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28. Februar 2010 | Felix Giesa für satt.org |
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Von kleinen Bildern und großen BildweltenSpätestens seit dem vielbeschworenen PISA-Schock sieht man sie allerorts: Bilderbücher für die ganz Kleinen. (Im vergangenen Jahr widmete sich gar die Ausstellung „Literatur im Laufstall“ dem Phänomen und seiner Herkunft.) Als Pappbilderbuch für die Spielecke, als kleines Buggybuch für unterwegs, als Plastikbuch für die Badewanne – in diesen und ähnlichen Erscheinungen soll kleinen Kindern das System Buch schmackhaft gemacht werden. Doch, und dies zeigten die Ausstellung und der zugehörige Katalog sehr eindringlich, handelt es sich hierbei nicht um einen neue Entwicklung. Ausgehend von den bildenzyklopädischen Büchern des 18. und 19 Jahrhunderts, etwa Bertuchs „Bilderbuch für Kinder“ (1790 – 1830) oder Gailers „Neuer Orbis pictus“ (1832), entwickelte sich diese Spielart des Bilderbuches stetig hin zur heute bekannten Form. Gleichzeitig zu der psychologischen Erkenntnis, dass man „den frühesten Unterricht des Kindes durchs Auge an[...]fangen und ihm so viel gute und richtige Bilder und Figuren, als man nur kann, vor das Gesicht [...] bringen“ solle (Bertuch), entstanden zuerst Bücher, welche Bilder mit kurzen Texten und Reimen paarten. Auch diese waren bereits auf anderen Materialien als Papier gedruckt, um dem kindlichen Ausprobieren Stand zu halten. So finden sich Bücher aus Holz, Stoff oder reißfestem Leinen. Die Weiterentwicklung bestand nun darin, das Seiteninventar zu reduzieren. Mit lediglich einem Gegenstand pro Seite und ohne Text, etablierte sich ein Standard, der auch heute noch Gültigkeit besitzt.
Gesichter So etwa in dem Fotostoffbilderbuch „Schau mal!“ Wer einmal beobachtet hat, wie kleine Kinder Gesichter und besonders auch auf die Gesichtsausdrücke ihrer Altersgenossen reagieren, der wird die Besonderheit dieses Buches schnell erkennen. Auf den zehn Seiten sind unterschiedliche Bilder vom Neugeborenen bis zum Kleinkind zu sehen, eingebunden in die Abläufe des kindlichen Tages: spielen, schreien, schlafen, essen. Dass man bei der Gestaltung nicht der aktuellen Unart der Knisterbücher gefolgt ist, und einige Seiten mit Knisterfolie ausgestopft hat, ist dem Verlag zu Gute zu halten. Vorderstes Ziel der Kleinkindbilderbücher soll es ja gerade sein, dem Kind das Konzept Buch zu vermitteln. Ein Buch das knistert oder knirscht ist aber eher ein Spielzeug, eine Abgrenzung zu anderen Spielzeugen ist für das Kind dann aber nicht mehr möglich. So kann man sich ganz dem Betrachten der Bilder widmen. Diese zu erkennen und als „Bilder“ zu enttarnen, d.h. sie von der Wirklichkeit zu entscheiden, ist ein ebenso wichtiger Schritt, wie der Spracherwerb. Bilderbände Der herkömmliche Typ ist jedoch aus Pappe und versammelt auf fünfzehn bis zwanzig Seiten Bilder. So etwa „Meine allerersten Bilder“, ein Pappbilderbuch, das bereits Kinder ab einem Alter von sechs Monaten betrachten werden. Gegenstände aus dem Alltag, wie ein Schlüsselbund oder eine Quietscheente, folgen hier modernen Gegenständen wie einem Mobiltelefon. Etwas unpassend an dem Buch scheint, dass sich immer nach vier Bildern eine Szene findet, in der alle vorherigen Gegenstände in einen Kontext gestellt werden. Eine solche Verknüpfung richtet sich an wesentlich ältere Kinder, die bereits komplexere Bildprogramme entschlüsseln können. Ebenfalls scheint es zumindest wenig gelungen, in der letzten Bildfolge eine Reihe von Nutzfahrzeugen aufzureihen. Die Begeisterung für Feuerwehrautos und Bagger ist wohl auch eher älteren Kindern zu Eigen. In der gleichen Machart, aber in einer künstlerisch gelungeneren Form, präsentiert sich Xavier Deneux’ „Mein allererstes Tierbuch“ mit schlichten schwarz-weißen Tierbildern. Diese stellen einen erfreulichen Kontrast zur sonstigen kunterbunten Massenware dar. Kleinstkinder sind noch nicht im Unterscheiden starker Kontraste geschult, diesem Umstand tragen die