"In Offenbach sieht's ein bisschen aus wie im Osten" sagt Jens Friebe zu Anfang des Konzerts im Offenbacher Hafen zwei - und hat damit nicht ganz unrecht, schliesslich liegt Offenbach von Frankfurt aus gesehen deutlich östlich. Kommt halt auf den Blickwinkel an, wo Osten ist. Wirf einen Schatten in meine Richtung.
Jens Friebe Foto: Hertha Hürnaus
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Jens Friebe ist seit Wochen unermüdlich unterwegs, vor einer Woche war er noch im Frankfurter Pop & Glow zu sehen, im " … denn zum Küssen sind sie da"-Paket zusammen mit Kerstin Grether und Linus Volkmann, dazwischen Immergut undundund. Er hat einen neuen Schlagzeuger, den er in nur drei Tagen "einarbeiten" musste, Chris Imler von den Golden Showers, der bis vor kurzem noch auf einer monatelangen Mammuttour mit Maximilian Hecker unterwegs war. Der Auftritt in Offenbach ist – wie zu erwarten – hinreissend und viel zu kurz. Fast alle Leute, die in der Woche zuvor im Pop & Glow waren, sind heute wieder hier, um die "Vorher Nachher Bilder"-Songs mit Band-Unterstützung zu hören – was den Stücken gut bekommt, sie klingen satter, tiefer, druckvoller; Friebe zeigt Entertainerqualitäten während seiner Ansagen, um die Stücke und den gesamten Auftritt auszudehnen, damit niemand das Gefühl bekommt, "zuviel bezahlt zu haben". Aber wer würde sich über irgendwas beschweren wollen, dankbar ist man, verzückt und voller Staunen über die perfekt-schönen, leuchtenden Lieder des Herrn Friebe, bei denen man weinen will und sich darüber auch noch freut, ach, aber das wisst Ihr ja alles selber.
Bevor das Konzert anfing, habe ich mich mit Jens zwischen Lagerhallen und schnatternden Gänsen (echte Tiere!) ein wenig unterhalten können:
Bist Du erschöpft vom vielen Unterwegssein?
Ja schon, ich war zwar auch schon mit der Hecker-Band mal einen ganzen Monat auf Tour, aber es ist schon was anderes, wenn man der Frontman ist.
Warst Du inzwischen mal zuhause?
Ja, aber man kommt gar nicht richtig an, wäscht nur mal die Wäsche oder schläft zwölf Stunden lang.
Na immerhin.
Heute ist es das dritte Mal innerhalb von vier Wochen, dass ich Dich live sehe, mal mit Band, mal alleine, und offenbar funktionieren Deine Stücke in jeder Verpackung.
Stimmt, deswegen ist es auch immer so schwierig zu entscheiden, wie man's dann machen will. Ich kann jetzt auch gar nicht sagen, dass mir die reine Technik am liebsten wäre, sonst würde ich es ja mit Band gar nicht machen. Und umgekehrt genauso: es müssen nicht immer "richtige" Instrumente sein, wie Gitarre und so.
Nachdem ich Deine Platte zum ersten Mal gehört hatte, waren meine Erwartungen an ein Konzert von Dir ganz anders. Ich habe mir Deine Auftritte viel campiger und plüschiger vorgestellt.
Also ich mag das Campige ja schon gern, das was viele überladen nennen, aber da kann man eben viel Schnickschnack verwenden. Ich mag es, die grosse Geste zu unterstützen; aus dem Minimalistischen eine Ideologie zu machen, dass Gitarre, Bass, Schlagzeug alles sind, was ein Lied braucht, damit kann ich nicht so viel anfangen. Und ich will weder auf der Bühne nur eine CD laufen lassen, noch wie die Computerfrickler fürs Konzert alles nochmal neu programmieren und mit Laptop und Mischer auf der Bühne stehen. Ich finde es schön, dass die Lieder diese offene Form haben, die viele Möglichkeiten bietet.
Leider konnte ich letzte Woche das Radiointerview nicht hören, das Klaus Walter (Der Ball ist rund, HR2) mit Dir geführt hat. Klaus ist ja für die hiesige (hessische) Musikszene ganz wichtig.
Jaja, und ich wusste das gar nicht, ich komme ja aus einem anderen Einzugsgebiet. Die anderen (Linus Volkmann und Kerstin Grether) kannten den natürlich auch, aber ich wusste gar nicht, bei wem ich da im Studio sitze. Witzig war, dass wir uns beide gegenseitig für schwul hielten. Er sprach mich darauf an, wegen der Platte und des Covers, und durch die Art und Weise, wie er das fragte und wie wichtig er das fand, bin ich davon ausgegangen, dass er schwul ist. Er sagte dann nein, sei er nicht, aber ich, ich sei doch schon schwul? Und ich dann auch so, nee …
Ich bin ja anfangs übrigens auch bei Euch beiden davon ausgegangen, dass Ihr schwul seid, weil Klaus Walter, aber vor allem Du ja schon bestimmte Dinge in der Schwebe haltet.
