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August 2007 | Marc Degens für satt.org |
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Jens Friebe:
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Jens Friebe: 52 Wochenenden. Texte zum Durchmachen Kiepenheuer & Witsch 2007 188 Seiten, 8,95 Euro » amazon |
Proust auf die Popszene angewandt
Jens Friebe wurde 1975 in Lüdenscheid in Nordrhein-Westfalen geboren, lebte nach dem Abitur in Köln und ist seit 2002 Wahlberliner. Bekannt wurde er in der Popszene im Jahre 2002: Auf Alfred Hilsbergs legendärem „What’s-So-Funny-About“-Label erschien die Doppel-CD-Compilation „Bis auf weiteres eine Demonstration“ mit Jens Friebes Protest- und Angstohrwurm „Wenn man euch die Geräte zeigt“. Dies war das erste deutlich hörbare musikalische Ausrufezeichen von Jens Friebe, der zuvor in Bands wie „Parka“ oder „Bum Khun Cha Youth“ gespielt hatte. Im Jahr 2004 erschien dann ebenfalls bei „What’s So Funny About“ Friebes Debütalbum „Vorher Nachher Bilder“, ein elektronisches Progressivschlageralbum mit avancierten deutschsprachigen Texten, das die Hörer ebenso wie die Kritiker hellauf begeisterte, textlich wie auch musikalisch. In der Berliner Zeitung wurde Friebe als „der größte und schönste aller in Berlin lebenden Lethargiker“ bezeichnet, der „die heitersten und die traurigsten, die schrulligsten und zugleich doch allgemeinverständlichsten und -gültigsten Texte, die man sich wünschen kann“ schreibe. Christina Mohr wiederum charakterisierte Friebes Disco-Pop als intelligent, rätselhaft und romantisch. Ebenso wie „Vorher Nachher Bilder“ wurde auch das Nachfolgealbum „In Hypnose“, das nur eineinhalb Jahre später im Jahre 2005 erschien, hochgelobt.
Jens Friebe ist aber nicht nur ein außergewöhnlicher Musiker, sondern auch ein versierter Autor, der seit vielen Jahren für Zeitungen und Zeitschriften schreibt. Im Januar 2006 startete er das wöchentliche Kolumnenblog „52wochenenden.de“. Ein Jahr lang veröffentlichte er darin jeweils dienstags seine niedergeschriebenen Erlebnisse des vergangenen Wochenendes, zweiundfünfzig Folgen und Wochen lang, diese erschienen nun gesammelt als Buch bei „Kiepenheuer & Witsch“. Das Buch mit dem Untertitel „Texte zum Durchmachen“ ist ein unterhaltsames, literarisch enorm abwechslungsreiches Werk. Einerseits ist es eine tagebuchartige Chronik über Jens Friebes Wochenenderlebnisse und enthält Konzertberichte, schildert Begegnungen und berichtet ausgiebig über die Subkultur und insbesondere das Berliner Nachtleben. Auf der anderen Seite löst sich das Buch aber auch oft von seiner eigentlichen Aufgabenstellung und bietet auf verspielte Weise zahlreiche Ausschweifungen, erhellende Rückblenden und viele originelle Gedanken und Anekdoten zum Künstler-, Musiker- und überhaupt zum Leben. Anläßlich der Präsentation von „52 Wochenenden“ hatte Marc Degens am 17. Juli 2007 im Berliner „Münzclub“ Gelegenheit, mit Jens Friebe über sein Buch, die Schwierigkeiten des autobiographischen Schreibens und seine Zukunftsprojekte zu sprechen.
Marc Degens: Viele Liederschreiber und Sänger sind auch ausgezeichnete und mitunter sehr erfolgreiche Autoren. Ich denke da an Françoise Cactus, an Rocko Schamoni, an Max und Wolfgang Müller – und natürlich auch an Max Goldt, der ja seine Karriere in der ZDF-Hitparade begann. Beim Ingeborg-Bachmann-Wettlesen in Klagenfurt hat dieses Jahr Peter Licht für viel Furore gesorgt. Wann liest Du in Klagenfurt?
