Ohnemich-AG
Guillaume Paoli plädiert für "Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche"
"In Ämtern, Parks, Fitness-Studios, Imbissbuden und Bibliotheken kann man auf Arbeitslose treffen, auf Arbeitslosigkeit aber nicht. Der Existenzmodus von Arbeitslosigkeit ist kein direkt wahrnehmbarer, sondern ein statistischer. Diese Feststellung ist zwar banal, aber nicht belanglos: Sie ist Grund dafür, dass der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit eigentlich ein Kampf gegen die Statistik ist." Diese unbequeme Tatsache verkündete Guillaume Paoli in einem "Ohnemich-AG - Für einen gesellschaftlichen Misstrauensantrag" überschriebenen Artikel, der vor wenigen Wochen in voller Länge in der jungen Welt und, etwas gekürzt, in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung abgedruckt wurde. Paoli hieb mächtig ins Gedärm der wahlverunsicherten Bürgerschaft. Einen Abend vor der nunmehr als "spannendsten Wahl in der Geschichte der Bundesrepublik" bezeichneten Parteientombola las Paoli im Stadtbad Oderberger Straße aus diesem Text. Anlass war die Buchpremiere der Aufrufe, Manifeste und Faulheitspapiere der Glücklichen Arbeitslosen, die Paoli unter dem Titel "Mehr Zuckerbrot, weniger Peitsche" in der Edition Tiamat herausgibt. "Nach all den geplatzten Seifenblasen, von schwarz bis rotgrün, konnte man in diesem Wahljahr gespannt sein: Was für ein Karnickel würde der Taschenspieler vom Kanzleramt diesmal aus seinem Hut ziehen? Der Startschuss des großen Reformspektakels war gut inszeniert. Anfang Februar wurde wie durch Zufall entdeckt, dass die Arbeitsamtstatistik gefälscht war.(Donnerwetter, wer hätte das gedacht?)" So mancher Arbeitsloser, führt Paoli aus, hatte seine Freude an dieser Enthüllung des offenen Geheimnisses, doch "das taktische Ziel war offensichtlich eine Rechtfertigung." Nicht die Regierungspolitik und nicht der strukturelle Stellenabbau seien für das wiederholte Scheitern verantwortlich, sondern die Bürokratie. Alles sei eine Frage der effizienten Vermittlung. Zum darauf einberufenen Beistand "wurden fünfzehn kühne Ritter um eine runde Tafel bestellt, mit VW-Vorstand Peter Hartz in der Artus-Rolle."
Das Ergebnis dieser Statistikrettungsaktion ist sattsam bekannt. U. a. wetterte eine Journalistin in der jüngsten Ausgabe des Verdi-Blattes unter dem Titel "Statistik wird entlastet" über die Unbrauchbarkeit der Hartz-Vorschläge. "Wir brauchen vor allem Arbeitsplätze und nicht gestylte Vermittlungsagenturen", wird ein Hamburger Arbeitslosentelefonhelfer zitiert.
Was bringt nun Paolis Buch Neues, zeigt es gar alternative Wege aus der Arbeitslosigkeit auf? Nein, das darf der Leser nicht erwarten, es geht um das "Glück" der Arbeitslosigkeit, deren Unglück einzig in der Geld-losigkeit besteht. Wie falsch seine Edition verstanden werden kann, stellt Paoli selbst in der Einführung voran: "Man kann - das Buch scheint sich ja mit Arbeitslosigkeit zu befassen - seine soziologische Brille oder sein ökologisches Monokel aufsetzen, um mit gerunzelter Stirn nach statistisch belegten Analysen und wissenschaftlich erarbeiteten Alternativmodellen zu suchen. Schnell wird sich dann erweisen, dass hier ein solch betonierter Ernst völlig fehlt. Der enttäuschte Leser wird folgern, dass das Ganze bloß aus belanglosen Possen und anarchischen Infantilismen besteht, um sich sogleich wieder Oskar Negt oder Pierre Bourdieu zuzuwenden. Man kann aber auch dieses Buch als weiteres Erzeugnis der sogenannten Spaßkultur ansehen. In der allgegenwärtigen Kabarettisierung der Politik, wird danach gestrebt, den Elenden, Verwundeten und Sterbenden dieser Erde eine Clownsnase aufzusetzen, um sie entzückend und fernsehtauglich zu machen."