Klaus Walter hat mich auf einige Texte angesprochen, vor allem auf "Bring mich zum Wagen" ( …. ich hab ausser Dir noch keinen so geliebt) was aber in erster Linie wegen des Reims so heisst. Aber mir ist es auch recht: Das Androgyne und das Spiel damit haben ja eine Tradition im Pop. Ich finde es nicht okay, nur aus einem Geschlecht heraus zu sprechen, das ist jetzt die Jungssicht oder so. Das entspricht auch nicht der Universalität von Pop.
Es sind ja auch genau diese Textstellen, die Deine Songs für Mädchen (oder Frauen, ähem) so interessant machen – weil wir da auch aus vollem Herzen mitsingen können, ohne die Perspektive des Typen einnehmen zu müssen.
Worüber ich mich bei Lesen verschiedenster Artikel über Dich amüsiert habe, ist, dass viele Schreiber mit aller Macht versuchen, Begriffe oder Namen für Dich zu finden. "Bob Dylan aus Plastik" zum Beispiel oder "Katzencasanova".
Wo "Bob Dylan aus Plastik" herkommt, kann ich auch nicht sagen. Als langjähriger Journalist kann ich das nur herleiten, Plastik heisst Elektronik, elektronische Musik und Bob Dylan steht für Liedermacher – na, bitteschön. Katzencasanova hat mich Armin (von Milch), mein Produzent immer genannt wegen meines Gesangsstils. Weil ich die "hohen Mitten" so stark ausgebildet habe und eigentlich eine recht hohe Stimme habe, hört es sich manchmal ziemlich jaulig an. Und da hat Armin immer gesagt - mit so einem gütigen Spott – ich solle doch ein bisschen weniger wie ein Katzencasanova singen.
Wie kommst Du damit zurecht, dass Leute so vieles in Dich "reindenken" oder reininterpretieren – belastet es Dich, wenn Du mit Superlativen bedacht wirst, à la, dass Du der Künstler bist, auf den alle gewartet haben?
Es sollen bitte alle so reden! Man darf das alles auch nicht überbewerten – und nicht, wenn gerade mal die 200. Platte verkauft ist, den grossen Hype herbeireden oder herbeihalluzinieren. Davon wollen sich ja automatisch wieder viele abgrenzen, halten alles für Terror und Diktat, bezeichnen mich bereits als mainstream und halten es für underground, mich Scheisse zu finden. Das ist alles ein bisschen schwierig und auch schade, weil ich ja an den Plattenverkäufen sehen kann, dass es nicht so ist.
Klaus Walter hat Dich bestimmt schon nach Deinen Referenzen, Deinen Einflüssen gefragt – Beat Happening ist ein Name, der immer wieder fällt …
Ja, wegen des Zitats in "Wirf einen Schatten in meine Richtung", They Might Be Giants sind ganz wichtig, Magnetic Fields, von denen ich ja auch ein Lied als Zugabe spiele (Come Back from San Francisco), Divine Comedy finde ich super, ich mag aber auch alte Funpunk-Sachen wie die frühen Goldenen Zitronen, Wedding Present hab ich viel gehört … ich muss mir mal ein paar neuere Sachen überlegen …ja, "Milkshake" von Kelis finde ich ganz grossartig.
Machst Du "Grossstadtmusik" oder könnten Deine Songs auch so auf dem Land entstehen?
Nein, auf dem Land nicht, schon eher in einer Metropole. Wobei meine Musik ja nicht einem solchen Diskurs ausgesetzt ist wie etwa die Hamburger-Schule-Sachen. Meine Texte handeln aber viel von Partys, vom Ausgehen, brauchen schon ein städtisches Umfeld, urbane Musik, ja, das klingt schön. Hamburg oder Berlin muss es dafür nicht sein, einiges ist ja zum Beispiel in Köln entstanden. Köln würde reichen zum Schreiben! Es hat halt nur nicht für die Umsetzung gelangt.
Warum Berlin? Warum nicht Hamburg?
Ich hatte das Gefühl, wenn ich mich in Hamburg in diese doch recht überschaubare Szene begebe und dort nicht ankomme, dann kann ich gleich einpacken. Das war vielleicht nur so eine Phantasie von mir, aber Berlin kam mir idealer vor, wenn man sich ausprobieren möchte, ausserdem waren meine Freundin und mein Bruder auch in Berlin. Ganz witzig ist, dass ich meine grossen Erfolge und meinen Plattenvertrag doch über Hamburg bekommen habe. Dass ich wirkungsgeschichtlich in Hamburg ebenso stattfinde wie in Berlin. Trotzdem mag ich Berlin zum Wohnen auf jeden Fall lieber.
