The Palace
(Roman Polanski)
Originaltitel: The Palace, Italien / Polen / Schweiz / Frankreich 2023, Buch: Ewa Piaskowska, Roman Polanski, Jerzy Skolimowski, Kamera: Pawel Edelman, Schnitt: Hervé de Luze, Musik: Alexandre Desplat, Kostüme: Carlo Poggioli, Production Design: Tonino Zera, Art Direction: Claudia Di Berardino, Set Decoration: Monica Sironi, mit Oliver Masucci (Hansueli Kopf), Fanny Ardant (La Marquise), Milan Peschel (Caspar Tell), Mickey Rourke (Bill Crush), Bronwyn James (Magnolia), John Cleese (Arthur Duncan Dallas III), Fortunato Cerlino (Tonino), Joaquim de Almeida (Dr. Lima), Luca Barbareschi (Bongo Minetti), Luisiana Kornuta Steffen (Mrs. Lima), Danny Exnar (Vaclav), Irina Kastrinidis (Vaclav's Wife), Alexander Petrov, Danylo Kotov, Anton Pampushnyy (Russian Guests), Ilia Volok (Russian Ambassador), Marina Strakhova, Ema Mur, Michelle Shapa, Seimur Stefania, Olga Kent (Russian Girls), Matthew T. Reynolds (Simon Faraday), Naike Anna Silipo (Tonino's Assistant), Morgane Polanski (Zula), Sina Christen (Precy), Felix Mayr (Plumber), Beatrice Frey (Mrs. Frautschi), Sydne Rome (Mrs. Robinson), Dean Colin Mackay (Magnolia Host), Massiga Diawara (Angry Guest), 100 Min., Kinostart: 18. Januar 2024
Vor zwei Wochen habe ich Hayao Miyazaki mit seinem Der Junge und der Reiher ein reifes Alterswerk attestiert, Roman Polanski (Jahrgang 1933) kann mit The Palace leider nicht einmal etwas irgendwie ähnliches für sich sich behaupten. Der Film, der auf dem Plakat extra proklamiert, dass es sich um eine Komödie handelt (vermutlich, damit es auch für jeden klar ist), wirkt wie eine Variation auf Ruben Östlunds Triangle of Sadness, nur ohne die Schärfe, die Botschaft, die Chuzpe und, so schade es ist, den Humor.
Abermals geht es um eine Zusammenkunft der Superreichen, wobei diejenigen, die sie bedienen, nicht ansatzweise die Stimme wie bei Östlund erhalten. Man könnte beim Casting der nicht mehr ganz taufrischen Luxusmenschen fast einen Vorteil für Polanski erahnen, aber Fanny Ardant, Mickey Rourke oder John Cleese sind allesamt große Namen, aber das, was Polanski aus seiner Altersheim-Riege an Performance herauskitzeln kann, kann nicht einmal dem von mir nicht wirklich begeistert aufgenommenen Youth von Paolo Sorrentino das Wasser reichen. Da hatten Michael Caine, Harvey Keitel und Jane Fonda wenigstens noch so was wie Würde. Und mit dem, was Cleese, Ardant und Rourke in The Palace liefern (wobei Drehbuch und Regie ihnen kaum Möglichkeit bieten, sich hervorzutun), kann Woody Harrelsen, der den besoffenen Captain bei Östlund gibt, noch an einem schlechten Tag mithalten.
© 2023 M. Abramowska
Das »Palace Hotel« ist eine Luxusresidenz in den Schweizer Alpen, die Silvesterfeiern dort locken eine illustre Riege von auf unterschiedlichen Weisen zu Reichtum gekommenen Gästen, und der Film spielt beim einst als epochal eingeschätzten Jahreswechsel 1999/2000, der allerdings im Blick zurück reichlich verblasst. Der Millennium-Bug ist für Millennials nur eine geringfügig interessantere historische Anekdote als das durchgefallene Videoformat Betamax. Wenn man für eine Filmhandlung eine besondere Zeit wählt, sollte dies auch eine Bedeutung haben. Zwar geht es hier auch um einen großen kriminellen Coup im Zusammenhang mit dem Jahrtausendwechsel, aber das ist nur ein lapidarer Handlungsfaden von ca. 6-8, die lieblos nebeneinander herplätschern. Die mit Abstand größte Überraschung im Zusammenhang mit dem Dezember 1999 war für mich ein kurzer Fernsehclip von Putins Machtübernahme, die ich für Momente für eine KI-Passage hielt. Doch was Gevatter Putin da zu erzählen hatte, war so uninteressant, das ich es als genuines Zeitdokument akzeptierte.