Jens Friebe: Bei dem Schreiben dieses Buchs, das mir sehr viel Spaß gemacht hat, ich hatte ja wirklich vorher nie geschrieben und es eigentlich auch nie ernsthaft versucht und es eigentlich auch nicht vor, ich bin da tatsächlich reingeschlittert und dachte, mal gucken, wie es so wird – das alles war schon sehr spannend. Ich bin aber auch auf einige Probleme gestoßen, die damit zu tun haben, wirklich autobiographische Texte zu schreiben. Vor allen Dingen das Problem, daß immer, wenn es wirklich interessant wird, man aus Diskretion aufhört. Für solche Probleme muß ich ein paar Lösungen finden, um einen wirklich längeren Text zu schreiben, der nicht diese sehr lockere, sehr nette spielerische Form hat, sondern wirklich ein Text ist, den man in Klagenfurt lesen kann. Ich würde da wirklich gern mal lesen, ich gucke es auch immer wahnsinnig gern, es ist ein bißchen so wie Sportschau gucken. Weil jeder Text interessant ist, nur deshalb, weil man sich fragt, wie wird er wegkommen, wie finden ihn die Juroren.
Marc Degens: Was hältst Du eigentlich generell von der Form des Wettlesens? Hast Du als Musiker auch schon einmal an solch einem Wettbewerb teilgenommen?
Jens Friebe: Ich glaube, ich hätte mit der Form des Wettlesens wesentlich weniger Probleme, weil ich mich doch immer noch mehr als Musiker sehe, der einen Ausflug macht in den Bereich des Schreibens, und deswegen hätte ich gar nicht so Probleme damit, meine Texte so einem Wettbewerb auszusetzen. Wenn es dann nicht funktioniert, könnte ich damit leben, weil ich mir dann immer sage: Ich bin doch eigentlich Musiker. Ich kann aber auch sehr gut Leute verstehen, die zehn Jahre lang einen Roman in der Schublade haben und sich wahnsinnig gequält haben und die dann sagen, das will ich jetzt nicht so einer komischen Jury aussetzen und so einem komischen Wettbewerb und solch einer Atmosphäre. Bei Bandwettbewerben zum Beispiel hätte ich nie mitgemacht, und werde es auch nie tun. Das ist aber auch ein bißchen anders als in der Literatur: Die Bands, die früher bei Becks-Wettbewerben oder bei irgendwelchen Jägermeister-Was-Weiß-ich-Wettbewerben mitgemacht haben, das waren auch immer die schlimmsten Bands. Das war einfach auch nichts, was möglich war. Lesen ja, Musik nein.
Marc Degens: „52 Wochenenden“ knüpft an die taz-Kolumne „Ausgehen und Rumstehen“ an, für die Du auch geschrieben hast. Gibt es noch weitere Vorbilder für Dein Projekt?
Jens Friebe: Ich hatte eigentlich immer so eine Idee: Proust auf die Popszene angewandt. Ich dachte mir, das schafft man natürlich nicht, dann müßte man ja zehn Jahre lang krank und vereinsamt im Bett liegen und nur in seiner Vergangenheit leben, aber der waghalsige Versuch lohnt sich, auch ein bißchen das Altmodische und Komplizierte anzuwenden auf die ja eigentlich auch komplizierten Sachverhalte. Die Grenze, auf die ich dann gestoßen bin, ist dann wieder die Diskretionsgrenze, also daß man den ganzen Klatsch und den Tratsch, aus dem Gesellschaftsromane auch bestehen, teilweise einfach nicht aufschreiben darf. Dann muß man sich wieder was ausdenken – da hab ich beim Schreiben auf einmal gemerkt, warum die Leute sich überhaupt etwas ausdenken, warum es Fiktion gibt. Das war sehr interessant für mich.
Marc Degens: 52wochenenden.de war ja kein typisches Blog, sondern eher eine wöchentlich aktualisierte Webseite. Hast Du dennoch viele Reaktionen auf die Texte auf Deiner Webseite bekommen?
Jens Friebe: Eigentlich erst, als das Buch dann draußen war. Wenn man dieses Forum nicht aufmacht und Kommentare zuläßt und die formalen Hemmschwellen senkt, dann kriegt man eigentlich auch nicht so viel zurück. Erstaunlicherweise.
Marc Degens: Dann war die Internetveröffentlichung also hauptsächlich eine Disziplinierungsmaßnahme und ein Merkzettel für Dich, jede Woche einen neuen Text zu schreiben?
Jens Friebe: Ja, ich wußte, ich würde jetzt nicht so etwas schreiben, wenn ich nicht ein Korsett hätte, was mich dazu zwingen würde, ständig zu schreiben.
Marc Degens: Jens, du bist sehr vielseitig. Als Musiker trittst Du einerseits als Solokünstler auf, andererseits warst und bist du auch Teil einer Band. Als Kolumnenschreiber bist du an strikte Deadlines gebunden, Liedtexte andererseits entstehen oft während eines langen Zeitraums. Du schreibst und musizierst, sitzt allein im Elfenbeinturmzimmer und stehst auf der Bühne vorn im Rampenlicht … Welche Rolle gefällt Dir am besten?
