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Knut Schaflinger, Schneebrand. Gedichte. 104 Seiten, Broschur. Verlag Ralf Liebe, Weilerswist 2011. 15,00 Euro (Edition POEMA) Verlag
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Weil ich kalt und warm nicht
ohne einander denken kann.
Schneebrand von Knut Schaflinger
Vorfreude, so sagt man, sei die schönste Freude. Ob das im Einzelfall tatsächlich immer stimmt, das sei einmal dahingestellt, aber gerade für musik-, film- und literaturinteressierte Menschen, also für Hörer, Zuschauer und Leser, bietet sich ja Gott sei Dank recht häufig die Gelegenheit, Vorfreude zu genießen. Was für den einen die Nachricht, dass Kraftwerk demnächst tatsächlich wieder ins Studio gehen werden, um ein komplettes neues Album aufzunehmen, ist für den anderen der nächste Teil der Hobbit-Trilogie.
Als Lyrikleser freue ich mich stets auf neue Bände von Autoren, die mich mit ihren bisherigen Gedichten – wie immer sie es im einzelnen auch geschafft haben – mitgenommen haben; Autoren, die sich keiner Mode unterwerfen und über Jahre einen markanten, eigenständigen Sound kultiviert und, wenn es ihnen angebracht schien, modifiziert haben. Der in Siegen lebende Crauss ist so jemand, von dem ich alles Neue lesen möchte/muss, und zwar möglichst schnell nach Erscheinen (auch hier besteht ein aktueller Grund zur Vorfreude, denn für diesen Herbst ist im Verlagshaus J. Frank, wo auch schon Crauss' erstklassige Lakritzvergiftung erschien, ein neuer Band mit Gedichten angekündigt). Gleiches gilt für den bekennenden Essener Urs Böke; auch er ist einer, der sich konsequent an einem Sujet abarbeitet und dabei darauf achtet, vielschichtig zu Werke zu gehen, mal Schwalben, mal Krähen durchs Bild fliegen lässt.
Ich könnte an dieser Stelle noch eine ganze Weile weitermachen, noch einige weitere Autorinnen und Autoren aufführen, möchte mich jedoch darauf beschränken, als Dritten im Bunde stellvertretend für viele andere Knut Schaflinger zu nennen. Unspektakulär und ohne jegliche Ambitionen auf Medienhype (weder ist er Gründer oder Mitglied einer wie auch immer benannten Schule, noch macht er durch Drogenskandale von sich reden), veröffentlicht der 62-Jährige seit gut zwei Jahrzehnten Gedichtbände. Leider – und zu meinem wahren Erstaunen – ist er sogar einigen eingefleischten Lyriklesern noch immer eine unbekannte Größe.
Schaflingers letzter, aktueller Gedichtband Schneebrand kam im Herbst 2011 im Verlag Ralf Liebe heraus (in dem u. a. die von Axel Kutsch herausgegebene Reihe der Versnetze-Anthologien erscheint), und zwar in der von Volker Demuth und Swantje Lichtenstein betreuten Edition POEMA. Rezensionen? Fehlanzeige! Bis heute findet sich bei keinem der populären Internetforen mehr als eine bloße Erwähnung; im Januar 2012 erschien ein Schaflinger-Artikel in der Augsburger Allgemeine[n], der aber mehr ein Porträt der Person und weniger eine Besprechung der aktuellen Publikation bot – und das, obwohl Schneebrand all jene Vorzüge aufweist, die schon Schaflingers frühere Texte, beginnend mit seinem Debüt Drei Teile vom Licht (1995), auszeichneten, allen voran seine auffällige und nach meinem Empfinden dennoch nicht überreizte Affinität zum Enjambement, die nahezu alle seine Gedichte mit neuen Fügungen, Irrungen und Wirrungen, und die Zeilenenden mit doppeltem Sinn versieht.
Die Unzucht der Tropen
Ein rotes wie heiß geriebenes Blatt an eine Hüfte geschmiegt der Palmen
Finger. Ihm eine feuchte Krümmung geben die Wölbung durstiger Katzen
Zungen. Und die Pause beim Trinken streicht den Milchnapf glatt. Feucht
belegt mit Tau blinken die Tropfen im Dunkeln. Zwitschern aus reißendem
Samt. Wie kleine Messer im Kehlkopf der Vögel schneidet es bellende Blut
Hunde los. Die Flucht auf die Bäume. Aufrecht an die Stämme geklammert
wie auf den Rücken der Pferde die hochsteigen bei Liebe und Angst. Dann
wiegt sich ein Sturm in den Kronen. Grüne Boote im schaukelnden Bett der
Tropen. Ihr Echo aus Gewächshaus. Wolkenzug. Ein Fahrtwind wirft seinen
Schnabel herein unter die flatternden Röcke. Quer über den Leib der Regen
Bogen der uns die Schenkel schneidet. Dort der Papageienhimmel bunt wie
das Geschenkpapier in das wir hüpfend unser Stöhnen packen. Aneinander
geklebt die Stimmen die von Sperrzeiten erzählen und Eintrittskarten. Möbel
aus Teakholz. Ein Tischbein das im Sumpf versinkt. Einmal jäh ein Geräusch
aus Glas. Wenn sich die Kippfenster schließen nachts eine Hand die zupackt.
In einer Rezension zu seinem 2009 erschienenen Band Flüchtige Substanzen stellte ich die naheliegende Vermutung an, dass Schaflingers Wortreichtum in seinem Brotberuf als Redakteur und Chef vom Dienst der ARD-Tagesthemen begründet sei. Ein aus Sitzungen, Protokollen und aus bis auf die Sekunde genau festgelegten Zeitfenstern bestehender Alltag – da dürften ihm Gedichte eine willkommene Möglichkeit bieten, die absolute Sachlichkeit und die Beschränkung auf Namen, Zahlen und Fakten einzutauschen gegen Subjektivität. Doch nie gleitet seine Lyrik in einen Plapperton ab, verfällt nie in Plauderei.
Die Gedichte in Schneebrand zeigen Absurditäten als Realität und Realitäten als Absurdität. Es sind Gedichte, reich an stimmungsvollen Bildern, die Utopien als Gelegenheiten vorstellen und Flora und Fauna mit Geschichte und Geschichten verbinden.