Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




13. Oktober 2022
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Triangle of Sadness (Ruben Östlund)


Triangle of Sadness
(Ruben Östlund)

Originaltitel: Triangle of Sadness, Schweden / Deutschland / Frankreich / UK 2022, Buch: Ruben Östlund, Kamera: Fredrik Wenzel, Schnitt: Mikel Cee Karlson, Ruben Östlund, Production Design: Josefin Åsberg, Art Direction: Gabriel de Knoop, Daphne Koutra, Kostüme: Sofie Krunegård, mit Harris Dickinson (Carl), Charlbi Dean (Yaya), Dolly De Leon (Abigail), Vicki Berlin (Paula), Zlatko Buric (Dimitry), Jean-Christophe Folly (Nelson), Henrik Dorsin (Jarmo), Woody Harrelson (Thomas, Captain), Alicia Eriksson (Alicia), Amanda Walker (Clementine), Oliver Ford Davies (Winston), Sunnyi Melles (Vera), Carolina Gynning (Ludmilla), Iris Berben (Therese), Thobias Torwid (Lewis), Mia Benson (Dirty Sails Lady), Mira Uszkureit (Casting Jury), 142 Min., Kinostart: 13. Oktober 2022

Bei Ruben Östlund bin ich bei seinem dritten Spielfilm Play eingestiegen, über den ich energische Diskussionen mit meiner damaligen Kritikerkollegin Käte führte. War die Kernaussage dieses Films rassistisch oder eher realistisch. Beim nächsten Östlund-Film Turist hat Käte eine frauenfeindliche Richtung entdeckt, weil seines Erachtens die rothaarige Hauptdarstellerin immens negativ dargestellt war und die Figur mit Bedacht so ausgelegt war. Ich sah diese negativ konnotierte Natur der Figur nicht einmal und hatte auch keine Probleme mit diesem Teil des Films. In Triangle of Sadness gibt es jetzt ähnliche Szenen zwischen den dezidierten Hauptfiguren des Films (der erste Teil des Films ist sogar nach »Carl & Yaya« benannt), und ich kann mir gut vorstellen, dass Teile des Publikums sie oder ihn als negativ empfinden. Wenn man im Presseheft nachliest, dass Östlund die Szenen, wo es ums Bezahlen einer Rechnung für ein gemeinsames Abendessen geht, zu großen Teilen von einer persönlichen Begebenheit mit seiner späteren Ehefrau übernahm, so würde das vermutlich meine nächste lange Diskussion mit Käte hübsch befeuern. Ich muss zugeben, manchmal ermüdet es mich aber auch, bei jedem Film genau festzulegen, ob die Filmemacher das eine oder andere Geschlecht positiver darstellen, ob die Frauen besonders »stark« rüberkommen oder inwiefern man welche Figur aus meinem Lieblingscomic The Sandman in der Netflix-Verfilmung mit einer anderen Hautfarbe oder einem anderen Geschlecht besetzt hat. Natürlich hat sich seit 1989 einiges geändert, Comics werden zum Beispiel längst nicht mehr für ein überwiegend männliches Publikum konzipiert, aber Diversität kann auch anstrengend sein, wenn man es übertreibt. In der Comic-Vorlage gab es ja auch schon starke Frauenfiguren, Schwarze, die nicht nur auf Klischeerollen festgelegt waren, und sogar unterschiedlichste sexuelle Identitäten ... ich hab die Netflix-Serie noch nicht gesehen, aber dadurch, dass man mit der noch ein bisschen modehaften Einstellung Diversität die früheren schon sehr fortschrittlichen Tendenzen quasi übertüncht, tut man dem Originalmaterial nicht unbedingt einen Gefallen.

