders Social Club«, einer gewaltbereiten Skinhead-Gruppe, die sich auf die alten Wikinger beruft, aber auch die Gesinnung des Ku-Klux-Klan aufgesogen hat oder bestimmte deutsche Parolen skandiert. Und Babs ist in dieser Gruppe ein sogenannter Pitbull, der auch mal damit betreut wird, Häuser anzustecken. Die Gruppensynergien sind generell nicht sehr gesundheitsfreundlich, auch, wenn man mal drinsteckt und nicht ganz so gewaltbereit ist wie die lieben Kollegen.
Anhand eines verlotterten jungen Ausreißers wird auch demonstriert, wie die Gruppe neue Mitglieder »rekrutiert«. Regisseur und Autor Guy Nattiv schafft es aber, die manchmal brisanten Handlungselemente des Films mit den Erklärungen der generellen Vorgehensweisen einiger Gruppierungen (Vinlanders, Jenkins' One People's Project, Polizei und FBI) ganz gut zu kombinieren, dass einem die teilweise didaktische Herangehensweise nicht so auffällt.
Dann trifft Babs bei einer Zusammenrottung der Nazis die alleinerziehende Mutter Julie mit ihren drei Töchtern - und mag es so gar nicht, dass seine Kollegen teilweise der gesanglichen Darbietung der auch auf arisch getrimmten Sängerinnen nicht den nötigen Respekt zollen. Zwischen der kleinsten Tochter »Iggy« und Babs' Kampfhund funkt es, und jeder, der mal einen Film gesehen hat, begreift sofort, dass sich hier eine Liebesgeschichte anbahnt.
© Ascot Elite Entertainment / 24 Bilder
Auch, wenn Julie (Danielle Macdonald, u.a. bekannt aus Patti Cake$, hatte aber auch eine Rolle in Greta Gerwigs Lady Bird) so ihre eigenen, unangenehmen Erfahrungen mit politisch radikalen Lovern gemacht hat und das Wohl ihrer Töchter über alles stellt.
Der Film schildert jetzt, wie Babs ein soziales Gewissen entwickelt - und welche Schwierigkeiten das verursacht. Weder kann er die Vinlanders so ohne weiteres verlassen noch kann er einfach auf Familienleben umschaltet, wenn schon anhand seines Gesichtes jeder sofort weiß, welche Gesinnung er zumindest mal hatte.
Und daraus wird ein erbitterter Kampf über mehrer Bundesstaaten-Grenzen hinaus, und mit zunehmend drastischeren Mitteln versuchen die Vinlanders Babs zurückzuholen, wobei auch seine neue Familie in Gefahr gerät, was wieder dazu führt, dass Julie sich eher von Babs distanziert, denn wenn plötzlich so eine Meute bewaffneter Skinheads im Wohnzimmer auftaucht, ist das nicht unbedingt das Umfeld, das sie sich für ihre Töchter wünscht.
© Ascot Elite Entertainment / 24 Bilder
Apropos Töchter: die wegen Pubertät etwas rebellische Desiree (Zoe Colletti) spielt am Rande auch noch eine Rolle, weil sie unter anderem gerne heimlich raucht und am liebsten auch ein Tattoo hätte - und dann trifft sie auf ein vermeintliches role model, das sich mit folgenden Worten vorstellt: »I'm Shareen, you can call me Ma!«
Man sieht, die Filmhandlung ist einerseits sehr geradlinig, dabei aber dennoch komplex, mit vielen Faktoren, die bestimmte Pläne immer mal wieder durcheinanderbringen.
Eigentlich erwarte ich als studierter Filmwissenschaftler von Filmen noch ein bisschen mehr als nur eine straight-forward erzählte Geschichte, aber in diesem Fall gibt es auch fast nichts, was ich an Skin bemäkeln könnte (höchstens ein besonders vorhersehbarer Teil der Geschichte, den man einem noch als Überraschung verkaufen will). Also, warum eigentlich nicht: auf jeden Fall empfohlen.