Das folgende Interview besteht aus zwei Teilen; der erste Teil entstand sozusagen live in einem Berliner Café an einem schwülen Frühsommertag, von Gewitterfliegen umschwirrt, die in den grünen Tee fielen.
Als Einstiegsthema wurden Krankheiten gewählt: Heuschnupfen, Magenspiegelungen, Mandel-OPs und Sehschwächen verschiedenster Art … Was man halt so redet nachmittags in Berlin. Der überwiegende Rest wurde schriftlich verfaßt.
Erkennen Dich mittlerweile Leute in der Bahn? In Deinem Song Star ist das ja noch nicht der Fall.
JF: Ja, das kommt mittlerweile schon vor. Insgesamt findet so ein unaufgeregtes Erkennen statt, das ich ganz angenehm finde.
Wie sieht Dein Resümée der letztjährigen Liveauftritte aus?
JF: Als Hauptact bekommt man keine „guten Ratschläge“ von Konzertbesuchern, anders ist es, wenn man als Vorband auftritt: da kommen schon mal Leute und sagen, „hey, weißt Du eigentlich, dass Du ganz schön nach Knoblauch riechst“ oder „Du mußt den Mikroständer höher stellen, das sieht echt komisch aus". Offenbar meinen manche, man bräuchte solche Tipps, wenn man nicht als Hauptband auftritt.
Das Münchner Publikum ist schwierig; schön war's im Cooky's in Frankfurt, weil dort die Leute überraschend textsicher waren und mitgesungen haben. Und auch wenn Tocotronic das abstreiten: es ist schon ein schönes Gefühl, wenn das Publikum mitsingt. Und in Hamburg tanzen die Leute Pogo zu Körper, das passiert sonst eher nicht.
Ist In Hypnose das „Katastrophen"-Konzeptalbum geworden, von dem Du letztes Jahr gesprochen hast?
JF: Die Frage war ja nicht, wie das Album wird, sondern ob ich es den Leuten als Konzeptalbum verkaufe. Ich habe aber dann doch aus Angst vor Affigkeit davon abgesehen.
Die große Klammer für Hypnose scheinen Film und Kino zu sein (von JFK bis Road Movie to Berlin; Filmmusikanleihen, Coverdesign) – kann man das so sagen? JF: Naja, es ist kein cineastisches Album, das sich auf Filmgeschichte bezieht oder Wissen voraussetzt. Das Design ist ein Mittel zur Fiktionalisierung meiner eigenen Figur. Ich habe versäumt, mir einen Künstlernamen zu geben, als ich es noch gekonnt hätte, und als Einzelkünstler mit bürgerlichem Namen wird man als Sänger mit den Texten noch viel mehr kurzgeschlossen, als wenn man in einer Band singt. Diese ganzen Verweise auf narrative Genres wie Film oder Comic schaffen eine gewisse Distanz und geben mir Freiheit. Außerdem habe ich mehrere etwas düstere Lieder, in denen hier und da Blut fließt. Als Gegenmittel zu einer prätentiösen Eigentlichkeit, die sich hätte einstellen können, fand ich diese Horror-B-Movie –Ästhetik extrem wirksam.
"Astrologieshowhörertelefon“ aus Messer von Hinten bringt Unglück ist für mich ein typisches Lassie-Singers-Wort – war das der Einfluß von Hermann Herrmann?
JF: Nein, Herman Herrmann hatte keinen Einfluss auf mein Songwriting, die Lieder waren bereits fertig, als ich mit ihm anfing, an deren Umsetzung – Arrangements, Beats usw. – zu arbeiten. Soweit ich weiß, haben das Texten bei den Lassie-Singers auch die Frauen Rösinger und Klotz höchstselbst besorgt. Dass sie dabei ihrerzeit eine kleine Bombe in meinem Inspirationszentrum zündeten, die erst jetzt, beim Texten dieses Liedes, hochgegangen ist, kann und will ich nicht ausschließen.
