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5. Januar 2022
Thomas Vorwerk
für satt.org


  The King's Man: The Beginning (Matthew Vaughn)


The King's Man:
The Beginning
(Matthew Vaughn)

Originaltitel: The King's Man, Deutschland / UK / USA / Frankreich / Italien 2021, Buch: Matthew Vaughn, Karl Gajdusek, Based on a Comic by: Mark Millar, Kamera: Ben Davis, Schnitt: Rob Hall, Jason Ballantine, Musik: Dominic Lewis, Matthew Margeson, Kostüme: Michele Clapton, Production Design: Darren Gilford, Supervising Art Direction: Doug J. Meerdink, Set Decoration: Dominic Capon, mit Ralph Fiennes (Orlando Oxford), Harris Dickonson (Conrad Oxford), Gemma Arterton (Polly), Rhys Ifans (Grigori Rasputin), Djimon Hounsou (Shola), Charles Dance (General Kitchener), Matthew Goode (Morton), Tom Hollander (King George / Kaiser Wilhelm / Tsar Nicholas), Ron Cook (Franz Ferdinand), Barbara Drennan (Sophie), Alexander Shaw (Young Conrad), Valerie Pachner (Mata Hari), Daniel Br√ºhl (Erik Jan Hanussen), Joel Basman (Gavrilo Princip), Max Count (Young King George), Emil Okasnen (Young Kaiser Wilhelm), George Gooderham (Young Tsar Nicholas), Alexa Povah (Queen Victoria), Ian Kelly (President Woodrow Wilson), August Diehl (Vladimir Lenin), Alexandra Maria Lara (Emily Oxford), Bevan Viljoen (Boer Sniper), Stanley Tucci (United States Ambassador), David Kross (Mustachoed Man), 130 Min., Kinostart: 6. Dezember 2022

Comicautor Mark Millar, den ich seit seinen bescheidenen britischen Anfängen kenne (Saviour und Shadowmen bei Trident), hat sich mittlerweile ziemlich gemausert. Er hat einen Exklusivvertrag mit Netflix, wobei er sowohl Comicscripte entwickelt als auch Fernsehserien (und natürlich gibt es auch den Fall, wo letzteres auf ersterem basiert). Und um seine credibility zu fundamentalisieren gab es auch einige Comicverfilmungen wie Wanted, die seinen Namen auch außerhalb der Comicnerds zu einem Begriff machten. Sein wichtigster Kollaborateur in der Filmbranche ist aber Matthew Vaughn, der nach zwei Kick-Ass- und zwei Kingsman-Filmen mittlerweile den fünften Millar-Stoff verfilmt. Wobei es diesmal nicht um eine Comicvorlage geht, sondern das Prequel zum »Secret Service«, das Vaughn und Millar jetzt wohl zusammen entwickelt haben (zumindest konnte ich keine konkrete Filmvorlage finden, nur einen Sammelband, bei dem Vaughn - vermutlich durch das Abfassen eines Vorwortes - zum Mitautor erklärt wurde.

The King's Man (man beachte die Worttrennung!) erzählt die Geschichte der Anfänge des »Secret Service« (es gibt auch eine kurze Erwähnung der US-amerikanischen Variation, wie man sie vor allem aus dem zweiten Film kennt), und diese Geschichte beginnt im Jahr 1902.

»I'm worried that Ferdinand's political ambitions may put him info danger...«

Man kann die Figur des Orlando Oxford unterschiedlich interpretieren und auffassen. Manch eine(r) sieht in ihm einen alten weißen Kolonialisten, wie sie die Geschichte Großbritanniens über lange Zeiten prägten, der nur im Film als Heldenfigur aufbereitet und dargestellt wird, wobei man die vergangenen Zeiten durch das Hinzufügen einer Person of Color sowie einer Frau nachträglich für ein heutiges Publikum etwas erträglicher macht, was aber nicht bei jedem Publikum funktioniert.

