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Januar 2006
Christina Mohr
für satt.org


Monika Enterprise

» Oceanclub
» Marke B

Gudrun Gut im Interview

"Die modernste Frau auf diesem Planeten"*
* Frieder Butzmann über Gudrun Gut
in Verschwende Deine Jugend




Gudrun Gut
Gudrun Gut
Foto © Kerstin Anders

Das Wort „Legende“ wiegt so schwer und klingt so monumental, aber um Gudrun Gut vorzustellen, muß man es wenigstens einmal gesagt oder hingeschrieben haben: Legende. So.
In den späten Siebziger Jahren spielte sie zunächst bei DIN A Testbild, dann kurz bei den Einstürzenden Neubauten und bei Mania D., aus denen schließlich die legendären (schon wieder …) Malaria! hervorgingen. Außerdem führte sie – zuerst mit Bettina Köster, dann mit Blixa Bargeld - den Berliner Klamottenladen Eisengrau, in dem sich die gesamte Szene traf, die kurze Zeit später die fruchtbarste musikalische Keimzelle Deutschlands bilden sollte, bevor der Begriff „Neue Deutsche Welle“ alles zunichte machte.
Mit all ihren musikalischen und künstlerischen Projekten war sie immer eher Avantgarde als Punk; und Malaria! wurden wie DAF oder die Einstürzenden Neubauten auch im Ausland mit großem Interesse wahrgenommen.
In den frühen Neunziger Jahren versuchten Gudrun Gut und ihre ehemaligen Mitstreiterinnen, Malaria! wiederzubeleben, aber weil sich nach kürzester Zeit die selben Streitigkeiten wie früher einstellten, begrub man das Projekt endgültig und Gudrun Gut wurde klar, dass sie nie mehr in einer Band spielen wollte.

Aber das muß als Rückschau genügen, denn nur wenige KünstlerInnen von „damals“ befinden sich so dermaßen im Hier und Jetzt wie Gudrun Gut. Mit Thomas Fehlmann (ebenfalls ein Mensch mit Geschichte: Fehlmann spielte bei Palais Schaumburg) betreibt sie den zauberhaften Oceanclub, der seit mittlerweile zehn Jahren besteht. Der Oceanclub, entstanden als loser Zusammenschluß von ElektronikmusikerInnen und –DJs, veranstaltet einerseits Clubabende in Berlin, ist aber auch häufig zu Besuch in anderen Städten; außerdem regelmäßig jeden Freitag bei Radio Eins auf Sendung. Gudrun Gut erklärt sich die Erfolgsgeschichte des Oceanclub auch mit ihrem langen Atem, den sie als im Sternzeichen Stier geborene quasi in die Wiege gelegt bekommen hat.
Ihr Label Monika bietet (mit guter Quote - männlichen und) weiblichen Elektro-Songwriting-Acts wie Barbara Morgenstern oder Cobra Killer ein Zuhause. Monika ist auch gerne unterwegs, im September fand in Buenos Aires eine Monika-Nacht mit Barbara Morgenstern, Chica and the Folder und Gudrun selbst statt.

Zeit für einige Fragen an Gudrun Gut:

Du scheinst nicht nur eine Affinität zum Wasser zu haben (Ocean Club, Kaltes Klares Wasser), sondern auch zum Buchstaben „M“ (Monika Enterprises, Miasma, Malaria, Moabeat): Zufall oder Absicht?
GG: …und das M ist ein umgedrehtes W! Die Idee, den Buchstaben „M“ als Erkennungszeichen zu benutzen, ist tatsächlich ein Achtziger-Ding. Wir (Malaria!) waren in so vielen verschiedenen Projekten aktiv, dass ich es gut fand, ein Erkennungsmerkmal zu haben. Das „M“ ist mein Lieblingsbuchstabe – man hat ihn ja schon in der Handfläche: Wenn man die Hand ein wenig zusammenfaltet, ergeben die Lebens- und die anderen Linien ein M!

