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Bildmaterial © 2015 Twentieth Century Fox
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Kingsman:
The Secret Service
(Matthew Vaughn)
UK 2014, Buch: Jane Goldman, Matthew Vaughn, Comic-Vorlage: Mark Millar, Dave Gibbons, Kamera: George Richmond, Schnitt: Eddie Hamilton, Jon Harris, Musik: Henry Jackman, Matthew Margeson, Kostüme: Ariannae Phillips, Costume Illustrator: Glyn Dillon, Production Design: Paul Kirby, Supervising Art Director: Andy Thomson, mit Taron Egerton (Gary 'Eggsy' Unwin), Colin Firth (Harry Hart / Galahad), Samuel L. Jackson (Richman Valentine), Mark Strong (Merlin), Sofia Boutella (Gazelle), Michael Caine (Arthur), Sophie Cookson (Roxy), Nicholas Banks (Digby), Tom Prior (Hugo), Theo Barklem-Biggs (Ryan), Edward Holcroft (Charlie), Jack Cutmore-Scott (Rufus), Fiona Hampton (Amelia), Samantha Womack (Michelle Unwin), Jack Davenport (Lancelot), Geoff Bell (Dean), Mark Hamill (Prof. James Arnold), Bjørn Floberg (Scandinavian Prime Minister), Hanna Alström (Princess Tilde), Lily Travers (Lady Sophie), Richard Brake (The Interrogator), Andrew Bridgmont (Kingsman Tailor), Corey Johnson (Church Leader), Anne Wittman (Church Blonde Woman), Alex Nikolov (Little Eggsy), 129 Min., Kinostart: 12. März 2015
Kingsman: The Secret Service beginnt schon völlig »over the top«, weil beim Angriff auf eine Festung im Mittleren Osten aus weggesprengten Steinblöcken die Vorspanntitel computergeneriert werden. Da weiß man dann als Zuschauer, dass man nicht alles so ernst nehmen soll. Leider schaltet Regisseur Matthew Vaughn hier schon früh in einen ziemlich nervigen Angeber-Modus, wenn etwa die Kamera in eine Schneekugel »hineintaucht«, damit daraus ein argentinischer Berg werden kann, auf dem die nächste Szene spielt. Solche Anschlüsse nach dem Match-Cut-Prinzip können ganz nett sein. Wenn dabei auch irgendeine Bedeutung klar wird, was hier aber so gar nicht der Fall ist.
Hier und da hatte ich im Film das Gefühl, dass etwas bedeutungsvoll sein soll, und das beginnt schon in der ersten Szene, wo man als Untermalung den Song »Money for Nothing« von Dire Straits hört, und mit etwas Verspätung klar wird, dass diese Musik aus einem großen Cassettenrecorder, einem sogenannten »Ghetto-blaster« stammt. Nun ist Brothers in Arms, das Album, auf dem man diese Single finden kann, u.a. dafür bekannt, dass es der vielleicht erste Tonträger war, der mit großem Werbewirbel vor allem für das damals noch neue Trägermedium Compact Disc ins Rennen geschickt wird. Im Jahre 1997, in dem die erste Szene spielt, waren »Mixtapes« zwar noch üblich, aber ca. ab 2000 kamen nur noch wenige Leute auf die Idee, sich MusiCassetten zu kaufen. Vermutlich gab es im mittleren Osten eine gewisse Verspätung dieser Trends, aber auch wenn das Detail Cassettenrecorder nicht wirklich asynchron ist, fällt es doch zumindest auf. Etwas später gibt es dann eine Verhör-Szene auf einem Polizeirevier (diese Szene spielt 2013 oder später), und hier benutzen die britischen Polizisten ebenfalls einen Cassettenrecorder (sogar mit zwei Cassettenfächern fürs »Überspielen«), und spätestens hier wirkt das nicht mehr zeitgemäß. Guardians of the Galaxy aus dem letzten Jahr war ja eine der erfolgreichsten Comicverfilmungen der letzten Zeit (insbesondere, was nahezu unbekannte Hauptfiguren angeht), und darin ging es ja auch um ein Mixtape, das aber quasi eine Reliquie aus der Jugend des »Star-Lords« darstellte. Da fragt man sich, ob man bereits auf einen Retro-Trend reagiert hat. Ganz am Schluss von Kingsman sieht man noch mal das sich drehende Laufwerk eines Cassettenspieler, aber das offenbart sich dann als eine Grafik auf einem Tablet-Computer. Ich bin mir sicher, das soll irgendwas bedeuten, aber ich komme nicht dahinter …
Regisseur Matthew Vaughn hat sich offenbar im Zusammenhang mit seiner Kick-Ass-Verfilmung ganz gut mit Mark Milar, dem Autor der Comicvorlage verstanden. Zumindest bekam er beim Comic The Secret Service (von Millar und Watchmen-Legende Dave Gibbons) einen Credit als »co-plotter«. Und Millar und Gibbons sind im Gegenzug Co-Produzenten der Verfilmung.
