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Mai 2005
Christina Mohr
für satt.org


Autobigophonie
Ein Hörspiel von Françoise Cactus mit der Musik von Brezel Göring
Martin Schmitz Verlag 2005

Autobigophonie: Ein Hörspiel von Françoise Cactus
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Autobigophonie
Ein Hörspiel von Françoise Cactus
mit der Musik von Brezel Göring

Alors, das ist eine trés charmanter Einfall: Autobigophonie, die 1996 viel zu erschienene Biographie von Françoise Cactus, ist gerade als Hörspiel im Martin Schmitz Verlag veröffentlicht worden. Selten erschien eine Idee so plausibel – wer könnte Madame Cactus‘ haarscharf an der "Realität" vorbeisausenden Geschichten besser erzählen als sie selbst? Mit warmer, heiserer, altersloser Stimme und ihrem einnehmenden französischen Singsang parliert sie sich locker durch die Sechziger und Siebziger Jahre. Zu Beginn stellt Françoise gleich klar, dass sie schon immer wußte, daß sie nicht das echte Kind ihrer Eltern war. Sie fühlte anders und sah auch anders aus, schnell findet sie die abenteuerliche Wahrheit über ihre Herkunft heraus und erwähnt am Rande, dass sie nie wieder von Tante Marlene reden möchte …



Françoise Cactus und Wollita
Françoise Cactus und Wollita,
Gagarin Label Nacht im HAU2, 18.2.2005
Foto: Eva Bruhns


Sie erinnert sich ans "Schloß" ihrer Eltern, aber "einem Verhungernden kommt ein Teller Linsen wie eine Festspeise vor" – ähnliche Merksprüche und entzückende Vergleiche würzen ihre Berichte, aber wer ihre Bücher, Zitterparties und Neurosen am Valentinstag kennt, weiß ja schon um ihre Formulier- und Fabulierkunst. Was Dichtung und was Wahrheit ist, bleibt offen und ist auch ganz egal, "Du lügst wie Du atmest" wirft ihr kurzzeitiger Ehemann Igor ihr vor, doch das läßt Madame Cactus ganz kalt: "Das gilt vielleicht in Deiner Welt, aber nicht in meiner!" Nach Episoden im Mädcheninternat, ersten Revolutions- und Liebesabenteuern landet Françoise schließlich in Berlin. "Ich überlegte, was meine Fähigkeiten waren: Französisch, ein bißchen Malen und Haareschneiden." Bald gründet sie ihre erste Band, die "Bomben". Irgendwann müssen die dann zu den Lolitas geworden sein, aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte …Fortsetzung folgt hoffentlich!

Für das Hörspiel wurden 44 der über 100 kurzen Kapitel aus Autobigophonie von Françoise und ihrem Stereo Total-Mitstreiter Brezel Göring umgeschrieben. Dazwischen viel Musik: die aktuelle Platte Do the Bambi entpuppt sich als perfekter Soundtrack zum Buch – Stereo Total als Konzeptkunst? Die Songs untermalen die Geschichten jedenfall perfekt: Partymädchen, gefoltert erfährt einen völlig neuen Interpretationszusammenhang und Helft mir, der ergreifende Liebeskummertrack untermalt eindrücklich Françoises leidensvolle Obsession gegenüber dem jungen und grausamen "Leutnant".

Aber die Songs sind noch nicht alles: Françoise hat neben Brezel noch jede Menge anderer netter Menschen ins Studio eingeladen, um Gastrollen zu sprechen; Gina d’Orio von Cobra Killer, Beth Love als die Tambourinspielerin Miss T aus Memphis, Tennessee, Felix Kubin und Chris Imler, um nur einige zu nennen. Im Gegensatz zu vielen Hörbüchern nutzt sich Autobigophonie auch nach häufigem Anhören nicht ab: man kann seine Lieblingsgeschichten wie Musiktracks anwählen und schon bald auswendig mitschpräschön.