Jens Friebe: Gefallen ist wohl nicht das richtige Wort. Das, wo ich die Prioritäten setze, ist natürlich das Musikmachen als ich selbst, als Frontmann in meiner eigenen Einmann-Band.
Marc Degens: Wann hast Du eigentlich den Entschluß gefaßt, als Solokünstler aufzutreten?
Jens Friebe: Es hat sich ein bißchen so ergeben. Ich wollte nach Berlin gehen. Es war klar, daß das mit der Band, die ich in Köln hatte, nicht machbar war. Eigentlich war das so ein vorübergehendes Konzept, das ich sage, ich trete erst einmal alleine auf, weil ich keine Lust hatte, wieder Musiker zu suchen und zu proben, und da habe ich gesagt, ich trete jetzt erst einmal alleine auf und finde Leute, die bei mir mitmachen. Dann ging es relativ schnell, bei meinem ersten Solokonzert in Hamburg habe ich dann gleich einen Plattenvertrag gekriegt und mußte schnell überlegen, wie mache ich jetzt eine Platte. Alfred [Hilsberg] wollte schnell eine haben, und so ist es zu „Jens Friebe“ gekommen. Ich merkte, ich bin eigentlich zu alt für einen Künstlernamen. Die Leute, die einen haben wie Rocko Schamoni oder Schorsch Kamerun, das sind ja deren Funpunk-nom de guerre, die sie mit Stolz noch vor sich hertragen, aber mit – wie alt war ich? – sechsundzwanzig, siebenundzwanzig Jahren plötzlich zu sagen, jetzt bin ich Blablabla, da käme ich mir vor mir selbst und den Leuten, die mich schon lange kennen, lächerlich vor. Dann war ich halt Jens Friebe. Jetzt hab ich zwar ne feste Band live, mit Doktor Miess, die eigentlich Julie Miess heißt, und Chris Imler – es ist auch sehr schön, aber die Leute haben natürlich auch viele andere Sachen zu tun. Ich hätte gern auch eine richtige Band gemacht, aber ich bin in dieses Solosongwriterding reingerutscht.
Marc Degens: Du machst schon sehr lange Musik, hast du eigentlich noch viele Lieder in der Schublade?
Jens Friebe: Es gibt Bands und es gibt Leute, die schreiben sehr viele Lieder und schmeißen dann viel weg. Ich schreibe eher sehr langsam und sehr wenig, dann ist es aber auch gut. Und zu einem Kapitel aus dem Buch möchte ich noch etwas sagen: Da schreibe ich darüber, wie mir wieder nichts einfällt und was für eine Qual das ist – das ist ein bißchen so das Problem, wenn man über sich selbst autobiographisch schreibt, dann hat man nämlich Angst davor, daß es so angeberisch wirkt – deswegen ist die Gegenstrategie Understatement. Beim Wiederlesen des Buches ist mir aufgefallen, daß die Leute, die das Buch lesen, wahrscheinlich denken, bei Jens Friebe geht gar nichts: Nur schlecht besuchte Konzerte, ihm fällt nichts ein und so weiter … So ist das natürlich nicht. Da muß man ein bißchen abziehen, denn ich dachte, das ist die sympathischere Selbstdarstellung.
Marc Degens: Was ich an „52 Wochenenden“ so erfrischend fand, war der Umstand, daß du einerseits kein Blatt vor den Mund nimmst, andererseits aber auch viele Dinge durch die Blume sagst.
Jens Friebe: Das ist wiederum das Tolle, wenn alle denken, so ist es, der heißt Jens Friebe und im Buch heißt er auch Jens Friebe und da kommen echte Personen vor, und wenn man in solchen Texten, die die ganze Zeit behaupten, sie sind total authentisch und echt, plötzlich in etwas total Surreales abdriftet, dann hat das natürlich einen viel stärkeren Effekt als wenn man das in einem sowieso ausgedachten Zusammenhang macht. Deswegen schreibe ich vielleicht doch keinen richtigen Roman, sondern bleibe bei so etwas.
Marc Degens: Vor deinem nächsten Buch erscheint aber noch deine nächste Platte?
Jens Friebe: Die nächste Platte erscheint im September und wird heißen: „Das mit dem Auto ist egal, Hauptsache dir ist nichts passiert“.
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