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15. Juni 2023
Thomas Vorwerk
für satt.org


  The Flash (Andy Muschietti)


The Flash
(Andy Muschietti)

USA 2023, Buch: Christina Hudson, Comic-Vorlage: Robert Kanigher, Carmine Infantino, Kamera: Henry Braham, Schnitt: Jason Ballantine, Paul Machliss, Musik: Benjamin Wallfisch, Kostüme: Alexandra Byrne, Production Design: Paul D. Austerberry, Supervising Art Director: Jason Knox-Johnston, Set Decoration: Dominic Capon, mit Ezra Miller (Barry Allen / The Flash), Michael Keaton (Bruce Wayne / Batman), Sasha Calle (Kara / Supergirl), Maribel Verdú (Nora Allen), Ron Livingston (Henry Allen), Ben Affleck (Bruce Wayne / Batman), Jeremy Irons (Alfred Pennyworth), Kiersey Clemons (Iris West), Michael Shannon (General Zod), Gal Gadot (Diana Prince / Wonder Woman), Antje Traue (Faora-Ul), Saoirse-Monica Jackson (Patty Spivot), Rudy Mancuso (Albert Desmond), Jason Mamoa (Arthur Curry / Aquaman), Temuera Morrison (Tom Curry), Ian Loh (Little Barry), Isabelle Bernardo (Iris), je ein prominenter Oscargewinner aus dem Jahr 1996 bzw. 2006, 144 Min., Kinostart: 15. Juni 2023

Ein kurzer Hinweis zum »Verzicht« auf Szenenbilder. Vor knapp sechs Tagen wurde ich informiert, dass ich 48 Stunden warten muss, bis ich Zugriff auf den Warner-Presseserver erhalte. Rumjammern und hinterher telefonieren sind nicht mein Ding, also muss es ohne gehen. Dafür halt zwei schöne Comicpanels weiter unten.

Am Sonntag auf Pro Sieben habe ich endlich Avengers: Endgame nachgeholt, einen Film, gegen den ich mich lange gesperrt habe, weil ich schon den ersten Teil (Infinity War) nebst der Inszenierung nicht gut fand. Ähnlich hatte ich es auch mit dem zweiten Kapitel zu It gehalten: den allgemeinen Jubel über Andy Muschiettis Stephen-King-Update fand ich unangemessen, und nur, weil ich in den letzten 40 Jahren deutlich mehr als 50 Stephen-King-Bücher gelesen habe (einige auch gerne mehrfach), heißt das ja nicht, dass ich jedem Hype folgen muss.

Noch ein Nachtrag zum Endgame: Als sich in der letzten Stunde des Films ein großangelegtes Schlachtengemälde ankündigte, hab' ich mich schlafen gelegt. Ich war keineswegs über alle Maßen müde, doch es interessierte mich nur einfach nicht.

Wenn zu Beginn von The Flash die typischen Tempo-Effekte des sich mit Blitzgeschwindigkeit bewegenden DC-Superhelden (dessen 800. Comicheft übrigens gerade erschien) durch die üblichen Studio-Logos rasen, dann verkörpern gefühlt sechs Warner- und vier DC-Logos bereits die narrative Prämisse des Films: the more, the merrier!

Ein kleines Detail, das jedem, der nur einen winzigen Blick auf den Trailer zu The Flash warf, wohl im Gedächtnis verbleiben wird, ist ein dunkel kostümierter Superheld, der mit ein bisschen Hintergrundwissen oder Kinoerfahrung gut als Michael Keaton erkennbar ist, wie er »I'm Batman.« raunt. Ich persönlich habe dann einen Blick bei imdb auf die Stabangaben geworfen und da einen deutlich wahrscheinlicheren Darsteller entdeckt, der offenbar ebenfalls Batman spielt. Wenn man dann auch noch ein bisschen mehr Ahnung von dem ganzen Bat-Gedöns hat, kommt man schnell auf die beiden naheliegendsten Prämissen der Filmhandlung: entweder machen die DC-Kinofilme jetzt die Multiversum-Kiste nach, wie man sie im Kino in Spider-Man: No Way Home mit viel Trara erleben konnte (in den Heftserien geht es seit Jahren bei beiden Comic-Verlagen um kaum etwas anderes). Oder man baut auf die Flashpoint-Story und den Batman-Run von Tom King auf, und Michael Keaton spielt zwar Batman, aber eben nicht Bruce Wayne (ja, selbst den Comiclesern will ich nicht alles kaputtspoilern). Ich werde es in dieser Kritik nicht aufklären. Ja, es gibt zwei Batmänner, vielleicht hauen die sich gegenseitig auf die Mütze, vielleicht laufen sie sich aber auch nie im Film gegenseitig über den Weg, schaut's euch halt an, dann wisst ihr mehr.

Wie der Filmtitel verrät, geht es ja eigentlich auch um jemanden anders, den superschnellen Flash alias Barry Allen, dargestellt auf der Kinoleinwand von Ezra Miller.

