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18. Dezember 2019
Thomas Vorwerk
für satt.org


  The Peanut Butter Falcon (Tyler Nilson & Michael Schwartz)


The Peanut Butter
Falcon
(Tyler Nilson &
Michael Schwartz)

USA 2019, Buch: Tyler Nilson, Michael Schwartz, Kamera: Nigel Bluck, Schnitt: Nat Fuller, Kevin Tent, Musik: Zachery Dawes, Noam Pikelny, Jonathan Sadoff, Gabe Witcher, Kostüme: Melissa Walker, Production Design: Gabrael Wilson, mit Zack Gottsagen (Zak), Shia LaBoeuf (Tyler), Dakota Johnson (Eleanor), Bruce Dern (Carl), Thomas Haden Church (Saltwater Redneck), Yelawolf (Ratboy), John Hawkes (Duncan), Wayne Dehart (Jasper, der Prediger), Jake »The Snake« Roberts (Sam), Mick Foley (Jacob), Jon Bernthal (Mark), 93 Min., Kinostart: 19. Dezember 2019

Mit 22 im Altersheim versauern? Down-Syndrom oder nicht, damit will sich Zak (Zack Gottsagen) nicht abfinden. Immerhin hat er den großen Traum, die Wrestling-Schule des legendären »Saltwater Redneck« (Thomas Haden Church) zu besuchen. Und so gelingt es ihm nach mehreren gescheiterten Fluchtversuchen, mit Hilfe seines Mitbewohners Carl (Bruce Dern), nur mit einer Unterhose bekleidet, seinen Weg in die große weite Welt zu beschreiten.

Während seine Betreuerin Eleanor vom bedingt kompetenten Chef der Einrichtung den Auftrag erhält, Zak einzufangen, bevor er gezwungen ist, seine Flucht den Behörden mitzuteilen, erleben wir die zweite Hauptfigur des Films, Tyler, einen kriminellen Krabbenfischer, der bei seiner Nebenbeschäftigung als Brandstifter ein wenig über das Ziel hinausschießt und deshalb von zwei vermeintlichen »Kollegen« verfolgt wird.

The Peanut Butter Falcon (Tyler Nilson & Michael Schwartz)

© Tobis Film GmbH

Zak und Tyler könnten kaum unterschiedlicher sein, und eine gemeinsame Flucht als auffälliges Pärchen bringt eher mehr als weniger Aufmerksamkeit mit sich, aber die Kernstory ist halt die einer unerwarteten Freundschaft, und da muss man sich manchmal etwas beugen.

Generell befindet sich The Peanut Butter Falcon nicht immer auf dem gleichen Realitäts-Niveau, und bis zu einem gewissen Punkt macht das auch den besonderen Reiz des Films aus. Bei einem derart sympathischen Dreiergespann (und mich hat Shia LaBoeuf schon als Chas in Constantine genervt und ich habe noch keine zusammenhängenden 20 Sekunden aus irgendeinem Teil von 50 Shades of Gray gesehen) lässt man sich aber einiges gefallen, selbst wenn ich mit der Stilrichtung »gewollt abstoßend« à la Jared Hess (Napoleon Dynamite, Nacho Libre, Gentlemen Broncos) nur eingeschränkt etwas anfangen kann.

Aber aus unerfindlichen Gründen funktioniert Zak als Sympathieträger, obwohl er sich für seinen Ausbruch den schwabbeligen Körper mit Seife eincremt, er sich früh im Film aus Aufregung übergibt und man ihm dann auch noch eine Art Bremsspur auf die Unterhose setzt.

The Peanut Butter Falcon (Tyler Nilson & Michael Schwartz)

© 2019 Tobis Film GmbH

Auch das Versteckenspiel zweier Boote im Schilf ist so idiotisch inszeniert, dass es jedermann klar ist, dass das Schilfrohr keineswegs hoch genug gewachsen ist, um sich darin zu verbergen, und die Lovestory zwischen Tyler und Eleanor zeigt abermals, dass das Drehbuch mehr Macht hat als alle Wahrscheinlich- und Glaubhaftigkeit.

Was aber für den Film spricht: Man weiß lange Zeit nicht, ob die naiven Träume des Möchtegern-Wrestlers eine Chance haben gegen die Brutalität der Welt und die suspekte Solidarität Tylers (die über die Backstory rund um seinen verstorbenen Bruder eine gewisse, aber keineswegs überzeugende Rechtfertigung erhält).

The Peanut Butter Falcon (Tyler Nilson & Michael Schwartz)

© Tobis Film GmbH

Ich gebe zu, dieser Film macht es einem leicht, ihn abzuqualfizieren, aber es ist soviel befriedigender, ihm eine Chance zu geben und diesem Roadmovie, das wie ein einigermaßen modernes Märchen funktioniert und manchmal wirkt wie die Mark-Twain-Adaption einer Laienspielgruppe, unvoreingenommen auf seinen verschlungenen Pfaden zu folgen, denn für nahezu jede absurde Schnapsidee (etwa dreimal in den Boden eines zurückgelassenen Bootes zu schießen, wenn man sich im kniehohen Wasser befindet...) liefert der Film auch einen bezaubernden Charme.

Insbesondere bei der Paarsynergie zwischen Tyler und Zak. Tyler, wortkarg und ganz von seiner Überlegenheit überzeugt, macht etwa klar, was die Regeln der Zusammenarbeit sind (»rule no. 1: don't slow me down!«), kann sich auf Dauer aber nicht der weitaus optimistischeren Weltsicht Zaks verweigern, der sich ganz sicher ist, dass die erste Regel natürlich »Party« heißen muss.

The Peanut Butter Falcon (Tyler Nilson & Michael Schwartz)

© Tobis Film GmbH

Und irgendwie ist dies auch der zentrale Widerspruch des Films für das Publikum. Man muss bereit sein für die Party und nicht 93 Minuten lang hoch- und mitrechnen, wie viel Lebenszeit einen dieser Film kosten wird. Wer mich und meine Erbsenzählermentalität kennt, wird vermutlich verdutzt sein, dass ich hin und wieder auch mal den Partylöwen rauskitzeln kann, während links und rechts von mir die politisch korrekten HüterInnen der Filmkunst laut aufstöhnten.

Eine Party mit schalen Salzstangen und suboptimal gekühltem Bier ist immer noch besser als keine Party!

Die beiden Regisseure (die zuvor übrigens nur Kurzfilme inszenierten) fungieren laut Vorspann unter dem gemeinsamen Namen »Lucky Treehouse«. Beim Nachspann stehen den aber ihre einzelnen Namen - Inkonsequenz kann man nicht einfach als Tugend auslegen, aber es ungerührt zu versuchen, hat auch Chuzpe.