Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




20. Februar 2022
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Das Mädchen mit den goldenen Händen (Katharina Marie Schubert)


Das Mädchen mit
den goldenen Händen
(Katharina Marie Schubert)

Deutschland 2021, Buch: Katharina Marie Schubert, Kamera: Barbu Balasoiu, Schnitt: Anja Pohl, Musik: Marvin Miller, Kostüme: Christian Röhrs, Szenenbild: Juliane Friedrich, mit Corinna Harfouch (Gudrun Kraft), Birte Schnöink (Lara Pfaff), Peter René Lüdicke (Werner Schandeln), Jörg Schüttauf (Jens, Bürgermeister), Gabriela Maria Schmeide (Jutta), Ulrike Krumbiegel (Victoria), Stephan Bissmeier (Peter Melzner), Imogen Kogge (Henriette), Sarah Franke (Schwester Kerstin), Luisa-Céline Gaffron (Jenni), Christian Koerner (Bankdirektor), Franziska Ritter (Kathi), Martin Baden (Ronni), Christoph Grunert (ABV Mike), Peter Jordan (Dr. Fritz), Tora Augestad (Tora), Kasimir & Felicitas Brause (2 Kinder), 107 Min., Kinostart: 17. Februar 2022

Die Schauspielerin Katharina Marie Schubert, die mit Das Mädchen mit den goldenen Händen ihr Drehbuch- und Regiedebüt liefert, gibt an, schon immer daran interessiert gewesen zu sein, Menschen verstehen zu wollen. Warum handeln sie, wie sie handeln? Corinna Harfouch als gefühlskalte Gudrun, die im Jahr 1999 in einem ostdeutschen Provinzstädtchen ein ehemaliges Kinderheim retten will, und sich dabei fast mit dem kompletten Ort anlegt, ist so eine Frau, deren Beweggründe der Film zu erforschen sucht.

Das Kinderheim, in dem Gudrun als Elternlose selbst aufwuchs, spielt dabei eine große Rolle, und entsprechend nutzt sie das alte, langsam heruntergekommene Herrenhaus auch als Ort, wo sie ihren 60. Geburtstag feiert, inmitten der zunächst so freundlich gesonnen wirkenden Ortsbewohner. Bis der Bürgermeister Jens (Jörg Schüttauf) dann die Bombe platzen lässt, dass man nicht darauf vertrauen will, dass Gudrun das Kinderheim in ein Gemeindezentrum verwandeln wird (Gudrun ist etwas blauäugig, was die Renovierungskosten des denkmalgeschützten Baus angeht), sondern man lieber über westdeutsche Investoren auf ein Luxushotel baut, das die Ortschaft retten könnte.

Das Mädchen mit den goldenen Händen (Katharina Marie Schubert)

© 2021 Wild Bunch Germany

Zu den zentralen Elementen des Presseheftes dieses Films gehören nicht nur eine ungewohnte detaillierte Inhaltsangabe, sondern auch ein filmgeschichtlicher Abriss des deutschen Wenden-Kinos, mit all den historisch bedeutsamen Filmklassikern wie Good Bye, Lenin!, Sonnenallee oder Das Leben der Anderen, zwischen die sich Schuberts Film gesellt, so die These des unbekannten Autors.

Damit tut man dem Film keinen Gefallen, denn dieser lebt eher von der ungewöhnlichen Beziehung zwischen Gudrun und ihrer Tochter Lara (beeindruckend: die Newcomerin Birte Schnöink) als von seinem Beispielcharakter für eine gesamtdeutsche Thematik. Generell überzeugt der Film an den Stellen, wo er Fragen offen lässt, während mein Eindruck war, dass die Regiedebütantin hier und da auch einfach zu viel erklärt.

Ob das Thema Millennium-Bug, das in einer Radiosendung erklärt wird, oder das Gespräch mit einem Bankdirektor, das in wenigen Sätzen alles zusammenfasst, was man für den Film über die Investitionssituation des Kinderheims wissen muss. Der muffige Geschmack volkseigenen Marzipans, zwei Kinder, die wie umgedrehte Hänsel und Gretel eine alte Frau bedauern (und sich als einzige um deren Gesundheitszustand kümmern) ... und sicher nicht zuletzt die Vergangenheitsrecherche von Tochter Lara, die nach einem kurzen Aufenthalt im Haus der Mutter blitzartig mehrere alte Familiengeheimnisse aufdeckt: Vieles in diesem Film ist allzu adrett aufbereitet, wie die filmische Variation eines Was ist Was?-Bandes zum Thema DDR.