»You know, Conrad, our ancestors were terrible people!«

The King's Man: The Beginning (Matthew Vaughn)

© 2021 Disney. All rights reserved.

Teile des Publikums (und die müssen nicht alle über 60 sein) knüpfen vermutlich einfach an ein ausrangiertes Heldenbild an und scheren sich nicht um die mitunter kontroversen altbackenen Ansichten, die einem hier untergejubelt werden. Und ich entschied recht früh im Film, dass ich hier kaum etwas ernst nehmen kann. Aber der Film ist teilweise so bescheuert, dass er schon wieder richtig Spaß macht in seiner Realitätsferne. Und bei der Figur des Orlando Oxford fand ich am interessantesten, wie er durch das Formulieren von Versprechen (und passend zum noch jungen Jahr, guten Vorsätzen), die er dann nicht halten kann (bzw. durch deren Formulierung er das Schicksal herausfordert, was nicht immer von Vorteil ist) und so die Handlung des Films indirekt prägt. Und dann wird er dadurch zu einem verbitterten alten Mann, der eigentlich definitiv nicht mehr zum Helden taugt. Aber irgendwie biegen Vaughn und Millar das dann doch so hin, dass zumindest die unreflektierten Kinogänger (und nein, an dieser Stelle entfällt das Gendering aus gutem Grunde) den Bullshit fressen.

The King's Man: The Beginning (Matthew Vaughn)

© 2021 Disney. All rights reserved.

Anders gesagt: wenn man in diesem Film den Fehler macht, zu denken, wird man ihn nicht mögen. Wenn man sich indes die Gabe erhält, zu staunen (egal, wie bekloppt das ist, was man erlebt), so wird man zumindest unterhalten. Ärgern kann man sich später immer noch.

Das ist im Grunde eine Tendenz, die man auch schon im zweiten Film der Serie mitverfolgen konnte. Millar hat eine Tendenz zu Antihelden. Und noch stärker eine zu völlig überzogenen Narreteien. Und Matthew Vaughn gibt hier dem Affen Zucker und ist näher am Vorbild von Guy Ritchie (dessen Filme er einst produzierte), als ich es normalerweise goutieren kann. Immerhin ist die Homophobie als prägendes Merkmal von Ritchie hier etwas abgemildert. Beziehungsweise kulminiert sie in der im Nachhinien interessantesten Figur des Films.

Rhys Ifans, bekannt aus Filmen wie Notting Hill, aber mittlerweile auch mal als ernstzunehmender thespian unterwegs, bietet hier die reichlich überdrehte Fassung einer historischen Figur, bei deren Konzeption man sich gefühlt zu mindestens 95% nur auf einen auf ihn gemünzten Popsong stützt. Was Boney M. einst über (Ra... Ra...) Rasputin trällerten (mit dem unübersehbaren Einsatz des männlichen und vor allem für Tanz zuständigem Mitglied dr Band), wird hier 1:1 umgesetzt, was auch eine ziemliche »Comichaftigkeit« mit sich bringt (und ich verwende solche Begriffe nicht leichtfertig). Was in The King's Man noch deutlicher als im Song durchkommt, ist die tiefsitzende Furcht der vermeintlichen Helden des Films, mit der extrovertierten Sexualität des Rasputin klar zu kommen. Wodurch er alle Ingredenzien einer halbwegs modernen tragischen Figur in sich trägt, aber vom Film größtenteils zur Witzfigur stilisiert wird. Weil die Hauptfiguren, die Filmemacher und das avisierte Kinopublikum es nicht anders vermögen. Zwar spürt man auch eine gewisse Ironie, aber es fehlt der Mut, die Tendenz zum Antihelden hier, wo sie deutlich interessanter ausfällt als bei Gevatter Fiennes, hier auch auszuleben.

The King's Man: The Beginning (Matthew Vaughn)

© 2021 Disney. All rights reserved.