Man mag jetzt bemängeln, dass ich mich komplett vom Film, über den ich berichten soll, entfernt habe, aber wer Triangle of Sadness mit Play vergleicht, wird erkennen, dass Mister Östlund inzwischen auch begriffen hat, mit welcher Einstellung man nicht zu sehr aneckt. Obwohl Figuren wie der Captain der Luxusyacht und der russische Kapitalist, der buchstäblich aus Scheiße Geld macht, definitiv alte weiße Männer sind, wie sie auf einer alten Onassis-Yacht Überbleibsel einer vergangenen Zeit sein könnten. Carl liest Ulysses, die beiden alten Männer zitieren klugscheißerisch hochkulturelle Zitate, die sie aber erst aus ihrem Handy hervorzaubern müssen - und die Frauen werden schnell unsympathisch, wenn sie sich behaupten wollen oder gar gesellschaftliche Spielchen durchexerzieren (Sunnyi Melles, mehr zu der Szene weiter unten), wie Männer sie Jahrhunderte lang zur vermeintlich gediegenen Unterhaltung nutzten.

Das Recht, so scheiße sein zu dürfen wie Männer, ist auch ein Teil des Feminismus!

Triangle of Sadness (Ruben Östlund)

© 2022 Fredrik Wenzel & Alamode Filmverleih

Zurück zum Film. Im Presseheft gibt man sich Mühe, im Sauseschritt die beiden mit Titel versehenen Teile des Films zusammenzufassen, als ginge es vor allem um den unbenannten (und ungezählten) dritten Teil, in dem eine wichtige erzählerische Volte zur packenden gesellschaftlichen Aussage hochstilisiert wird. Mich interessieren aber auch die ersten zwei Teile, selbst, wenn der Regisseur es so darstellt, als seien die fast nur da, um das Publikum zu quälen (nicht zuletzt mit dem realitätsfernen Verhalten von reichen und / oder schönen Menschen), ehe dann die eigentliche Handlung beginnt.

Ich bin bekannt dafür, dass ich ungern zu viel spoilere, und wenn ich von einem Film vor allem über die zweite Hälfte oder gar die letzten (interpretatorisch interessanten) Minuten berichte, mag ich damit mehr Zuschauer dazu bewegen, sich den Film anzusehen, aber im Grunde sollte man eine Chance bekommen, der Handlung zu folgen, ohne (wie im Presseheft) bereits die Schlusspointe zu kennen.

Also, Teil 1, »Carl & Yaya«: Carl (Harris Dickinson, bekannt aus der US-Indie-Perle Beach Rats oder von seiner Rolle als Ralph Fiennes' Sohn Anfang des Jahres im The King's Man-Prequel) ist ein männliches Model, das seinen Karrierehöhepunkt scheinbar schon hinter sich hat. Zumindest wird er beim Casting so behandelt, man tuschelt darüber, dass man nach seiner sehr erfolgreichen Kampagne eher wenig von ihm hörte.

Ein bisschen überzogen wirkt die Szene, wo er auf einer Modenschau, auf die er vermutlich eingeladen wurde, weil seine Freundin Yaya (Charlbi Dean) eine der prominentesten Präsentatorinnen ist, wegen einigen wichtigen (oder zumindest reichen) zu spät gekommenen Zuschauern einfach auf einen schlechteren Platz gescheucht wird.

Triangle of Sadness (Ruben Östlund)

© Fredrik Wenzel & Alamode Filmverleih

Es ist interessant, der Kräfte-Dynamik von Carl und Yaya zu folgen, wenn es um die Rechnung für das soeben verspeiste Abendessen geht. Alles wirkt so, als ob Yaya weitaus besser verdient, sie will sich aber wohl drücken. Und wie soll Carl ihr dies klarmachen, ohne die noch nicht zementierte Beziehung frühzeitig zu zerstören. Aber vielleicht hat Yaya auch Geldprobleme, die sie vor ihm verbergen will (wenn man drei mal so viel verdient, heißt das ja nicht automatisch, dass man mehr Geld zur Verfügung hat... fragt nur Johnny Depp!). Diesen Machtkampf zwischen ihr und ihm gab es auch schon in Turist, und selbst wenn der männliche Regisseur beide Seiten betrachtet, könnte er voreingenommen sein -> oder das Publikum nimmt es vielleicht so wahr.