Stimmt die Legende, dass Alfred Hilsberg bei Dir angerufen hat und Dich bat, eine Platte aufzunehmen?
Ja, der hatte ein Konzert von mir gehört und mich dann angerufen.
Wie ist das, wenn man diesen Gross- und Gottvater der Independentszene am Telefon hat?
Ich hab ja mal geschrieben, das ist wie bei den 3 Fragezeichen, wenn Hitchcock anruft – deswegen nenne ich Hilsberg auch nur Alfred Hitchcock. Dieses etwas Irreale an dieser Figur, die man ja schon im Bereich der Mythen verortet …
Ich habe auch nicht geglaubt, dass es ihn wirklich gibt …
Dieses väterlich-irreale hat er schon mit Hitchcock gemein.
Passt er auf Dich auf?
Ja, letztens habe ich T-Shirts drucken lassen und wollte anstatt einer e-mail-adresse meine wirkliche Festnetztelefonnummer draufhaben, weil ich das witzig fand. Da hat er mich bekniet, das nicht zu tun, "pass auf, da rufen Dich nur Verrückte an". Deswegen habe ich dann eine halbreale Nummer draufgeschrieben. Jetzt ärgere ich mich doch, dass ich's nicht gemacht habe, schlimmstenfalls hätte ich eben meine Nummer ändern lassen müssen. Eigentlich hätte ich es punk gefunden! Aber dafür bekomme ich sehr nette und vernünftige eMails.
Wie geht's weiter mit Dir?
Demnächst mach ich vielleicht ein Konzeptalbum.
Eine Rockoper? Bohemian Rhapsody-like?
Nein, keine Rockoper, eher ein Katastrophenalbum, ein paar Titel habe ich auch schon.
Stimmt es, dass sich ernsthaft Leute über den Text von "Deutsches Kino" aufgeregt haben?
Als das Lied noch neu war, war das eher so ein Konsensding, für das ich immer viel Zuspruch erntete, aber in den letzten Jahren hat sich das Klima verändert. Die Leute fühlen sich in ihrem neuaufkeimenden Nationalstolz, oder was immer das ist, verletzt. Was für mich bedeutet, dass das Lied wieder eine Berechtigung hat!
Und der Vegetarismus-Song (jetzt habe ich vergessen, was ich Dich dazu fragen wollte)
Wie hat er Dir gefallen?
Ich finde ihn toll! Wobei ich mich – als opportunistische Gelegenheitsvegetarierin – immer ein wenig über die Leute amüsiere, die glauben, durch Vegetarismus automatisch zu besseren Menschen zu werden.
Ich sehe den Song als Motivationshilfe, wenn man von alleine nicht die Kraft hat, aber eigentlich ein besserer Mensch werden will. Dann kann man diese Haltung wenigstens schon mal wie ein schickes Accessoire vor sich her tragen. Wie wenn man schon seit einem halben Jahr behauptet, dass man mit dem Rauchen aufhört und irgendwann realisiert, jetzt kann ich nicht mehr zurück. Ich hab das Lied auch für mich selber geschrieben.
Es wäre also komisch, wenn Du Dir gleich ein Schnitzel bestellen würdest.
Genau, das kann ich jetzt nicht mehr machen.
Und Dir danach eine deutsche Komödie anschauen würdest –
Na ja, ich guck sie mir ja immer wieder an! Obwohl, als ich die Vorschau von "Schultze gets the Blues" gesehen habe, hatte ich schon keinen Bock mehr. Wirklich gut fand ich "Kroko", richtig schlecht "Gegen die Wand".
Now for something completely different … wie kam es zu der Dreierformation Volkmann-Grether-Friebe, mit der Du unterwegs warst (Lese- und Konzertreise "Denn zum Küssen sind sie da")?
Linus war in Köln schon einer meiner besten Freunde und ich habe mit ihm auch bei Bum Kun Cha Youth gespielt. Kerstin hat auch fürs Intro geschrieben (wie Volkmann und Friebe), wohnt ausserdem in Berlin und dann bot es sich einfach an, als dann Kerstin ihr Buch draussen hatte und ich meine Platte.
Machst Du das (satt.org) eigentlich äh, ehrenamtlich?
Ja, nur für die Ehre und ab und zu ein paar CDs!
Also nicht, dass man beim Intro viel verdient hätte, aber schon der psychologische Faktor …
Man soll aber das, was man gern tut, nicht von Geld abhängig machen! Damit der Spass an der Sache nicht etwa von einer miesen Bezahlung verdorben wird.
Stimmt, und für das hier krieg ich ja kein Geld (meint das Konzert), also jedenfalls fast keins!
Vielen Dank!