Aber, und man verzeihe mir meine Respektlosigkeit, eine Silvesterparty 2003/4, 2009/10 oder 2013/14 hätte eine genau so gute ... adäquate !?! ... whatever Kulisse für einen Film abgegeben. Vielleicht kann man damit besser ein Publikum locken, weil mancher glaubt, sich daran zu erinnern, aber WTFF? (Das zweite F ist kein Schreibfehler.)
Im Presseheft habe ich dann zufällig gelesen, dass Polanski selbst die Silvesternacht 1999 in einem tatsächlich existierenden Hotel, das auch für die Dreharbeiten genutzt wurde, erlebt hat. Dadurch ändern sich meine geäußerten Eindrücke keinen Deut.
Sorry.
© 2023 M. Abramowska
Ich könnte jetzt minutiös die einzelnen Handlungsstränge nacherzählen (selbst ohne große Notizen zirka sieben Wochen nach der Pressevorführung), aber wen interessiert das wirklich? Mickey Rourke und Milan Peschel als zwei Männer, wie sie kaum unterschiedlicher sein könnten, und sie haben einen großen Coup vor. Brownyn James als »Magnolia« muss ihren Mörtel-Lugner-ähnlich auffällig älteren Gatten ins neue Jahr bringen, um das Erbe nicht zu verlieren. Und ausgerechnet John Cleese spielt diesen Mimik-mäßig reichlich eingeschränkten US-Milliardär A.D. Dallas III.
Natürlich gibt es auch einen Pornostar, vier Frauen in Burkas, einen Tierarzt sowie ein Schoßhündchen mit eigenartigen Eigenarten, einen verlorenen Sohn, der seinen Vater trifft, diverse russische Gangster nebst ihren Liebchen sowie den auch nicht ganz koscheren russischen Botschafter. Und einen Pinguin. Ich mag mir die Drehbuchsitzungen mit Polanski, seinem Mitstreiter Jerzy Skolimowski (der war auch schon Co-Autor von Polanskis erstem Langspielfilm Noz w wodzie / Das Messer im Wasser 1962) und der hübsch zumindest scheinbar die Geschlechterbalance haltenden Kollegin Ewa Piaskowska lieber nicht vorstellen. Was mögen die Beweggründe gewesen sein, noch einen Pinguin in die Handlung zu integrieren? Er passt zur verschneiten Umgebung? Er sieht aus, als sei er angezogen wie ein Kellner? Der Versuch, Gedankengänge zu analysieren, macht sie (und ihre Resultate) nicht unbedingt interessanter.
© 2023 M. Abramowska
Auf Anraten meines Strafverteidigers und des inoffiziellen Kassenwarts meines Fanclubs (Hi Jim!) werde ich mich jetzt nicht in Rage reden und das Presseheft sezieren.
Fazit ist: The Palace kann so gefühlt die ersten zwölf Minuten eine gewisse Spannung aufrechterhalten, weil man erstmal sehen will, worum es im Film geht. Dann tauchen nach und nach immer mehr Figuren auf, von denen man im günstigsten Fall sogar einige interessant findet. Ich habe einen ausgedehnten Gastronomie-Hintergrund, da interessieren mich der Hoteldirektor, der Concierge und die Streitigkeiten zwischen dem Küchenpersonal (einer der wenigen guten Gags). Selbst mit den Zimmermädchen oder dem Kellner, der mit dem Schoßhund Gassi gehen soll, gibt es eine gewisse Identifikation, aber daraus wird halt nichts gemacht im Film. Wer mir weismachen will, dass es hier auch um den Klassenkampf geht, dem kann ich nur entgegnen »Warum setzt man dann einen Klempner nicht ein wie einen sympathischen kleinen Arbeiter à la Mario oder Luigi um, sondern wie ein zwölfmal durchgekautes (entschuldigt das Kopfkino!) Klischee aus einem Pornofilm?«
Bei den Gästen des Hotels fiel es mir unglaublich schwer, Interesse aufrechtzuerhalten. Milan Peschel kann ja selbst noch in einem Schweighöfer-Film etwas retten, die mir zuvor komplett unbekannte Brownyn James ist im Mindestfall zumindest interessant gecastet, und beim Arzt Dr. Lima (Joaquim de Almeida) gab es zumindest noch ausbaufähige Storyideen. Die Frau des Botschafters, die Familie des wiedergefundenen Sohnes, die Russen... ich glaube, die vier Frauen in Burkas, über die man nie mehr erfährt, waren noch am ehesten Figuren, mit denen ich mir einen Film von vielleicht 16 Minuten gefallen ließe...