Jens Friebe Live: 22.09.: Bremen, Güterbahnhof 23.09.: Düsseldorf, Coffy 24.09.: Lengerich, Gempt Halle 28.09.: Jena, Rosenkeller 29.09.: Kassel, Barracuda Bar 04.10.: Berlin, Festsaal Kreuzberg 11.10.: Lüneburg, Wohnzimmer 12.10.: Münster, Luna Bar 13.10.: Heidelberg, Schwimmbad Music Club 14.10.: Erfurt, Zentrum 15.10.: Erfurt, Stadtgarten 16.10.: Potsdam, Waschhaus 17.10.: Hamburg, Weltbühne 19.10.: Köln, Gebäude 9 20.10.: Würzburg, Cairo 21.10.: Leipzig, Ilses Erika 22.10.: Dresden, Starclub
Record Release Party: 25.8., Berlin, nbi |
Neu auf Hypnose ist zum Beispiel der Einsatz von Steel/Slide Guitar: Gibt es Stilelemente oder Sounds, die Du niemals verwenden würdest? Country vielleicht?
JF: Ziemlich viele. Ich würde niemals eine Synthesizer-Mundharmonika benutzen, wie man sie auf der „Andromeda Heights“ von Prefab Sprout hört. Auch für Slap-Bass und Panflöte sehe ich erst mal keine Chance. Des weiteren können Blumfeld auch in noch so tolle Stücke ein Saxophon-Solo einbauen, ich denk nicht dran, die Rehabilitation dieses Instruments für die Popmusik zu unterstützen.
Elektronik und Gitarrensound gehen auf Hypnose viel harmonischer zusammen als auf Vorher Nachher Bilder – bist Du Deiner Vorstellung von einem eigenen Sound jetzt näher gekommen oder strebst Du sowas gar nicht an?
JF: Strebe ich nicht an. Ich bin kein Sound-Visionär. Ich schreibe Songs, und versuche dann rauszukriegen, was diese Songs brauchen, um zu funktionieren, oder höre mir an, was andere für Ideen haben. Das sind Prozesse, die auch nach den Aufnahmen nicht abgeschlossen sind, und die sich live dann wiederholen. Ich will nicht ausschließen, dass sich irgendwann so was wie ein charakteristischer Sound entwickeln könnte, aber darum bemühe ich mich genau so wenig wie um meine Handschrift.
Auch Dein Gesang klingt viel selbstbewußter – traust Du Dir und Deiner Stimme jetzt mehr zu?
JF: Vielleicht, aber ich glaube, in erster Linie waren die Bedingungen, unter denen ich bei der ersten Platte singen musste, härter. Es war ja meistenteils eine sehr aufgeräumte, klare Elektro-Pop-Ästhetik, in der wirklich jede kleinste Abweichung in Timing und Tuning auffällt. Wenn man nicht Andy Bell heißt, bedeutet das, man muss sich tierisch auf diese Parameter konzentrieren und dann noch ordentlich nachbearbeiten. Beides geht auf den Ausdruck. Bei der neuen Platte gab es mehr Atmosphäre und Schmutz, und der Gesang durfte daher ebenfalls lebendiger sein.
Was ist Deine (eigene) Lieblingszeile?
JF: Weiß nicht. Vielleicht „wie eine Stimme, die beim Tischfußball zu dir spricht: Klapp deine Männchen hoch, den Rest mach ich". Aber das sind ja eigentlich schon zwei Zeilen.
Bei Abend voller Glück singst Du „dies ist mein Leib, dies ist mein Blut“ – ist das abendliche Ausgehen eine Art Gottesdienst?
JF: Nein, aber unter gewissen Umständen kann es einem so vorkommen (die Zeile davor heißt „Ecstasy und Red Bull kommen gut").
Einige der Songs auf Hypnose kennt man ja schon von Deinen letztjährigen Auftritten (Lawinenhund, Kennedy, Abend voller Glück) - welche der neuen Songs hast Du noch nicht live gespielt, gibt es welche, die Du gar nicht spielst?
JF: Noch nicht gespielt habe ich 10000 Zeichen Kalt, Jede Menge Ziele, Roadmovie to Berlin. Messer von Hinten habe ich erst einmal gespielt, da war es für mich etwas schwierig zu singen. Kann sein, dass es live rausfliegt.