The Flash (Andy Muschietti)

© 2023 Warner Bros. All Rights Reserved.

Ich habe schon so einiges an Flash-Comics gelesen, auch jeweils die erste Staffel der letzten beiden Fernsehserien um die Figur gesehen, und die Kernstory des Films kommt mir vor allem aus der Glotze bekannt vor. Wenn sie in den Heften auch mal so präsent war, habe ich das verdrängt und mich für andere Dinge interessiert. (Wally West im Run von William Messner-Loebs, den ich lange verfolgt habe, ist - Große Überraschung! - ja offensichtlich auch nicht Barry Allen, also hat er eine andere Backstory.)

In der Fernsehserie mit Grant Gustin in der Titelrolle geht es in der Langzeit-Backstory darum, dass Barry die Unschuld seines Vaters Henry beweisen will, der, als Barry noch sehr klein war, dessen Mutter Nora ermordet haben soll. Ein vergleichsweise genialisches Detail dabei ist, dass Allen senior vom auch aus Dawson's Creek bekannten John Wesley Shipp gespielt wurde, der einst Ende der 1980er den Flash in einer früheren TV-Serie gespielt hatte. Im Großen und Ganzen zieht man dies auch hier auf der großen Leinwand durch, nur halt mit anderen Darstellern, ohne den fernsehserien-typischen »metahuman of the week« und geringfügig angepassten Eckpunkten. Sogar Iris West, Barrys love interest, deren Nachname in der Comic-Historie eine gewisse Rolle spielt, gelegt im Film die selbe Diversitäts-Schublade, damit nicht alle Figuren langweilig kaukasisch-blass ausfallen. Viel überzeugender fällt da aber die im Film von Maribel Verdú gespielte Barry-Mutter Nora aus, die mit nur wenigen Leinwandminuten das überzeugende emotionale Rückgrat der Geschichte liefert.

Ohne an dieser Stelle auf Details zu sprechen zu kommen, muss ich sagen, dass dieses emotionale Rückgrat der Flash-Geschichte den Nachteil hat, dass offenbar jemand entschieden hat, dass Ezra Miller für hochemotionale Szenen nur bedingt geeignet ist (ich bin nicht unbedingt dieser Meinung, aber man gibt ihm in dieser Hinsicht kaum eine Chance), und wo andere Schauspieler in solchen Szenen beweisen dürfen, wie sie auf Stichwort Tränen rausdrücken, gibt es hier einen Schnitt, Barrys Augen sind plötzlich feucht, und man ist sich nicht mal sicher, ob Wasser per Pinzette reingeträufelt wurde oder man einfach ein paar Tasten am Computer gedrückt hat, um die vermeintliche Emotion zu liefern.

Das ist dann aus den falschen Gründen traurig.

Im Verlauf des Films bekommt Ezra Miller durchaus Gelegenheit, sein Schauspieltalent vorzuführen, aber Andy Muschietti konzentriert sich auf andere Dinge als auf Emotionen. Ich würde sagen, dass Muschietti sehr vom Inszenierungsstil Zack Snyders beeinflusst ist - und von dem bin ich noch viel weniger ein Fan.

The Flash ist ein hochinteressanter Film mit tollen Ideen, die man in den DC-Filmen seit Snyders Man of Steel vergeblich suchte, aber Muschietti ist für meinen Geschmack zu verliebt in einen Bilderrausch, der zwar aktuellen Trends in den Heftserien entspricht, aber einfach mehr die (gar nicht mal so guten) Effekte abfeiert, statt sich auf das zum Teil tolle Drehbuch von Christina Hudson zu stützen.

Zu Beginn des Films habe ich den Streifen auch noch abgefeiert. Zwar spielt hier ein im hochgezüchteten Batbike schießender Batman, der einem gepanzerten Fluchtwagen mit wenig Rücksicht auf mögliche innocent bystanders folgt, eine große Rolle (was vergleichsweise wenig mit der Batman-Figur meiner Jugend zu tun hat), aber das herumgeballere liefert nur den Hintergrund für den eigentlichen Helden des Films, der viel Raum bekommt, seinen Heldenstatus ebenso wie seine Frustration um die Rolle als »Hausmeister der Justice League« zu demonstrieren. Wobei er genauso wie die anderen Superhelden ein bisschen zu viel damit beschäftigt ist, Posen abzuliefern, aber der filmische Trend zum Overkill bekommt hier zumindest eine genuine Vorgabe aus der Filmgeschichte, die wie auf Acid potenziert wird.

