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Woran erkennt man das Besondere? Warum weiß man, dass etwas Gehörtes oder Gesehenes signifikant anders, toller, außergewöhnlicher ist als das bisher Bekannte? Malcolm Gladwell beschreibt in seinem neuen Buch den „Blink!"-Moment, die Wimpernschlag-Millisekunde, in der man etwas weiß, ohne nachzudenken – und diesem Wissen sei meistens zu vertrauen. Dieses Blink-Erlebnis teilten im letzten Jahr viele, die Jens Friebes Platte Vorher Nachher Bilder hörten oder ihn live gesehen hatten. Vergleiche mit vermeintlich verwandten Künstlern griffen nur unzureichend; Friebes hymnischer Discopop, der intelligent und rätselhaft, romantisch, unverhohlen künstlich und vor allem sehr elegant daherkam, verzauberte im Handstreich und bedurfte keinerlei rechtfertigender Analyse. Der Metropolendandy warf einen lasziven Blick beziehungsweise einen Schatten in unsre Richtung, kippte glamourös und lässig tradierte Sex-und-Gender-Definitionen über Bord und verwirrte dadurch so manch gestandenen Popexperten. Unter anderem führte dies dazu, dass für Jens Friebe so viele Namen gesucht wurden wie sonst nur für Hollywooddiven und „Katzencasanova“ war nur einer davon. Bring mich zum Wagen, Gespenster, Star, Wenn man Euch die Geräte zeigt (eigentlich fast alle Songs von Vorher Nachher Bilder) wurden in Windeseile zu Underground-Evergreens, und die Frage drängt sich auf, wie es davor war ohne diese Lieder und ohne Zeilen wie „Bring mich zum Wagen / Bring mich zum Weinen". Dementsprechend hoch sind nun die Erwartungen an In Hypnose. Keine anderthalb Jahre nach Vorher Nachher Bilder erscheint die Platte – früh, aber keinen Tag zu früh, nein, notwendig und zwar sehr. Jens Friebe erfüllt die an ihn gestellten Anforderungen souverän, indem er einfach eine noch schönere und bessere Platte gemacht hat. „Nur Beeilung, es gibt Hoffnung, es gibt Heilung“ heißt es in Lawinenhund und erleichtert erblickt man das „Licht am Ende des Darkrooms". Einige der neuen Songs sind Konzertbesuchern bestens vertraut und wurden durch die Produktion von Tobias Levin und Olaf Opal und die musikalische Unterstützung durch Hermann Herrmann (Gründungsmitglied der Lassie Singers), Daso Franke, Tex Strzoda und Chris Imler (der gemeinsam mit Julie Miess von Britta auch bei den Konzerten dabei ist) liebevoll und detailreich ausstaffiert: mit Slideguitar, Orgel und allerlei feinem Schnickschnack, stets von erlesenem Geschmack.
Posthypnotische Eindrücke: Die Verbindung von Elektronik und Gitarre gelingt symbiotischer, die Songs klingen weniger fragmentarisch als auf dem Debüt, sondern raffinierter, ausgefeilter. Der Grundton ist bei aller Farbigkeit dunkler als auf Vorher Nachher Bilder; weniger Achtziger-Jahre-Zitatpop ist zu hören, dafür kurze, tiefe Verbeugungen vor Friebes Helden: Er covert Road Movie to Berlin von They Might Be Giants, außerdem gibt es eine wunderhübsche, discoeuphorisierte Version von Es hat keinen Namen der zu Unrecht vergessenen Regierung. Friebes eigene Stücke zeugen von selbstbewußtem Songwriting, Jens vertraut seiner Stimme mehr, mit schlaksig-nasalem Tonfall verfeinert er seine Markenzeichen wie das prononcierte „ä“ und die um die Kurve gedehnten Vokale. Die Single Kennedy schwelgt spectoresk und begeistert durch den catchy Refrain, in dem die Geschlechtergrenzen mal wieder überwunden werden: „Ihr müßt sie feiern wie sie fallen / Ihr müßt mich feiern wie ich fall’ – wie die Schönste von allen auf dem Abschlußball". Dazu gibt es ein schickes Video, das Stephen Kings Carrie wieder auferstehen läßt. Lawinenhund beginnt mit schranzendem Clubsound und ist laut eigener Aussage des Künstlers „die flauschige Version von I Wanna Be Your Dog“ (bei Friebe heißt es: „Ich möchte Dir dienen und ich möchte Dir Schnaps geben"), aber auch eine Einforderung von Wahrhaftigkeit ("Ich wollte, dass Du mir traust") und zeigt Jens als Meister des konkret-angewandten Liebeslieds: „Wie eine Decke, die Dich zudeckt / Wie eine Zunge, die Dich ableckt / Wie eine Stimme, die beim Tischfußball zu Dir spricht: Klapp’ Deine Männchen weg, den Rest mach’ ich". Auch Bungeeseil stellt das Liebespaar ins Zentrum, eingebettet in Autoscootersound hebt Friebe die „einzigen Hübschen“ aus der Masse und isoliert sie gleichzeitig: „Und alle schaun uns zu, laß es uns jetzt tun/ Und wenn wir springen müssen, fällt ein Stern aus dem All". Aber bei Jens Friebe klingen auch Songs über Schlachthäuser und schlechtbezahlte Journalistentätigkeit wie Liebeslieder: Seine blasierte Zärtlichkeit schließt die Clique ebenso ein wie die/den Liebste/n und die Schafe aus dem Vegetarismussong Theke mit den Toten. Die Astrologieballade Messer von hinten bringt Unglück thematisiert das Dilemma der Moderne – bei aller Aufgeklärtheit und Vernunft bleibt ein Rest Unsicherheit und die tiefe Sehnsucht, mit esoterischem Mummenschanz das eigene Schicksal doch beeinflussen zu können, beziehungsweise ein „Schicksal“ überhaupt zu haben: „Aber jetzt gib meinem Namen eine Zahl, gib meiner Hoffnung ein System". Jede Menge Ziele zeichnet ein Portrait-of-the-artist-as-Angry-Young-Man, Jens hat das Stück schon vor zehn Jahren geschrieben, dementsprechend ruppig geht es hier zur Sache: „Glaubt ja nicht, ich verschwende meine Zeit / Während ihr Geld verschwendet / Euch Mountainbikes und Snowboards leiht / Und damit Berge schändet". Dennoch sehr nonchalant, Punk ohne Proll. Abend voller Glück ist ebenfalls ein wunderschönes Liebeslied, dekadent und prunkvoll, gleichzeitig Schlüsselsong einer Großstadt-Boheme, die zwischen Lethargie und Leidenschaft, Erschöpfung und verdrogter Aufmerksamkeit pendelt. Nachdem Zigaretten, Taxis und manch anderes geteilt wurden, klingt das Stück mit angemessenem Pomp aus, und vermittelt euphorische Aufbruchstimmung - wie eine Fahrt zur nächsten Party, auf die man eigentlich nicht mehr gehen wollte, die aber die tollste von allen zu werden verspricht. In Hypnose changiert zwischen konkreten Bildern und schimmernden Hologrammen, vereint Eleganz und Haltung, Magie und Ratio. Das Künstliche und Fiktive wird nicht vermieden, sondern explizit gewünscht. Friebe nutzt die artifizielle Inszenierung seiner selbst und der Musik zur Vermittlung des Wahren im Falschen/Gefälschten – klingt kompliziert? Oh nein: Distinguiert im Ausdruck und leidenschaftlich im Herzen erfüllt Jens Friebe en passant die großen Versprechen des Pop. Merci, Lawinenhund. |
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