Und so schafft es Rasputin nicht einmal zum Hauptgegner des Films, dafür wird eine deutlich farblosere Figur, deren Existenz ich nach einer bestimmten Szene schon verdrängt hatte, zum Schluss noch mal reaktivierten, um einen Showdown zu liefern, der nicht einmal im Ansatz mit dem zentralen Auftritt von Rhys Ifans mithalten kann.

Ein paar Worte zum Thema Showdown. Insbesondere in Superhelden-Filmen. Im Umfeld der Veröffentlichung von Frank Millers The Dark Knight Returns war Tim Burtons Batman ein Riesen-Hype und -Erfolg. Für mich war dies der erste Film, bei dem der Endkampf, der Showdown (immerhin zwischen Batman und Joker, zwei Figuren, die prädestiniert für solche Szenen scheinen), mir komplett am Arsch vorbei ging. Schlimmer als die Sparwitze von Roger Moore in späten James Bond-Filmen, einfach ein cineastischer Sargnagel, der vieles kaputt machte, was Burton zuvor ganz gut umgesetzt hat.

Das war eine andere Zeit, aber gerade in Comicfilmen (Paradebeispiel: die bescheidenen Anfäng des MCU in The Incredible Hulk) ist der Showdown oft das Bekloppteste und Uninteressanteste im ganzen Film. In The King's Man gibt es mal eine Szene, wo ein Berg "eingenommen" werden muss, was über ein Flugzeug geschieht. Ich sitze so im Kino und denke bei mir »Okay, da wird jetzt irgendwas schieflaufen...« Ich war aber nicht darauf gefasst, was und wie und vielleicht auch wie viel schief laufen wird - und an dieser Stelle des Films wird »Beklopptheit« dann wirklich zu einem positiven Qualitätsmerkmal. So over the top wie hier sieht man nur selten Szenen im Kino, und um mit Comicwerten zu sprechen: stellt euch einen Mash-Up von Don Martin, Prohias und Hunt Emerson vor - und ihr kommt nicht mal entfernt dran...

The King's Man: The Beginning (Matthew Vaughn)

© 2021 Disney. All rights reserved.

Was ist noch über diesen Film zu sagen? Die Art und Weise, wie hier historische Ereignisse eingebaut werden, ist zumindest fragwürdig. Die Vorbereitung für einen weiteren Teil lässt befürchten, dass Vaughn hier den Pfad von Quentin Tarantino (ich schreib mir meine Weltgeschichte einfach um) zu beschreiten im Begriff ist, was nicht zuletzt auch durch eine gewisse Besetzungsentscheidung schrecklich werden könnte.

Und wenn man bedenkt, wie viele deutsche Schauspieler so durch diesen Film pilgern (der Regisseur ist ja bekanntlich mit Claudia Schiffer verheiratet... und deutsche Fördergelder sollte man nicht verpönen...), so hätte mal irgendwer Herrn Vaughn sagen können, dass man »world traffics« nicht mit »Weltverkehrs« übersetzen kann, wie es mal auf einer großen Landkarte prangt...

◊ ◊ ◊

Mark Millar strebte in seiner frühen Karriere oft Grant Morrison hinterher. An dessen vielleicht umstrittenstes Werk (gezeichnet von Steve Yeowell, verteilt auf vier Ausgaben von Crisis, mehr zu sagen wäre ein Spoiler) musste ich am Ende von The King's Man denken. Leider habe ich nicht das Vertrauen in Mark Millar, das ich einst für Grant Morrison hegte...

(Animal Man #5 ist für mich immer noch das Heft, für das ich liebend gerne nach zwei bis drei Jahren verzweifelter Suche eine Stange Geld bei Forbidden Planet gelassen habe. Der junge, noch hungrige - und unerschrockene - Morrison war der Rasputin seiner Zeit! Mark Millar ist im Vergleich dazu vielleicht doch eher das männliche Bandmitglied bei Boney M. - und für Matthew Vaughn bleibt dann nur noch die Umschreibung Frank Farian auf Absinth.)