In Sergej M. Eisensteins Revolutions-Klassiker Bronenosec Potemkin gibt es die weltberühmte Odessa-Treppenszene, bei der ein Kinderwagen (mit Kind!) eine Treppe herunterknattert, während die aktuelle Situation auch ohne das ungesteuerte Gefährt des Kindes sehr gefährlich ist. Leute mit eingebildeter Allergie gegen russische Stummfilme kennen Variationen von dieser Szene aus Terry Gilliams Brazil und vor allem Brian De Palmas The Untouchables. In The Flash gibt es weder eine Treppe noch einen Kinderwagen, aber ich war immer gut bei Transferleistungen. Hier gibt es eine Säuglingsstation im ca. 16 Stock eines zusammenbrechenden Wolkenkratzers, wobei ca. acht Babys auf Rollbetten in ein Missgleichgewicht ihres Stockwerks geraten und zusammen mit einer Menge Glassplittern, scharfkantigen Eisenträgern, Propan-Gasflaschen und Säureflaschen dem Weg der Schwerkraft folgen, während Barry dafür sorgen muss, sich hinreichend Kalorien zuzufügen, um dieser Katastrophe durch Beschleunigung immerhin quasi in Zeitlupe gegenüberzustehen.

Aber auch bei dieser immens unterhaltsamen Szene kann man die inhärenten Probleme dieses Films gut erkennen: Mit herkömmlichen Filmemachen hat das nichts mehr zu tun, abgesehen von ein paar Bewegungen und Gesichtsausdrücken von Ezra Miller stammt gefühlt alles aus dem Rechner. Wenn eines der Babys zwischenzeitig in einem (nicht am Stromnetz angeschlossenen) Mikrowellenherd untergebracht wird, und später wieder befreit wird, könnte es kaum deutlicher sein, dass hier ein medioker animiertes CGI-Baby in der Mikro steckte. Natürlich will kein Mensch, dass man für solch eine Szene echte Kleinkinder in Gefahr bringt, aber warum dann solch eine Szene? Hat man denn nichts gelernt von jener Kyle-Baker-Comic-Geschichte um ein cartoonhaftes »Superbaby«, die einst dazu führte, dass DC fast den gesamten Run einer harmlosen Comic-Anthologie einstampfen ließ?

Apropos DC-Comic-Historie: In einer Szene des Films sind einige Superhelden im Eis unterwegs, und ich dürfte nicht der einzige Comicleser sein, der dabei augenblicklich an die Werke eines der großartigsten Comic-Szenaristen überhaupt denken musste, die auch schon Gevatter Snyder einst zu einem fehlgeleiteten Bilderrausch namens Watchmen animierten.

Superman Annual #11 (Alan Moore, Dave Gibbons)

© 1985 DC Comics Inc. All Rights Reserved.

Watchmen #11 (Alan Moore, Dave Gibbons)

© 1987 DC Comics Inc. All Rights Reserved.

Für manchen mag die reine Erinnerung schon eine Ehrerweisung darstellen, doch im Film zeugt man eher dem »Respekt« wie DC und Warner diesen Herrn behandelt haben. Man erhascht im Jugendzimmer von Barry Allen mal das Filmplakat zu V for Vendetta, einer jener Filmversionen großer Comicwerke, bei dem der bekanntere der zwei Schöpfer bereits darauf pochte, nicht namentlich im Zusammenhang mit diesem Werk erwähnt zu werden. Ich könnte mir vorstellen, dass man da in den Chefetagen frohlockte. »We've finally broken that bearded British bastard!«

Und wenn ich mal erneut bei der Filmgeschichte einhaken darf, so entspricht die Art und Weise, wie man hier en passant einem großen Künstler nicht so richtig »gedenkt« in etwa dem, was Joseph Tura einst mit Shakespeare gemacht hat...

Was ist mir noch so in dem Film aufgefallen?

  • Eines der besten Superhelden-Kostüme ever - endlich wird Nachhaltigkeit mal vorgelebt und nicht nur behauptet.
  • Chicagos »If you leave me now« geht nicht einmal vier Minuten lang. (Recherche rocks!)
  • US-Amerikaner kennen offensichtlich nur zwei Arten, Spaghetti zuzubereiten: ungekocht oder zerkocht. Kein Italiener weit und breit, der für bissfeste Diversität sorgen könnte.
  • Braucht man so viel product placement? Insbesondere zwei mal dieselbe Automarke? I don't think so...
  • Falls ich den Film nochmal anschaue: Steht in der Supermarkt-Szene wer in einer komisch karierten Jacke herum?
Blödestes Zitat des Films: »A person has to be an idiot to play crabs with the space time continuum.« - warum nicht Einstein vernünftig zitieren statt um den Brei herumzureden?
Bestes Zitat des Films: »A lot of humans are dicks. But there are babies. And ballerinas. And entertainment wrestlers. There are a lot of humans worth saving.«

Auf der Rückseite eines zur Pressevorführung verteilten Comics stehen die Worte »Worlds collide« (was sich meines Erachtens auf den Film beziehen soll) - entsprechend könnte man dem Film den Spitznamen »Collidoscope« verleihen.

Größtenteils höchst unterhaltsam, definitiv einer der besseren DC-Filme, die ich gesehen habe, aber weniger wäre mehr gewesen (nicht nur bei den mal aufgeblasenen, mal schlechten Effekten, auch bei einem zu Tode erklärten und vorgeführten Handlungsfaden). 'Nuff said.