Die Sammlung der Papiere und Manifeste einer losen Bewegung, der Glücklichen Arbeitslosen, überzeugt durch ihre klare Sprache, ihren Witz und absolute Respektlosigkeit. Sprachlich differierend sind sie ein Zeugnis kollektiver Ratlosigkeit angesichts "scheinbarer" Realitäten. 1996 formierte sich eine Gruppe arbeitsloser Müßiggänger, um auf die Chance, das "Glück" dieses Zustandes hinzuweisen. In mehr oder weniger glücklichen Aktionen spazierten sie durch Städte und Parks, in Arbeits- und Sozialämter, verfassten Aufrufe und Manifeste, verunsicherten Imageberaterinnen und Fernsehredakteure oder untersuchten die Hintergründe des Mordes an einem Arbeitsamtdirektor (durch einen Arbeitslosen). Das erzeugte mediale Aufmerksamkeit. Die Gruppierung um Guillaume Paoli bewies von Beginn an die Stärke der Verweigerung und selbstironischen Betrachtung. "Der Grund unseres (relativen) Erfolges ist eher in der skandalösen Abwesenheit ähnlicher Positionen zu suchen - obgleich es überall großkotzig von "Subversion", "Medienguerilla" und "Strategie des Widerstands" wimmelt … Außerdem haben wir mehr Angebote abgelehnt als angenommen und das Bemühen der Medien, aus uns Arbeitslosenstars zu machen, regelrecht sabotiert." Als sich die Einladungen in Fernsehshows penetrant mehrten, entwickelten die Glücklichen Arbeitslosen eine "Pauschal-E-mail an Fernsehfuzzis":
"Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Desinformationsdealer und -innen, nehmen Sie bitte diese Ablehnung nicht persönlich: Aus Prinzip verweigern die Glücklichen Arbeitslosen Fernsehauftritte jeder Art. Kein anständiger Mensch kann es dulden, sich wie eine alte Nutte bepudern zu lassen. Für Ihre tägliche Dosis Klamauk werden sich wohl andere Produzenten finden lassen. Mit freundlichen Grüßen, Die Glücklichen Arbeitslosen
Bitte antworten Sie nicht auf diese Mail, da sie maschinell erstellt wurde."
Andere Einladungen nahmen Mitglieder der Bewegung experimentierfreudig an. Die Muse der Müßigen, Mila Zoufall, agierte bei der 1. "Internationalen Frauenuniversität" (ifu) für Postgraduierte im Sommer 2000 in Hannover. Für ihr Projekt "Busy Doing Nothing" errichtete sie einen Mußetempel, ein großes Zelt, in dem mehrere Sofas dazu einluden, die Dinge aus einer bequemen Lage zu betrachten - eine Idee, die regen Zuspruch fand. "Diese aufblasbaren Ein-Personen Sofas hatten unter anderem die günstige Eigenschaft, einfach nach hinten umzufallen, wenn sich darauf sitzende Mußefreundin zu sehr bewegte." Das Resümee der Akteurin findet sich in besprochenem Band. Zoufall führt darin aus; "Außer Türkinnen, Griechinnen, Portugiesinnen und Russinnen zeigten europäische Teilnehmerinnen kaum Interesse an Busy Doing Nothing’. Bemerkenswert engagiert waren hingegen die indischen, philippinischen, west- und ostafrikanischen sowie brasilianischen Teilnehmerinnen … Es zeigt deutlich, dass der strukturelle Aufbau privater Lebenssysteme in den materiell reichen Ländern zu einer Armut an Spontaneität, Wahrnehmungsfähigkeit und menschlicher Kommunikation führt."
Paolis Stärke sind seine Zweideutigkeiten, die dem gebürtigen Korsen scheinbar spielerisch aus der Tastatur schlüpfen. Sprachliche Finesse und philosophische Durchdrungenheit heben diese Texte über den Gruppen- und Gegenwartskontext hinaus.. Doch ohne die Dynamik der Glücklichen Arbeitslosen, ihre phantasievollen Aktionen (z.B. Liegestuhlliegen auf dem Alex oder Klau der Eintrittsgelder bei Schlingensiefs Praterzirkus) würde der philosophische Rahmen nicht tragen. Hier findet sich die ideale Ergänzung und Erschließung müßiggehender Ressourcen. Sporadisch erscheint die Zeitschrift müßiggangster und inzwischen erfreut sich sogar das www einer Domäne der Glücklichen Arbeitslosen.
Für gesellschaftliche Zurschaustellung entdeckte zunächst das Theater den geheimen Denker Paoli. Hin und wieder nimmt dieser die Einladungen wahr, verweigert sich aber den bürgerlichen Rederegeln. Sein "latentes Manifest" spielte er am 18.5.2001 an der Berliner Volksbühne von einem Tonträger ab, während "der geladene Redner sich neben dem vorbereiteten Pult auf einem blauen Luftbett rekelte", Arsch zum Publikum. Die Off-stimme sagte "Ein Müßiggänger genießt und schweigt." Es folgte 1 Minute Schweigen. "Sie haben den Wecker, wir haben die Zeit." 30 Sekunden Schweigen …
Die Sammlung der Aktions-, Reaktions- und Denkpapiere der Glücklichen Arbeitslosen ist ein geglücktes Beispiel für Verweigerung ohne Trotz, für intelligente Darstellung der Ist- und Konjunktivbestände unseres Seins im finalen Kapitalismus. Verwirrung eingeschlossen. Paoli lässt denn auch in seinem Schlusswort "Die Verwirrung lässt nicht nach" eine Schülerin zu Wort kommen:
"Guten Tag Herr Paoli! Ich bin eine Schülerin des St-Ursula-Gymnasiums der 10. Klasse. Wir besprechen in unserem Politikunterricht gerade die Arbeitslosigkeit und haben dabei eine Artikel über Sie gelesen … Also mich interessiert wirklich sehr, ob Sie so hochintelligent sind, wie einige meinten, weil Sie ja ein ganz bestimmtes Schema in Ihrem Tun hätten oder ob Sie (wie ich und einige andere der Meinung sind) einfach nur faul sind und sich gar nichts bestimmtes dabei denken.( …) Gruß Denise"