Im Verlauf des Films wird Yaya nicht immer die Sympathieträgerin sein. Aber auch Carls Entscheidungen werden nicht immer ausgesucht vorbildlich ausfallen. Doch zunächst beginnt erst mal Teil 2, »The Yacht«, wo das eingeladene junge Paar an seiner Instagram-Story feilt, um das sonnenbeschienene Luxusleben den Followern zu zeigen.

In Wirklichkeit langweilen sich die beiden etwas, und die Superreichen um sie herum haben genau wie sie oft ausgeprägte Komplexe, die man nicht einfach mit der Platin-Kreditkarte verschwinden lassen kann. War schon Teil 1 voller satirischer Spitzen, so dreht sich die Balance zwischen Sympathieträgern und grotesken menschlichen Auffahrunfällen jetzt schon deutlich.

Als Einführung in diese Luxusgesellschaft wählt Östlund eine Szene, deren Pointe ich für mich behalten werde: Mit einem Helikopter wird eine geheimnisvolle gelbe Kiste vorbeigebracht, die dann aus dem Meer geborgen wird. Es ist keine frische Niere für eine Notoperation, sondern eine genialische Idee, wie man die Absurdität der jederzeit erfüllbaren Wünsche visualisieren kann.

Triangle of Sadness (Ruben Östlund)

© 2022 Fredrik Wenzel & Alamode Filmverleih

Ähnlich deutlich wie in The Square liefert Östlund keine traditionelle Filmhandlung, sondern reiht unterschiedlich gelungene sozialsatirische Ideen aneinander. Da kann jede(r) im Kino eigene Lieblings- oder weniger ansprechende Szenen finden, aber die Divergenz, das auch inszenatorische Spektrum sind klar gewollt (weshalb Östlund vielleicht auch zum zweiten Mal eine Cannes-Jury bewegen konnte, ihm den Hauptpreis zu verleihen).

Zu meinen Lieblingsszenen gehört etwa die, wo das alte Sprichwort »Gute Miene zum bösen Spiel« visualisiert wird. Sunnyi Melles konfrontiert die Schiffscrew mit absurden Sonderwünschen, und die hier erstmals in einem Film auftretende Alicia Eriksson gibt sich alle Mühe, ihre Verzweiflung unter einer professionellen Freundlichkeit zu verbergen. Dies ist ein Beispiel für die Talente des Regisseurs, die spätere Szene, wo vor allem die Männer sich mit Pfiffen über Carl lustig machen, ist hingegen mehr so auf Kindergarten-Niveau. Funktioniert aber auch irgendwie. Eine Szene, in der Östlunds volle Bandbreite zur Geltung kommt, ist die seltsame Heirat einer geschmacksentgleisten Sozialfarce à la Monty Python (Stichwort Minzplättchen) mit einer gediegenen Titanic-Parodie: wenn schon ertrinken, dann in Körperflüssigkeiten!

Triangle of Sadness (Ruben Östlund)

© 2022 Fredrik Wenzel & Alamode Filmverleih

Entsprechend stammt auch das Zitat von Woody Harrelson, das am stärksten im Gedächtnis bleibt, nicht von Karl Marx, sondern ist das tiefempfundene »I'm not a fan of fine dining«. Well said, Captain Thomas!

Zum Abschluss will ich noch was zum vielleicht hässlichsten Filmplakat seit Jahren schreiben (freut euch, dass ihr meine Worte anhand der Abbildung oben, kaum größer als eine Streichholzschachtel, vermutlich nicht nachvollziehen kann). Dass die Zusammenstellung der allermeisten Figuren aus der Filmhandlung, semihübsch auf dem Oberdeck drapiert, so nirgends im Film zu sehen ist, ist für mich ohne Belang. Aber wie man hier mit allerhöchstens rudimentärem Talent für Bildretusche Schnappschüsse aus unterschiedlichsten Zusammenhängen (und mit stark unterschiedlichen Lichtverhältnissen) knalldreist zusammengepappt hat, das tut nicht nur meinen Augen weh. Das hat auch der Film nicht verdient (visualisiert aber gleichzeitig auch seine Schwächen).