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5. Februar 2020
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Das freiwillige Jahr (Henner Winckler & Ulrich Köhler)


Das freiwillige Jahr
(Henner Winckler
& Ulrich Köhler)

Deutschland 2019, Buch: Ulrich Köhler, Henner Winckler, Kamera: Patrick Orth, Schnitt: Laura Lauzemis, Kostüme: Birgitt Kilian, Szenenbild: Pelin Gebhard, Ivana Vukovic, mit Maj-Britt Klenke (Jette), Sebastian Rudolph (Urs), Thomas Schubert (Mario), Katrin Röver (Nicole), Daniel Nocke (Henning), Stefan Stern (Falk), Margarita Breitkreiz (Pia), Hussein Eliraqui (Murat), Helmut Florian Rupprecht (Herr Scheidt), 86 Min., Kinostart: 6. Februar 2020

Ulrich Köhler (Montag kommen die Fenster, Schlafkrankeit) und Henner Winckler (Klassenfahrt, Lucy) sind zwei angesehene unabhängige deutsche Regisseure, die beide 1969 geboren sind und sich seit dem Studium kennen. Bei früheren Arbeiten haben sie sich immer mal wieder gegenseitig unterstützt, nun kam es zu dieser Zusammenarbeit, einem kleinen Fernsehfilm, der aber immerhin auch schon in Locarno gezeigt wird.

Über die Handlung des Films will ich eher wenig erzählen, weil es einige Wendungen gibt. Die Abiturientin Jette (Maj-Britt Klenke) ist auf dem Weg zu ihrem freiwilligen sozialen Jahr in Costa Rica, aber auf dem Weg zum Flughafen geht einiges schief. Nach und nach erfährt man mehr über Jette, ihren alleinerziehenden Vater, den Arzt Urs (Sebastian Rudolph) - und jeweils eine Figur, die eine Rolle im Leben der beiden spielt.

Das freiwillige Jahr (Henner Winckler & Ulrich Köhler)

© Henner Winckler, Ulrich Köhler, Grandfilm

Es fällt auf, dass eine Szene bei Urs' Bruder Falk, der durchs Balkonfenster leblos in seiner Wohnung entdeckt wird, so aufgebaut ist, dass die Handlung auf zwei Ebenen spielt. Urs versucht verzweifelt, in Falks Wohnung zu kommen, Jette hat währenddessen ein Gespräch mit ihrem Freund Mario (Thomas Schubert). Und schließlich soll Mario sie zum Flughafen bringen, Urs will später nachkommen.

An dieser Stelle des Films kippt einiges ins Komödiantische, der Begriff "Irrungen und Wirrungen" kommt einen in den Sinn. Und fortan entwickelt sich der Film zu einer seltsamen Studie von Menschen, die aus seltsamen Gründen seltsame Entscheidungen treffen.

Das freiwillige Jahr (Henner Winckler & Ulrich Köhler)

© Henner Winckler, Ulrich Köhler, Grandfilm

Wobei es weniger darum geht, dass u.a. Fahrerflucht, Autodiebstahl, Einbruch, Hausfriedensbruch, Erregung öffentlichen Ärgernisses und Körperverletzung allesamt nicht geahndet werden (teilweise beteiligen auch Passanten an diesen Vergehen), sondern um den Kontrast zwischen dem Fluchtgedanken gegenüber der piefigen westdeutschen Provinz und dem was einen an dieser Heimat hält.

Besonders gut werden dabei die Unterschiede aber auch die Gemeinsamkeiten zwischen Vater und Tochter herausgearbeitet - aber es fällt nicht jedem Zuschauer leicht, die Geschichte angesichts der seltsamen Figuren wirklich ernst zu nehmen. Die komischen Aspekte wirken nicht immer komplett freiwillig. Insbesondere, wenn man die anderen Filme der Regisseure kennt, die bisher nicht durch ausufernden Humor aufgefallen sind.

Das freiwillige Jahr (Henner Winckler & Ulrich Köhler)

© Henner Winckler, Ulrich Köhler, Grandfilm

Oft im Film merkt man, wie detailliert am Drehbuch gearbeitet worden war, es gibt aber auch mindestens eine Szene, die allzu sehr auf ein späteres Missverständnis hin konzipiert wurde (der Schlüpfer).

Bei Sebastian Rudolph fragte ich mich übrigens, ob er ein Bruder von Lars Rudolph ist. Und bei Maj-Britt Klenke, die hier ihre erste Hauptrolle in einem abendfüllenden Spielfilm hat (obwohl sie mit Ende zwanzig nicht unbedingt das typische Alter einer Abiturientin hat), hoffe ich, dass sie in ihren nächsten Arbeiten möglichst sehr unterschiedliche Rollen zu dieser »Jette« hat. Sonst besteht die Gefahr, dass sich ihre Karriere schnell in eine Sackgasse bewegt...

Das freiwillige Jahr (Henner Winckler & Ulrich Köhler)

© Henner Winckler, Ulrich Köhler, Grandfilm

Viel mehr ist eigentlich nicht zu sagen.

Mir hat an dem Film neben der unterhaltsamen Momente und der Kameraarbeit vor allem die Kürze gefallen. Wenn schon so eine Miniatur, eine Fingerübung, dann darf man sie nicht zerfasern lassen. Und das haben die Regisseure immerhin im Griff.

Ach ja, es gibt auch eine morgendliche Szene mit einem Wildschwein, die mich immens an das Nilpferd in Schlafkrankheit erinnerte...