Das Mädchen mit den goldenen Händen (Katharina Marie Schubert)

© 2021 Wild Bunch Germany

Dabei ist so viel Potential gegeben...

Der mehrfach betonte Märchenaspekt des Films bietet eine hübsche narrative Klammer, die zum geheimnisvollen Titel passt, wobei zwar die goldenen Hände als Bild erklärt werden (Bezug zur Goldmarie und Pechmarie?), man als Zuschauer aber, wenn man sich nicht detailliert mit eher exotischen Grimm-Märchen auskennt, nach dem Film vermutlich schnell im Netz (oder Märchen-Sammelband) nachschaut, welche Verbindung zwischen dem einen angerissenen Märchen und der Filmhandlung besteht.

In der zweiten Hälfte des Films hat mich die unaufgeregte Parallelmontage zwischen den Erlebnissen der Mutter und der Tochter überzeugt, die mich als Zuschauer zu vielerlei Überlegungen angeregt hat. Als Lara dann eine seltsame Begegnung mit einem Maler hat, spürt man auch wieder, dass die Regisseurin manche Themen unerschreckt durchspielt, was man aber gern beobachten mag (statt bei so Allgemeinplätzen wie Ossi- / und Wessiwitzen hängenzubleiben).

Das Mädchen mit den goldenen Händen (Katharina Marie Schubert)

© 2021 Wild Bunch Germany

Im Film wechseln sich oft sehr gelungene und eher bemühte Ideen ab. Da wird erklärt, woher der Name Lara eigentlich stammt, aber daraus wird dann auch fast wieder eine kleine Vorlesung über klassische Ost-West-Konflikte anhand der Vergabe eines Literaturnobelpreises für Boris Pasternak. Und dann, als Teil der erwähnten Parallelmontage eine Szene zwischen Gudrun und Jens, wo diese ihm steckt, er sei den Investoren gar nicht gewachsen, die würden ihn über den Tisch ziehen, weil sie den Kapitalismus schon länger kennen.

Eine Art Höhepunkt der Parallelmontage fordert dann von Corinna Harfouch als Gudrun Mut zur Peinlichkeit in einer Szene mit Jörg Schüttauf, während das Glas Wein zwischen Lara und dem Maler mit feiner Ironie (die Gemäldesammlung statt derer mit Briefmarken) völlig widersprüchliche Signale sendet, was Frau-Mann-Beziehungen und Vergangenheitsbewältigung angeht.

Das Mädchen mit den goldenen Händen (Katharina Marie Schubert)

© 2021 Wild Bunch Germany

Wenn dann auf der Zielgerade nach Gudrun und Lara auch Werner, Laras Stiefvater, einen Teil des Films über einen Zwischentitel zugesprochen bekommt, und er die einzige Instanz, in der er mal rebelliert hat, schildert, dann ist das sehr repräsentativ für den ganzen Film. Auch, weil Werner wie nebenbei tatsächlich mal rebelliert, und Regisseurin Schubert dies - im Gegensatz zu anderen Debütanten, die bei vergleichbaren plot points gern mal das Maß verlieren - mit einer poetischen, zurückhaltenden Bildsprache umsetzt.

Und die mittlerweile gesundheitlich angeschlagene Gudrun bekommt hier einen wohlverdienten Moment, der wie ein Comeback wirkt, ehe Mutter und Tochter ebenfalls einen versöhnlichen zarten Moment bekommen.

Die sanften Momente sind es, die den Film prägen. Und hier und da verdecken sie den ganzen Ost-West-Komplex wie eine Sonnenfinsternis. Dafür mag ich den Film, als Lehrstück für den Sozialkundeunterricht taugt er nur eingeschränkt. Aber ein ostdeutsches Publikum im exakt richtigen Alter wird das womöglich ganz anders wahrnehmen.