Die mit riesigem Abstand beste Idee und Szene des Films will ich den Lesenden nicht vorenthalten, auch auf die Gefahr hin, dass mein Gag-Spoiler quasi den einen Karamellbonbon aus einem kubikmetergroßen Karton prallgefüllt mit plattgetretenen Luftschlangen, nach säuerlichem Sekt riechenden Konfetti und geplatzter ... ich sag mal »Ballons!« entfernt.
Nachdem eine langweilige Figur auf Skiern sich durch einen langweiligen Prozess Nasenbluten zuzieht, bereitet man ihn darauf vor, wie sich sein Aussehen durch einen Verband auf der Nase verändern wird: »You will look like the actor from that movie...!« Da mag man dem Herrn Polanski etwas Selbstbeweihräucherung vorwerfen, aber ich fand den Gag toll. Allerdings muss ich zugeben, dass meine Aussage, das war jetzt der Höhepunkt des Films, mit einem gewissen Hintergrundwissen jetzt schon einem finalen Dolchstoß entspricht. Ich bin schon ein wenig hart, aber hier gibt es auch nicht schönzureden.
© 2023 M. Abramowska
Und dann (so ab Minute 35-40) beginnt der Film sich wie ein Kaugummi zu ziehen, und er zieht sich immer mehr. Es ist keine messbare (Stopuhr!) Langweile, sondern ein langes Erdulden, das im besten Fall eine gewisse optimistische Hoffnung aufrechterhalten kann. Diese Situation könnte doch noch was ergeben, aus welchem Grund wurde jener Protagonist eingeführt? Und was wird der Pinguin erleben?
Aber: die einzige Kategorie, in der Polanski und der Film eine gewisse Meisterschaft zeigen, ist diese: wie kann man einen ohnehin überflüssigen Film in den letzten Minuten noch mal so richtig runterziehen? Also nicht stimmungstechnisch, das würde ich ja fast ambitioniert finden, sondern in Sachen Qualitätsabfall...
Ich habe viele absurde Interessengebiete und kann mich an winzigen Details erfreuen. So mag ich es, wenn in Filmen das Tabu, keine Gewalt an Kindern zu zeigen, auf innovative Weise durchbrochen wird. Nicht, weil ich Kinder verabscheue oder Gewalt mag, sondern weil ich es einfach verlogen finde, wenn so etwas (wenn es unbedingt Teil der Geschichte sein muss), »ausgeblendet« wird. Das ist dann so wie die unzähligen PET-Pfandflaschen in dem einen Til-Schweiger-Film (war es Keinohrhasen? Und wer will das wissen?), die massenhaft aus einem Schrank heraustaumeln und allesamt blitzsauber, ohne Reste und vor allem ohne Etiketten sind. Weil in der Welt von Til Schweiger kein Platz ist für Realität. Und für Etiketten, ohne die man keine Pfandauszahlung erwarten kann. Aber ich schweife ab, und in The Palace gibt es weder (thematisierte) Pfandflaschen noch Kinder, die mehr als etwas Hunger erleiden müssen.
Das sollte mehr ein Beispiel für die kleinen Obsessionen sein, die man entwickeln kann, wenn man zu viele Filme sieht und sich über Sachen den Kopf zerbricht, die viele nicht einmal wahrnehmen. Ich mag zum Beispiel auch Szenen, in denen sich jemand erbricht. Wenn sie nicht zu idiotisch inszeniert sind, und auch mehr erzählen als »Der ist besoffen« oder »Von der werden wir in ca. einer halben Filmstunde erfahren, dass sie schwanger ist«.
Ich mag mich irren, aber in The Palace habe ich glaube ich zum ersten Mal CGI-Kotze gesehen. Das spricht nicht unbedingt für den Film, aber ich finde es ein interessantes Detail. Die unglaublich schlechten Ideen, die zu den unglaublich schlechten Einstellungen ganz am Ende des Films führen, werden jeweils auch mit CGI umgesetzt. Ich mag sie nicht ausplaudern, ich bin aber auch nicht so dreist und verlogen zu behaupten, dafür lohne es sich, den Film ganz bis zum Ende zu schauen.