Kürzlich erschien bei Crippled Dick die Compilation Grlz – Women Ahead of Their Time; HP Eckart, der die Songs zusammengestellt hat, behauptet, Frauenbands spielten weniger „tight", rhythmisch würde es bei Frauen tendenziell „schlabbern". Was hältst Du davon?
GG (empört): Also dieser Spruch ist ja unglaublich frech – das stimmt überhaupt nicht! Ich war selber Schlagzeugerin und habe gerade für meine „Tightness“ und minimalistische Spielweise viele Komplimente bekommen. Es gibt tatsächlich wenige Schlagzeugerinnen, aber die Tendenz ändert sich eindeutig! Mittlerweile suchen immer mehr professionelle Bands zielgerichtet Schlagzeugerinnen – auch weil es hübsch aussieht und dem eingefahrenen Männer-Band-Tourgefüge ein belebendes Moment gibt!

Glaubst Du, dass elektronische Musik „befreiend“ auf Musikerinnen wirkt?
GG: Die gesamte Musiklandschaft ist männlich dominiert, egal ob im Rock oder in der elektronischen Musik. Es ist schon seltsam, am Anfang, wenn etwas losgeht, sind total viele Frauen dabei – aber sobald Professionalisierung einsetzt, verschwinden die Frauen. Für Männer existieren viel bessere Seilschaften. In der Schule sind die Mädchen besser im Musikunterricht, und auch mit Computern können Frauen gut umgehen. Aber Jungs werden fürs Lautsein, das Sich-in-den-Vordergrund-drängeln belohnt, die Mädchen hingegegen sollen lieber ein paar brave Tanzschritte lernen. Und wenn Jungs dann eine Band gründen, bekommen sie als Belohnung eine Freundin – und Mädchen, die auch eine Band haben, dürfen selber ihre Boxen schleppen, weil sie ja schließlich so emanzipiert sind!

Schaust und hörst Du denn bei weiblichen Musikern genauer hin?
GG: Ja, unbedingt – da besteht ein ganz anderer Zugang, ein viel tieferes Interesse.

Welche jüngeren MusikerInnen begeistern Dich?
GG: Ich liebe Coco Rosie; dann Jan Jellineks neues Album; alle Monika-Platten sind Inspiration für mich - Barbara Morgenstern natürlich, aber auch Masha Qrella. Meine Lieblings-Monika-Serie ist die 4Women No Cry – Tusia Beridze/tba ist eine tolle Künstlerin. Und Jimmy Tamborello finde ich klasse.

Im letzten Jahr war Deine ehemalige Malaria-Kollegin Bettina Köster mit The Vanishing auf Tournee. Sind Bands wie The Vanishing oder Cobra Killer „Nachfolgerinnen“ von Malaria?
GG: Das kann man nicht nachprüfen – kann ich nicht sagen.

Mythos Berlin: Du lebst und arbeitest schon sehr lange in Berlin; seit einiger Zeit kann man wieder eine regelrechte Aufbruchbewegung von z.B. Hamburg nach Berlin beobachten. Ist Berlin nach wie vor das kreative Zentrum Deutschlands? Und könntest Du Dir eine andere Stadt zum Leben vorstellen?
GG (lacht): Hamburg hat seine Hochphase ja schon wirklich lange hinter sich! Aber es stimmt, Berlin ist immer noch das kreative Zentrum Deutschlands. Wobei es natürlich schlecht für andere deutsche Städte ist, wenn alle nach Berlin abwandern. Die anderen Städte verwaisen und in Berlin entsteht ein „Kreativenghetto". Ich selbst wollte nach dem Mauerfall weg von Berlin, mir war alles zu eng geworden, ich hatte schon Pläne gemacht und wollte nach Barcelona! Aber dann bin ich doch geblieben und nach kurzer Zeit stand ein Weggang nicht mehr zur Diskussion. Durch die östlichen Stadtteile und die neue Größe hat Berlin unheimlich an Reiz gewonnen, von den Ostbewohnern kam sehr viel kreativer Input – auch für Monika Enterprise: meine ersten Mitarbeiter kamen aus dem Osten, und in vielen Bands mischten sich Ost und West. Dazu kommt, dass in Berlin die Wohnungen immer noch viel billiger sind als im restlichen Deutschland und sich deshalb viele junge Leute niederlassen – das gibt es wirklich in keiner anderen deutschen Stadt.
Na, aber meine persönliche Traumstadt ist dann Los Angeles … vielleicht, weil es das genaue Gegenteil von Berlin ist???