Comic und Film arbeiten nach dem selben Prinzip: man kombiniert reichlich Elemente aus James-Bond-Filmen mit der Brutalität von Kick-Ass und einer Story à la My Fair Lady: Ein Superagent nimmt als Mentor einen jungen Kleinkriminellen unter seine Fittiche (im Comic sein Neffe, im Film der Sohn eines Agenten-Kollegen, der für ihn sein Leben opferte), und Colin Firth ist trotz einiger nachträglicher Computerverschönungen wohl auch eine der besseren Casting-Ideen für diese Figur.
Man merkt dem Film an, dass man für das Drehbuch die besten Ideen übernahm, aber einiges deutlicher ausformuliert hat (der Hintergrund des Namen »Kingsman«) oder auch öfters mal die Erwartungen der Comic-Fans unterläuft, in dem man sich anders orientiert (Satelliten-Abschuss. Das ist durchweg ganz interessant, aber leider ist es so, dass weder Comic noch Film komplett überzeugen, weil es in beiden Fällen einige halbgare Ideen gibt. Die gezielte Provokation am Ende des Films ist zum Beispiel das deutlichste Ärgernis, man bekommt den Eindruck, als hätte sich Vaughn reichlich Mühe gegeben, den frauenfeindlichen Tonfall der (insbesondere frühen) Bond-Filme zum Superlativ zu steigern. Im Comic gibt es auch ein Schäferstündchen eines Agenten, aber da ist das »bad girl« wenigstens eine klar definierte Person, die sich zwar etwas fix um den Finger wickeln lässt und dafür im Endeffekt (wie so oft) bezahlen muss, aber wenigstens niemand, der sich ohne die geringsten romantischen Subtext einfach »benutzen« lässt.
Während das Comic aber ziemlich genau liefert, was man von Millar und Gibbons so erwarten würde, ist der Film klar das schwächste Werk in Vaughns Œuvre als Regisseur (habe zugegebenerweise Layer Cake nicht gesehen). Es gibt zwar einige beeindruckende Szenen, viele clevere Insiderjokes und das generelle Gefühl, dass sich hier ein paar Jungs so richtig ausgetobt haben, aber selbst, wenn ich Kingsman: The Secret Service qualitativ innerhalb der Bond-Filme einordnen sollte, würde es vermutlich nicht für die Top Ten reichen. Und ungeachtet des andauernden Kassenerfolgs: so toll ist James Bond von vornherein nicht, dass man dazu (insbesondere im selben Medium) noch Rip-Offs, Persiflagen und Variationen bräuchte.
Nachtrag: Selten habe ich mich bei einer Kritik so verfranst wie in diesem Fall. Zirka dreimal so viel Text wie in der Endfassung wurde in drei oder vier früheren Versionen zusammengetextet, in denen ich noch den Film ganz detailliert mit dem Comic vergleichen wollte (vgl. etwa meine Texte zu Watchmen, Blau ist eine warme Farbe oder Gemma Bovery). Letztendlich habe ich dann aber begriffen, dass Film und Comic diese penible Auseinandersetzung nicht »verdient« haben, und dass ich auch keine Lust hatte, für jene vereinzelten Fanboys zu schreiben, die das vielleicht interessiert hätte. Und somit gab es dann stattdessen Denkanstöße über Cassettenrecorder. Das war nämlich etwas, wo ich als »auteur« mich austoben konnte. Auch wenn das noch weniger Leute interessieren wird als Ausführungen über Mark Hamill, Mick Jagger und Ridley Scott, Mycroft Holmes, Simon Templar und Jake Bauer oder Gazelle, McDonalds und Sonnenallee.