Die Arrangements von Hypnose sind um einiges satter als auf Vorher Nachher Bilder – wie wird das live sein? Wirst Du wieder – je nach Anlaß allein bzw. mit Band spielen?
JF: Ja, wobei Soloauftritte doch eher die Seltenheit waren und auch bleiben sollen.
Wer sind die trendy Wilden in Still?
JF: Erst hieß es ja „nackte Wilde". Die ganze Strophe zieht einen sehr ironischen Vergleich zwischen weltreisenden Kolonialisten und einer Band aus der Großstadt, die in die Provinz tourt. Das Ironische kam aber bei Testhörern nicht so richtig an, und deshalb habe ich ein hochzivilisatorisches Wort benutzt, um den zitierten, reaktionären Riefenstahl-Jargon zu brechen, damit nicht wieder welche durcheinander kommen.
"Na, die Eltern haben ja wohl alles richtig gemacht", sagte eine Freundin von mir, nachdem sie im Kaffee Burger erst Dich, dann Deinen Bruder sah. Stimmst Du ihr zu, oder hast Du auch rebelliert? Ein Song wie Jede Menge Ziele spräche ja dafür …
JF: Das Lied richtet sich gegen Lifestyler und sportive Karrieristen. Und übrigens möchte ich an dieser Stelle meine Mutter grüßen, die bestimmt gerade am Computer sitzt und mitliest.
Glaubst Du an die subversive Kraft von Pop(musik)?
JF: Nein. Nicht in der momentanen Situation. Wenn man als das Hauptübel nach wie vor begreift, dass wenige Menschen über einen Großteil des Reichtums verfügen (was ich tue) kann man einen Künstler wie Sido vielleicht bemerkenswert finden, weil er zumindest die Lebensumstände der hierzulande Marginalisierten beschreibt. „Subversive Kraft“ sehe ich da aber nicht am Werk, eher den Versuch, die eigene benachteiligte Stellung durch Glorifizierung erträglich zu machen.
Und an Moral: Würdest Du Dich freuen, wenn jemand wegen Theke mit den Toten kein Fleisch mehr ißt?
JF: Natürlich würde ich mich darüber freuen, allerdings funktioniert das sicher nur bei Leuten, die eh schon drauf und dran sind, Vegetarier zu werden, und nur noch einen kleinen Anstoß brauchen.
Sollte sich Pop mit Politik verbrüdern wie gerade erst wieder bei Live8?
JF: Live 8: Rockstars, die machen, was sie immer machen, und sich dafür mit einem Publikum, das umsonst Scheißmusik hört, als Wohltäter abfeiern, einzuladen, um etwas zu fordern, was der Beschlusslage der G8 so ziemlich entspricht, ohne auch nur einen einzigen eigenständigen Act aus den Ländern, denen man helfen zu wollen vorgibt ist nichts, was mir Hoffnung für eine bessere Welt einflößt. Andererseits: Schaden tut es auch nicht gerade.
Viele Deiner Songs richten sich an Freunde/die Clique: Siehst Du Dich als Teil einer (Berliner) Boheme?
JF: Wenn man als Boheme eine Gruppe von nachtaktiven Menschen mit unregelmäßigen Arbeitszeiten und künstlerischen Interessen bezeichnet, ja.
Da man bei vielen Deiner Stücke unwillkürlich das Kinn nach oben reckt und die Schultern strafft, kam mir ein verloren geglaubtes Wort in den Sinn: Grandezza. Willst Du dem urbanen Alltag Schönheit verleihen? Oder: Haltung mit Ästhetik vereinen?
JF: Der urbane Alltag ist schon schön, ich brauche gar nichts mehr zu machen. Genauso ist eine gute Haltung ästhetisch.
Stichwort Fake: Wie „echt“ muß ein Künstler sein – ich denke an das Stück von Knarf Rellöm, „Change Is Gonna Come“ – auf der Bühne, in seinen Texten, etc.?