Gerade Berliner Bands finden sich oft – unfreiwillig – in der Diskussion um „neue deutsche“ Popmusik wieder, sollen sich zu einer Deutschpopquote bei Radiosendern äußern, usw. Wie siehst Du das?
GG: Es ist wirklich ein Problem in Deutschland, dass man die eigenen Sachen nicht gut findet und alles aus England und den USA von vornherein besser bewertet wird. Dabei haben deutsche Acts wirklich ihre Berechtigung: die Sprache ist viel echter, wenn man in der Sprache singt, in der man auch lebt und träumt.
Aber Deutsch singen als „muß“ ist natürlich Quatsch, zum Beispiel wenn eine schlechte Reggaeband, die Deutsch singt, im Radio eher gespielt wird als das gute englischsprachige Original.
Zur Zeit kann man ein ähnliches Phänomen wie zu NDW-Zeiten beobachten: Es gibt extrem viel Presse zu deutschen Bands, die Plattenfirmen wollen unbedingt ganz schnell deutsche Acts signen, Juni oder Silbermond und was weiß ich – wahrgenommen werden aber nur die Majorplatten! Die anderen Bands, die schon lange etwas Ähnliches machen und alles quasi vorbereitet haben, werden nicht gespielt und die Angelegenheit geht eher nach hinten los – genau wie damals bei den NDW-Sachen, als alles zu Schlager wurde.

Wie kam die Zusammenarbeit mit Chicks on Speed zustande, die Kaltes Klares Wasser vor ein paar Jahren geremixt haben?
GG: Ich kannte sie von den Oceanclub-Abenden im Münchner Ultraschall. Chicks on Speed hatten schon immer eine Affinität zu Malaria!, und waren super informiert, was ja nicht selbstverständlich ist - Ich fand ihre Performance toll und mochte ihre The-Normal-Coverversion von Warm Leatherette sehr. Ich wollte einen Malaria!-Remix von Kaltes Klares Wasser von ihnen, und das Stück wollen sie erst nicht, sondern Your Turn To Run (das dafür jetzt auf die „Monster"-Compilation von Chicks on Speed kommt). Aber ich habe sie gefragt, stimmt.

Hatten Malaria vor über zwanzig Jahren in den USA einen Exotenbonus? Weshalb fanden Euch die Amerikaner so toll?
GG: Da kam vieles zusammen. Wir waren vier Frauen, sangen Deutsch und spielten außergewöhnliche Musik. Wir haben auch teilweise Texte ins Englische übersetzt, damit die Leute sie verstehen - oder Bettina hat bei unseren Auftritten die Texte erklärt.
Alle 80er-Bands, die im Ausland erfolgreich waren, hatten ihre besondere Eigenständigkeit: Einstürzende Neubauten, DAF, Der Plan - die Sprache spielte keine wirkliche Rolle.
Auch Barbara Morgenstern ist im Ausland enorm beliebt: Wir hatten kürzlich einen Monika-Abend in Buenos Aires und ich war sehr froh, dabei zu sein, weil man die Auslandsrezeption ja hier sonst nicht so mitbekommt – Barbara hatte schon richtige Fans dort!
Im Oktober waren wir mit dem Oceanclub in Tokio – das war großartig, außerdem war das mein erster Japanbesuch überhaupt! Vorher hat es nie geklappt, obwohl ich schon früher auch schon mit Malaria! Angebote bekommen hatte, in Japan zu spielen, das Malaria!-Album Emotion war in Japan bei Sony erschienen; aber irgendwas kam immer dazwischen. Die Japaner sind unheimlich musikbegeistert, ein Journalist hatte tatsächlich jede einzelne Platte dabei, auf der ich jemals mitgewirkt habe – ungefähr 25 Stück, die ich alle unterschreiben mußte. Da war ich total gerührt, sowas hatte ich dann doch noch nie erlebt.
Komischerweise war der Oceanclub eher in China als in Japan, das ist schon seltsam! Insgesamt machen wir ja nicht soo viel im Ausland; wir waren in Holland, Portugal, der Schweiz, Los Angeles, London und eben Peking und Tokio, aber die Reisen sind schon sehr aufwendig zu organisieren. Früher hatten wir regelmäßige Oceanclubabende im wmf – nun machen wir gerne spezielle Veranstaltungen, zum Beispiel hatten wir im letzten Jahr einen sehr schönen Oceanclub in der Berliner Staatsoper im Apollo-Saal. Und die Radiosendung kann man sogar jede Woche in Sibirien (Red-Army-FM) und China (Take-Ten-Gouangchou) hören – und einmal im Monat bei Radio X (Frankfurt am Main) und Radio Z.