klaren Konturen der Tiere Rechnung. Weiß oder schwarz heben sie sich eindeutig vom jeweils gegenteiligfarbenen Hintergrund ab, kleine Farbtupfer setzen Akzente auf den einzelnen Seiten. Das ein Buch „durchgelesen“, „durchdrungen“ werden will, setzt Deneux wundervoll in Buchform um, wenn auf jeder Seite ein kleines Loch ein Detail der folgenden (und somit auch der vorigen) Seite preisgibt. Das alles ist auf solide Pappseiten gedruckt und wird von einem gummierten Umschlag eingefasst, was wie gemacht ist für schmutzige und schmierige Kinderhände. Erfreulicherweise hat der Bloomsbury einen zweiten Band angekündigt. Spielbücher Weiterentwicklungen dieser Bücher sind Spielbücher, häufig ebenfalls aus Pappe. Für jüngere Kinder mit einer weiterhin klaren Seitengestaltung, wie bei Coby Hols „10 kleine Häuser“; einem Pappbuch größerem Formats, das bereits einführen soll in grundlegendes Abzählen. Nicht so wie bei dem bekannten Lied, bei dem immer einer der zehn verschwindet, sondern immer ein Häuslein mehr spielen hier. Hol hat die Bilder mit bunten Kartoffelstempeln gestaltet, was dem Buch einen gewissen handgemachten Charakter verleiht. Zum Nachmachen findet sich natürlich eine kurze Anleitung fürs Kartoffelstempeln am Ende des Buches. Eine solche Schlichtheit in der Ausstattung und Einfachheit der Buchidee sind selten geworden, umso erfreulicher ist das kleine Buch. Gar nicht klein ist Tom Schamps Spielbuch „Otto fährt Auto“. Es passt hochkant sogar in kein handelsübliches Regal. Wie auf diesen Straßenspielteppichen zieht sich bei Schamp ein Straßennetz durchs Buch, das über alle Seiten, wie bei einer Schriftrolle, miteinander verbunden ist. Und da Otto irgendwann auch wieder heim muss, wird das Buch am Ende auf den Kopf gedreht und die Fahrt geht zurück. Dabei schließen die schlichten, aber farbenfrohen Acrylbilder an die Tradition der Wimmelbilderbücher an und ermöglichen eine Vielzahl von Lesarten für das Buch. Man kann, dem eingesetzten Text folgend, Otto bei seiner Autofahrt begleiten, man kann die Umgebung nach Details absuchen und man kann natürlich mit einem Auto selber durch das Buch fahren. Von allen Seiten betrachtet ist „Otto fährt Auto“ eines der tollsten Spielbücher der letzten Jahre – und das sicherlich nicht nur für Väter und ihre Söhne. Auffällig ist auf dem Markt der Spielbücher eine neue Entwicklung. Galten Malbücher besonders unter Kunstdidaktikern schon immer als der Feind der kindlichen Kreativität, so erfreut sich eine neue Generation von Künstlermalbüchern derzeit großer Beliebtheit. Etwa „Das grosse Malbuch“ von Taro Gomi, das so gar nicht herkömmlichen Malbüchern folgen will. Fordern diese dazu auf, möglichst jedes Bild feinsäuberlich auszumalen und sich bitte der richtigen Farbe zu bedienen, so sind bei Gomi bereits die Bilder selber krakelig und kritzlig. Und dann werden die Kinder auch noch aufgefordert, selber zu kritzeln und Tiere in leuchtenden Farben anzumalen. Hier wird im klassischen engstirnigen Format auf einmal eine Kreativität freigesetzt, die man so gar nicht für möglich gehalten hat. Gomis Bildern sprühen dabei nur so über von Ideen, ohne selber zu viel einzuschränken. Der erhobene Zeigefinger, Gomi malt ihn verletzt und bittet um ein Pflaster. So darf man getrost Graffiti auf Mauern malen und Tote in Särge, ebenso Skelette und sogar Dreck. Dabei begeistern die Bilder bereits vor dem Ausmalen und manchem erwachsenen Käufer dürfte es schwerfallen, das Buch in Kinderhände zu geben. Mit dicken Pinselstrichen wirft Gomi seine groben Figuren auf die Seiten, malt wilde Spiralen und Kringel hintereinander, dass man in der Tat Lust bekommt, ebenfalls zum Pinsel zu greifen und sich an den Seiten zu versuchen. Gleichzeitig sind da jedoch auch filigrane Tuschezeichnungen alltäglicher Gegenstände, die farbig zum Leben erweckt werden wollen. All diesen Büchern kann man nur viele kindliche Leser wünschen, auf das aus diesen einzelnen Lichtblicken ein Trend werde. |
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