JF: Knarf Rellöm ist ja ein sehr interessanter Fall: Er hat ein Album gegen Authentizitätshuberei gemacht und vertritt sein Argument auf der Bühne mit einem wunderschönen Fledermauskostüm. Er stilisiert sich aber in seinen Texten eigentlich nie übermäßig, erfindet keine Figuren, spricht nicht in fremden Stimmen, sondern macht einen Punkt, der ihm persönlich am Herzen liegt. Er ist somit per Definition ein authentischer Künstler. Trotzdem hat er Recht, denn das vorherrschende Authentizitätsideal ist irreführend: Erstens erkennt es nicht an, dass das Wesen der Kunst Verfremdung ist, das es einen nicht inszenierten Auftritt und eine ungekünstelte Kunst nicht geben kann, genauso wie eine verwackelte Kamera nicht realistischer ist als eine unverwackelte. Zweitens ist die Prämisse „Sei du selbst“ meist gar nicht so formal und frei ausfüllbar gemeint, wie sie sich anhört. Sie beinhaltet vielmehr konkrete Vorstellungen davon, wie dieses man-selbst-sein auszusehen hat. Konkret sind das meist ein herzlicher, etwas ruppiger Typ, oder eine freundliche, halb ambitionierte Frau. Nina Hagen zum Beispiel würde bestimmt nicht als eine besonders ehrliche Künstlerin abgefeiert, dabei gibt es wohl kaum jemanden, der weniger Unterschied zwischen Bühne und nicht Bühne bzw. Kunst und nicht Kunst macht.
Stören Dich Vergleiche mit anderen Künstlern? Andreas Dorau wurde letztens von Sarah Kuttner ständig nur auf seine angebliche Nähe zu Funny van Dannen angesprochen.
JF: Wenn die Vergleiche einigermaßen passend sind, ist das schon okay. Man kommt ja gar nicht drum herum, etwas Neues mit etwas Bekanntem in Verbindung zu bringen.
Du verkörperst ein „anderes“ Männlichkeitsbild (ich streife hier nur kurz, beinah unmerklich mein persönlichen Unwort 04 „metrosexuell"), kokettierst auf Fotos und Covern mit einem camp-glamourösen Image, um dann „in echt“ ohne Federboa und Lidschatten zu erscheinen. Kam das mal als Konzept für Dich in Betracht?
JF: Ich sehe den Unterschied zwischen Cover/Photos und meiner sonstigen Erscheinung nicht so extrem. Auf Photos und Cover habe ich keine Federboa, sondern mal Lipgloss, mal andere, eigentlich eher sparsame Accessoires, die aber auch beim Ausgehen bei Live-Konzerten vorkommen können.
Setzt Du popkulturell „gebildete“ HörerInnen voraus oder sind Dir diejenigen lieber, die nicht gleich das Referenzlexikon auspacken?
JF: Weder habe ich was gegen popkulturell „ungebildete“ Hörer, noch ziehe ich sie den anderen vor, in denen aus einem unvermeidlichen Reflex heraus jeder neue Höreindruck einen alten wachruft.
Hast Du Verständnis für Pop-Nerdtum, wie es z.B. Meinecke/Walter/Witzel in Plattenspieler durchexerzieren? Findest Du Dich dort wieder?
JF: Das Buch habe ich noch nicht gelesen. Im Allgemeinen war ich immer zu faul, um so ein manischer Sammler von irgendwas zu werden. Ich höre, sehe und lese immer, was mir grad so in die Finger kommt. Wenn sich aber jemand anders in irgendeine Materie total reinsteigert und mich an seinem überschwappenden Fachwissen teilhaben lässt, finde ich das interessant, solange es nicht um bibliophilen Materialfetischismus geht, von wegen „Wow, du hast die Japan-Pressung von 74!“
Als manchmal-noch-Journalist: interessieren Dich Lifestyle-Magazine wie blond, monopol, Neon oder Park Avenue? Findest Du die relevant?
JF: Nein. Wenn schon Zeit verschwenden, dann lieber Fernsehen.
Was macht es Dir leichter - vor einer anonymen Menge aufzutreten oder bist Du gerne in Kontakt zu Deinen Fans? Wenn man Dein Forum liest, macht ja alles einen recht intimen Eindruck.
JF: Ich spiele lieber vor wenigen eigenen Fans als vor vielen Fans einer fremden Hauptband. Von der Erfahrung, vor einer anonymen Masse eigener Fans zu spielen, hoffe ich, beim nächsten Mal berichten zu können.