Der Oceanclub ist seit zehn Jahren eine mittlerweile überregionale Institution – welcher Teil Deiner Arbeit ist für Dich am wichtigsten? Label, Radio, selbst Musik machen …
GG: Das ist schwierig, weil alles ineinander übergeht, die Radioarbeit hilft bei Labelarbeit, durch das Radiomachen höre ich viel neue Musik, das würde ich nie aufgeben wollen. Wir können beim Oceanclub machen, was wir wollen, was bei aller Routine sehr viel Spaß bringt.
Die Labelarbeit ist anstrengender: mehr Arbeit bei weniger Gewinn, aber man bekommt auch sehr viel zurück von den Bands. Im nächsten Jahr gibt es eine neue Platte von Barbara Morgenstern, ich mache aber auch selber eine neue Platte! Und ein Stück von mir kommt auf eine neue Chicks-on-Speed-Compilation, die im Januar erscheinen wird; außerdem gibt es eine Single von mir bei Earsugar, die sogar bei BBC läuft! (Zum Reinhören: www.earsugar.com).

Wird Deine neue Platte auch bei Monika erscheinen?
GG: Nein, eher nicht, Monika wurde für andere Bands gegründet. Vielleicht auf Moabit, aber es ist generell nicht schlecht, wenn sich noch eine andere Person einmischt. Ich habe vor, im Februar mit der Platte fertig zu sein, aber es wird wahrscheinlich Sommer oder Herbst, bis sie erscheint, das ist auch nicht sooo eilig. Aber ich habe während aller Projekte immer nebenbei Musik gemacht, oft war nichts „richtiges“ dabei, aber jetzt sind Stücke fertig, mit denen ich selber zufrieden bin!

Wirst Du dann auch live spielen?
GG: Ungern, mal sehen … vielleicht mach ich eine Fake-Band …

Du legst ja auch häufig auf – was spielst Du?
GG: Wenig clubbige Sachen, sondern Stücke, die mir im Radio auffallen, oder die schon im Oceanclub liefen. Manchmal auch mit alten Sachen gemischt, ich bin jedenfalls keine Techno-DJ!

Über Dein Privatleben weiß man wenig …
GG: …welches Privatleben? Aber ich befinde mich ja sowieso nicht in diesem Klatschspaltenmilieu, ich achte natürlich schon darauf, dass nicht viel Privates nach außen dringt. Außerdem ist mein Privatleben nicht so wahnsinnig interessant, ich mache so viele Sachen, und die Arbeit steht immer im Vordergrund! Ein fünftes Leben hab ich schließlich auch nicht …
Ich gehe zu Konzerten, wenn Freunde oder Monika-Bands spielen, also 1 – 2mal pro Woche schon! Und ich gehe ins Theater oder in Kunstausstellungen - das ist dann das Private.

Schreibst Du auch ein Buch?
GG: Tatsächlich habe ich vor zwei Jahren angefangen, ein Buch zu schreiben, weil mich ständig Leute über die Vergangenheit ausgefragt haben und ich auch die Zeiten und Begebenheiten für mich selber ordnen wollte. Aber ich bin noch nicht sehr weit gekommen, weil ich so viel andere Sachen zu tun habe. Das kann noch zehn Jahre dauern, bis das mal fertig wird …

Aber das wäre wirklich spannend, weil die musikalische Geschichtschreibung bisher doch überwiegend aus männlicher Sicht passiert ist – hoffentlich findest Du die Zeit dafür!
Vielen Dank für das Gespräch!